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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Die polnischen Flüchtlinge.
werden. In der Hauptstadt gebot der zum Fürsten von Warschau er-
hobene Paskiewitsch mit eiserner Strenge; er verhöhnte die Geschlagenen
ins Angesicht, feierte seine Siege in prunkenden Festen, und als ihm der
Czar das von Thorwaldsen soeben vollendete Reiterstandbild des polnischen
Nationalhelden Poniatowski schenkte, ließ er der Bildsäule den Kopf ab-
schlagen, seinen eigenen Kopf darauf setzen und dann dies unvergleichliche
Denkmal moskowitischer Barbarei vor einem seiner Schlösser aufstellen.

Bei alledem spielten die Westmächte eine klägliche Rolle. Mehrmals
erhoben sie schüchternen Einspruch und beriefen sich auf die Wiener Ver-
träge, die sie doch selber beständig verletzten. Alle diese Versuche wurden
von den drei Theilungsmächten kurzerhand abgewiesen; denn die Wiener
Congreßacte verhieß den Polen nur im Allgemeinen "nationale Institu-
tionen", und eine nationale Verwaltung blieb dem Lande auch jetzt noch
erhalten.*) Jahraus jahrein ergingen sich die Parlamente von England
und Frankreich fortan in Kundgebungen einer unfruchtbaren Entrüstung.
Der furchtsame Bürgerkönig nahm die polnischen Flüchtlinge gastlich bei
sich auf. Im Stillen fühlte er sich doch erleichtert durch die Unterdrückung
eines Aufstandes, der ihm nur Verlegenheiten bereitet hatte. Sein Ver-
trauter Sebastiani plauderte dies Herzensgeheimniß unvorsichtig aus, als
er in der Kammer die Aeußerung fallen ließ: "die Ordnung herrscht in
Warschau" -- ein Wort, das von den Liberalen aller Länder begierig auf-
gegriffen und jahrelang beständig wiederholt wurde, um die Ruchlosigkeit
der Kronen zu brandmarken. --


Durch den Fall von Warschau gewann die Politik der Ostmächte
wieder freiere Bewegung; indeß war Rußland durch den polnischen Kampf
so erschöpft und das Friedensbedürfniß an den beiden deutschen Höfen
so stark, daß eine ernste Kriegsgefahr kaum noch hereinbrechen konnte.
Die belgische Frage schritt der Lösung entgegen, sehr langsam allerdings und
unter mannichfaltigen Verwicklungen. Der am 15. November mit Belgien
abgeschlossene Vertrag erregte in Berlin wie in Wien und Petersburg
gerechtes Befremden; denn die Gesandten der drei Mächte hatten ihn
ohne Vollmacht unterzeichnet, und ohne die Mitwirkung Hollands, wäh-
rend die Londoner Conferenz doch berufen war zwischen den streitenden
Parteien zu vermitteln. Dennoch war König Friedrich Wilhelm zur
Genehmigung bereit, da er den Inhalt des Vertrags billigte; nur wollte
er die Ratification erst dann aussprechen, wenn alle Großmächte und
wo möglich auch Holland beistimmten und dadurch eine endgiltige Ent-
scheidung gesichert war. Den ganzen Winter hindurch mühte Preußen
sich ab, diese allgemeine Uebereinstimmung herbeizuführen. Oesterreich

*) Maltzahn's Berichte, 9. Nov. 1831 ff.

Die polniſchen Flüchtlinge.
werden. In der Hauptſtadt gebot der zum Fürſten von Warſchau er-
hobene Paskiewitſch mit eiſerner Strenge; er verhöhnte die Geſchlagenen
ins Angeſicht, feierte ſeine Siege in prunkenden Feſten, und als ihm der
Czar das von Thorwaldſen ſoeben vollendete Reiterſtandbild des polniſchen
Nationalhelden Poniatowski ſchenkte, ließ er der Bildſäule den Kopf ab-
ſchlagen, ſeinen eigenen Kopf darauf ſetzen und dann dies unvergleichliche
Denkmal moskowitiſcher Barbarei vor einem ſeiner Schlöſſer aufſtellen.

Bei alledem ſpielten die Weſtmächte eine klägliche Rolle. Mehrmals
erhoben ſie ſchüchternen Einſpruch und beriefen ſich auf die Wiener Ver-
träge, die ſie doch ſelber beſtändig verletzten. Alle dieſe Verſuche wurden
von den drei Theilungsmächten kurzerhand abgewieſen; denn die Wiener
Congreßacte verhieß den Polen nur im Allgemeinen „nationale Inſtitu-
tionen“, und eine nationale Verwaltung blieb dem Lande auch jetzt noch
erhalten.*) Jahraus jahrein ergingen ſich die Parlamente von England
und Frankreich fortan in Kundgebungen einer unfruchtbaren Entrüſtung.
Der furchtſame Bürgerkönig nahm die polniſchen Flüchtlinge gaſtlich bei
ſich auf. Im Stillen fühlte er ſich doch erleichtert durch die Unterdrückung
eines Aufſtandes, der ihm nur Verlegenheiten bereitet hatte. Sein Ver-
trauter Sebaſtiani plauderte dies Herzensgeheimniß unvorſichtig aus, als
er in der Kammer die Aeußerung fallen ließ: „die Ordnung herrſcht in
Warſchau“ — ein Wort, das von den Liberalen aller Länder begierig auf-
gegriffen und jahrelang beſtändig wiederholt wurde, um die Ruchloſigkeit
der Kronen zu brandmarken. —


Durch den Fall von Warſchau gewann die Politik der Oſtmächte
wieder freiere Bewegung; indeß war Rußland durch den polniſchen Kampf
ſo erſchöpft und das Friedensbedürfniß an den beiden deutſchen Höfen
ſo ſtark, daß eine ernſte Kriegsgefahr kaum noch hereinbrechen konnte.
Die belgiſche Frage ſchritt der Löſung entgegen, ſehr langſam allerdings und
unter mannichfaltigen Verwicklungen. Der am 15. November mit Belgien
abgeſchloſſene Vertrag erregte in Berlin wie in Wien und Petersburg
gerechtes Befremden; denn die Geſandten der drei Mächte hatten ihn
ohne Vollmacht unterzeichnet, und ohne die Mitwirkung Hollands, wäh-
rend die Londoner Conferenz doch berufen war zwiſchen den ſtreitenden
Parteien zu vermitteln. Dennoch war König Friedrich Wilhelm zur
Genehmigung bereit, da er den Inhalt des Vertrags billigte; nur wollte
er die Ratification erſt dann ausſprechen, wenn alle Großmächte und
wo möglich auch Holland beiſtimmten und dadurch eine endgiltige Ent-
ſcheidung geſichert war. Den ganzen Winter hindurch mühte Preußen
ſich ab, dieſe allgemeine Uebereinſtimmung herbeizuführen. Oeſterreich

*) Maltzahn’s Berichte, 9. Nov. 1831 ff.
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[91/0105] Die polniſchen Flüchtlinge. werden. In der Hauptſtadt gebot der zum Fürſten von Warſchau er- hobene Paskiewitſch mit eiſerner Strenge; er verhöhnte die Geſchlagenen ins Angeſicht, feierte ſeine Siege in prunkenden Feſten, und als ihm der Czar das von Thorwaldſen ſoeben vollendete Reiterſtandbild des polniſchen Nationalhelden Poniatowski ſchenkte, ließ er der Bildſäule den Kopf ab- ſchlagen, ſeinen eigenen Kopf darauf ſetzen und dann dies unvergleichliche Denkmal moskowitiſcher Barbarei vor einem ſeiner Schlöſſer aufſtellen. Bei alledem ſpielten die Weſtmächte eine klägliche Rolle. Mehrmals erhoben ſie ſchüchternen Einſpruch und beriefen ſich auf die Wiener Ver- träge, die ſie doch ſelber beſtändig verletzten. Alle dieſe Verſuche wurden von den drei Theilungsmächten kurzerhand abgewieſen; denn die Wiener Congreßacte verhieß den Polen nur im Allgemeinen „nationale Inſtitu- tionen“, und eine nationale Verwaltung blieb dem Lande auch jetzt noch erhalten. *) Jahraus jahrein ergingen ſich die Parlamente von England und Frankreich fortan in Kundgebungen einer unfruchtbaren Entrüſtung. Der furchtſame Bürgerkönig nahm die polniſchen Flüchtlinge gaſtlich bei ſich auf. Im Stillen fühlte er ſich doch erleichtert durch die Unterdrückung eines Aufſtandes, der ihm nur Verlegenheiten bereitet hatte. Sein Ver- trauter Sebaſtiani plauderte dies Herzensgeheimniß unvorſichtig aus, als er in der Kammer die Aeußerung fallen ließ: „die Ordnung herrſcht in Warſchau“ — ein Wort, das von den Liberalen aller Länder begierig auf- gegriffen und jahrelang beſtändig wiederholt wurde, um die Ruchloſigkeit der Kronen zu brandmarken. — Durch den Fall von Warſchau gewann die Politik der Oſtmächte wieder freiere Bewegung; indeß war Rußland durch den polniſchen Kampf ſo erſchöpft und das Friedensbedürfniß an den beiden deutſchen Höfen ſo ſtark, daß eine ernſte Kriegsgefahr kaum noch hereinbrechen konnte. Die belgiſche Frage ſchritt der Löſung entgegen, ſehr langſam allerdings und unter mannichfaltigen Verwicklungen. Der am 15. November mit Belgien abgeſchloſſene Vertrag erregte in Berlin wie in Wien und Petersburg gerechtes Befremden; denn die Geſandten der drei Mächte hatten ihn ohne Vollmacht unterzeichnet, und ohne die Mitwirkung Hollands, wäh- rend die Londoner Conferenz doch berufen war zwiſchen den ſtreitenden Parteien zu vermitteln. Dennoch war König Friedrich Wilhelm zur Genehmigung bereit, da er den Inhalt des Vertrags billigte; nur wollte er die Ratification erſt dann ausſprechen, wenn alle Großmächte und wo möglich auch Holland beiſtimmten und dadurch eine endgiltige Ent- ſcheidung geſichert war. Den ganzen Winter hindurch mühte Preußen ſich ab, dieſe allgemeine Uebereinſtimmung herbeizuführen. Oeſterreich *) Maltzahn’s Berichte, 9. Nov. 1831 ff.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/105>, abgerufen am 24.04.2024.