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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die Communalordnung vom Jahre 1820.
sem unklaren Vorbehalt selber die Spitze abgebrochen durch eine beschwichtigende Erklä-
rung an die Großmächte und schließlich bei der Erneuerung der Beschlüsse den Vorbehalt
gänzlich fallen lassen. Dies sind die Thatsachen. Das Urtheil überlasse ich den Lesern.

Meinen bairischen Kritiker aber bitte ich zu bemerken, daß der Historiker seinen
Stoff nicht schafft, sondern vorfindet. Eine Freude war es mir nicht, die schwarze Wäsche
des alten Bundestages zu waschen und jene Karlsbader Händel zu schildern, bei denen
alle deutschen Höfe, alle ohne Ausnahme, eine so traurige Rolle spielten. Doch wenn
ich darstellen soll, wie unser Vaterland zu seiner alten Herrlichkeit wieder aufgestiegen
ist, so muß ich zuvor schonungslos und unumwunden zeigen, in welchen Sumpf wir
versunken waren. In diesem dritten Bande habe ich erzählt, wie Preußen und Baiern
ihren alten heilsamen Bund von Neuem geschlossen und dadurch dem Vaterlande seine
wirthschaftliche Einheit gesichert haben. Vielleicht wird Herr v. Lerchenfeld jetzt selber
zugestehen, daß er eine Gesinnung, die mir fremd ist, in meinen Worten gesucht hat.


X. Die Communalordnung vom Jahre 1820.
Zu Bd. III S. 106.

Die Entwürfe der Landgemeinde-, Städte- und Kreisordnung vom 7. Aug. 1820
waren lange ganz verschollen. König Friedrich Wilhelm IV. ließ in verschiedenen Bureaus
vergeblich darnach suchen. Durch einen glücklichen Zufall entdeckte ich sie vor einigen
Jahren in dem Nachlaß des Ministers v. Schuckmann.

In den allgemeinen Erörterungen wird vor Allem die Frage erwogen, ob eine
Communalordnung für die ganze Monarchie möglich sei. Die Commission verkennt nicht
die große Verschiedenheit der Gemeindeverhältnisse: im Westen Sammtgemeinden bei völlig
freiem Eigenthum und gleichem Rechte für Personen und Sachen; im Osten Einzelge-
meinden und privilegirte Gutsherren; in den nichtdeutschen Provinzen vorherrschende
Pacht und kaum eine Spur von Communaleinrichtungen; dazu der Unterschied der Bil-
dung zwischen Berlin und den kleinen polnischen Judenstädten. Gleichwohl erscheint die
Einheit nothwendig, weil die Gemeinde der Mikrokosmos des Staates und die Grund-
lage seiner Verfassung ist.

Hinsichtlich der Landgemeinden wird zugestanden: "Das gutsherrliche Verhältniß
macht eine vollständige Gemeindeordnung unmöglich." Das Ziel bleibt aber, nach voll-
zogener Auseinandersetzung die gänzliche Vereinigung der Gutsherren mit den Landge-
meinden zu erleichtern; "denn es ist zu glauben, daß dann auch die Patrimonial-Juris-
diktion und die Polizeigewalt allen Werth für die Grundherren verloren haben wird;
ja beide dürften als eine unnütze Last betrachtet werden, wenn sie nicht mehr dazu ge-
braucht werden können, den Gutsherren desto schneller und rücksichtsloser die Befriedigung
derjenigen Ansprüche zu sichern, die sie nach den jetzigen Verhältnissen an ihre Einge-
sessenen zu machen haben."

Bei der Berathung der Kreisordnung kommt die Commission nach langer Prüfung
zu dem Ergebniß, daß kein wesentlicher Unterschied zwischen den östlichen und den west-
lichen Provinzen bestehe, da die Auseinandersetzung schon im Gange sei.

Zur Beruhigung der Gemüther wird vorgeschlagen, in das Einführungsgesetz fol-
genden Paragraphen aufzunehmen: "Ob und in welche Beziehung die Versammlungen
der Kreisverordneten zu den künftigen Ständen Unseres Staates zu setzen, behalten Wir
Uns zur näheren Bestimmung in der Urkunde über die Verfassung vor." --


Die Communalordnung vom Jahre 1820.
ſem unklaren Vorbehalt ſelber die Spitze abgebrochen durch eine beſchwichtigende Erklä-
rung an die Großmächte und ſchließlich bei der Erneuerung der Beſchlüſſe den Vorbehalt
gänzlich fallen laſſen. Dies ſind die Thatſachen. Das Urtheil überlaſſe ich den Leſern.

Meinen bairiſchen Kritiker aber bitte ich zu bemerken, daß der Hiſtoriker ſeinen
Stoff nicht ſchafft, ſondern vorfindet. Eine Freude war es mir nicht, die ſchwarze Wäſche
des alten Bundestages zu waſchen und jene Karlsbader Händel zu ſchildern, bei denen
alle deutſchen Höfe, alle ohne Ausnahme, eine ſo traurige Rolle ſpielten. Doch wenn
ich darſtellen ſoll, wie unſer Vaterland zu ſeiner alten Herrlichkeit wieder aufgeſtiegen
iſt, ſo muß ich zuvor ſchonungslos und unumwunden zeigen, in welchen Sumpf wir
verſunken waren. In dieſem dritten Bande habe ich erzählt, wie Preußen und Baiern
ihren alten heilſamen Bund von Neuem geſchloſſen und dadurch dem Vaterlande ſeine
wirthſchaftliche Einheit geſichert haben. Vielleicht wird Herr v. Lerchenfeld jetzt ſelber
zugeſtehen, daß er eine Geſinnung, die mir fremd iſt, in meinen Worten geſucht hat.


X. Die Communalordnung vom Jahre 1820.
Zu Bd. III S. 106.

Die Entwürfe der Landgemeinde-, Städte- und Kreisordnung vom 7. Aug. 1820
waren lange ganz verſchollen. König Friedrich Wilhelm IV. ließ in verſchiedenen Bureaus
vergeblich darnach ſuchen. Durch einen glücklichen Zufall entdeckte ich ſie vor einigen
Jahren in dem Nachlaß des Miniſters v. Schuckmann.

In den allgemeinen Erörterungen wird vor Allem die Frage erwogen, ob eine
Communalordnung für die ganze Monarchie möglich ſei. Die Commiſſion verkennt nicht
die große Verſchiedenheit der Gemeindeverhältniſſe: im Weſten Sammtgemeinden bei völlig
freiem Eigenthum und gleichem Rechte für Perſonen und Sachen; im Oſten Einzelge-
meinden und privilegirte Gutsherren; in den nichtdeutſchen Provinzen vorherrſchende
Pacht und kaum eine Spur von Communaleinrichtungen; dazu der Unterſchied der Bil-
dung zwiſchen Berlin und den kleinen polniſchen Judenſtädten. Gleichwohl erſcheint die
Einheit nothwendig, weil die Gemeinde der Mikrokosmos des Staates und die Grund-
lage ſeiner Verfaſſung iſt.

Hinſichtlich der Landgemeinden wird zugeſtanden: „Das gutsherrliche Verhältniß
macht eine vollſtändige Gemeindeordnung unmöglich.“ Das Ziel bleibt aber, nach voll-
zogener Auseinanderſetzung die gänzliche Vereinigung der Gutsherren mit den Landge-
meinden zu erleichtern; „denn es iſt zu glauben, daß dann auch die Patrimonial-Juris-
diktion und die Polizeigewalt allen Werth für die Grundherren verloren haben wird;
ja beide dürften als eine unnütze Laſt betrachtet werden, wenn ſie nicht mehr dazu ge-
braucht werden können, den Gutsherren deſto ſchneller und rückſichtsloſer die Befriedigung
derjenigen Anſprüche zu ſichern, die ſie nach den jetzigen Verhältniſſen an ihre Einge-
ſeſſenen zu machen haben.“

Bei der Berathung der Kreisordnung kommt die Commiſſion nach langer Prüfung
zu dem Ergebniß, daß kein weſentlicher Unterſchied zwiſchen den öſtlichen und den weſt-
lichen Provinzen beſtehe, da die Auseinanderſetzung ſchon im Gange ſei.

Zur Beruhigung der Gemüther wird vorgeſchlagen, in das Einführungsgeſetz fol-
genden Paragraphen aufzunehmen: „Ob und in welche Beziehung die Verſammlungen
der Kreisverordneten zu den künftigen Ständen Unſeres Staates zu ſetzen, behalten Wir
Uns zur näheren Beſtimmung in der Urkunde über die Verfaſſung vor.“ —


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[768/0784] Die Communalordnung vom Jahre 1820. ſem unklaren Vorbehalt ſelber die Spitze abgebrochen durch eine beſchwichtigende Erklä- rung an die Großmächte und ſchließlich bei der Erneuerung der Beſchlüſſe den Vorbehalt gänzlich fallen laſſen. Dies ſind die Thatſachen. Das Urtheil überlaſſe ich den Leſern. Meinen bairiſchen Kritiker aber bitte ich zu bemerken, daß der Hiſtoriker ſeinen Stoff nicht ſchafft, ſondern vorfindet. Eine Freude war es mir nicht, die ſchwarze Wäſche des alten Bundestages zu waſchen und jene Karlsbader Händel zu ſchildern, bei denen alle deutſchen Höfe, alle ohne Ausnahme, eine ſo traurige Rolle ſpielten. Doch wenn ich darſtellen ſoll, wie unſer Vaterland zu ſeiner alten Herrlichkeit wieder aufgeſtiegen iſt, ſo muß ich zuvor ſchonungslos und unumwunden zeigen, in welchen Sumpf wir verſunken waren. In dieſem dritten Bande habe ich erzählt, wie Preußen und Baiern ihren alten heilſamen Bund von Neuem geſchloſſen und dadurch dem Vaterlande ſeine wirthſchaftliche Einheit geſichert haben. Vielleicht wird Herr v. Lerchenfeld jetzt ſelber zugeſtehen, daß er eine Geſinnung, die mir fremd iſt, in meinen Worten geſucht hat. X. Die Communalordnung vom Jahre 1820. Zu Bd. III S. 106. Die Entwürfe der Landgemeinde-, Städte- und Kreisordnung vom 7. Aug. 1820 waren lange ganz verſchollen. König Friedrich Wilhelm IV. ließ in verſchiedenen Bureaus vergeblich darnach ſuchen. Durch einen glücklichen Zufall entdeckte ich ſie vor einigen Jahren in dem Nachlaß des Miniſters v. Schuckmann. In den allgemeinen Erörterungen wird vor Allem die Frage erwogen, ob eine Communalordnung für die ganze Monarchie möglich ſei. Die Commiſſion verkennt nicht die große Verſchiedenheit der Gemeindeverhältniſſe: im Weſten Sammtgemeinden bei völlig freiem Eigenthum und gleichem Rechte für Perſonen und Sachen; im Oſten Einzelge- meinden und privilegirte Gutsherren; in den nichtdeutſchen Provinzen vorherrſchende Pacht und kaum eine Spur von Communaleinrichtungen; dazu der Unterſchied der Bil- dung zwiſchen Berlin und den kleinen polniſchen Judenſtädten. Gleichwohl erſcheint die Einheit nothwendig, weil die Gemeinde der Mikrokosmos des Staates und die Grund- lage ſeiner Verfaſſung iſt. Hinſichtlich der Landgemeinden wird zugeſtanden: „Das gutsherrliche Verhältniß macht eine vollſtändige Gemeindeordnung unmöglich.“ Das Ziel bleibt aber, nach voll- zogener Auseinanderſetzung die gänzliche Vereinigung der Gutsherren mit den Landge- meinden zu erleichtern; „denn es iſt zu glauben, daß dann auch die Patrimonial-Juris- diktion und die Polizeigewalt allen Werth für die Grundherren verloren haben wird; ja beide dürften als eine unnütze Laſt betrachtet werden, wenn ſie nicht mehr dazu ge- braucht werden können, den Gutsherren deſto ſchneller und rückſichtsloſer die Befriedigung derjenigen Anſprüche zu ſichern, die ſie nach den jetzigen Verhältniſſen an ihre Einge- ſeſſenen zu machen haben.“ Bei der Berathung der Kreisordnung kommt die Commiſſion nach langer Prüfung zu dem Ergebniß, daß kein weſentlicher Unterſchied zwiſchen den öſtlichen und den weſt- lichen Provinzen beſtehe, da die Auseinanderſetzung ſchon im Gange ſei. Zur Beruhigung der Gemüther wird vorgeſchlagen, in das Einführungsgeſetz fol- genden Paragraphen aufzunehmen: „Ob und in welche Beziehung die Verſammlungen der Kreisverordneten zu den künftigen Ständen Unſeres Staates zu ſetzen, behalten Wir Uns zur näheren Beſtimmung in der Urkunde über die Verfaſſung vor.“ —

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 768. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/784>, abgerufen am 24.11.2024.