bestand, im Voraus beschränkte. Indeß er hoffte jetzt bestimmt den allge- meinen Landtag schon in Jahresfrist zu eröffnen, und bis dahin konnte man eine neue Anleihe sicher vermeiden; selbst wenn ein Krieg über Nacht hereinbrach, besaß der Staat noch einen Nothpfennig an den zurückbe- haltenen Staatsschuldscheinen. Die Zusage der ständischen Mitwirkung war auch durch finanzielle Rücksichten geboten; denn nur darum fand das Schulden-Edikt bei der Geschäftswelt eine so günstige Aufnahme. Selbst Rother, der keineswegs zu den liberalen Parteimännern gehörte, erklärte offen, ohne Reichsstände könne der öffentliche Credit nicht mehr auf die Dauer gesichert werden.
Die Hoffnungen der Verfassungsfreunde begannen sich wieder zu be- leben. Marwitz aber meinte, durch die neue Civilliste und den Verkauf der Domänen verliere der König seine Wurzel im Staate, während um- gekehrt der liberale Schön klagte, seit der Errichtung des Kronfideicommisses sei der Monarch nur noch der erste der Landjunker. Nach der Ansicht des Führers der brandenburgischen Adelspartei hätte man einfach die Staatsschuld auf ein Drittel oder ein Zehntel ihres Nennwerthes herab- setzen sollen, da die Zinsen doch nur den Wucherern den Beutel füllten. Und zu allem Unheil vollzog der Staatskanzler gleichzeitig mit dem Schul- den-Edikte den längst vorbereiteten nothwendigen Eingriff in die ständi- schen Institutionen Brandenburgs. Da der Staat mit der gesammten Staatsschuldenmasse auch die alte bisher von den Ständen der Kurmark verwaltete brandenburgische Staatsschuld wieder selbst übernahm, so wurde die kurmärkische Landschaft mitsammt ihren Biergelds-, Hufen- und Gie- belschoßkassen von Rechtswegen aufgehoben. "Die sonstigen ständischen Verhältnisse", erklärte der König, sollten dadurch nicht berührt, sondern später auf Grund der Verordnung vom 22. Mai neu geregelt werden. Als die Ritterschaft in einer höchst unehrerbietigen Vorstellung ihre an- geblich verletzten Rechte verwahrte, ertheilte ihr der Monarch eine scharfe Rüge. Der Oberpräsident nahm das Berliner Landhaus in Besitz; die Führer der Ritterschaft verweigerten jede Mitwirkung, Allen voran der alte Minister Voß-Buch. Also erschien Hardenberg wieder, wie vor neun Jahren, als der rücksichtslos entschlossene Bändiger des märkischen Adels. Friedrich Buchholz aber, der früher die Herrlichkeit märkischer Stände- freiheit gepriesen, hielt nunmehr für zeitgemäß, in der "Neuen Monats- schrift für Deutschland" zu beweisen, daß die Wiederherstellung der alten Zustände unmöglich sei; nur eine wirkliche Volksvertretung könne der neuen Zeit genügen.
Auch der ständische Partikularismus der rheinisch-westphälischen Edel- leute begegnete kalter Ablehnung. Sie waren vor Kurzem von dem Justizminister abgewiesen worden, als sie um Wiederherstellung des privi- legirten Gerichtsstandes baten. Jetzt beschwerten sich die Stände der Grafschaft Mark, an ihrer Spitze abermals der rastlose Bodelschwingh-
III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
beſtand, im Voraus beſchränkte. Indeß er hoffte jetzt beſtimmt den allge- meinen Landtag ſchon in Jahresfriſt zu eröffnen, und bis dahin konnte man eine neue Anleihe ſicher vermeiden; ſelbſt wenn ein Krieg über Nacht hereinbrach, beſaß der Staat noch einen Nothpfennig an den zurückbe- haltenen Staatsſchuldſcheinen. Die Zuſage der ſtändiſchen Mitwirkung war auch durch finanzielle Rückſichten geboten; denn nur darum fand das Schulden-Edikt bei der Geſchäftswelt eine ſo günſtige Aufnahme. Selbſt Rother, der keineswegs zu den liberalen Parteimännern gehörte, erklärte offen, ohne Reichsſtände könne der öffentliche Credit nicht mehr auf die Dauer geſichert werden.
Die Hoffnungen der Verfaſſungsfreunde begannen ſich wieder zu be- leben. Marwitz aber meinte, durch die neue Civilliſte und den Verkauf der Domänen verliere der König ſeine Wurzel im Staate, während um- gekehrt der liberale Schön klagte, ſeit der Errichtung des Kronfideicommiſſes ſei der Monarch nur noch der erſte der Landjunker. Nach der Anſicht des Führers der brandenburgiſchen Adelspartei hätte man einfach die Staatsſchuld auf ein Drittel oder ein Zehntel ihres Nennwerthes herab- ſetzen ſollen, da die Zinſen doch nur den Wucherern den Beutel füllten. Und zu allem Unheil vollzog der Staatskanzler gleichzeitig mit dem Schul- den-Edikte den längſt vorbereiteten nothwendigen Eingriff in die ſtändi- ſchen Inſtitutionen Brandenburgs. Da der Staat mit der geſammten Staatsſchuldenmaſſe auch die alte bisher von den Ständen der Kurmark verwaltete brandenburgiſche Staatsſchuld wieder ſelbſt übernahm, ſo wurde die kurmärkiſche Landſchaft mitſammt ihren Biergelds-, Hufen- und Gie- belſchoßkaſſen von Rechtswegen aufgehoben. „Die ſonſtigen ſtändiſchen Verhältniſſe“, erklärte der König, ſollten dadurch nicht berührt, ſondern ſpäter auf Grund der Verordnung vom 22. Mai neu geregelt werden. Als die Ritterſchaft in einer höchſt unehrerbietigen Vorſtellung ihre an- geblich verletzten Rechte verwahrte, ertheilte ihr der Monarch eine ſcharfe Rüge. Der Oberpräſident nahm das Berliner Landhaus in Beſitz; die Führer der Ritterſchaft verweigerten jede Mitwirkung, Allen voran der alte Miniſter Voß-Buch. Alſo erſchien Hardenberg wieder, wie vor neun Jahren, als der rückſichtslos entſchloſſene Bändiger des märkiſchen Adels. Friedrich Buchholz aber, der früher die Herrlichkeit märkiſcher Stände- freiheit geprieſen, hielt nunmehr für zeitgemäß, in der „Neuen Monats- ſchrift für Deutſchland“ zu beweiſen, daß die Wiederherſtellung der alten Zuſtände unmöglich ſei; nur eine wirkliche Volksvertretung könne der neuen Zeit genügen.
Auch der ſtändiſche Partikularismus der rheiniſch-weſtphäliſchen Edel- leute begegnete kalter Ablehnung. Sie waren vor Kurzem von dem Juſtizminiſter abgewieſen worden, als ſie um Wiederherſtellung des privi- legirten Gerichtsſtandes baten. Jetzt beſchwerten ſich die Stände der Grafſchaft Mark, an ihrer Spitze abermals der raſtloſe Bodelſchwingh-
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beſtand, im Voraus beſchränkte. Indeß er hoffte jetzt beſtimmt den allge-
meinen Landtag ſchon in Jahresfriſt zu eröffnen, und bis dahin konnte
man eine neue Anleihe ſicher vermeiden; ſelbſt wenn ein Krieg über Nacht
hereinbrach, beſaß der Staat noch einen Nothpfennig an den zurückbe-
haltenen Staatsſchuldſcheinen. Die Zuſage der ſtändiſchen Mitwirkung
war auch durch finanzielle Rückſichten geboten; denn nur darum fand das
Schulden-Edikt bei der Geſchäftswelt eine ſo günſtige Aufnahme. Selbſt
Rother, der keineswegs zu den liberalen Parteimännern gehörte, erklärte
offen, ohne Reichsſtände könne der öffentliche Credit nicht mehr auf die
Dauer geſichert werden.
Die Hoffnungen der Verfaſſungsfreunde begannen ſich wieder zu be-
leben. Marwitz aber meinte, durch die neue Civilliſte und den Verkauf
der Domänen verliere der König ſeine Wurzel im Staate, während um-
gekehrt der liberale Schön klagte, ſeit der Errichtung des Kronfideicommiſſes
ſei der Monarch nur noch der erſte der Landjunker. Nach der Anſicht
des Führers der brandenburgiſchen Adelspartei hätte man einfach die
Staatsſchuld auf ein Drittel oder ein Zehntel ihres Nennwerthes herab-
ſetzen ſollen, da die Zinſen doch nur den Wucherern den Beutel füllten.
Und zu allem Unheil vollzog der Staatskanzler gleichzeitig mit dem Schul-
den-Edikte den längſt vorbereiteten nothwendigen Eingriff in die ſtändi-
ſchen Inſtitutionen Brandenburgs. Da der Staat mit der geſammten
Staatsſchuldenmaſſe auch die alte bisher von den Ständen der Kurmark
verwaltete brandenburgiſche Staatsſchuld wieder ſelbſt übernahm, ſo wurde
die kurmärkiſche Landſchaft mitſammt ihren Biergelds-, Hufen- und Gie-
belſchoßkaſſen von Rechtswegen aufgehoben. „Die ſonſtigen ſtändiſchen
Verhältniſſe“, erklärte der König, ſollten dadurch nicht berührt, ſondern
ſpäter auf Grund der Verordnung vom 22. Mai neu geregelt werden.
Als die Ritterſchaft in einer höchſt unehrerbietigen Vorſtellung ihre an-
geblich verletzten Rechte verwahrte, ertheilte ihr der Monarch eine ſcharfe
Rüge. Der Oberpräſident nahm das Berliner Landhaus in Beſitz; die
Führer der Ritterſchaft verweigerten jede Mitwirkung, Allen voran der
alte Miniſter Voß-Buch. Alſo erſchien Hardenberg wieder, wie vor neun
Jahren, als der rückſichtslos entſchloſſene Bändiger des märkiſchen Adels.
Friedrich Buchholz aber, der früher die Herrlichkeit märkiſcher Stände-
freiheit geprieſen, hielt nunmehr für zeitgemäß, in der „Neuen Monats-
ſchrift für Deutſchland“ zu beweiſen, daß die Wiederherſtellung der alten
Zuſtände unmöglich ſei; nur eine wirkliche Volksvertretung könne der neuen
Zeit genügen.
Auch der ſtändiſche Partikularismus der rheiniſch-weſtphäliſchen Edel-
leute begegnete kalter Ablehnung. Sie waren vor Kurzem von dem
Juſtizminiſter abgewieſen worden, als ſie um Wiederherſtellung des privi-
legirten Gerichtsſtandes baten. Jetzt beſchwerten ſich die Stände der
Grafſchaft Mark, an ihrer Spitze abermals der raſtloſe Bodelſchwingh-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/94>, abgerufen am 25.11.2024.
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