ebenso erstaunlich wie einst Hegel's Ansehen war nachher der Undank der Nation; sie hatte sich an dem Feuertranke dieses Idealismus dermaßen berauscht, daß sie dann ernüchtert auf lange hinaus einen tiefen Ekel gegen alle Speculation faßte und mit dem Sturze dieses Systems auch die Philosophie selber gerichtet und vernichtet wähnte. Der einst vergötterte Meister verfiel der Mißachtung; noch heutzutage wird er unter allen unseren großen Philosophen am wenigsten gelesen und am gröblichsten verkannt.
Mit der gleichen heldenhaften Zuversicht wie vormals der junge Kant war Hegel in seine Laufbahn eingetreten. Der große Schwabe fühlte in sich alle die Kräfte, welche die speculative Begabung seines Stammes aus- machen: tiefen, grüblerischen Forschersinn, glühende Phantasie und eine vielseitige Empfänglichkeit, der nichts Menschliches fremd blieb. Schon als junger Mann (1802) erklärte er rund heraus, die Reflexionsphilosophie von Kant, Fichte, Jacobi hätte sich nur zum Begriffe, nicht zur Idee er- hoben. Er traute sich's zu dies Höchste zu wagen, und als sein System sich ausgestaltete sprach er in der That für lange Zeit das letzte Wort. Ein höheres Ziel konnte die deutsche Philosophie auf dem seit Kant ein- geschlagenen Wege nicht mehr erreichen. Das Räthsel des Daseins schien gelöst, die Einheit von Sein und Denken nachgewiesen, seit Hegel das Leben der Welt als den unendlichen dialektischen Proceß des sich selber denkenden absoluten Geistes darstellte. In diesem Systeme war Alles Geist und Alles Werden. Es war der folgerichtigste Monismus, der je gedacht worden: die Idee durchläuft zuerst die Reihe der nothwendigen Denkformen, dann entläßt sie sich in die Natur, setzt sich als ein anderes gegenständ- liches Leben sich selber gegenüber und kehrt endlich aus dem Abfall von der Unendlichkeit wieder frei in sich zurück, in das Reich des Geistes. So ist denn Alles was da war und ist und sein wird von Ewigkeit zu Ewigkeit nur die göttliche Vernunft in ihrer Selbstentfaltung. In den mächtigen Rahmen dieses Systems trug Hegel nun -- ein anderer Aristo- teles, wie seine Schüler rühmten -- mit ungeheuerem Fleiße die Ergeb- nisse der gesammten Erfahrungswissenschaften seiner Zeit hinein, dergestalt daß die ganze Welt der Natur und Geschichte ihre Stelle und Stufe an- gewiesen erhielt in dem unendlichen Entwicklungsgange des absoluten Geistes.
In dieser Zeit vermochte eine neue philosophische Erkenntniß deutsche Gemüther noch mit dem ganzen Zauber einer religiösen Offenbarung zu ergreifen; selbst grobe Widersprüche zwischen dem Systeme und der Er- fahrung störten den Gläubigen nicht, weil er wußte, daß die Philosophie unmöglich warten kann bis zu dem Tage, der niemals tagt, bis zur Voll- endung der empirischen Wissenschaften. Dies Hegel'sche System aber be- saß vor allen anderen die Kraft, seine Schüler durch das Bewußtsein einer untrüglichen Gewißheit zu beseligen; denn war das Leben der Welt
Hegel’s Syſtem.
ebenſo erſtaunlich wie einſt Hegel’s Anſehen war nachher der Undank der Nation; ſie hatte ſich an dem Feuertranke dieſes Idealismus dermaßen berauſcht, daß ſie dann ernüchtert auf lange hinaus einen tiefen Ekel gegen alle Speculation faßte und mit dem Sturze dieſes Syſtems auch die Philoſophie ſelber gerichtet und vernichtet wähnte. Der einſt vergötterte Meiſter verfiel der Mißachtung; noch heutzutage wird er unter allen unſeren großen Philoſophen am wenigſten geleſen und am gröblichſten verkannt.
Mit der gleichen heldenhaften Zuverſicht wie vormals der junge Kant war Hegel in ſeine Laufbahn eingetreten. Der große Schwabe fühlte in ſich alle die Kräfte, welche die ſpeculative Begabung ſeines Stammes aus- machen: tiefen, grübleriſchen Forſcherſinn, glühende Phantaſie und eine vielſeitige Empfänglichkeit, der nichts Menſchliches fremd blieb. Schon als junger Mann (1802) erklärte er rund heraus, die Reflexionsphiloſophie von Kant, Fichte, Jacobi hätte ſich nur zum Begriffe, nicht zur Idee er- hoben. Er traute ſich’s zu dies Höchſte zu wagen, und als ſein Syſtem ſich ausgeſtaltete ſprach er in der That für lange Zeit das letzte Wort. Ein höheres Ziel konnte die deutſche Philoſophie auf dem ſeit Kant ein- geſchlagenen Wege nicht mehr erreichen. Das Räthſel des Daſeins ſchien gelöſt, die Einheit von Sein und Denken nachgewieſen, ſeit Hegel das Leben der Welt als den unendlichen dialektiſchen Proceß des ſich ſelber denkenden abſoluten Geiſtes darſtellte. In dieſem Syſteme war Alles Geiſt und Alles Werden. Es war der folgerichtigſte Monismus, der je gedacht worden: die Idee durchläuft zuerſt die Reihe der nothwendigen Denkformen, dann entläßt ſie ſich in die Natur, ſetzt ſich als ein anderes gegenſtänd- liches Leben ſich ſelber gegenüber und kehrt endlich aus dem Abfall von der Unendlichkeit wieder frei in ſich zurück, in das Reich des Geiſtes. So iſt denn Alles was da war und iſt und ſein wird von Ewigkeit zu Ewigkeit nur die göttliche Vernunft in ihrer Selbſtentfaltung. In den mächtigen Rahmen dieſes Syſtems trug Hegel nun — ein anderer Ariſto- teles, wie ſeine Schüler rühmten — mit ungeheuerem Fleiße die Ergeb- niſſe der geſammten Erfahrungswiſſenſchaften ſeiner Zeit hinein, dergeſtalt daß die ganze Welt der Natur und Geſchichte ihre Stelle und Stufe an- gewieſen erhielt in dem unendlichen Entwicklungsgange des abſoluten Geiſtes.
In dieſer Zeit vermochte eine neue philoſophiſche Erkenntniß deutſche Gemüther noch mit dem ganzen Zauber einer religiöſen Offenbarung zu ergreifen; ſelbſt grobe Widerſprüche zwiſchen dem Syſteme und der Er- fahrung ſtörten den Gläubigen nicht, weil er wußte, daß die Philoſophie unmöglich warten kann bis zu dem Tage, der niemals tagt, bis zur Voll- endung der empiriſchen Wiſſenſchaften. Dies Hegel’ſche Syſtem aber be- ſaß vor allen anderen die Kraft, ſeine Schüler durch das Bewußtſein einer untrüglichen Gewißheit zu beſeligen; denn war das Leben der Welt
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Hegel’s Syſtem.
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Nation; ſie hatte ſich an dem Feuertranke dieſes Idealismus dermaßen
berauſcht, daß ſie dann ernüchtert auf lange hinaus einen tiefen Ekel gegen
alle Speculation faßte und mit dem Sturze dieſes Syſtems auch die
Philoſophie ſelber gerichtet und vernichtet wähnte. Der einſt vergötterte
Meiſter verfiel der Mißachtung; noch heutzutage wird er unter allen
unſeren großen Philoſophen am wenigſten geleſen und am gröblichſten
verkannt.
Mit der gleichen heldenhaften Zuverſicht wie vormals der junge Kant
war Hegel in ſeine Laufbahn eingetreten. Der große Schwabe fühlte in
ſich alle die Kräfte, welche die ſpeculative Begabung ſeines Stammes aus-
machen: tiefen, grübleriſchen Forſcherſinn, glühende Phantaſie und eine
vielſeitige Empfänglichkeit, der nichts Menſchliches fremd blieb. Schon als
junger Mann (1802) erklärte er rund heraus, die Reflexionsphiloſophie
von Kant, Fichte, Jacobi hätte ſich nur zum Begriffe, nicht zur Idee er-
hoben. Er traute ſich’s zu dies Höchſte zu wagen, und als ſein Syſtem
ſich ausgeſtaltete ſprach er in der That für lange Zeit das letzte Wort.
Ein höheres Ziel konnte die deutſche Philoſophie auf dem ſeit Kant ein-
geſchlagenen Wege nicht mehr erreichen. Das Räthſel des Daſeins ſchien
gelöſt, die Einheit von Sein und Denken nachgewieſen, ſeit Hegel das
Leben der Welt als den unendlichen dialektiſchen Proceß des ſich ſelber
denkenden abſoluten Geiſtes darſtellte. In dieſem Syſteme war Alles Geiſt
und Alles Werden. Es war der folgerichtigſte Monismus, der je gedacht
worden: die Idee durchläuft zuerſt die Reihe der nothwendigen Denkformen,
dann entläßt ſie ſich in die Natur, ſetzt ſich als ein anderes gegenſtänd-
liches Leben ſich ſelber gegenüber und kehrt endlich aus dem Abfall von
der Unendlichkeit wieder frei in ſich zurück, in das Reich des Geiſtes.
So iſt denn Alles was da war und iſt und ſein wird von Ewigkeit zu
Ewigkeit nur die göttliche Vernunft in ihrer Selbſtentfaltung. In den
mächtigen Rahmen dieſes Syſtems trug Hegel nun — ein anderer Ariſto-
teles, wie ſeine Schüler rühmten — mit ungeheuerem Fleiße die Ergeb-
niſſe der geſammten Erfahrungswiſſenſchaften ſeiner Zeit hinein, dergeſtalt
daß die ganze Welt der Natur und Geſchichte ihre Stelle und Stufe an-
gewieſen erhielt in dem unendlichen Entwicklungsgange des abſoluten
Geiſtes.
In dieſer Zeit vermochte eine neue philoſophiſche Erkenntniß deutſche
Gemüther noch mit dem ganzen Zauber einer religiöſen Offenbarung zu
ergreifen; ſelbſt grobe Widerſprüche zwiſchen dem Syſteme und der Er-
fahrung ſtörten den Gläubigen nicht, weil er wußte, daß die Philoſophie
unmöglich warten kann bis zu dem Tage, der niemals tagt, bis zur Voll-
endung der empiriſchen Wiſſenſchaften. Dies Hegel’ſche Syſtem aber be-
ſaß vor allen anderen die Kraft, ſeine Schüler durch das Bewußtſein
einer untrüglichen Gewißheit zu beſeligen; denn war das Leben der Welt
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 715. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/731>, abgerufen am 22.11.2024.
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