auf nahezu 13 Millionen. Die Unfertigkeit der verkommenen volkswirth- schaftlichen Zustände ward ihr freilich oft fühlbar. Ueberall in dem ver- armten Europa stand der Disconto sehr hoch, bis auf 10 Procent, und kaum irgendwo sprang er so plötzlich auf und nieder wie in Berlin, da die Bank durch die Armseligkeit ihrer Mittel gezwungen wurde, sich vor- sichtig geschlossen zu halten. Im Jahre 1821 schwankte ihr Discont zwi- schen 3 und 8, zuweilen in wenigen Tagen um 2 bis 3 Procent; erst sechs Jahre später war sie so weit erstarkt, daß sie sich selber einen un- überschreitbaren höchsten Discontosatz vorschreiben konnte.
Noch im Jahre 1824 erboten sich die Rothschilds und einige andere große Firmen unter sehr verlockenden Bedingungen, ein Actienunternehmen an der Stelle der preußischen Bank zu gründen; der König aber wurde durch Niebuhr über die Hintergedanken der Bankiers aufgeklärt und ver- warf den Plan, obgleich Wittgenstein und Bülow sich lebhaft dafür ver- wendeten. Nach und nach begann auch die Meinung der kaufmännischen Welt dem verrufenen Institute günstiger zu werden, da sich sein neuer Geschäftskreis zum Segen des Handels beständig erweiterte, und man hielt die Bank bereits für gerettet. In Wahrheit stand Alles anders. Derweil der neue Verkehr so günstigen Fortgang nahm, mußte Friese in aller Stille die verworrene Schuldenmasse aus dem "alten Verkehr" der napoleonischen Zeiten abtragen -- eine verzweifelte Arbeit, die jeden Ge- winn des neuen kaufmännischen Geschäfts unerbittlich verschlang und die Bank aus einer Bedrängniß in die andere stürzte. Zwar die Bayonner Convention war auf dem Wiener Congresse durch einen preußisch-russischen Vertrag förmlich aufgehoben worden. Aber wie nun die 10 Millionen Schulden eintreiben von den Grundherren des vormaligen Herzogthums Warschau, die fast allesammt weder zahlen konnten noch wollten? Schon in Posen und Westpreußen konnte Friese seine Forderungen nur unter schweren Verlusten durchsetzen, selbst die Zwangsversteigerung fruchtete nichts; da sich in den armen Landschaften keine Käufer fanden, so blieb nichts übrig, als einen Theil der verschuldeten Güter für die Bank selbst zu übernehmen und sie zu gelegener Zeit zu veräußern. Nun gar im Königreich Polen: welch ein endloser Streit mit feindseligen Schuldnern, feilen Gerichten und betrügerischen Anwälten! Die neue polnische Regie- rung zeigte sich dabei fast ebenso böswillig wie einst die sächsisch-war- schauische. Auch hier mußte Friese große Gütercomplexe für die Bank ankaufen und schließlich noch froh sein, als er im Mai 1830 den unwill- kommenen, kostspieligen Besitz um einen lächerlichen Preis an die polnische Regierung wieder verkauft hatte; denn unmittelbar nachher ward das unglückliche Polen durch einen neuen Aufstand abermals zerrüttet.
Unter solchen Umständen gelang es zwar mit der äußersten Anstren- gung bis zum Jahre 1828, die Schulden aus dem alten Verkehr bis auf 2 Mill. gänzlich abzutragen, aber das wirkliche Deficit der Bank betrug,
III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
auf nahezu 13 Millionen. Die Unfertigkeit der verkommenen volkswirth- ſchaftlichen Zuſtände ward ihr freilich oft fühlbar. Ueberall in dem ver- armten Europa ſtand der Disconto ſehr hoch, bis auf 10 Procent, und kaum irgendwo ſprang er ſo plötzlich auf und nieder wie in Berlin, da die Bank durch die Armſeligkeit ihrer Mittel gezwungen wurde, ſich vor- ſichtig geſchloſſen zu halten. Im Jahre 1821 ſchwankte ihr Discont zwi- ſchen 3 und 8, zuweilen in wenigen Tagen um 2 bis 3 Procent; erſt ſechs Jahre ſpäter war ſie ſo weit erſtarkt, daß ſie ſich ſelber einen un- überſchreitbaren höchſten Discontoſatz vorſchreiben konnte.
Noch im Jahre 1824 erboten ſich die Rothſchilds und einige andere große Firmen unter ſehr verlockenden Bedingungen, ein Actienunternehmen an der Stelle der preußiſchen Bank zu gründen; der König aber wurde durch Niebuhr über die Hintergedanken der Bankiers aufgeklärt und ver- warf den Plan, obgleich Wittgenſtein und Bülow ſich lebhaft dafür ver- wendeten. Nach und nach begann auch die Meinung der kaufmänniſchen Welt dem verrufenen Inſtitute günſtiger zu werden, da ſich ſein neuer Geſchäftskreis zum Segen des Handels beſtändig erweiterte, und man hielt die Bank bereits für gerettet. In Wahrheit ſtand Alles anders. Derweil der neue Verkehr ſo günſtigen Fortgang nahm, mußte Frieſe in aller Stille die verworrene Schuldenmaſſe aus dem „alten Verkehr“ der napoleoniſchen Zeiten abtragen — eine verzweifelte Arbeit, die jeden Ge- winn des neuen kaufmänniſchen Geſchäfts unerbittlich verſchlang und die Bank aus einer Bedrängniß in die andere ſtürzte. Zwar die Bayonner Convention war auf dem Wiener Congreſſe durch einen preußiſch-ruſſiſchen Vertrag förmlich aufgehoben worden. Aber wie nun die 10 Millionen Schulden eintreiben von den Grundherren des vormaligen Herzogthums Warſchau, die faſt alleſammt weder zahlen konnten noch wollten? Schon in Poſen und Weſtpreußen konnte Frieſe ſeine Forderungen nur unter ſchweren Verluſten durchſetzen, ſelbſt die Zwangsverſteigerung fruchtete nichts; da ſich in den armen Landſchaften keine Käufer fanden, ſo blieb nichts übrig, als einen Theil der verſchuldeten Güter für die Bank ſelbſt zu übernehmen und ſie zu gelegener Zeit zu veräußern. Nun gar im Königreich Polen: welch ein endloſer Streit mit feindſeligen Schuldnern, feilen Gerichten und betrügeriſchen Anwälten! Die neue polniſche Regie- rung zeigte ſich dabei faſt ebenſo böswillig wie einſt die ſächſiſch-war- ſchauiſche. Auch hier mußte Frieſe große Gütercomplexe für die Bank ankaufen und ſchließlich noch froh ſein, als er im Mai 1830 den unwill- kommenen, koſtſpieligen Beſitz um einen lächerlichen Preis an die polniſche Regierung wieder verkauft hatte; denn unmittelbar nachher ward das unglückliche Polen durch einen neuen Aufſtand abermals zerrüttet.
Unter ſolchen Umſtänden gelang es zwar mit der äußerſten Anſtren- gung bis zum Jahre 1828, die Schulden aus dem alten Verkehr bis auf 2 Mill. gänzlich abzutragen, aber das wirkliche Deficit der Bank betrug,
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auf nahezu 13 Millionen. Die Unfertigkeit der verkommenen volkswirth-
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armten Europa ſtand der Disconto ſehr hoch, bis auf 10 Procent, und
kaum irgendwo ſprang er ſo plötzlich auf und nieder wie in Berlin, da
die Bank durch die Armſeligkeit ihrer Mittel gezwungen wurde, ſich vor-
ſichtig geſchloſſen zu halten. Im Jahre 1821 ſchwankte ihr Discont zwi-
ſchen 3 und 8, zuweilen in wenigen Tagen um 2 bis 3 Procent; erſt
ſechs Jahre ſpäter war ſie ſo weit erſtarkt, daß ſie ſich ſelber einen un-
überſchreitbaren höchſten Discontoſatz vorſchreiben konnte.
Noch im Jahre 1824 erboten ſich die Rothſchilds und einige andere
große Firmen unter ſehr verlockenden Bedingungen, ein Actienunternehmen
an der Stelle der preußiſchen Bank zu gründen; der König aber wurde
durch Niebuhr über die Hintergedanken der Bankiers aufgeklärt und ver-
warf den Plan, obgleich Wittgenſtein und Bülow ſich lebhaft dafür ver-
wendeten. Nach und nach begann auch die Meinung der kaufmänniſchen
Welt dem verrufenen Inſtitute günſtiger zu werden, da ſich ſein neuer
Geſchäftskreis zum Segen des Handels beſtändig erweiterte, und man
hielt die Bank bereits für gerettet. In Wahrheit ſtand Alles anders.
Derweil der neue Verkehr ſo günſtigen Fortgang nahm, mußte Frieſe in
aller Stille die verworrene Schuldenmaſſe aus dem „alten Verkehr“ der
napoleoniſchen Zeiten abtragen — eine verzweifelte Arbeit, die jeden Ge-
winn des neuen kaufmänniſchen Geſchäfts unerbittlich verſchlang und die
Bank aus einer Bedrängniß in die andere ſtürzte. Zwar die Bayonner
Convention war auf dem Wiener Congreſſe durch einen preußiſch-ruſſiſchen
Vertrag förmlich aufgehoben worden. Aber wie nun die 10 Millionen
Schulden eintreiben von den Grundherren des vormaligen Herzogthums
Warſchau, die faſt alleſammt weder zahlen konnten noch wollten? Schon
in Poſen und Weſtpreußen konnte Frieſe ſeine Forderungen nur unter
ſchweren Verluſten durchſetzen, ſelbſt die Zwangsverſteigerung fruchtete
nichts; da ſich in den armen Landſchaften keine Käufer fanden, ſo blieb
nichts übrig, als einen Theil der verſchuldeten Güter für die Bank ſelbſt
zu übernehmen und ſie zu gelegener Zeit zu veräußern. Nun gar im
Königreich Polen: welch ein endloſer Streit mit feindſeligen Schuldnern,
feilen Gerichten und betrügeriſchen Anwälten! Die neue polniſche Regie-
rung zeigte ſich dabei faſt ebenſo böswillig wie einſt die ſächſiſch-war-
ſchauiſche. Auch hier mußte Frieſe große Gütercomplexe für die Bank
ankaufen und ſchließlich noch froh ſein, als er im Mai 1830 den unwill-
kommenen, koſtſpieligen Beſitz um einen lächerlichen Preis an die polniſche
Regierung wieder verkauft hatte; denn unmittelbar nachher ward das
unglückliche Polen durch einen neuen Aufſtand abermals zerrüttet.
Unter ſolchen Umſtänden gelang es zwar mit der äußerſten Anſtren-
gung bis zum Jahre 1828, die Schulden aus dem alten Verkehr bis auf
2 Mill. gänzlich abzutragen, aber das wirkliche Deficit der Bank betrug,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/98>, abgerufen am 22.11.2024.
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