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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die Staatsschuld und die Reichsstände.
des Hofhalts nach freiem Ermessen aus den Domanialeinkünften bestritten;
jetzt schrieb sie sich selber ein unüberschreitbares Jahreseinkommen vor,
eine bescheiden bemessene Summe, die nur bei knapper Wirthschaft aus-
reichte, da die Ausgaben des Hofes durch die Erwerbung der neuen Pro-
vinzen beträchtlich gestiegen waren. Der absolute König bezog also fortan,
gleich den constitutionellen Fürsten, eine gesetzliche Civilliste; indeß wurde
der verrufene moderne Name vermieden und das königliche Einkommen
nicht wie in mehreren der süddeutschen Staaten blos für die Lebenszeit
des Landesherrn, sondern ein- für allemal festgestellt, was der Würde des
Thrones besser entsprach. Die Prinzen erhielten auch keine Apanagen vom
Staate, sondern der König blieb, den Traditionen der Hohenzollern ge-
mäß, das unbeschränkte Oberhaupt des königlichen Hauses, er bestimmte
den Mitgliedern der Dynastie ihr Einkommen nach alten Vorschriften und
Testamenten, die als Familiengeheimniß behandelt wurden. Damit ward
ein schweres Hinderniß der Verfassung aus dem Wege geräumt, da Fried-
rich Wilhelm so unziemliche Verhandlungen, wie sie der badische Landtag
über das Einkommen des Fürstenhauses geführt, nie ertragen hätte, und
zugleich den künftigen Reichsständen ein wirksames Recht gewährt; denn
ohne deren Genehmigung durfte die Krone fortan die zur Verzinsung
und Tilgung der Staatsschuld bestimmten Domanialeinkünfte nicht mehr
schmälern.

Das ganze Schuldenwesen sollte künftighin den Reichsständen unter-
geordnet werden; nur unter ihrer Mitgarantie, so versprach der Artikel 2,
konnte der König neue Anleihen aufnehmen. Bis ins Einzelne wurden
die Rechte der reichsständischen Versammlung im Voraus bestimmt. Die
Schuldenverwaltung erhielt den Auftrag, den Reichsständen jährlich Rechen-
schaft abzulegen; schied eines ihrer Mitglieder aus, so hatten die Reichs-
stände dem Könige drei Candidaten zu bezeichnen. Einstweilen sollte der
Staatsrath diese ständischen Rechte ausüben; zur Aufbewahrung der ein-
gezogenen Obligationen aber wurde vorläufig, bis zur Einberufung des
allgemeinen Landtags, eine Deputation des Berliner Magistrats hinzu-
gezogen -- eine Vorschrift, die, seltsam und willkürlich wie sie war, offen-
bar nur als Nothbehelf für kurze Zeit dienen sollte. Alle diese Zusagen
hatte der König unbedenklich genehmigt. Der Staatskanzler glaubte sich
schon fast am Ziele seiner Wünsche. Nach allen diesen neuen Verhei-
ßungen schien die Vollendung der Verfassung unausbleiblich, und mit
schwerem Herzeleid betrachtete der Badener Berstett, der Getreue Metter-
nich's, dies unglückliche Edikt, das so schlimme Mißdeutungen veranlassen
müsse.*) Wohl war es ein gefährliches Wagniß, daß Hardenberg wieder
wie so oft schon das königliche Wort für eine unbekannte Größe verpfändete,
die Rechte der Krone zu Gunsten eines Reichstags, der noch gar nicht

*) Berstett an General Stockhorn, Januar 1820.

Die Staatsſchuld und die Reichsſtände.
des Hofhalts nach freiem Ermeſſen aus den Domanialeinkünften beſtritten;
jetzt ſchrieb ſie ſich ſelber ein unüberſchreitbares Jahreseinkommen vor,
eine beſcheiden bemeſſene Summe, die nur bei knapper Wirthſchaft aus-
reichte, da die Ausgaben des Hofes durch die Erwerbung der neuen Pro-
vinzen beträchtlich geſtiegen waren. Der abſolute König bezog alſo fortan,
gleich den conſtitutionellen Fürſten, eine geſetzliche Civilliſte; indeß wurde
der verrufene moderne Name vermieden und das königliche Einkommen
nicht wie in mehreren der ſüddeutſchen Staaten blos für die Lebenszeit
des Landesherrn, ſondern ein- für allemal feſtgeſtellt, was der Würde des
Thrones beſſer entſprach. Die Prinzen erhielten auch keine Apanagen vom
Staate, ſondern der König blieb, den Traditionen der Hohenzollern ge-
mäß, das unbeſchränkte Oberhaupt des königlichen Hauſes, er beſtimmte
den Mitgliedern der Dynaſtie ihr Einkommen nach alten Vorſchriften und
Teſtamenten, die als Familiengeheimniß behandelt wurden. Damit ward
ein ſchweres Hinderniß der Verfaſſung aus dem Wege geräumt, da Fried-
rich Wilhelm ſo unziemliche Verhandlungen, wie ſie der badiſche Landtag
über das Einkommen des Fürſtenhauſes geführt, nie ertragen hätte, und
zugleich den künftigen Reichsſtänden ein wirkſames Recht gewährt; denn
ohne deren Genehmigung durfte die Krone fortan die zur Verzinſung
und Tilgung der Staatsſchuld beſtimmten Domanialeinkünfte nicht mehr
ſchmälern.

Das ganze Schuldenweſen ſollte künftighin den Reichsſtänden unter-
geordnet werden; nur unter ihrer Mitgarantie, ſo verſprach der Artikel 2,
konnte der König neue Anleihen aufnehmen. Bis ins Einzelne wurden
die Rechte der reichsſtändiſchen Verſammlung im Voraus beſtimmt. Die
Schuldenverwaltung erhielt den Auftrag, den Reichsſtänden jährlich Rechen-
ſchaft abzulegen; ſchied eines ihrer Mitglieder aus, ſo hatten die Reichs-
ſtände dem Könige drei Candidaten zu bezeichnen. Einſtweilen ſollte der
Staatsrath dieſe ſtändiſchen Rechte ausüben; zur Aufbewahrung der ein-
gezogenen Obligationen aber wurde vorläufig, bis zur Einberufung des
allgemeinen Landtags, eine Deputation des Berliner Magiſtrats hinzu-
gezogen — eine Vorſchrift, die, ſeltſam und willkürlich wie ſie war, offen-
bar nur als Nothbehelf für kurze Zeit dienen ſollte. Alle dieſe Zuſagen
hatte der König unbedenklich genehmigt. Der Staatskanzler glaubte ſich
ſchon faſt am Ziele ſeiner Wünſche. Nach allen dieſen neuen Verhei-
ßungen ſchien die Vollendung der Verfaſſung unausbleiblich, und mit
ſchwerem Herzeleid betrachtete der Badener Berſtett, der Getreue Metter-
nich’s, dies unglückliche Edikt, das ſo ſchlimme Mißdeutungen veranlaſſen
müſſe.*) Wohl war es ein gefährliches Wagniß, daß Hardenberg wieder
wie ſo oft ſchon das königliche Wort für eine unbekannte Größe verpfändete,
die Rechte der Krone zu Gunſten eines Reichstags, der noch gar nicht

*) Berſtett an General Stockhorn, Januar 1820.
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[77/0093] Die Staatsſchuld und die Reichsſtände. des Hofhalts nach freiem Ermeſſen aus den Domanialeinkünften beſtritten; jetzt ſchrieb ſie ſich ſelber ein unüberſchreitbares Jahreseinkommen vor, eine beſcheiden bemeſſene Summe, die nur bei knapper Wirthſchaft aus- reichte, da die Ausgaben des Hofes durch die Erwerbung der neuen Pro- vinzen beträchtlich geſtiegen waren. Der abſolute König bezog alſo fortan, gleich den conſtitutionellen Fürſten, eine geſetzliche Civilliſte; indeß wurde der verrufene moderne Name vermieden und das königliche Einkommen nicht wie in mehreren der ſüddeutſchen Staaten blos für die Lebenszeit des Landesherrn, ſondern ein- für allemal feſtgeſtellt, was der Würde des Thrones beſſer entſprach. Die Prinzen erhielten auch keine Apanagen vom Staate, ſondern der König blieb, den Traditionen der Hohenzollern ge- mäß, das unbeſchränkte Oberhaupt des königlichen Hauſes, er beſtimmte den Mitgliedern der Dynaſtie ihr Einkommen nach alten Vorſchriften und Teſtamenten, die als Familiengeheimniß behandelt wurden. Damit ward ein ſchweres Hinderniß der Verfaſſung aus dem Wege geräumt, da Fried- rich Wilhelm ſo unziemliche Verhandlungen, wie ſie der badiſche Landtag über das Einkommen des Fürſtenhauſes geführt, nie ertragen hätte, und zugleich den künftigen Reichsſtänden ein wirkſames Recht gewährt; denn ohne deren Genehmigung durfte die Krone fortan die zur Verzinſung und Tilgung der Staatsſchuld beſtimmten Domanialeinkünfte nicht mehr ſchmälern. Das ganze Schuldenweſen ſollte künftighin den Reichsſtänden unter- geordnet werden; nur unter ihrer Mitgarantie, ſo verſprach der Artikel 2, konnte der König neue Anleihen aufnehmen. Bis ins Einzelne wurden die Rechte der reichsſtändiſchen Verſammlung im Voraus beſtimmt. Die Schuldenverwaltung erhielt den Auftrag, den Reichsſtänden jährlich Rechen- ſchaft abzulegen; ſchied eines ihrer Mitglieder aus, ſo hatten die Reichs- ſtände dem Könige drei Candidaten zu bezeichnen. Einſtweilen ſollte der Staatsrath dieſe ſtändiſchen Rechte ausüben; zur Aufbewahrung der ein- gezogenen Obligationen aber wurde vorläufig, bis zur Einberufung des allgemeinen Landtags, eine Deputation des Berliner Magiſtrats hinzu- gezogen — eine Vorſchrift, die, ſeltſam und willkürlich wie ſie war, offen- bar nur als Nothbehelf für kurze Zeit dienen ſollte. Alle dieſe Zuſagen hatte der König unbedenklich genehmigt. Der Staatskanzler glaubte ſich ſchon faſt am Ziele ſeiner Wünſche. Nach allen dieſen neuen Verhei- ßungen ſchien die Vollendung der Verfaſſung unausbleiblich, und mit ſchwerem Herzeleid betrachtete der Badener Berſtett, der Getreue Metter- nich’s, dies unglückliche Edikt, das ſo ſchlimme Mißdeutungen veranlaſſen müſſe. *) Wohl war es ein gefährliches Wagniß, daß Hardenberg wieder wie ſo oft ſchon das königliche Wort für eine unbekannte Größe verpfändete, die Rechte der Krone zu Gunſten eines Reichstags, der noch gar nicht *) Berſtett an General Stockhorn, Januar 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/93>, abgerufen am 22.11.2024.