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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
vor, und dieser Hader konnte nicht geheim bleiben; denn da die politischen
Parteien noch keinen anderen Kampfplatz besaßen, so waren bisher fast
alle wichtigen Verhandlungen des Staatsraths in gehässig übertreibender
Darstellung der vornehmen Gesellschaft Berlins bald bekannt geworden,
und schon mehrmals hatte der König die Mitglieder an die Pflicht amt-
licher Verschwiegenheit erinnern müssen.

Solche düstere Gerüchte mußten jetzt den gebrechlichen Credit des
Staates geradezu vernichten. Mit unsäglicher Mühe hielt der Minister
Klewiz den Kurs der Staatsschuldscheine auf 70--71; im nächsten Februar
aber wurden mehr als drei Millionen Thaler Wechsel der Seehandlung
fällig, auch das Deficit aus den Jahren 1817--19, dessen Dasein Hum-
boldt und seine Freunde so lange abgeleugnet hatten, lag jetzt klar am
Tage und sollte sofort gedeckt werden. Man bedurfte der Baarmittel,
unverzüglich, und was ward aus den Anleiheverhandlungen, welche Rother
bereits mit einigen Bankhäusern eingeleitet hatte, wenn die so oft ver-
heißene Regelung des Schuldenwesens nochmals um Monate hinausge-
schoben, wenn das ohnehin schwarzsichtige Publicum im Voraus durch
halbwahre Berichte aus dem Staatsrathe beunruhigt wurde? Die Geld-
verlegenheit war so dringend, daß der Kanzler auch die unverweilte Ver-
öffentlichung der Steuergesetze für nöthig hielt. Mochten das Ministerium
und der Staatsrath nachträglich die Gesetze prüfen und einzelne Verbes-
serungen vorschlagen, der Staat durfte der neuen Einnahmen keinen Monat
länger entbehren. "Was würden, schrieb Hardenberg dem Könige, Höchst-
dieselben von dem Vorsteher einer großen Stadt sagen, der bei einer
Feuersbrunst, welche ihr den Untergang droht, wissend, daß die Feueran-
stalten bisher mangelhaft waren, statt sogleich alle Mittel zur Rettung
anzuwenden, erst eine Deliberation im Magistrat über die Verbesserung
jener Anstalten veranlassen wollte?"

Die Rechtlichkeit des Königs konnte sich indeß zu einem so eigen-
mächtigen Vorgehen nicht entschließen. Friedrich Wilhelm befürchtete, daß
die Verletzung der Formen den unvermeidlichen üblen Eindruck der Steuer-
gesetze noch verschlimmern würde, er bestand auf der ordnungsmäßigen
Befragung des Staatsraths und sendete aus Potsdam seinen Witzleben
hinüber, der schriftlich und mündlich dem ungeduldigen Kanzler ins Ge-
wissen reden mußte.*) Jetzt gelte es, so ließ sich der Vertraute des Kö-
nigs vernehmen, "die Finanzen eines Staates zu ordnen, der einem
Schiffe ohne Segel und Masten gleich, das auf den Wellen der bewegten
Zeit umhertreibt, nur durch die weise Führung eines großen Staats-
mannes nicht allein erhalten wurde, sondern wie ein Phönix neu erstand."
Bei einem so umfassenden Unternehmen dürften die Fundamentalgesetze
des Staates nicht mißachtet werden, und zu diesen zählten die Verord-

*) Albrecht an Hardenberg, 13., 16. Januar 1820.

III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
vor, und dieſer Hader konnte nicht geheim bleiben; denn da die politiſchen
Parteien noch keinen anderen Kampfplatz beſaßen, ſo waren bisher faſt
alle wichtigen Verhandlungen des Staatsraths in gehäſſig übertreibender
Darſtellung der vornehmen Geſellſchaft Berlins bald bekannt geworden,
und ſchon mehrmals hatte der König die Mitglieder an die Pflicht amt-
licher Verſchwiegenheit erinnern müſſen.

Solche düſtere Gerüchte mußten jetzt den gebrechlichen Credit des
Staates geradezu vernichten. Mit unſäglicher Mühe hielt der Miniſter
Klewiz den Kurs der Staatsſchuldſcheine auf 70—71; im nächſten Februar
aber wurden mehr als drei Millionen Thaler Wechſel der Seehandlung
fällig, auch das Deficit aus den Jahren 1817—19, deſſen Daſein Hum-
boldt und ſeine Freunde ſo lange abgeleugnet hatten, lag jetzt klar am
Tage und ſollte ſofort gedeckt werden. Man bedurfte der Baarmittel,
unverzüglich, und was ward aus den Anleiheverhandlungen, welche Rother
bereits mit einigen Bankhäuſern eingeleitet hatte, wenn die ſo oft ver-
heißene Regelung des Schuldenweſens nochmals um Monate hinausge-
ſchoben, wenn das ohnehin ſchwarzſichtige Publicum im Voraus durch
halbwahre Berichte aus dem Staatsrathe beunruhigt wurde? Die Geld-
verlegenheit war ſo dringend, daß der Kanzler auch die unverweilte Ver-
öffentlichung der Steuergeſetze für nöthig hielt. Mochten das Miniſterium
und der Staatsrath nachträglich die Geſetze prüfen und einzelne Verbeſ-
ſerungen vorſchlagen, der Staat durfte der neuen Einnahmen keinen Monat
länger entbehren. „Was würden, ſchrieb Hardenberg dem Könige, Höchſt-
dieſelben von dem Vorſteher einer großen Stadt ſagen, der bei einer
Feuersbrunſt, welche ihr den Untergang droht, wiſſend, daß die Feueran-
ſtalten bisher mangelhaft waren, ſtatt ſogleich alle Mittel zur Rettung
anzuwenden, erſt eine Deliberation im Magiſtrat über die Verbeſſerung
jener Anſtalten veranlaſſen wollte?“

Die Rechtlichkeit des Königs konnte ſich indeß zu einem ſo eigen-
mächtigen Vorgehen nicht entſchließen. Friedrich Wilhelm befürchtete, daß
die Verletzung der Formen den unvermeidlichen üblen Eindruck der Steuer-
geſetze noch verſchlimmern würde, er beſtand auf der ordnungsmäßigen
Befragung des Staatsraths und ſendete aus Potsdam ſeinen Witzleben
hinüber, der ſchriftlich und mündlich dem ungeduldigen Kanzler ins Ge-
wiſſen reden mußte.*) Jetzt gelte es, ſo ließ ſich der Vertraute des Kö-
nigs vernehmen, „die Finanzen eines Staates zu ordnen, der einem
Schiffe ohne Segel und Maſten gleich, das auf den Wellen der bewegten
Zeit umhertreibt, nur durch die weiſe Führung eines großen Staats-
mannes nicht allein erhalten wurde, ſondern wie ein Phönix neu erſtand.“
Bei einem ſo umfaſſenden Unternehmen dürften die Fundamentalgeſetze
des Staates nicht mißachtet werden, und zu dieſen zählten die Verord-

*) Albrecht an Hardenberg, 13., 16. Januar 1820.
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[70/0086] III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. vor, und dieſer Hader konnte nicht geheim bleiben; denn da die politiſchen Parteien noch keinen anderen Kampfplatz beſaßen, ſo waren bisher faſt alle wichtigen Verhandlungen des Staatsraths in gehäſſig übertreibender Darſtellung der vornehmen Geſellſchaft Berlins bald bekannt geworden, und ſchon mehrmals hatte der König die Mitglieder an die Pflicht amt- licher Verſchwiegenheit erinnern müſſen. Solche düſtere Gerüchte mußten jetzt den gebrechlichen Credit des Staates geradezu vernichten. Mit unſäglicher Mühe hielt der Miniſter Klewiz den Kurs der Staatsſchuldſcheine auf 70—71; im nächſten Februar aber wurden mehr als drei Millionen Thaler Wechſel der Seehandlung fällig, auch das Deficit aus den Jahren 1817—19, deſſen Daſein Hum- boldt und ſeine Freunde ſo lange abgeleugnet hatten, lag jetzt klar am Tage und ſollte ſofort gedeckt werden. Man bedurfte der Baarmittel, unverzüglich, und was ward aus den Anleiheverhandlungen, welche Rother bereits mit einigen Bankhäuſern eingeleitet hatte, wenn die ſo oft ver- heißene Regelung des Schuldenweſens nochmals um Monate hinausge- ſchoben, wenn das ohnehin ſchwarzſichtige Publicum im Voraus durch halbwahre Berichte aus dem Staatsrathe beunruhigt wurde? Die Geld- verlegenheit war ſo dringend, daß der Kanzler auch die unverweilte Ver- öffentlichung der Steuergeſetze für nöthig hielt. Mochten das Miniſterium und der Staatsrath nachträglich die Geſetze prüfen und einzelne Verbeſ- ſerungen vorſchlagen, der Staat durfte der neuen Einnahmen keinen Monat länger entbehren. „Was würden, ſchrieb Hardenberg dem Könige, Höchſt- dieſelben von dem Vorſteher einer großen Stadt ſagen, der bei einer Feuersbrunſt, welche ihr den Untergang droht, wiſſend, daß die Feueran- ſtalten bisher mangelhaft waren, ſtatt ſogleich alle Mittel zur Rettung anzuwenden, erſt eine Deliberation im Magiſtrat über die Verbeſſerung jener Anſtalten veranlaſſen wollte?“ Die Rechtlichkeit des Königs konnte ſich indeß zu einem ſo eigen- mächtigen Vorgehen nicht entſchließen. Friedrich Wilhelm befürchtete, daß die Verletzung der Formen den unvermeidlichen üblen Eindruck der Steuer- geſetze noch verſchlimmern würde, er beſtand auf der ordnungsmäßigen Befragung des Staatsraths und ſendete aus Potsdam ſeinen Witzleben hinüber, der ſchriftlich und mündlich dem ungeduldigen Kanzler ins Ge- wiſſen reden mußte. *) Jetzt gelte es, ſo ließ ſich der Vertraute des Kö- nigs vernehmen, „die Finanzen eines Staates zu ordnen, der einem Schiffe ohne Segel und Maſten gleich, das auf den Wellen der bewegten Zeit umhertreibt, nur durch die weiſe Führung eines großen Staats- mannes nicht allein erhalten wurde, ſondern wie ein Phönix neu erſtand.“ Bei einem ſo umfaſſenden Unternehmen dürften die Fundamentalgeſetze des Staates nicht mißachtet werden, und zu dieſen zählten die Verord- *) Albrecht an Hardenberg, 13., 16. Januar 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/86>, abgerufen am 05.05.2024.