daran dachte die großen Mächte zur Mitwirkung aufzurufen:*) die Laien blieben von der Regierung ausgeschlossen, die neuen Provinzial- und Ge- meinderäthe völlig machtlos. Als nun im Januar 1832 päpstliche Truppen in die Romagna einrückten, rotteten sich die Bürgerwehren und Frei- schaaren zusammen; die Aufständischen unterlagen, und furchtbar hauste das wüste Gesindel der Schlüsselsoldaten in den unterworfenen Städten. Die Curie aber zitterte vor ihrem eigenen Heere und rief nochmals die Hilfe des österreichischen Nachbarn an. Am 28. Januar erschien Mar- schall Radetzky mit seinen Weißröcken in Bologna; die Romagnolen selber empfingen ihn mit Freude, weil er ihnen doch Schutz gewährte gegen die wüthenden Papalini.
Nach Völkerrecht war Oesterreichs Verfahren unanfechtbar, sicherlich besser gerechtfertigt als der belgische Zug der Franzosen vom vorigen Sommer. Casimir Perier aber hatte sich vor den Kammern vermessen, daß er eine neue Einmischung der Oesterreicher nicht dulden werde; er war gerichtet, wenn er sein Wort nicht hielt. Die Parteiwuth der Fran- zosen zwang selbst diesen ernsten Staatsmann sich vor der Phrase der Nichteinmischungs-Lehre zu beugen und seine kurze rühmliche Laufbahn mit einem unwürdigen Possenspiele zu schließen. Perier ließ durch Marschall Maison in Wien ankündigen, daß nunmehr auch Frankreich einschreiten müsse -- Alles im Namen der Nichteinmischung! Metternich antwortete mit überlegenem Hohne: "Wollen Sie, daß wir im Kirchenstaate bleiben? Dann wählen Sie das rechte Mittel; denn sicherlich werden wir so lange bleiben, bis Ihr wieder fortgeht!" In tiefem Geheimniß segelte unter- dessen ein kleines Geschwader aus Toulon ab, fünfzehnhundert Franzosen landeten am 22. Februar in Ancona und bemächtigten sich der Stadt; ein pomphaftes Manifest verkündete den Italienern, daß Frankreich überall die Freiheit der Völker gegen den Despotismus beschütze.
Die Pariser Presse und viele der liberalen deutschen Zeitungen froh- lockten über die neue Wunderthat des freien Frankreichs. Casimir Perier selber war trotz seiner Verstandesklarheit doch wie alle Franzosen zur politischen Selbsttäuschung geneigt; er redete sich ein, daß er "das öffent- liche Recht Europas" vertheidigt habe, und die Haltung der anderen Mächte bestärkte ihn in diesem Wahne. Während Oesterreich und Ruß- land ihre Entrüstung über dies "politische Verbrechen" laut aussprachen, konnte selbst Palmerston seine Unzufriedenheit kaum verbergen, so daß Ludwig Philipp für gerathen hielt den fremden Gesandten allerhand feige Entschuldigungen zu sagen. Ancillon aber klagte rührsam: "Die Winde haben eine Seefahrt, welche keine Gunst verdiente, seltsam begünstigt. Die Geschichte bietet wenig Beispiele einer so offenbaren Verletzung aller Grundsätze. Dies verhängnißvolle Abenteuer würde ein Räthsel sein,
*) Metternich, Memoire sur l'affaire des Legations romaines, Nov. 1831.
IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
daran dachte die großen Mächte zur Mitwirkung aufzurufen:*) die Laien blieben von der Regierung ausgeſchloſſen, die neuen Provinzial- und Ge- meinderäthe völlig machtlos. Als nun im Januar 1832 päpſtliche Truppen in die Romagna einrückten, rotteten ſich die Bürgerwehren und Frei- ſchaaren zuſammen; die Aufſtändiſchen unterlagen, und furchtbar hauſte das wüſte Geſindel der Schlüſſelſoldaten in den unterworfenen Städten. Die Curie aber zitterte vor ihrem eigenen Heere und rief nochmals die Hilfe des öſterreichiſchen Nachbarn an. Am 28. Januar erſchien Mar- ſchall Radetzky mit ſeinen Weißröcken in Bologna; die Romagnolen ſelber empfingen ihn mit Freude, weil er ihnen doch Schutz gewährte gegen die wüthenden Papalini.
Nach Völkerrecht war Oeſterreichs Verfahren unanfechtbar, ſicherlich beſſer gerechtfertigt als der belgiſche Zug der Franzoſen vom vorigen Sommer. Caſimir Perier aber hatte ſich vor den Kammern vermeſſen, daß er eine neue Einmiſchung der Oeſterreicher nicht dulden werde; er war gerichtet, wenn er ſein Wort nicht hielt. Die Parteiwuth der Fran- zoſen zwang ſelbſt dieſen ernſten Staatsmann ſich vor der Phraſe der Nichteinmiſchungs-Lehre zu beugen und ſeine kurze rühmliche Laufbahn mit einem unwürdigen Poſſenſpiele zu ſchließen. Perier ließ durch Marſchall Maiſon in Wien ankündigen, daß nunmehr auch Frankreich einſchreiten müſſe — Alles im Namen der Nichteinmiſchung! Metternich antwortete mit überlegenem Hohne: „Wollen Sie, daß wir im Kirchenſtaate bleiben? Dann wählen Sie das rechte Mittel; denn ſicherlich werden wir ſo lange bleiben, bis Ihr wieder fortgeht!“ In tiefem Geheimniß ſegelte unter- deſſen ein kleines Geſchwader aus Toulon ab, fünfzehnhundert Franzoſen landeten am 22. Februar in Ancona und bemächtigten ſich der Stadt; ein pomphaftes Manifeſt verkündete den Italienern, daß Frankreich überall die Freiheit der Völker gegen den Despotismus beſchütze.
Die Pariſer Preſſe und viele der liberalen deutſchen Zeitungen froh- lockten über die neue Wunderthat des freien Frankreichs. Caſimir Perier ſelber war trotz ſeiner Verſtandesklarheit doch wie alle Franzoſen zur politiſchen Selbſttäuſchung geneigt; er redete ſich ein, daß er „das öffent- liche Recht Europas“ vertheidigt habe, und die Haltung der anderen Mächte beſtärkte ihn in dieſem Wahne. Während Oeſterreich und Ruß- land ihre Entrüſtung über dies „politiſche Verbrechen“ laut ausſprachen, konnte ſelbſt Palmerſton ſeine Unzufriedenheit kaum verbergen, ſo daß Ludwig Philipp für gerathen hielt den fremden Geſandten allerhand feige Entſchuldigungen zu ſagen. Ancillon aber klagte rührſam: „Die Winde haben eine Seefahrt, welche keine Gunſt verdiente, ſeltſam begünſtigt. Die Geſchichte bietet wenig Beiſpiele einer ſo offenbaren Verletzung aller Grundſätze. Dies verhängnißvolle Abenteuer würde ein Räthſel ſein,
*) Metternich, Mémoire sur l’affaire des Légations romaines, Nov. 1831.
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daran dachte die großen Mächte zur Mitwirkung aufzurufen: *) die Laien
blieben von der Regierung ausgeſchloſſen, die neuen Provinzial- und Ge-
meinderäthe völlig machtlos. Als nun im Januar 1832 päpſtliche Truppen
in die Romagna einrückten, rotteten ſich die Bürgerwehren und Frei-
ſchaaren zuſammen; die Aufſtändiſchen unterlagen, und furchtbar hauſte
das wüſte Geſindel der Schlüſſelſoldaten in den unterworfenen Städten.
Die Curie aber zitterte vor ihrem eigenen Heere und rief nochmals die
Hilfe des öſterreichiſchen Nachbarn an. Am 28. Januar erſchien Mar-
ſchall Radetzky mit ſeinen Weißröcken in Bologna; die Romagnolen ſelber
empfingen ihn mit Freude, weil er ihnen doch Schutz gewährte gegen die
wüthenden Papalini.
Nach Völkerrecht war Oeſterreichs Verfahren unanfechtbar, ſicherlich
beſſer gerechtfertigt als der belgiſche Zug der Franzoſen vom vorigen
Sommer. Caſimir Perier aber hatte ſich vor den Kammern vermeſſen,
daß er eine neue Einmiſchung der Oeſterreicher nicht dulden werde; er
war gerichtet, wenn er ſein Wort nicht hielt. Die Parteiwuth der Fran-
zoſen zwang ſelbſt dieſen ernſten Staatsmann ſich vor der Phraſe der
Nichteinmiſchungs-Lehre zu beugen und ſeine kurze rühmliche Laufbahn
mit einem unwürdigen Poſſenſpiele zu ſchließen. Perier ließ durch Marſchall
Maiſon in Wien ankündigen, daß nunmehr auch Frankreich einſchreiten
müſſe — Alles im Namen der Nichteinmiſchung! Metternich antwortete
mit überlegenem Hohne: „Wollen Sie, daß wir im Kirchenſtaate bleiben?
Dann wählen Sie das rechte Mittel; denn ſicherlich werden wir ſo lange
bleiben, bis Ihr wieder fortgeht!“ In tiefem Geheimniß ſegelte unter-
deſſen ein kleines Geſchwader aus Toulon ab, fünfzehnhundert Franzoſen
landeten am 22. Februar in Ancona und bemächtigten ſich der Stadt;
ein pomphaftes Manifeſt verkündete den Italienern, daß Frankreich überall
die Freiheit der Völker gegen den Despotismus beſchütze.
Die Pariſer Preſſe und viele der liberalen deutſchen Zeitungen froh-
lockten über die neue Wunderthat des freien Frankreichs. Caſimir Perier
ſelber war trotz ſeiner Verſtandesklarheit doch wie alle Franzoſen zur
politiſchen Selbſttäuſchung geneigt; er redete ſich ein, daß er „das öffent-
liche Recht Europas“ vertheidigt habe, und die Haltung der anderen
Mächte beſtärkte ihn in dieſem Wahne. Während Oeſterreich und Ruß-
land ihre Entrüſtung über dies „politiſche Verbrechen“ laut ausſprachen,
konnte ſelbſt Palmerſton ſeine Unzufriedenheit kaum verbergen, ſo daß
Ludwig Philipp für gerathen hielt den fremden Geſandten allerhand feige
Entſchuldigungen zu ſagen. Ancillon aber klagte rührſam: „Die Winde
haben eine Seefahrt, welche keine Gunſt verdiente, ſeltſam begünſtigt.
Die Geſchichte bietet wenig Beiſpiele einer ſo offenbaren Verletzung aller
Grundſätze. Dies verhängnißvolle Abenteuer würde ein Räthſel ſein,
*) Metternich, Mémoire sur l’affaire des Légations romaines, Nov. 1831.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/110>, abgerufen am 29.11.2024.
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