Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

III. 10. Preußen und die orientalische Frage.
angefressen war, die griechischen Empörer zu unterstützen*). Daher rieth
Metternich der Pforte dringend zur Nachgiebigkeit gegen Rußlands An-
sprüche; denn wurde der Czar zufriedengestellt, so konnte er nicht mehr
in Canning's Fallstricke stürzen, der Sultan aber durfte seine ganze Macht
zur Unterdrückung der Griechen verwenden.

Mit gerechtem Befremden vernahm Sultan Machmud die gänzlich
veränderte Sprache seiner österreichischen Freunde; derselbe Gentz, der in
seinen Depeschen an die wallachischen Hospodare so oft vor Rußlands
ehrgeizigen Plänen gewarnt hatte, befürwortete jetzt die Forderungen des
Czaren. Dem Padischah blieb in seiner Bedrängniß keine Wahl. Gegen
die griechischen Rebellen hatte er schon die Hilfe seines ägyptischen Vasallen
anrufen müssen, dessen Macht ihm selber leicht über den Kopf wachsen
konnte, und das ruhmreiche Heer der Janitscharen, vor Zeiten der Kern
der osmanischen Kriegsmacht, war jetzt in zuchtlosem Prätorianerstolz der-
maßen verwildert, daß die Leibwächter dem Herrscher selbst gefährlich wur-
den. Da flammte die Willenskraft der alten großen Sultane noch einmal
schrecklich auf in dem letzten begabten Sohne des Hauses Osman. Mach-
mud beschloß die Janitscharen aufzulösen, durch ein entsetzliches Blutbad
wurde die Heerschaar vernichtet, die einst der Schrecken der Christenheit ge-
wesen. Ein dem Verderben verfallenes Reich vermag aber selbst nothwen-
dige Reformen nicht mehr zu ertragen. Die Vernichtung der Janitscharen
traf den alten orientalischen Kriegsstaat in den Wurzeln seiner Verfas-
sung, sie zwang ihn fortan, seinem Charakter zuwider, abendländische Ein-
richtungen nachzuahmen. Alte Kraft war zerstört, neue nicht gewonnen.
Die gläubigen Moslemin grollten, ihre Flüche wider den Giaur Padischah
drangen bis zu Machmud's Ohr; die neugebildeten, europäisch geschulten
Linientruppen gehorchten zwar dem Kriegsherrn, aber zum Kriege war
dies werdende Heer noch nicht gerüstet. In solcher Lage mußte der stolze
Sultan nach langem Sträuben den friedlichen Mahnungen der Groß-
mächte endlich nachgeben. Im Vertrage von Akkerman (Okt. 1826) be-
willigte er alle Forderungen Rußlands: vollständige Erfüllung des Buka-
rester Friedens, Herausgabe einiger tscherkessischen Grenzplätze, gesicherte
Halbsouveränität für Serbien und die Donaufürstenthümer.

Unterdessen ward das Petersburger Protokoll bekannt. Der über-
listete österreichische Staatsmann stürzte aus allen seinen Himmeln. Nie-
mals hatte er für denkbar gehalten, daß die alten Feinde England und
Rußland sich je vertragen, der wohlgesinnte Czar für die griechischen
Rebellen je einen Finger rühren würde; und da er selber niemals Un-
recht haben konnte, so meinte er jetzt, der Czar sei schwach geworden, der
unerfahrene junge Fürst habe sich durch Canning's schlechte Künste ver-
führen lassen. An die Dauer, an irgend eine Wirkung dieses unnatür-

*) Hatzfeldt's Berichte, 15., 25. Jan., 10. April 1826.

III. 10. Preußen und die orientaliſche Frage.
angefreſſen war, die griechiſchen Empörer zu unterſtützen*). Daher rieth
Metternich der Pforte dringend zur Nachgiebigkeit gegen Rußlands An-
ſprüche; denn wurde der Czar zufriedengeſtellt, ſo konnte er nicht mehr
in Canning’s Fallſtricke ſtürzen, der Sultan aber durfte ſeine ganze Macht
zur Unterdrückung der Griechen verwenden.

Mit gerechtem Befremden vernahm Sultan Machmud die gänzlich
veränderte Sprache ſeiner öſterreichiſchen Freunde; derſelbe Gentz, der in
ſeinen Depeſchen an die wallachiſchen Hoſpodare ſo oft vor Rußlands
ehrgeizigen Plänen gewarnt hatte, befürwortete jetzt die Forderungen des
Czaren. Dem Padiſchah blieb in ſeiner Bedrängniß keine Wahl. Gegen
die griechiſchen Rebellen hatte er ſchon die Hilfe ſeines ägyptiſchen Vaſallen
anrufen müſſen, deſſen Macht ihm ſelber leicht über den Kopf wachſen
konnte, und das ruhmreiche Heer der Janitſcharen, vor Zeiten der Kern
der osmaniſchen Kriegsmacht, war jetzt in zuchtloſem Prätorianerſtolz der-
maßen verwildert, daß die Leibwächter dem Herrſcher ſelbſt gefährlich wur-
den. Da flammte die Willenskraft der alten großen Sultane noch einmal
ſchrecklich auf in dem letzten begabten Sohne des Hauſes Osman. Mach-
mud beſchloß die Janitſcharen aufzulöſen, durch ein entſetzliches Blutbad
wurde die Heerſchaar vernichtet, die einſt der Schrecken der Chriſtenheit ge-
weſen. Ein dem Verderben verfallenes Reich vermag aber ſelbſt nothwen-
dige Reformen nicht mehr zu ertragen. Die Vernichtung der Janitſcharen
traf den alten orientaliſchen Kriegsſtaat in den Wurzeln ſeiner Verfaſ-
ſung, ſie zwang ihn fortan, ſeinem Charakter zuwider, abendländiſche Ein-
richtungen nachzuahmen. Alte Kraft war zerſtört, neue nicht gewonnen.
Die gläubigen Moslemin grollten, ihre Flüche wider den Giaur Padiſchah
drangen bis zu Machmud’s Ohr; die neugebildeten, europäiſch geſchulten
Linientruppen gehorchten zwar dem Kriegsherrn, aber zum Kriege war
dies werdende Heer noch nicht gerüſtet. In ſolcher Lage mußte der ſtolze
Sultan nach langem Sträuben den friedlichen Mahnungen der Groß-
mächte endlich nachgeben. Im Vertrage von Akkerman (Okt. 1826) be-
willigte er alle Forderungen Rußlands: vollſtändige Erfüllung des Buka-
reſter Friedens, Herausgabe einiger tſcherkeſſiſchen Grenzplätze, geſicherte
Halbſouveränität für Serbien und die Donaufürſtenthümer.

Unterdeſſen ward das Petersburger Protokoll bekannt. Der über-
liſtete öſterreichiſche Staatsmann ſtürzte aus allen ſeinen Himmeln. Nie-
mals hatte er für denkbar gehalten, daß die alten Feinde England und
Rußland ſich je vertragen, der wohlgeſinnte Czar für die griechiſchen
Rebellen je einen Finger rühren würde; und da er ſelber niemals Un-
recht haben konnte, ſo meinte er jetzt, der Czar ſei ſchwach geworden, der
unerfahrene junge Fürſt habe ſich durch Canning’s ſchlechte Künſte ver-
führen laſſen. An die Dauer, an irgend eine Wirkung dieſes unnatür-

*) Hatzfeldt’s Berichte, 15., 25. Jan., 10. April 1826.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0746" n="730"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 10. Preußen und die orientali&#x017F;che Frage.</fw><lb/>
angefre&#x017F;&#x017F;en war, die griechi&#x017F;chen Empörer zu unter&#x017F;tützen<note place="foot" n="*)">Hatzfeldt&#x2019;s Berichte, 15., 25. Jan., 10. April 1826.</note>. Daher rieth<lb/>
Metternich der Pforte dringend zur Nachgiebigkeit gegen Rußlands An-<lb/>
&#x017F;prüche; denn wurde der Czar zufriedenge&#x017F;tellt, &#x017F;o konnte er nicht mehr<lb/>
in Canning&#x2019;s Fall&#x017F;tricke &#x017F;türzen, der Sultan aber durfte &#x017F;eine ganze Macht<lb/>
zur Unterdrückung der Griechen verwenden.</p><lb/>
          <p>Mit gerechtem Befremden vernahm Sultan Machmud die gänzlich<lb/>
veränderte Sprache &#x017F;einer ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen Freunde; der&#x017F;elbe Gentz, der in<lb/>
&#x017F;einen Depe&#x017F;chen an die wallachi&#x017F;chen Ho&#x017F;podare &#x017F;o oft vor Rußlands<lb/>
ehrgeizigen Plänen gewarnt hatte, befürwortete jetzt die Forderungen des<lb/>
Czaren. Dem Padi&#x017F;chah blieb in &#x017F;einer Bedrängniß keine Wahl. Gegen<lb/>
die griechi&#x017F;chen Rebellen hatte er &#x017F;chon die Hilfe &#x017F;eines ägypti&#x017F;chen Va&#x017F;allen<lb/>
anrufen mü&#x017F;&#x017F;en, de&#x017F;&#x017F;en Macht ihm &#x017F;elber leicht über den Kopf wach&#x017F;en<lb/>
konnte, und das ruhmreiche Heer der Janit&#x017F;charen, vor Zeiten der Kern<lb/>
der osmani&#x017F;chen Kriegsmacht, war jetzt in zuchtlo&#x017F;em Prätorianer&#x017F;tolz der-<lb/>
maßen verwildert, daß die Leibwächter dem Herr&#x017F;cher &#x017F;elb&#x017F;t gefährlich wur-<lb/>
den. Da flammte die Willenskraft der alten großen Sultane noch einmal<lb/>
&#x017F;chrecklich auf in dem letzten begabten Sohne des Hau&#x017F;es Osman. Mach-<lb/>
mud be&#x017F;chloß die Janit&#x017F;charen aufzulö&#x017F;en, durch ein ent&#x017F;etzliches Blutbad<lb/>
wurde die Heer&#x017F;chaar vernichtet, die ein&#x017F;t der Schrecken der Chri&#x017F;tenheit ge-<lb/>
we&#x017F;en. Ein dem Verderben verfallenes Reich vermag aber &#x017F;elb&#x017F;t nothwen-<lb/>
dige Reformen nicht mehr zu ertragen. Die Vernichtung der Janit&#x017F;charen<lb/>
traf den alten orientali&#x017F;chen Kriegs&#x017F;taat in den Wurzeln &#x017F;einer Verfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung, &#x017F;ie zwang ihn fortan, &#x017F;einem Charakter zuwider, abendländi&#x017F;che Ein-<lb/>
richtungen nachzuahmen. Alte Kraft war zer&#x017F;tört, neue nicht gewonnen.<lb/>
Die gläubigen Moslemin grollten, ihre Flüche wider den Giaur Padi&#x017F;chah<lb/>
drangen bis zu Machmud&#x2019;s Ohr; die neugebildeten, europäi&#x017F;ch ge&#x017F;chulten<lb/>
Linientruppen gehorchten zwar dem Kriegsherrn, aber zum Kriege war<lb/>
dies werdende Heer noch nicht gerü&#x017F;tet. In &#x017F;olcher Lage mußte der &#x017F;tolze<lb/>
Sultan nach langem Sträuben den friedlichen Mahnungen der Groß-<lb/>
mächte endlich nachgeben. Im Vertrage von Akkerman (Okt. 1826) be-<lb/>
willigte er alle Forderungen Rußlands: voll&#x017F;tändige Erfüllung des Buka-<lb/>
re&#x017F;ter Friedens, Herausgabe einiger t&#x017F;cherke&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Grenzplätze, ge&#x017F;icherte<lb/>
Halb&#x017F;ouveränität für Serbien und die Donaufür&#x017F;tenthümer.</p><lb/>
          <p>Unterde&#x017F;&#x017F;en ward das Petersburger Protokoll bekannt. Der über-<lb/>
li&#x017F;tete ö&#x017F;terreichi&#x017F;che Staatsmann &#x017F;türzte aus allen &#x017F;einen Himmeln. Nie-<lb/>
mals hatte er für denkbar gehalten, daß die alten Feinde England und<lb/>
Rußland &#x017F;ich je vertragen, der wohlge&#x017F;innte Czar für die griechi&#x017F;chen<lb/>
Rebellen je einen Finger rühren würde; und da er &#x017F;elber niemals Un-<lb/>
recht haben konnte, &#x017F;o meinte er jetzt, der Czar &#x017F;ei &#x017F;chwach geworden, der<lb/>
unerfahrene junge Für&#x017F;t habe &#x017F;ich durch Canning&#x2019;s &#x017F;chlechte Kün&#x017F;te ver-<lb/>
führen la&#x017F;&#x017F;en. An die Dauer, an irgend eine Wirkung die&#x017F;es unnatür-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[730/0746] III. 10. Preußen und die orientaliſche Frage. angefreſſen war, die griechiſchen Empörer zu unterſtützen *). Daher rieth Metternich der Pforte dringend zur Nachgiebigkeit gegen Rußlands An- ſprüche; denn wurde der Czar zufriedengeſtellt, ſo konnte er nicht mehr in Canning’s Fallſtricke ſtürzen, der Sultan aber durfte ſeine ganze Macht zur Unterdrückung der Griechen verwenden. Mit gerechtem Befremden vernahm Sultan Machmud die gänzlich veränderte Sprache ſeiner öſterreichiſchen Freunde; derſelbe Gentz, der in ſeinen Depeſchen an die wallachiſchen Hoſpodare ſo oft vor Rußlands ehrgeizigen Plänen gewarnt hatte, befürwortete jetzt die Forderungen des Czaren. Dem Padiſchah blieb in ſeiner Bedrängniß keine Wahl. Gegen die griechiſchen Rebellen hatte er ſchon die Hilfe ſeines ägyptiſchen Vaſallen anrufen müſſen, deſſen Macht ihm ſelber leicht über den Kopf wachſen konnte, und das ruhmreiche Heer der Janitſcharen, vor Zeiten der Kern der osmaniſchen Kriegsmacht, war jetzt in zuchtloſem Prätorianerſtolz der- maßen verwildert, daß die Leibwächter dem Herrſcher ſelbſt gefährlich wur- den. Da flammte die Willenskraft der alten großen Sultane noch einmal ſchrecklich auf in dem letzten begabten Sohne des Hauſes Osman. Mach- mud beſchloß die Janitſcharen aufzulöſen, durch ein entſetzliches Blutbad wurde die Heerſchaar vernichtet, die einſt der Schrecken der Chriſtenheit ge- weſen. Ein dem Verderben verfallenes Reich vermag aber ſelbſt nothwen- dige Reformen nicht mehr zu ertragen. Die Vernichtung der Janitſcharen traf den alten orientaliſchen Kriegsſtaat in den Wurzeln ſeiner Verfaſ- ſung, ſie zwang ihn fortan, ſeinem Charakter zuwider, abendländiſche Ein- richtungen nachzuahmen. Alte Kraft war zerſtört, neue nicht gewonnen. Die gläubigen Moslemin grollten, ihre Flüche wider den Giaur Padiſchah drangen bis zu Machmud’s Ohr; die neugebildeten, europäiſch geſchulten Linientruppen gehorchten zwar dem Kriegsherrn, aber zum Kriege war dies werdende Heer noch nicht gerüſtet. In ſolcher Lage mußte der ſtolze Sultan nach langem Sträuben den friedlichen Mahnungen der Groß- mächte endlich nachgeben. Im Vertrage von Akkerman (Okt. 1826) be- willigte er alle Forderungen Rußlands: vollſtändige Erfüllung des Buka- reſter Friedens, Herausgabe einiger tſcherkeſſiſchen Grenzplätze, geſicherte Halbſouveränität für Serbien und die Donaufürſtenthümer. Unterdeſſen ward das Petersburger Protokoll bekannt. Der über- liſtete öſterreichiſche Staatsmann ſtürzte aus allen ſeinen Himmeln. Nie- mals hatte er für denkbar gehalten, daß die alten Feinde England und Rußland ſich je vertragen, der wohlgeſinnte Czar für die griechiſchen Rebellen je einen Finger rühren würde; und da er ſelber niemals Un- recht haben konnte, ſo meinte er jetzt, der Czar ſei ſchwach geworden, der unerfahrene junge Fürſt habe ſich durch Canning’s ſchlechte Künſte ver- führen laſſen. An die Dauer, an irgend eine Wirkung dieſes unnatür- *) Hatzfeldt’s Berichte, 15., 25. Jan., 10. April 1826.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/746
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 730. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/746>, abgerufen am 25.11.2024.