Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.Baiern und die Karlsbader Beschlüsse. lich so stand, wird durch den Erfolg bewiesen. Die deutschen Großmächte nahmen dieSendung Zentner's sehr freundlich auf, und die Haltung dieses klugen Staatsmannes in Wien entsprach in der That den Wünschen beider Parteien. Er vertheidigte einer- seits die bairische Verfassung gegen die Anfechtungen, welche dort in Wien nicht mehr von Metternich und Bernstorff, sondern von Marschall und Berstett, den Ministern der constitutionellen Staaten Nassau und Baden, versucht wurden; er trat andererseits zu Metternich in ein gutes Verhältniß, zu Bernstorff in ein vertrautes, freundschaftliches Einvernehmen, das für Deutschlands Zukunft segensreich wurde, denn aus dieser Ver- ständigung zwischen Preußen und Baiern ging späterhin unsere Zolleinheit hervor. Er schlug mithin eine mittlere Richtung ein, die, wie die Dinge lagen, für Baiern die ein- zig richtige Politik war. Genau derselbe Fall wiederholte sich bei den Wiener Minister- Conferenzen v. Jahre 1823. Auch damals wünschte Rechberg wieder, daß Zentner nach Wien gehen solle, damit sein eigener Einfluß in München nicht geschwächt würde. (Za- strow's Bericht, 31. Dec. 1822.) Das Intriguenstück hatte aber noch einen wichtigen letzten Akt, dessen Herr v. Ler- Fassen wir das Ergebniß zusammen. Der bairische Hof hat durch seine Staats- Baiern und die Karlsbader Beſchlüſſe. lich ſo ſtand, wird durch den Erfolg bewieſen. Die deutſchen Großmächte nahmen dieSendung Zentner’s ſehr freundlich auf, und die Haltung dieſes klugen Staatsmannes in Wien entſprach in der That den Wünſchen beider Parteien. Er vertheidigte einer- ſeits die bairiſche Verfaſſung gegen die Anfechtungen, welche dort in Wien nicht mehr von Metternich und Bernſtorff, ſondern von Marſchall und Berſtett, den Miniſtern der conſtitutionellen Staaten Naſſau und Baden, verſucht wurden; er trat andererſeits zu Metternich in ein gutes Verhältniß, zu Bernſtorff in ein vertrautes, freundſchaftliches Einvernehmen, das für Deutſchlands Zukunft ſegensreich wurde, denn aus dieſer Ver- ſtändigung zwiſchen Preußen und Baiern ging ſpäterhin unſere Zolleinheit hervor. Er ſchlug mithin eine mittlere Richtung ein, die, wie die Dinge lagen, für Baiern die ein- zig richtige Politik war. Genau derſelbe Fall wiederholte ſich bei den Wiener Miniſter- Conferenzen v. Jahre 1823. Auch damals wünſchte Rechberg wieder, daß Zentner nach Wien gehen ſolle, damit ſein eigener Einfluß in München nicht geſchwächt würde. (Za- ſtrow’s Bericht, 31. Dec. 1822.) Das Intriguenſtück hatte aber noch einen wichtigen letzten Akt, deſſen Herr v. Ler- Faſſen wir das Ergebniß zuſammen. Der bairiſche Hof hat durch ſeine Staats- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0783" n="767"/><fw place="top" type="header">Baiern und die Karlsbader Beſchlüſſe.</fw><lb/> lich ſo ſtand, wird durch den Erfolg bewieſen. Die deutſchen Großmächte nahmen die<lb/> Sendung Zentner’s ſehr freundlich auf, und die Haltung dieſes klugen Staatsmannes<lb/> in Wien entſprach in der That den Wünſchen beider Parteien. Er vertheidigte einer-<lb/> ſeits die bairiſche Verfaſſung gegen die Anfechtungen, welche dort in Wien nicht mehr<lb/> von Metternich und Bernſtorff, ſondern von Marſchall und Berſtett, den Miniſtern der<lb/> conſtitutionellen Staaten Naſſau und Baden, verſucht wurden; er trat andererſeits zu<lb/> Metternich in ein gutes Verhältniß, zu Bernſtorff in ein vertrautes, freundſchaftliches<lb/> Einvernehmen, das für Deutſchlands Zukunft ſegensreich wurde, denn aus dieſer Ver-<lb/> ſtändigung zwiſchen Preußen und Baiern ging ſpäterhin unſere Zolleinheit hervor. Er<lb/> ſchlug mithin eine mittlere Richtung ein, die, wie die Dinge lagen, für Baiern die ein-<lb/> zig richtige Politik war. Genau derſelbe Fall wiederholte ſich bei den Wiener Miniſter-<lb/> Conferenzen v. Jahre 1823. Auch damals wünſchte Rechberg wieder, daß Zentner nach<lb/> Wien gehen ſolle, damit ſein eigener Einfluß in München nicht geſchwächt würde. (Za-<lb/> ſtrow’s Bericht, 31. Dec. 1822.)</p><lb/> <p>Das Intriguenſtück hatte aber noch einen wichtigen letzten Akt, deſſen Herr v. Ler-<lb/> chenfeld nur beiläufig gedenkt. Die beiden Großmächte beſchwerten ſich über den bai-<lb/> riſchen Verfaſſungsvorbehalt, und ſie hatten von ihrem Standpunkt aus guten Grund<lb/> dazu; denn mit dem Bundesrechte ſtand es doch ſicherlich nicht im Einklang, daß der<lb/> Münchener Hof den Beſchlüſſen, die er ſelber mit bewirkt und ſchon zweimal genehmigt<lb/> hatte, nachträglich noch eine vieldeutige Clauſel anhing. Bernſtorff fragte in einem<lb/> ſcharfen Miniſterialſchreiben an Zaſtrow gradezu, ob „dieſes erſte Abweichen von den<lb/> Bundesbeſchlüſſen“ etwa eine Losſagung Baierns vom Bunde bedeuten ſolle. Als Za-<lb/> ſtrow dies Schreiben dem Grafen Rechberg vorlas, da bat ihn der bairiſche Miniſter,<lb/> er möge ihm eine förmliche Note überreichen. Der preußiſche Geſandte entſprach dieſem<lb/> Wunſche am 8. November (Zaſtrow’s Bericht vom 17. November), und nunmehr über-<lb/> gab Rechberg am 13. November ein ſehr beſcheidenes Antwortſchreiben. Er dankte darin<lb/> für den neuen Beweis preußiſcher Freundſchaft und verſicherte, daß Baiern die Bundes-<lb/> beſchlüſſe gewiſſenhaft befolgt habe. Zum Beweiſe zählte er alle die Maßregeln auf, die<lb/> zur Ausführung der Karlsbader Beſchlüſſe bereits angeordnet ſeien, und legte die neuen<lb/> Verordnungen über die Cenſur, die Univerſitäten u. A. bei, welche dieſen Beweis aller-<lb/> dings führten. Darauf betheuert er, ſein Hof erkenne den Bund als heilbringend an:<lb/> „S. Maj. haben nie dem Gedanken Raum gegeben, Sich von dieſem Bunde zu trennen<lb/> oder Sich außer demſelben zu ſtellen.“ Die Form der Veröffentlichung „hatte blos die<lb/> Beruhigung der königlichen Unterthanen zum Zweck, die einen Augenblick befürchten konn-<lb/> ten, durch die gedachten Beſchlüſſe oder vielmehr durch die ſolche motivirende Präſidial-<lb/> propoſition gewohnte vaterländiſche Geſetze und eine ſeit ihrer auch nur kurzen Dauer<lb/> ihnen werth gewordene Verfaſſung beeinträchtigt zu ſehen.“ Da Herr v. Lerchenfeld<lb/> dies merkwürdige Schreiben nicht erwähnt, ſo iſt es wohl möglich, daß Rechberg auch<lb/> diesmal wieder ohne Vorwiſſen des Miniſterrathes, aber ſchwerlich ohne Genehmigung<lb/> des Königs, gehandelt habe. Nichtsdeſtoweniger bleibt dieſe Note eine amtliche Erklärung<lb/> der bairiſchen Regierung, und ſie wurde auch als ſolche in Berlin aufgenommen. Die<lb/> preußiſche Regierung erklärte ſich befriedigt, da das Schreiben Rechberg’s unzweideutig<lb/> ausſprach, daß Baiern den Karlsbader Beſchlüſſen treu bleibe und der Berfaſſungsvor-<lb/> behalt nicht ſo ſchlimm gemeint ſei. Es war nur die natürliche Folge dieſer Politik, daß<lb/> der Münchener Hof fünf Jahre ſpäter die Erneuerung der Karlsbader Beſchlüſſe ſelber<lb/> auf das Wärmſte befürwortete.</p><lb/> <p>Faſſen wir das Ergebniß zuſammen. Der bairiſche Hof hat durch ſeine Staats-<lb/> ſtreichspläne und durch ſeinen Hilferuf an die Großmächte die Karlsbader Conferenzen<lb/> mit veranlaßt; er hat die dort gefaßten Beſchlüſſe durch ſeinen Bevollmächtigten ange-<lb/> nommen und ſie ſodann durch ſeine Abſtimmung am Bundestage nochmals förmlich ge-<lb/> nehmigt; er hat ſie darauf veröffentlicht mit zwei unweſentlichen Aenderungen und mit<lb/> einem Vorbehalt zu Gunſten der Souveränität und der Verfaſſung; er hat nachher die-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [767/0783]
Baiern und die Karlsbader Beſchlüſſe.
lich ſo ſtand, wird durch den Erfolg bewieſen. Die deutſchen Großmächte nahmen die
Sendung Zentner’s ſehr freundlich auf, und die Haltung dieſes klugen Staatsmannes
in Wien entſprach in der That den Wünſchen beider Parteien. Er vertheidigte einer-
ſeits die bairiſche Verfaſſung gegen die Anfechtungen, welche dort in Wien nicht mehr
von Metternich und Bernſtorff, ſondern von Marſchall und Berſtett, den Miniſtern der
conſtitutionellen Staaten Naſſau und Baden, verſucht wurden; er trat andererſeits zu
Metternich in ein gutes Verhältniß, zu Bernſtorff in ein vertrautes, freundſchaftliches
Einvernehmen, das für Deutſchlands Zukunft ſegensreich wurde, denn aus dieſer Ver-
ſtändigung zwiſchen Preußen und Baiern ging ſpäterhin unſere Zolleinheit hervor. Er
ſchlug mithin eine mittlere Richtung ein, die, wie die Dinge lagen, für Baiern die ein-
zig richtige Politik war. Genau derſelbe Fall wiederholte ſich bei den Wiener Miniſter-
Conferenzen v. Jahre 1823. Auch damals wünſchte Rechberg wieder, daß Zentner nach
Wien gehen ſolle, damit ſein eigener Einfluß in München nicht geſchwächt würde. (Za-
ſtrow’s Bericht, 31. Dec. 1822.)
Das Intriguenſtück hatte aber noch einen wichtigen letzten Akt, deſſen Herr v. Ler-
chenfeld nur beiläufig gedenkt. Die beiden Großmächte beſchwerten ſich über den bai-
riſchen Verfaſſungsvorbehalt, und ſie hatten von ihrem Standpunkt aus guten Grund
dazu; denn mit dem Bundesrechte ſtand es doch ſicherlich nicht im Einklang, daß der
Münchener Hof den Beſchlüſſen, die er ſelber mit bewirkt und ſchon zweimal genehmigt
hatte, nachträglich noch eine vieldeutige Clauſel anhing. Bernſtorff fragte in einem
ſcharfen Miniſterialſchreiben an Zaſtrow gradezu, ob „dieſes erſte Abweichen von den
Bundesbeſchlüſſen“ etwa eine Losſagung Baierns vom Bunde bedeuten ſolle. Als Za-
ſtrow dies Schreiben dem Grafen Rechberg vorlas, da bat ihn der bairiſche Miniſter,
er möge ihm eine förmliche Note überreichen. Der preußiſche Geſandte entſprach dieſem
Wunſche am 8. November (Zaſtrow’s Bericht vom 17. November), und nunmehr über-
gab Rechberg am 13. November ein ſehr beſcheidenes Antwortſchreiben. Er dankte darin
für den neuen Beweis preußiſcher Freundſchaft und verſicherte, daß Baiern die Bundes-
beſchlüſſe gewiſſenhaft befolgt habe. Zum Beweiſe zählte er alle die Maßregeln auf, die
zur Ausführung der Karlsbader Beſchlüſſe bereits angeordnet ſeien, und legte die neuen
Verordnungen über die Cenſur, die Univerſitäten u. A. bei, welche dieſen Beweis aller-
dings führten. Darauf betheuert er, ſein Hof erkenne den Bund als heilbringend an:
„S. Maj. haben nie dem Gedanken Raum gegeben, Sich von dieſem Bunde zu trennen
oder Sich außer demſelben zu ſtellen.“ Die Form der Veröffentlichung „hatte blos die
Beruhigung der königlichen Unterthanen zum Zweck, die einen Augenblick befürchten konn-
ten, durch die gedachten Beſchlüſſe oder vielmehr durch die ſolche motivirende Präſidial-
propoſition gewohnte vaterländiſche Geſetze und eine ſeit ihrer auch nur kurzen Dauer
ihnen werth gewordene Verfaſſung beeinträchtigt zu ſehen.“ Da Herr v. Lerchenfeld
dies merkwürdige Schreiben nicht erwähnt, ſo iſt es wohl möglich, daß Rechberg auch
diesmal wieder ohne Vorwiſſen des Miniſterrathes, aber ſchwerlich ohne Genehmigung
des Königs, gehandelt habe. Nichtsdeſtoweniger bleibt dieſe Note eine amtliche Erklärung
der bairiſchen Regierung, und ſie wurde auch als ſolche in Berlin aufgenommen. Die
preußiſche Regierung erklärte ſich befriedigt, da das Schreiben Rechberg’s unzweideutig
ausſprach, daß Baiern den Karlsbader Beſchlüſſen treu bleibe und der Berfaſſungsvor-
behalt nicht ſo ſchlimm gemeint ſei. Es war nur die natürliche Folge dieſer Politik, daß
der Münchener Hof fünf Jahre ſpäter die Erneuerung der Karlsbader Beſchlüſſe ſelber
auf das Wärmſte befürwortete.
Faſſen wir das Ergebniß zuſammen. Der bairiſche Hof hat durch ſeine Staats-
ſtreichspläne und durch ſeinen Hilferuf an die Großmächte die Karlsbader Conferenzen
mit veranlaßt; er hat die dort gefaßten Beſchlüſſe durch ſeinen Bevollmächtigten ange-
nommen und ſie ſodann durch ſeine Abſtimmung am Bundestage nochmals förmlich ge-
nehmigt; er hat ſie darauf veröffentlicht mit zwei unweſentlichen Aenderungen und mit
einem Vorbehalt zu Gunſten der Souveränität und der Verfaſſung; er hat nachher die-
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