Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Staatsschulden-Gesetz.
nungen über den Staatsrath und das Staatsministerium, welche "bis
etwas Anderes an die Stelle tritt, als die Charte des Reichs" zu gelten
hätten. Der Ausfall in den Staatseinnahmen, welchen die Verzögerung der
Steuergesetze bewirken würde, könne äußersten Falles, wie im Jahre 1808,
durch Abzüge von den Gehältern der Beamten gedeckt werden. Kein an-
deres Motiv leitet mich -- so betheuerte Witzleben schließlich -- "als
meine Ueberzeugung von der Wichtigkeit der Sache und die Besorgniß,
den in den Annalen des Vaterlandes glänzenden Namen eines Mannes
durch die Verletzung von ihm selbst gegebener Gesetze befleckt zu sehen."*)

Hardenberg ließ sich selbst durch diese herzlichen Mahnungen keines-
wegs überzeugen, doch durfte er dem erklärten Willen des Monarchen nicht
zuwiderhandeln. Aber auch der König hatte inzwischen eingesehen, daß
die Regelung des Schuldenwesens nur bei unverbrüchlicher Verschwiegen-
heit möglich war, und so einigte man sich denn auf Rother's Vorschlag
über einen Mittelweg. Man beschloß, die Rechte der beiden höchsten Be-
hörden, so weit es noch anging, zu wahren, also die sämmtlichen Steuer-
gesetze, die in der That auch sachlich noch einer erneuten Prüfung be-
durften, dem Ministerium und dem Staatsrath zu überweisen, aber die
Edikte über die Staatsschuld sofort zu verkündigen.**)

Am 17. Januar 1820 erschien demnach die Verordnung wegen der
Behandlung des Staatsschuldenwesens, welche den Staatsschuldenetat
feststellte und auf immer für geschlossen erklärte. Vier volle Jahre nach
dem Friedensschluß lernten die Preußen endlich das traurige Vermächtniß
der napoleonischen Tage kennen. Am Ende des Jahres 1806 hatte die
Schuld nicht ganz 541/2 Mill. Thlr. betragen; jetzt belief sie sich auf
180,091,720 Thlr. verzinsliche Staatsschulden, dazu noch 11,24 Mill.
unverzinsliches Papiergeld und 25,9 Mill. vom Staate übernommene Pro-
vinzialschulden, insgesammt 217,248,762 Thlr., etwa so viel wie die
Staatseinnahmen von 41/4 Jahren. Den Hauptposten der verzinslichen
Schuld bildeten 119,5 Mill. Staatsschuldscheine. Dies im Jahre 1810
durch Hardenberg eingeführte Papier wurde seit dem 1. Juli 1814 wieder
regelmäßig mit vier von Hundert verzinst, und es lag im Plane, nach
und nach alle Schuldverschreibungen des Staates in Staatsschuldscheine
umzuwandeln. Bereits waren vierundzwanzig verschiedene Arten von
Schuldscheinen, wie sie die wilde Zeit dem Staate aufgebürdet hatte --
russische Bons und polnische Reconnaissancen, rückständige Gehaltbons

*) Witzleben, unterthäniges Promemoria, 16. Jan. 1820. C. Dieterici, zur Ge-
schichte der Steuer-Reform in Preußen, Berlin 1875, theilt (S. 235) Einiges aus dieser
Denkschrift mit, bezeichnet sie aber irrthümlich als eine dem Staatskanzler zugegangene
königliche Instruktion.
**) Rother an Hardenberg, 16. Jan.; Hardenberg an Rother, 16. Jan.; Harden-
berg's Tagebuch, 16., 17. Jan. 1820.

Staatsſchulden-Geſetz.
nungen über den Staatsrath und das Staatsminiſterium, welche „bis
etwas Anderes an die Stelle tritt, als die Charte des Reichs“ zu gelten
hätten. Der Ausfall in den Staatseinnahmen, welchen die Verzögerung der
Steuergeſetze bewirken würde, könne äußerſten Falles, wie im Jahre 1808,
durch Abzüge von den Gehältern der Beamten gedeckt werden. Kein an-
deres Motiv leitet mich — ſo betheuerte Witzleben ſchließlich — „als
meine Ueberzeugung von der Wichtigkeit der Sache und die Beſorgniß,
den in den Annalen des Vaterlandes glänzenden Namen eines Mannes
durch die Verletzung von ihm ſelbſt gegebener Geſetze befleckt zu ſehen.“*)

Hardenberg ließ ſich ſelbſt durch dieſe herzlichen Mahnungen keines-
wegs überzeugen, doch durfte er dem erklärten Willen des Monarchen nicht
zuwiderhandeln. Aber auch der König hatte inzwiſchen eingeſehen, daß
die Regelung des Schuldenweſens nur bei unverbrüchlicher Verſchwiegen-
heit möglich war, und ſo einigte man ſich denn auf Rother’s Vorſchlag
über einen Mittelweg. Man beſchloß, die Rechte der beiden höchſten Be-
hörden, ſo weit es noch anging, zu wahren, alſo die ſämmtlichen Steuer-
geſetze, die in der That auch ſachlich noch einer erneuten Prüfung be-
durften, dem Miniſterium und dem Staatsrath zu überweiſen, aber die
Edikte über die Staatsſchuld ſofort zu verkündigen.**)

Am 17. Januar 1820 erſchien demnach die Verordnung wegen der
Behandlung des Staatsſchuldenweſens, welche den Staatsſchuldenetat
feſtſtellte und auf immer für geſchloſſen erklärte. Vier volle Jahre nach
dem Friedensſchluß lernten die Preußen endlich das traurige Vermächtniß
der napoleoniſchen Tage kennen. Am Ende des Jahres 1806 hatte die
Schuld nicht ganz 54½ Mill. Thlr. betragen; jetzt belief ſie ſich auf
180,091,720 Thlr. verzinsliche Staatsſchulden, dazu noch 11,24 Mill.
unverzinsliches Papiergeld und 25,9 Mill. vom Staate übernommene Pro-
vinzialſchulden, insgeſammt 217,248,762 Thlr., etwa ſo viel wie die
Staatseinnahmen von 4¼ Jahren. Den Hauptpoſten der verzinslichen
Schuld bildeten 119,5 Mill. Staatsſchuldſcheine. Dies im Jahre 1810
durch Hardenberg eingeführte Papier wurde ſeit dem 1. Juli 1814 wieder
regelmäßig mit vier von Hundert verzinſt, und es lag im Plane, nach
und nach alle Schuldverſchreibungen des Staates in Staatsſchuldſcheine
umzuwandeln. Bereits waren vierundzwanzig verſchiedene Arten von
Schuldſcheinen, wie ſie die wilde Zeit dem Staate aufgebürdet hatte —
ruſſiſche Bons und polniſche Reconnaiſſancen, rückſtändige Gehaltbons

*) Witzleben, unterthäniges Promemoria, 16. Jan. 1820. C. Dieterici, zur Ge-
ſchichte der Steuer-Reform in Preußen, Berlin 1875, theilt (S. 235) Einiges aus dieſer
Denkſchrift mit, bezeichnet ſie aber irrthümlich als eine dem Staatskanzler zugegangene
königliche Inſtruktion.
**) Rother an Hardenberg, 16. Jan.; Hardenberg an Rother, 16. Jan.; Harden-
berg’s Tagebuch, 16., 17. Jan. 1820.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0087" n="71"/><fw place="top" type="header">Staats&#x017F;chulden-Ge&#x017F;etz.</fw><lb/>
nungen über den Staatsrath und das Staatsmini&#x017F;terium, welche &#x201E;bis<lb/>
etwas Anderes an die Stelle tritt, als die Charte des Reichs&#x201C; zu gelten<lb/>
hätten. Der Ausfall in den Staatseinnahmen, welchen die Verzögerung der<lb/>
Steuerge&#x017F;etze bewirken würde, könne äußer&#x017F;ten Falles, wie im Jahre 1808,<lb/>
durch Abzüge von den Gehältern der Beamten gedeckt werden. Kein an-<lb/>
deres Motiv leitet mich &#x2014; &#x017F;o betheuerte Witzleben &#x017F;chließlich &#x2014; &#x201E;als<lb/>
meine Ueberzeugung von der Wichtigkeit der Sache und die Be&#x017F;orgniß,<lb/>
den in den Annalen des Vaterlandes glänzenden Namen eines Mannes<lb/>
durch die Verletzung von ihm &#x017F;elb&#x017F;t gegebener Ge&#x017F;etze befleckt zu &#x017F;ehen.&#x201C;<note place="foot" n="*)">Witzleben, unterthäniges Promemoria, 16. Jan. 1820. C. Dieterici, zur Ge-<lb/>
&#x017F;chichte der Steuer-Reform in Preußen, Berlin 1875, theilt (S. 235) Einiges aus die&#x017F;er<lb/>
Denk&#x017F;chrift mit, bezeichnet &#x017F;ie aber irrthümlich als eine dem Staatskanzler zugegangene<lb/>
königliche In&#x017F;truktion.</note></p><lb/>
          <p>Hardenberg ließ &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t durch die&#x017F;e herzlichen Mahnungen keines-<lb/>
wegs überzeugen, doch durfte er dem erklärten Willen des Monarchen nicht<lb/>
zuwiderhandeln. Aber auch der König hatte inzwi&#x017F;chen einge&#x017F;ehen, daß<lb/>
die Regelung des Schuldenwe&#x017F;ens nur bei unverbrüchlicher Ver&#x017F;chwiegen-<lb/>
heit möglich war, und &#x017F;o einigte man &#x017F;ich denn auf Rother&#x2019;s Vor&#x017F;chlag<lb/>
über einen Mittelweg. Man be&#x017F;chloß, die Rechte der beiden höch&#x017F;ten Be-<lb/>
hörden, &#x017F;o weit es noch anging, zu wahren, al&#x017F;o die &#x017F;ämmtlichen Steuer-<lb/>
ge&#x017F;etze, die in der That auch &#x017F;achlich noch einer erneuten Prüfung be-<lb/>
durften, dem Mini&#x017F;terium und dem Staatsrath zu überwei&#x017F;en, aber die<lb/>
Edikte über die Staats&#x017F;chuld &#x017F;ofort zu verkündigen.<note place="foot" n="**)">Rother an Hardenberg, 16. Jan.; Hardenberg an Rother, 16. Jan.; Harden-<lb/>
berg&#x2019;s Tagebuch, 16., 17. Jan. 1820.</note></p><lb/>
          <p>Am 17. Januar 1820 er&#x017F;chien demnach die Verordnung wegen der<lb/>
Behandlung des Staats&#x017F;chuldenwe&#x017F;ens, welche den Staats&#x017F;chuldenetat<lb/>
fe&#x017F;t&#x017F;tellte und auf immer für ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en erklärte. Vier volle Jahre nach<lb/>
dem Friedens&#x017F;chluß lernten die Preußen endlich das traurige Vermächtniß<lb/>
der napoleoni&#x017F;chen Tage kennen. Am Ende des Jahres 1806 hatte die<lb/>
Schuld nicht ganz 54½ Mill. Thlr. betragen; jetzt belief &#x017F;ie &#x017F;ich auf<lb/>
180,091,720 Thlr. verzinsliche Staats&#x017F;chulden, dazu noch 11,<hi rendition="#sub">24</hi> Mill.<lb/>
unverzinsliches Papiergeld und 25,<hi rendition="#sub">9</hi> Mill. vom Staate übernommene Pro-<lb/>
vinzial&#x017F;chulden, insge&#x017F;ammt 217,248,762 Thlr., etwa &#x017F;o viel wie die<lb/>
Staatseinnahmen von 4¼ Jahren. Den Hauptpo&#x017F;ten der verzinslichen<lb/>
Schuld bildeten 119,<hi rendition="#sub">5</hi> Mill. Staats&#x017F;chuld&#x017F;cheine. Dies im Jahre 1810<lb/>
durch Hardenberg eingeführte Papier wurde &#x017F;eit dem 1. Juli 1814 wieder<lb/>
regelmäßig mit vier von Hundert verzin&#x017F;t, und es lag im Plane, nach<lb/>
und nach alle Schuldver&#x017F;chreibungen des Staates in Staats&#x017F;chuld&#x017F;cheine<lb/>
umzuwandeln. Bereits waren vierundzwanzig ver&#x017F;chiedene Arten von<lb/>
Schuld&#x017F;cheinen, wie &#x017F;ie die wilde Zeit dem Staate aufgebürdet hatte &#x2014;<lb/>
ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Bons und polni&#x017F;che Reconnai&#x017F;&#x017F;ancen, rück&#x017F;tändige Gehaltbons<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0087] Staatsſchulden-Geſetz. nungen über den Staatsrath und das Staatsminiſterium, welche „bis etwas Anderes an die Stelle tritt, als die Charte des Reichs“ zu gelten hätten. Der Ausfall in den Staatseinnahmen, welchen die Verzögerung der Steuergeſetze bewirken würde, könne äußerſten Falles, wie im Jahre 1808, durch Abzüge von den Gehältern der Beamten gedeckt werden. Kein an- deres Motiv leitet mich — ſo betheuerte Witzleben ſchließlich — „als meine Ueberzeugung von der Wichtigkeit der Sache und die Beſorgniß, den in den Annalen des Vaterlandes glänzenden Namen eines Mannes durch die Verletzung von ihm ſelbſt gegebener Geſetze befleckt zu ſehen.“ *) Hardenberg ließ ſich ſelbſt durch dieſe herzlichen Mahnungen keines- wegs überzeugen, doch durfte er dem erklärten Willen des Monarchen nicht zuwiderhandeln. Aber auch der König hatte inzwiſchen eingeſehen, daß die Regelung des Schuldenweſens nur bei unverbrüchlicher Verſchwiegen- heit möglich war, und ſo einigte man ſich denn auf Rother’s Vorſchlag über einen Mittelweg. Man beſchloß, die Rechte der beiden höchſten Be- hörden, ſo weit es noch anging, zu wahren, alſo die ſämmtlichen Steuer- geſetze, die in der That auch ſachlich noch einer erneuten Prüfung be- durften, dem Miniſterium und dem Staatsrath zu überweiſen, aber die Edikte über die Staatsſchuld ſofort zu verkündigen. **) Am 17. Januar 1820 erſchien demnach die Verordnung wegen der Behandlung des Staatsſchuldenweſens, welche den Staatsſchuldenetat feſtſtellte und auf immer für geſchloſſen erklärte. Vier volle Jahre nach dem Friedensſchluß lernten die Preußen endlich das traurige Vermächtniß der napoleoniſchen Tage kennen. Am Ende des Jahres 1806 hatte die Schuld nicht ganz 54½ Mill. Thlr. betragen; jetzt belief ſie ſich auf 180,091,720 Thlr. verzinsliche Staatsſchulden, dazu noch 11,24 Mill. unverzinsliches Papiergeld und 25,9 Mill. vom Staate übernommene Pro- vinzialſchulden, insgeſammt 217,248,762 Thlr., etwa ſo viel wie die Staatseinnahmen von 4¼ Jahren. Den Hauptpoſten der verzinslichen Schuld bildeten 119,5 Mill. Staatsſchuldſcheine. Dies im Jahre 1810 durch Hardenberg eingeführte Papier wurde ſeit dem 1. Juli 1814 wieder regelmäßig mit vier von Hundert verzinſt, und es lag im Plane, nach und nach alle Schuldverſchreibungen des Staates in Staatsſchuldſcheine umzuwandeln. Bereits waren vierundzwanzig verſchiedene Arten von Schuldſcheinen, wie ſie die wilde Zeit dem Staate aufgebürdet hatte — ruſſiſche Bons und polniſche Reconnaiſſancen, rückſtändige Gehaltbons *) Witzleben, unterthäniges Promemoria, 16. Jan. 1820. C. Dieterici, zur Ge- ſchichte der Steuer-Reform in Preußen, Berlin 1875, theilt (S. 235) Einiges aus dieſer Denkſchrift mit, bezeichnet ſie aber irrthümlich als eine dem Staatskanzler zugegangene königliche Inſtruktion. **) Rother an Hardenberg, 16. Jan.; Hardenberg an Rother, 16. Jan.; Harden- berg’s Tagebuch, 16., 17. Jan. 1820.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/87
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/87>, abgerufen am 06.05.2024.