historischen Schriften ganz nach clericaler Weise die Reformation als den Quell alles Uebels, die classische Literatur als eine schöne Verirrung, die Romantik als die Blüthe deutscher Dichtung darstellte, so klang das Alles so ritterlich treuherzig, daß selbst die Gegner ihm nicht zürnen konnten.
Unvergleichlich reicher war die Gedankenwelt, welche Friedrich Rückert als "König eines stillen Reichs von Träumen" beherrschte.
Was mir nicht gesungen ist, Ist mir nicht gelebet --
so schildert er sich selbst. Selten ist ein Dichter so ganz aufgegangen in poetischer Beschaulichkeit. Wenn er Stunden und Tage lang unter den Blumen seines Gartens umherging oder dem Gesange der Vögel lauschte oder sinnend auf der Bank am Weinbergshäuschen saß, dann wurde ihm alles Erlebte zum Gedichte, die kleinen Vorfälle im Hause so gut wie die großen Kämpfe des Vaterlandes und die Ergebnisse seiner gelehrten orientalischen Sprachforschung. Unter der Fülle von Tönen, die also un- aufhörlich der "stets gestimmten Leier" des Improvisators entrauschten, war manches leere Reimgetändel und auch die Plattheiten des hausbackenen Meistersangs fehlten nicht; erfreulich blieb es doch, wie hier die Welt verklärt wurde durch die Weisheit eines lauteren Dichtergeistes, der für die Natur nicht gefühlsselig schwärmte, sondern andächtig in und mit ihr lebte. In den lachenden Thälern des fränkischen Haßberglandes, so recht in Deutschlands warmer Mitte war er aufgewachsen, ein Sohn des Dorfs "der unter Kraut und Rube nicht gelernt hat Stadtverstand". Zwei ländliche Patriarchen, der Theolog Hohnbaum und der Freiherr von Truchseß auf der Bettenburg führten ihn zuerst auf die Höhen deut- scher Bildung. Der gewaltige Recke mit dem starkknochigen ernsten Gesicht und der flatternden Mähne fühlte sich nie wohler, als wenn er in der Mütze und dem langen groben Rocke des fränkischen Bauersmannes, den Knotenstock in der Hand, die geliebte Heimath durchwanderte; so treu wie Uhland an Schwaben hing er an seinem Franken. Er hörte wirklich was die Schwalbe sang und was die Blätter der Bäume flüsterten; er fühlte mit der sterbenden Blume, die am ewigen Flammenherzen der Welt ver- glimmt. In ihm lebte noch etwas von dem urkräftigen Natursinne jener grauen Vorzeit, da die Germanen einst die Thiere des Waldes in ihren Kämpfen und Listen belauschten, und er vergeistigte dies Naturgefühl zu einer poetischen Weltanschauung, die man mit Recht als christlichen Pantheismus bezeichnete. In allem Geschaffenen sah er die Offenbarung des liebenden All-Einen, und jedes Danklied, das aus der Lebenswonne dieser glänzenden, duftenden, klingenden Welt emporstieg, war seinem Herzen vernehmlich:
O Sonn' ich bin dein Strahl, o Ros' ich bin dein Duft, Ich bin dein Tropf' o Meer, ich bin dein Hauch, o Luft!
Nachdem Byron's farbenglühende Schilderungen und Goethe's Divan den Deutschen die Sehnsucht nach dem Orient geweckt hatten, gab Rückert
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 44
Eichendorff. Rückert.
hiſtoriſchen Schriften ganz nach clericaler Weiſe die Reformation als den Quell alles Uebels, die claſſiſche Literatur als eine ſchöne Verirrung, die Romantik als die Blüthe deutſcher Dichtung darſtellte, ſo klang das Alles ſo ritterlich treuherzig, daß ſelbſt die Gegner ihm nicht zürnen konnten.
Unvergleichlich reicher war die Gedankenwelt, welche Friedrich Rückert als „König eines ſtillen Reichs von Träumen“ beherrſchte.
Was mir nicht geſungen iſt, Iſt mir nicht gelebet —
ſo ſchildert er ſich ſelbſt. Selten iſt ein Dichter ſo ganz aufgegangen in poetiſcher Beſchaulichkeit. Wenn er Stunden und Tage lang unter den Blumen ſeines Gartens umherging oder dem Geſange der Vögel lauſchte oder ſinnend auf der Bank am Weinbergshäuschen ſaß, dann wurde ihm alles Erlebte zum Gedichte, die kleinen Vorfälle im Hauſe ſo gut wie die großen Kämpfe des Vaterlandes und die Ergebniſſe ſeiner gelehrten orientaliſchen Sprachforſchung. Unter der Fülle von Tönen, die alſo un- aufhörlich der „ſtets geſtimmten Leier“ des Improviſators entrauſchten, war manches leere Reimgetändel und auch die Plattheiten des hausbackenen Meiſterſangs fehlten nicht; erfreulich blieb es doch, wie hier die Welt verklärt wurde durch die Weisheit eines lauteren Dichtergeiſtes, der für die Natur nicht gefühlsſelig ſchwärmte, ſondern andächtig in und mit ihr lebte. In den lachenden Thälern des fränkiſchen Haßberglandes, ſo recht in Deutſchlands warmer Mitte war er aufgewachſen, ein Sohn des Dorfs „der unter Kraut und Rube nicht gelernt hat Stadtverſtand“. Zwei ländliche Patriarchen, der Theolog Hohnbaum und der Freiherr von Truchſeß auf der Bettenburg führten ihn zuerſt auf die Höhen deut- ſcher Bildung. Der gewaltige Recke mit dem ſtarkknochigen ernſten Geſicht und der flatternden Mähne fühlte ſich nie wohler, als wenn er in der Mütze und dem langen groben Rocke des fränkiſchen Bauersmannes, den Knotenſtock in der Hand, die geliebte Heimath durchwanderte; ſo treu wie Uhland an Schwaben hing er an ſeinem Franken. Er hörte wirklich was die Schwalbe ſang und was die Blätter der Bäume flüſterten; er fühlte mit der ſterbenden Blume, die am ewigen Flammenherzen der Welt ver- glimmt. In ihm lebte noch etwas von dem urkräftigen Naturſinne jener grauen Vorzeit, da die Germanen einſt die Thiere des Waldes in ihren Kämpfen und Liſten belauſchten, und er vergeiſtigte dies Naturgefühl zu einer poetiſchen Weltanſchauung, die man mit Recht als chriſtlichen Pantheismus bezeichnete. In allem Geſchaffenen ſah er die Offenbarung des liebenden All-Einen, und jedes Danklied, das aus der Lebenswonne dieſer glänzenden, duftenden, klingenden Welt emporſtieg, war ſeinem Herzen vernehmlich:
O Sonn’ ich bin dein Strahl, o Roſ’ ich bin dein Duft, Ich bin dein Tropf’ o Meer, ich bin dein Hauch, o Luft!
Nachdem Byron’s farbenglühende Schilderungen und Goethe’s Divan den Deutſchen die Sehnſucht nach dem Orient geweckt hatten, gab Rückert
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 44
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Eichendorff. Rückert.
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Quell alles Uebels, die claſſiſche Literatur als eine ſchöne Verirrung, die
Romantik als die Blüthe deutſcher Dichtung darſtellte, ſo klang das Alles
ſo ritterlich treuherzig, daß ſelbſt die Gegner ihm nicht zürnen konnten.
Unvergleichlich reicher war die Gedankenwelt, welche Friedrich Rückert
als „König eines ſtillen Reichs von Träumen“ beherrſchte.
Was mir nicht geſungen iſt,
Iſt mir nicht gelebet —
ſo ſchildert er ſich ſelbſt. Selten iſt ein Dichter ſo ganz aufgegangen in
poetiſcher Beſchaulichkeit. Wenn er Stunden und Tage lang unter den
Blumen ſeines Gartens umherging oder dem Geſange der Vögel lauſchte
oder ſinnend auf der Bank am Weinbergshäuschen ſaß, dann wurde ihm
alles Erlebte zum Gedichte, die kleinen Vorfälle im Hauſe ſo gut wie
die großen Kämpfe des Vaterlandes und die Ergebniſſe ſeiner gelehrten
orientaliſchen Sprachforſchung. Unter der Fülle von Tönen, die alſo un-
aufhörlich der „ſtets geſtimmten Leier“ des Improviſators entrauſchten,
war manches leere Reimgetändel und auch die Plattheiten des hausbackenen
Meiſterſangs fehlten nicht; erfreulich blieb es doch, wie hier die Welt
verklärt wurde durch die Weisheit eines lauteren Dichtergeiſtes, der für
die Natur nicht gefühlsſelig ſchwärmte, ſondern andächtig in und mit
ihr lebte. In den lachenden Thälern des fränkiſchen Haßberglandes, ſo
recht in Deutſchlands warmer Mitte war er aufgewachſen, ein Sohn des
Dorfs „der unter Kraut und Rube nicht gelernt hat Stadtverſtand“.
Zwei ländliche Patriarchen, der Theolog Hohnbaum und der Freiherr
von Truchſeß auf der Bettenburg führten ihn zuerſt auf die Höhen deut-
ſcher Bildung. Der gewaltige Recke mit dem ſtarkknochigen ernſten Geſicht
und der flatternden Mähne fühlte ſich nie wohler, als wenn er in der
Mütze und dem langen groben Rocke des fränkiſchen Bauersmannes, den
Knotenſtock in der Hand, die geliebte Heimath durchwanderte; ſo treu wie
Uhland an Schwaben hing er an ſeinem Franken. Er hörte wirklich was
die Schwalbe ſang und was die Blätter der Bäume flüſterten; er fühlte
mit der ſterbenden Blume, die am ewigen Flammenherzen der Welt ver-
glimmt. In ihm lebte noch etwas von dem urkräftigen Naturſinne jener
grauen Vorzeit, da die Germanen einſt die Thiere des Waldes in ihren
Kämpfen und Liſten belauſchten, und er vergeiſtigte dies Naturgefühl zu einer
poetiſchen Weltanſchauung, die man mit Recht als chriſtlichen Pantheismus
bezeichnete. In allem Geſchaffenen ſah er die Offenbarung des liebenden
All-Einen, und jedes Danklied, das aus der Lebenswonne dieſer glänzenden,
duftenden, klingenden Welt emporſtieg, war ſeinem Herzen vernehmlich:
O Sonn’ ich bin dein Strahl, o Roſ’ ich bin dein Duft,
Ich bin dein Tropf’ o Meer, ich bin dein Hauch, o Luft!
Nachdem Byron’s farbenglühende Schilderungen und Goethe’s Divan
den Deutſchen die Sehnſucht nach dem Orient geweckt hatten, gab Rückert
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 44
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 689. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/705>, abgerufen am 23.11.2024.
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