Zwei Jahre verbrachte er darauf im Auslande, immer in der Hoff- nung, daß sich daheim doch ein Gefühl der Scham regen würde; und in der That war selbst Wintzingerode über die Rachsucht der Bureaukratie empört. Der König aber blieb unversöhnlich und erwiderte auf ein Gnadengesuch der Gattin des Flüchtlings in seiner hochmüthigen Weise: List's Unternehmen hätte hochgefährliche Folgen für den Staat herbei- führen können, gleichviel ob es aus Bosheit oder aus Unverstand ent- sprungen sei. Endlich glaubte der Vertriebene doch die Rückkehr wagen zu dürfen, aber alsbald ward er auf den Hohenasperg abgeführt und dort zu literarischen Zwangsarbeiten -- das will sagen: zum Abschreiben militärischer Bekleidungs-Akten -- angehalten. Erst zu Anfang 1825 gab man ihn frei, unter der Bedingung, daß er auf sein Bürgerrecht verzichtete und das Land sofort verließ. Also ward der ideenreichste politische Kopf, welchen Süddeutschland zur Zeit besaß, von seinen Landsleuten verbannt -- auch er, gleich so vielen anderen großen Schwaben, ein Opfer der kleinlichen Zustände seiner Heimath. Ein strenges und doch gütiges Geschick warf den ungestümen Agitator zur rechten Zeit in den mächtigen Weltverkehr Amerikas hinaus, so daß er späterhin nach erfah- rungsreichen Wanderjahren heimkehrend die kleinstädtische deutsche Welt mit einer Fülle neuer Gedanken befruchten konnte. Der schimpfliche Vor- fall fand in Deutschland wenig Beachtung; denn List hatte keine Partei hinter sich, es lag im Wesen dieses Feuergeistes, daß er immer nur kühne Pläne anregen, nur der Zukunft die Wege weisen konnte; und die libe- rale Presse verweilte ungern bei der lästigen Thatsache, daß der freisin- nigste deutsche Fürst mit Genehmigung seines Landtags einen hochherzigen Patrioten mit einer Grausamkeit peinigte, welche den Sünden der Ber- liner und der Mainzer Demagogenverfolger nichts nachgab.
Für die Entwicklung des württembergischen Verfassungslebens wurde die Ausstoßung List's auf Jahre hinaus verhängnißvoll. Nichts kettet die Menschen fester an einander, als gemeinsam begangenes Unrecht. Durch die Mißhandlung ihres Genossen hatte die Mehrzahl der Abgeord- neten dem Minister ihre Seele verschrieben; die Minderheit war entmu- thigt, die schwachen Regungen eigenen Willens, die sich im Anfange der Session noch gezeigt, verstummten allmählich. Der Landtag versank in ein gemächliches Stillleben, und im Volke nahm die Gleichgiltigkeit der- maßen überhand, daß die Regierung sich bald genöthigt sah, die Wähler durch Taggelder und Strafdrohungen zur Ausübung ihres Wahlrechts anzuhalten. Von den überschwänglichen Freiheitswünschen, welche einst das Erscheinen der Verfassung begrüßt hatten, ging wenig in Erfüllung. Aber für die materiellen Interessen sorgte der König so einsichtig, daß selbst der liberale Wangenheim und sein Freund Geh. Rath Hartmann an dem gescheidten und energischen Fürsten niemals ganz irr wurden; und min- destens eine der Segnungen, welche dies unschuldige Zeitalter von dem
III. 1. Die Wiener Conferenzen.
Zwei Jahre verbrachte er darauf im Auslande, immer in der Hoff- nung, daß ſich daheim doch ein Gefühl der Scham regen würde; und in der That war ſelbſt Wintzingerode über die Rachſucht der Bureaukratie empört. Der König aber blieb unverſöhnlich und erwiderte auf ein Gnadengeſuch der Gattin des Flüchtlings in ſeiner hochmüthigen Weiſe: Liſt’s Unternehmen hätte hochgefährliche Folgen für den Staat herbei- führen können, gleichviel ob es aus Bosheit oder aus Unverſtand ent- ſprungen ſei. Endlich glaubte der Vertriebene doch die Rückkehr wagen zu dürfen, aber alsbald ward er auf den Hohenasperg abgeführt und dort zu literariſchen Zwangsarbeiten — das will ſagen: zum Abſchreiben militäriſcher Bekleidungs-Akten — angehalten. Erſt zu Anfang 1825 gab man ihn frei, unter der Bedingung, daß er auf ſein Bürgerrecht verzichtete und das Land ſofort verließ. Alſo ward der ideenreichſte politiſche Kopf, welchen Süddeutſchland zur Zeit beſaß, von ſeinen Landsleuten verbannt — auch er, gleich ſo vielen anderen großen Schwaben, ein Opfer der kleinlichen Zuſtände ſeiner Heimath. Ein ſtrenges und doch gütiges Geſchick warf den ungeſtümen Agitator zur rechten Zeit in den mächtigen Weltverkehr Amerikas hinaus, ſo daß er ſpäterhin nach erfah- rungsreichen Wanderjahren heimkehrend die kleinſtädtiſche deutſche Welt mit einer Fülle neuer Gedanken befruchten konnte. Der ſchimpfliche Vor- fall fand in Deutſchland wenig Beachtung; denn Liſt hatte keine Partei hinter ſich, es lag im Weſen dieſes Feuergeiſtes, daß er immer nur kühne Pläne anregen, nur der Zukunft die Wege weiſen konnte; und die libe- rale Preſſe verweilte ungern bei der läſtigen Thatſache, daß der freiſin- nigſte deutſche Fürſt mit Genehmigung ſeines Landtags einen hochherzigen Patrioten mit einer Grauſamkeit peinigte, welche den Sünden der Ber- liner und der Mainzer Demagogenverfolger nichts nachgab.
Für die Entwicklung des württembergiſchen Verfaſſungslebens wurde die Ausſtoßung Liſt’s auf Jahre hinaus verhängnißvoll. Nichts kettet die Menſchen feſter an einander, als gemeinſam begangenes Unrecht. Durch die Mißhandlung ihres Genoſſen hatte die Mehrzahl der Abgeord- neten dem Miniſter ihre Seele verſchrieben; die Minderheit war entmu- thigt, die ſchwachen Regungen eigenen Willens, die ſich im Anfange der Seſſion noch gezeigt, verſtummten allmählich. Der Landtag verſank in ein gemächliches Stillleben, und im Volke nahm die Gleichgiltigkeit der- maßen überhand, daß die Regierung ſich bald genöthigt ſah, die Wähler durch Taggelder und Strafdrohungen zur Ausübung ihres Wahlrechts anzuhalten. Von den überſchwänglichen Freiheitswünſchen, welche einſt das Erſcheinen der Verfaſſung begrüßt hatten, ging wenig in Erfüllung. Aber für die materiellen Intereſſen ſorgte der König ſo einſichtig, daß ſelbſt der liberale Wangenheim und ſein Freund Geh. Rath Hartmann an dem geſcheidten und energiſchen Fürſten niemals ganz irr wurden; und min- deſtens eine der Segnungen, welche dies unſchuldige Zeitalter von dem
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III. 1. Die Wiener Conferenzen.
Zwei Jahre verbrachte er darauf im Auslande, immer in der Hoff-
nung, daß ſich daheim doch ein Gefühl der Scham regen würde; und in
der That war ſelbſt Wintzingerode über die Rachſucht der Bureaukratie
empört. Der König aber blieb unverſöhnlich und erwiderte auf ein
Gnadengeſuch der Gattin des Flüchtlings in ſeiner hochmüthigen Weiſe:
Liſt’s Unternehmen hätte hochgefährliche Folgen für den Staat herbei-
führen können, gleichviel ob es aus Bosheit oder aus Unverſtand ent-
ſprungen ſei. Endlich glaubte der Vertriebene doch die Rückkehr wagen
zu dürfen, aber alsbald ward er auf den Hohenasperg abgeführt und
dort zu literariſchen Zwangsarbeiten — das will ſagen: zum Abſchreiben
militäriſcher Bekleidungs-Akten — angehalten. Erſt zu Anfang 1825
gab man ihn frei, unter der Bedingung, daß er auf ſein Bürgerrecht
verzichtete und das Land ſofort verließ. Alſo ward der ideenreichſte politiſche
Kopf, welchen Süddeutſchland zur Zeit beſaß, von ſeinen Landsleuten
verbannt — auch er, gleich ſo vielen anderen großen Schwaben, ein
Opfer der kleinlichen Zuſtände ſeiner Heimath. Ein ſtrenges und doch
gütiges Geſchick warf den ungeſtümen Agitator zur rechten Zeit in den
mächtigen Weltverkehr Amerikas hinaus, ſo daß er ſpäterhin nach erfah-
rungsreichen Wanderjahren heimkehrend die kleinſtädtiſche deutſche Welt
mit einer Fülle neuer Gedanken befruchten konnte. Der ſchimpfliche Vor-
fall fand in Deutſchland wenig Beachtung; denn Liſt hatte keine Partei
hinter ſich, es lag im Weſen dieſes Feuergeiſtes, daß er immer nur kühne
Pläne anregen, nur der Zukunft die Wege weiſen konnte; und die libe-
rale Preſſe verweilte ungern bei der läſtigen Thatſache, daß der freiſin-
nigſte deutſche Fürſt mit Genehmigung ſeines Landtags einen hochherzigen
Patrioten mit einer Grauſamkeit peinigte, welche den Sünden der Ber-
liner und der Mainzer Demagogenverfolger nichts nachgab.
Für die Entwicklung des württembergiſchen Verfaſſungslebens wurde
die Ausſtoßung Liſt’s auf Jahre hinaus verhängnißvoll. Nichts kettet
die Menſchen feſter an einander, als gemeinſam begangenes Unrecht.
Durch die Mißhandlung ihres Genoſſen hatte die Mehrzahl der Abgeord-
neten dem Miniſter ihre Seele verſchrieben; die Minderheit war entmu-
thigt, die ſchwachen Regungen eigenen Willens, die ſich im Anfange der
Seſſion noch gezeigt, verſtummten allmählich. Der Landtag verſank in
ein gemächliches Stillleben, und im Volke nahm die Gleichgiltigkeit der-
maßen überhand, daß die Regierung ſich bald genöthigt ſah, die Wähler
durch Taggelder und Strafdrohungen zur Ausübung ihres Wahlrechts
anzuhalten. Von den überſchwänglichen Freiheitswünſchen, welche einſt
das Erſcheinen der Verfaſſung begrüßt hatten, ging wenig in Erfüllung.
Aber für die materiellen Intereſſen ſorgte der König ſo einſichtig, daß ſelbſt
der liberale Wangenheim und ſein Freund Geh. Rath Hartmann an dem
geſcheidten und energiſchen Fürſten niemals ganz irr wurden; und min-
deſtens eine der Segnungen, welche dies unſchuldige Zeitalter von dem
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/70>, abgerufen am 24.11.2024.
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