Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite
III. 1. Die Wiener Conferenzen.

Zwei Jahre verbrachte er darauf im Auslande, immer in der Hoff-
nung, daß sich daheim doch ein Gefühl der Scham regen würde; und in
der That war selbst Wintzingerode über die Rachsucht der Bureaukratie
empört. Der König aber blieb unversöhnlich und erwiderte auf ein
Gnadengesuch der Gattin des Flüchtlings in seiner hochmüthigen Weise:
List's Unternehmen hätte hochgefährliche Folgen für den Staat herbei-
führen können, gleichviel ob es aus Bosheit oder aus Unverstand ent-
sprungen sei. Endlich glaubte der Vertriebene doch die Rückkehr wagen
zu dürfen, aber alsbald ward er auf den Hohenasperg abgeführt und
dort zu literarischen Zwangsarbeiten -- das will sagen: zum Abschreiben
militärischer Bekleidungs-Akten -- angehalten. Erst zu Anfang 1825
gab man ihn frei, unter der Bedingung, daß er auf sein Bürgerrecht
verzichtete und das Land sofort verließ. Also ward der ideenreichste politische
Kopf, welchen Süddeutschland zur Zeit besaß, von seinen Landsleuten
verbannt -- auch er, gleich so vielen anderen großen Schwaben, ein
Opfer der kleinlichen Zustände seiner Heimath. Ein strenges und doch
gütiges Geschick warf den ungestümen Agitator zur rechten Zeit in den
mächtigen Weltverkehr Amerikas hinaus, so daß er späterhin nach erfah-
rungsreichen Wanderjahren heimkehrend die kleinstädtische deutsche Welt
mit einer Fülle neuer Gedanken befruchten konnte. Der schimpfliche Vor-
fall fand in Deutschland wenig Beachtung; denn List hatte keine Partei
hinter sich, es lag im Wesen dieses Feuergeistes, daß er immer nur kühne
Pläne anregen, nur der Zukunft die Wege weisen konnte; und die libe-
rale Presse verweilte ungern bei der lästigen Thatsache, daß der freisin-
nigste deutsche Fürst mit Genehmigung seines Landtags einen hochherzigen
Patrioten mit einer Grausamkeit peinigte, welche den Sünden der Ber-
liner und der Mainzer Demagogenverfolger nichts nachgab.

Für die Entwicklung des württembergischen Verfassungslebens wurde
die Ausstoßung List's auf Jahre hinaus verhängnißvoll. Nichts kettet
die Menschen fester an einander, als gemeinsam begangenes Unrecht.
Durch die Mißhandlung ihres Genossen hatte die Mehrzahl der Abgeord-
neten dem Minister ihre Seele verschrieben; die Minderheit war entmu-
thigt, die schwachen Regungen eigenen Willens, die sich im Anfange der
Session noch gezeigt, verstummten allmählich. Der Landtag versank in
ein gemächliches Stillleben, und im Volke nahm die Gleichgiltigkeit der-
maßen überhand, daß die Regierung sich bald genöthigt sah, die Wähler
durch Taggelder und Strafdrohungen zur Ausübung ihres Wahlrechts
anzuhalten. Von den überschwänglichen Freiheitswünschen, welche einst
das Erscheinen der Verfassung begrüßt hatten, ging wenig in Erfüllung.
Aber für die materiellen Interessen sorgte der König so einsichtig, daß selbst
der liberale Wangenheim und sein Freund Geh. Rath Hartmann an dem
gescheidten und energischen Fürsten niemals ganz irr wurden; und min-
destens eine der Segnungen, welche dies unschuldige Zeitalter von dem

III. 1. Die Wiener Conferenzen.

Zwei Jahre verbrachte er darauf im Auslande, immer in der Hoff-
nung, daß ſich daheim doch ein Gefühl der Scham regen würde; und in
der That war ſelbſt Wintzingerode über die Rachſucht der Bureaukratie
empört. Der König aber blieb unverſöhnlich und erwiderte auf ein
Gnadengeſuch der Gattin des Flüchtlings in ſeiner hochmüthigen Weiſe:
Liſt’s Unternehmen hätte hochgefährliche Folgen für den Staat herbei-
führen können, gleichviel ob es aus Bosheit oder aus Unverſtand ent-
ſprungen ſei. Endlich glaubte der Vertriebene doch die Rückkehr wagen
zu dürfen, aber alsbald ward er auf den Hohenasperg abgeführt und
dort zu literariſchen Zwangsarbeiten — das will ſagen: zum Abſchreiben
militäriſcher Bekleidungs-Akten — angehalten. Erſt zu Anfang 1825
gab man ihn frei, unter der Bedingung, daß er auf ſein Bürgerrecht
verzichtete und das Land ſofort verließ. Alſo ward der ideenreichſte politiſche
Kopf, welchen Süddeutſchland zur Zeit beſaß, von ſeinen Landsleuten
verbannt — auch er, gleich ſo vielen anderen großen Schwaben, ein
Opfer der kleinlichen Zuſtände ſeiner Heimath. Ein ſtrenges und doch
gütiges Geſchick warf den ungeſtümen Agitator zur rechten Zeit in den
mächtigen Weltverkehr Amerikas hinaus, ſo daß er ſpäterhin nach erfah-
rungsreichen Wanderjahren heimkehrend die kleinſtädtiſche deutſche Welt
mit einer Fülle neuer Gedanken befruchten konnte. Der ſchimpfliche Vor-
fall fand in Deutſchland wenig Beachtung; denn Liſt hatte keine Partei
hinter ſich, es lag im Weſen dieſes Feuergeiſtes, daß er immer nur kühne
Pläne anregen, nur der Zukunft die Wege weiſen konnte; und die libe-
rale Preſſe verweilte ungern bei der läſtigen Thatſache, daß der freiſin-
nigſte deutſche Fürſt mit Genehmigung ſeines Landtags einen hochherzigen
Patrioten mit einer Grauſamkeit peinigte, welche den Sünden der Ber-
liner und der Mainzer Demagogenverfolger nichts nachgab.

Für die Entwicklung des württembergiſchen Verfaſſungslebens wurde
die Ausſtoßung Liſt’s auf Jahre hinaus verhängnißvoll. Nichts kettet
die Menſchen feſter an einander, als gemeinſam begangenes Unrecht.
Durch die Mißhandlung ihres Genoſſen hatte die Mehrzahl der Abgeord-
neten dem Miniſter ihre Seele verſchrieben; die Minderheit war entmu-
thigt, die ſchwachen Regungen eigenen Willens, die ſich im Anfange der
Seſſion noch gezeigt, verſtummten allmählich. Der Landtag verſank in
ein gemächliches Stillleben, und im Volke nahm die Gleichgiltigkeit der-
maßen überhand, daß die Regierung ſich bald genöthigt ſah, die Wähler
durch Taggelder und Strafdrohungen zur Ausübung ihres Wahlrechts
anzuhalten. Von den überſchwänglichen Freiheitswünſchen, welche einſt
das Erſcheinen der Verfaſſung begrüßt hatten, ging wenig in Erfüllung.
Aber für die materiellen Intereſſen ſorgte der König ſo einſichtig, daß ſelbſt
der liberale Wangenheim und ſein Freund Geh. Rath Hartmann an dem
geſcheidten und energiſchen Fürſten niemals ganz irr wurden; und min-
deſtens eine der Segnungen, welche dies unſchuldige Zeitalter von dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0070" n="54"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 1. Die Wiener Conferenzen.</fw><lb/>
          <p>Zwei Jahre verbrachte er darauf im Auslande, immer in der Hoff-<lb/>
nung, daß &#x017F;ich daheim doch ein Gefühl der Scham regen würde; und in<lb/>
der That war &#x017F;elb&#x017F;t Wintzingerode über die Rach&#x017F;ucht der Bureaukratie<lb/>
empört. Der König aber blieb unver&#x017F;öhnlich und erwiderte auf ein<lb/>
Gnadenge&#x017F;uch der Gattin des Flüchtlings in &#x017F;einer hochmüthigen Wei&#x017F;e:<lb/>
Li&#x017F;t&#x2019;s Unternehmen hätte hochgefährliche Folgen für den Staat herbei-<lb/>
führen können, gleichviel ob es aus Bosheit oder aus Unver&#x017F;tand ent-<lb/>
&#x017F;prungen &#x017F;ei. Endlich glaubte der Vertriebene doch die Rückkehr wagen<lb/>
zu dürfen, aber alsbald ward er auf den Hohenasperg abgeführt und<lb/>
dort zu literari&#x017F;chen Zwangsarbeiten &#x2014; das will &#x017F;agen: zum Ab&#x017F;chreiben<lb/>
militäri&#x017F;cher Bekleidungs-Akten &#x2014; angehalten. Er&#x017F;t zu Anfang 1825<lb/>
gab man ihn frei, unter der Bedingung, daß er auf &#x017F;ein Bürgerrecht<lb/>
verzichtete und das Land &#x017F;ofort verließ. Al&#x017F;o ward der ideenreich&#x017F;te politi&#x017F;che<lb/>
Kopf, welchen Süddeut&#x017F;chland zur Zeit be&#x017F;aß, von &#x017F;einen Landsleuten<lb/>
verbannt &#x2014; auch er, gleich &#x017F;o vielen anderen großen Schwaben, ein<lb/>
Opfer der kleinlichen Zu&#x017F;tände &#x017F;einer Heimath. Ein &#x017F;trenges und doch<lb/>
gütiges Ge&#x017F;chick warf den unge&#x017F;tümen Agitator zur rechten Zeit in den<lb/>
mächtigen Weltverkehr Amerikas hinaus, &#x017F;o daß er &#x017F;päterhin nach erfah-<lb/>
rungsreichen Wanderjahren heimkehrend die klein&#x017F;tädti&#x017F;che deut&#x017F;che Welt<lb/>
mit einer Fülle neuer Gedanken befruchten konnte. Der &#x017F;chimpfliche Vor-<lb/>
fall fand in Deut&#x017F;chland wenig Beachtung; denn Li&#x017F;t hatte keine Partei<lb/>
hinter &#x017F;ich, es lag im We&#x017F;en die&#x017F;es Feuergei&#x017F;tes, daß er immer nur kühne<lb/>
Pläne anregen, nur der Zukunft die Wege wei&#x017F;en konnte; und die libe-<lb/>
rale Pre&#x017F;&#x017F;e verweilte ungern bei der lä&#x017F;tigen That&#x017F;ache, daß der frei&#x017F;in-<lb/>
nig&#x017F;te deut&#x017F;che Für&#x017F;t mit Genehmigung &#x017F;eines Landtags einen hochherzigen<lb/>
Patrioten mit einer Grau&#x017F;amkeit peinigte, welche den Sünden der Ber-<lb/>
liner und der Mainzer Demagogenverfolger nichts nachgab.</p><lb/>
          <p>Für die Entwicklung des württembergi&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ungslebens wurde<lb/>
die Aus&#x017F;toßung Li&#x017F;t&#x2019;s auf Jahre hinaus verhängnißvoll. Nichts kettet<lb/>
die Men&#x017F;chen fe&#x017F;ter an einander, als gemein&#x017F;am begangenes Unrecht.<lb/>
Durch die Mißhandlung ihres Geno&#x017F;&#x017F;en hatte die Mehrzahl der Abgeord-<lb/>
neten dem Mini&#x017F;ter ihre Seele ver&#x017F;chrieben; die Minderheit war entmu-<lb/>
thigt, die &#x017F;chwachen Regungen eigenen Willens, die &#x017F;ich im Anfange der<lb/>
Se&#x017F;&#x017F;ion noch gezeigt, ver&#x017F;tummten allmählich. Der Landtag ver&#x017F;ank in<lb/>
ein gemächliches Stillleben, und im Volke nahm die Gleichgiltigkeit der-<lb/>
maßen überhand, daß die Regierung &#x017F;ich bald genöthigt &#x017F;ah, die Wähler<lb/>
durch Taggelder und Strafdrohungen zur Ausübung ihres Wahlrechts<lb/>
anzuhalten. Von den über&#x017F;chwänglichen Freiheitswün&#x017F;chen, welche ein&#x017F;t<lb/>
das Er&#x017F;cheinen der Verfa&#x017F;&#x017F;ung begrüßt hatten, ging wenig in Erfüllung.<lb/>
Aber für die materiellen Intere&#x017F;&#x017F;en &#x017F;orgte der König &#x017F;o ein&#x017F;ichtig, daß &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
der liberale Wangenheim und &#x017F;ein Freund Geh. Rath Hartmann an dem<lb/>
ge&#x017F;cheidten und energi&#x017F;chen Für&#x017F;ten niemals ganz irr wurden; und min-<lb/>
de&#x017F;tens eine der Segnungen, welche dies un&#x017F;chuldige Zeitalter von dem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0070] III. 1. Die Wiener Conferenzen. Zwei Jahre verbrachte er darauf im Auslande, immer in der Hoff- nung, daß ſich daheim doch ein Gefühl der Scham regen würde; und in der That war ſelbſt Wintzingerode über die Rachſucht der Bureaukratie empört. Der König aber blieb unverſöhnlich und erwiderte auf ein Gnadengeſuch der Gattin des Flüchtlings in ſeiner hochmüthigen Weiſe: Liſt’s Unternehmen hätte hochgefährliche Folgen für den Staat herbei- führen können, gleichviel ob es aus Bosheit oder aus Unverſtand ent- ſprungen ſei. Endlich glaubte der Vertriebene doch die Rückkehr wagen zu dürfen, aber alsbald ward er auf den Hohenasperg abgeführt und dort zu literariſchen Zwangsarbeiten — das will ſagen: zum Abſchreiben militäriſcher Bekleidungs-Akten — angehalten. Erſt zu Anfang 1825 gab man ihn frei, unter der Bedingung, daß er auf ſein Bürgerrecht verzichtete und das Land ſofort verließ. Alſo ward der ideenreichſte politiſche Kopf, welchen Süddeutſchland zur Zeit beſaß, von ſeinen Landsleuten verbannt — auch er, gleich ſo vielen anderen großen Schwaben, ein Opfer der kleinlichen Zuſtände ſeiner Heimath. Ein ſtrenges und doch gütiges Geſchick warf den ungeſtümen Agitator zur rechten Zeit in den mächtigen Weltverkehr Amerikas hinaus, ſo daß er ſpäterhin nach erfah- rungsreichen Wanderjahren heimkehrend die kleinſtädtiſche deutſche Welt mit einer Fülle neuer Gedanken befruchten konnte. Der ſchimpfliche Vor- fall fand in Deutſchland wenig Beachtung; denn Liſt hatte keine Partei hinter ſich, es lag im Weſen dieſes Feuergeiſtes, daß er immer nur kühne Pläne anregen, nur der Zukunft die Wege weiſen konnte; und die libe- rale Preſſe verweilte ungern bei der läſtigen Thatſache, daß der freiſin- nigſte deutſche Fürſt mit Genehmigung ſeines Landtags einen hochherzigen Patrioten mit einer Grauſamkeit peinigte, welche den Sünden der Ber- liner und der Mainzer Demagogenverfolger nichts nachgab. Für die Entwicklung des württembergiſchen Verfaſſungslebens wurde die Ausſtoßung Liſt’s auf Jahre hinaus verhängnißvoll. Nichts kettet die Menſchen feſter an einander, als gemeinſam begangenes Unrecht. Durch die Mißhandlung ihres Genoſſen hatte die Mehrzahl der Abgeord- neten dem Miniſter ihre Seele verſchrieben; die Minderheit war entmu- thigt, die ſchwachen Regungen eigenen Willens, die ſich im Anfange der Seſſion noch gezeigt, verſtummten allmählich. Der Landtag verſank in ein gemächliches Stillleben, und im Volke nahm die Gleichgiltigkeit der- maßen überhand, daß die Regierung ſich bald genöthigt ſah, die Wähler durch Taggelder und Strafdrohungen zur Ausübung ihres Wahlrechts anzuhalten. Von den überſchwänglichen Freiheitswünſchen, welche einſt das Erſcheinen der Verfaſſung begrüßt hatten, ging wenig in Erfüllung. Aber für die materiellen Intereſſen ſorgte der König ſo einſichtig, daß ſelbſt der liberale Wangenheim und ſein Freund Geh. Rath Hartmann an dem geſcheidten und energiſchen Fürſten niemals ganz irr wurden; und min- deſtens eine der Segnungen, welche dies unſchuldige Zeitalter von dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/70
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/70>, abgerufen am 24.11.2024.