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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Trilogie der Leidenschaft.
und gestand, im Innersten erschüttert, wie ihn die Götter sein Leben lang
durch das Geschenk der Pandora geprüft hätten:

Sie drängten mich zum gabeseligen Munde,
Sie trennen mich und richten mich zu Grunde.

Die Sprüche und Gedichte, die sich wie eine Perlenschnur durch seine
alten Tage schlangen, wurden der Größe wie der Kleinheit, dem Ewigen
wie dem Vergänglichen des Menschenlebens gerecht. Er mahnte die
Brüder der Loge, sich der langen Folge der Jahrhunderte bewußt zu
bleiben, weil das Beständige der irdischen Tage uns ewigen Bestand ver-
bürge; aber er wußte auch, daß der schwache Mensch doch nur am Tage
den Tag lebt, und gab ihm jenen herzhaften Trost, der so vielen redlich
Schaffenden die Augen trocknen und die ermatteten Arme stählen sollte:

Liegt Dir gestern klar und offen,
Wirkst Du heute kräftig, frei,
Darfst auch auf ein Morgen hoffen,
Das nicht minder glücklich sei.

Goethe hatte die Genossen seiner Jugend schon alle begraben und stand
längst in dem Alter, das den Tod gelassen als eine gemeine Schickung
hinnimmt; gleichwohl fühlte er sich tief ergriffen und konnte nur in der
gewohnten Einsamkeit auf den Dornburger Schlössern den Frieden des
Gemüthes wiederfinden, als auch sein großer fürstlicher Freund vor ihm
dahinging. Karl August starb am 28. Juni 1828 auf der Rückreise von
Berlin, wo er mit jugendlicher Wißbegierde alles Neue und Schöne was
die letzten Jahre geschaffen betrachtet hatte. Die letzten Tage über mußte
Humboldt beständig um ihn sein; der greise Fürst ward nicht müde den
Gelehrten auszuforschen über die schwierigsten Fragen der Naturwissen-
schaft; hell und lauter schlugen die Flammen seiner großen Seele noch
einmal aus dem gebrechlichen Körper auf; mit Verachtung sprach er von
der erkünstelten Frömmelei dieser Tage, aber auch mit Ehrfurcht von der
menschenfreundlichen Lehre des ursprünglichen Christenthums. Dann ver-
schied er im Schlosse Graditz, die Augen der Abendsonne zugewendet.
Das alte Weimar war nicht mehr. Auch Goethe fühlte das Bedürfniß
des Alters, mit dem Vergangenen abzuschließen, und veröffentlichte seinen
Briefwechsel mit Schiller. Bald nachher, im Frühjahr 1830, ließ Wil-
helm Humboldt die Briefe erscheinen, welche er einst mit Schiller ge-
wechselt hatte, und schilderte im Vorwort die Natur des Dichters mit
congenialem Verständniß. Das junge Geschlecht war aber in neuen Sor-
gen und Kämpfen zu tief befangen um das Vermächtniß einer großen
Zeit dankbar aufzunehmen; erst in späteren, ruhigeren Tagen erkannte
die Nation, welch ein Schatz künstlerischer Weisheit in diesen Briefen lag.

Durch den Zauber der alten Erinnerungen wurde Goethe dem leben-
digen Schaffen der Gegenwart nicht entfremdet. Grillparzer und andere
junge Dichter erfreuten sich seines ermunternden Zuspruchs, und mit

Trilogie der Leidenſchaft.
und geſtand, im Innerſten erſchüttert, wie ihn die Götter ſein Leben lang
durch das Geſchenk der Pandora geprüft hätten:

Sie drängten mich zum gabeſeligen Munde,
Sie trennen mich und richten mich zu Grunde.

Die Sprüche und Gedichte, die ſich wie eine Perlenſchnur durch ſeine
alten Tage ſchlangen, wurden der Größe wie der Kleinheit, dem Ewigen
wie dem Vergänglichen des Menſchenlebens gerecht. Er mahnte die
Brüder der Loge, ſich der langen Folge der Jahrhunderte bewußt zu
bleiben, weil das Beſtändige der irdiſchen Tage uns ewigen Beſtand ver-
bürge; aber er wußte auch, daß der ſchwache Menſch doch nur am Tage
den Tag lebt, und gab ihm jenen herzhaften Troſt, der ſo vielen redlich
Schaffenden die Augen trocknen und die ermatteten Arme ſtählen ſollte:

Liegt Dir geſtern klar und offen,
Wirkſt Du heute kräftig, frei,
Darfſt auch auf ein Morgen hoffen,
Das nicht minder glücklich ſei.

Goethe hatte die Genoſſen ſeiner Jugend ſchon alle begraben und ſtand
längſt in dem Alter, das den Tod gelaſſen als eine gemeine Schickung
hinnimmt; gleichwohl fühlte er ſich tief ergriffen und konnte nur in der
gewohnten Einſamkeit auf den Dornburger Schlöſſern den Frieden des
Gemüthes wiederfinden, als auch ſein großer fürſtlicher Freund vor ihm
dahinging. Karl Auguſt ſtarb am 28. Juni 1828 auf der Rückreiſe von
Berlin, wo er mit jugendlicher Wißbegierde alles Neue und Schöne was
die letzten Jahre geſchaffen betrachtet hatte. Die letzten Tage über mußte
Humboldt beſtändig um ihn ſein; der greiſe Fürſt ward nicht müde den
Gelehrten auszuforſchen über die ſchwierigſten Fragen der Naturwiſſen-
ſchaft; hell und lauter ſchlugen die Flammen ſeiner großen Seele noch
einmal aus dem gebrechlichen Körper auf; mit Verachtung ſprach er von
der erkünſtelten Frömmelei dieſer Tage, aber auch mit Ehrfurcht von der
menſchenfreundlichen Lehre des urſprünglichen Chriſtenthums. Dann ver-
ſchied er im Schloſſe Graditz, die Augen der Abendſonne zugewendet.
Das alte Weimar war nicht mehr. Auch Goethe fühlte das Bedürfniß
des Alters, mit dem Vergangenen abzuſchließen, und veröffentlichte ſeinen
Briefwechſel mit Schiller. Bald nachher, im Frühjahr 1830, ließ Wil-
helm Humboldt die Briefe erſcheinen, welche er einſt mit Schiller ge-
wechſelt hatte, und ſchilderte im Vorwort die Natur des Dichters mit
congenialem Verſtändniß. Das junge Geſchlecht war aber in neuen Sor-
gen und Kämpfen zu tief befangen um das Vermächtniß einer großen
Zeit dankbar aufzunehmen; erſt in ſpäteren, ruhigeren Tagen erkannte
die Nation, welch ein Schatz künſtleriſcher Weisheit in dieſen Briefen lag.

Durch den Zauber der alten Erinnerungen wurde Goethe dem leben-
digen Schaffen der Gegenwart nicht entfremdet. Grillparzer und andere
junge Dichter erfreuten ſich ſeines ermunternden Zuſpruchs, und mit

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[687/0703] Trilogie der Leidenſchaft. und geſtand, im Innerſten erſchüttert, wie ihn die Götter ſein Leben lang durch das Geſchenk der Pandora geprüft hätten: Sie drängten mich zum gabeſeligen Munde, Sie trennen mich und richten mich zu Grunde. Die Sprüche und Gedichte, die ſich wie eine Perlenſchnur durch ſeine alten Tage ſchlangen, wurden der Größe wie der Kleinheit, dem Ewigen wie dem Vergänglichen des Menſchenlebens gerecht. Er mahnte die Brüder der Loge, ſich der langen Folge der Jahrhunderte bewußt zu bleiben, weil das Beſtändige der irdiſchen Tage uns ewigen Beſtand ver- bürge; aber er wußte auch, daß der ſchwache Menſch doch nur am Tage den Tag lebt, und gab ihm jenen herzhaften Troſt, der ſo vielen redlich Schaffenden die Augen trocknen und die ermatteten Arme ſtählen ſollte: Liegt Dir geſtern klar und offen, Wirkſt Du heute kräftig, frei, Darfſt auch auf ein Morgen hoffen, Das nicht minder glücklich ſei. Goethe hatte die Genoſſen ſeiner Jugend ſchon alle begraben und ſtand längſt in dem Alter, das den Tod gelaſſen als eine gemeine Schickung hinnimmt; gleichwohl fühlte er ſich tief ergriffen und konnte nur in der gewohnten Einſamkeit auf den Dornburger Schlöſſern den Frieden des Gemüthes wiederfinden, als auch ſein großer fürſtlicher Freund vor ihm dahinging. Karl Auguſt ſtarb am 28. Juni 1828 auf der Rückreiſe von Berlin, wo er mit jugendlicher Wißbegierde alles Neue und Schöne was die letzten Jahre geſchaffen betrachtet hatte. Die letzten Tage über mußte Humboldt beſtändig um ihn ſein; der greiſe Fürſt ward nicht müde den Gelehrten auszuforſchen über die ſchwierigſten Fragen der Naturwiſſen- ſchaft; hell und lauter ſchlugen die Flammen ſeiner großen Seele noch einmal aus dem gebrechlichen Körper auf; mit Verachtung ſprach er von der erkünſtelten Frömmelei dieſer Tage, aber auch mit Ehrfurcht von der menſchenfreundlichen Lehre des urſprünglichen Chriſtenthums. Dann ver- ſchied er im Schloſſe Graditz, die Augen der Abendſonne zugewendet. Das alte Weimar war nicht mehr. Auch Goethe fühlte das Bedürfniß des Alters, mit dem Vergangenen abzuſchließen, und veröffentlichte ſeinen Briefwechſel mit Schiller. Bald nachher, im Frühjahr 1830, ließ Wil- helm Humboldt die Briefe erſcheinen, welche er einſt mit Schiller ge- wechſelt hatte, und ſchilderte im Vorwort die Natur des Dichters mit congenialem Verſtändniß. Das junge Geſchlecht war aber in neuen Sor- gen und Kämpfen zu tief befangen um das Vermächtniß einer großen Zeit dankbar aufzunehmen; erſt in ſpäteren, ruhigeren Tagen erkannte die Nation, welch ein Schatz künſtleriſcher Weisheit in dieſen Briefen lag. Durch den Zauber der alten Erinnerungen wurde Goethe dem leben- digen Schaffen der Gegenwart nicht entfremdet. Grillparzer und andere junge Dichter erfreuten ſich ſeines ermunternden Zuſpruchs, und mit

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 687. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/703>, abgerufen am 22.11.2024.