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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Auflockerung des mitteldeutschen Handelsvereins.
sonst ein unmittelbares Interesse an solchen Verhandlungen, sondern nur
das eine Interesse, "daß dadurch eine engere Verbindung zwischen den
deutschen Völkern begründet und durch diese ein neuer Segen über Deutsch-
land und dessen einzelne Staaten verbreitet werde. Wird dabei der
Grundsatz befolgt, solche gemeinschaftliche Maßregeln zu verabreden, wo-
durch nur in dem eigenen Gebiet bisher bestandene Hemmungen im
gegenseitigen Verhältniß zu einander aufgehoben und keine neuen zur
Störung des Verkehrs mit anderen Staaten angeordnet werden, so kann
sich Niemand über eine Vereinigung, welche auf einer solchen Grundlage
errichtet wird, beschweren. Jede solche Vereinigung bildet vielmehr den
Uebergang zu einer neuen; und in einer solchen praktisch fortschreitenden
Entwicklung, welche keinem feindseligen Prinzip Raum giebt, läßt sich
hoffen, daß allmählich das Problem einer gegenseitigen Freiheit des Ver-
kehrs zwischen den deutschen Staaten in dem größtmöglichen Umfange,
welchen überhaupt die Natur der Verhältnisse gestattet, gelöst werde."*)
Hannover suchte noch einige unwahre Entschuldigungen vorzubringen, doch
allein mit dem Berliner Hofe zu verhandeln war dem Welfenstolze un-
möglich.

Sachsen und Kurhessen unterließen nunmehr jede Anfrage; indeß
konnte sich der Dresdener Hof eine Rechtfertigung seiner Handelspolitik
nicht versagen. Geh. Rath v. Könneritz -- in späteren Jahren als Mi-
nister eine Säule der hochconservativen Partei -- verfaßte eine Denk-
schrift im kursächsischen Curialstile und wiederholte darin die alten hundert-
mal wiederlegten Anklagen gegen das preußische Zollsystem. Dann ver-
sicherte "Man annoch fordersamst": der mitteldeutsche Verein sei "eine
völkerrechtlich vollkommen statthafte und in der Staatengeschichte gar nicht
ungewöhnliche Uebereinkunft mehrerer souveräner Staaten, eine zur Rettung
der dem hiesigen Lande unentbehrlichen Nahrungszweige, des Fabrikwesens
und des Handels, nothwendig bedungene Maßregel" -- und sprach sein
Befremden aus, daß Preußen dieser unschuldigen Verbindung entgegen-
arbeite. Motz, von Eichhorn befragt, ob eine Verhandlung mit Sachsen
räthlich sei, erwiderte: "Sachsen gewinnt durch eine Zollvereinigung mit
Preußen in allen Beziehungen vorzugsweise, und Preußen kann dieselbe
mehr nur in politischer, weniger in finanzieller Beziehung wünschen. Auch
die politischen Vortheile sind mehr in der hierdurch geförderten Einigung
von Deutschland als in dem besonderen Anschluß von Sachsen an Preu-
ßen zu suchen. Sachsen kann freundlicher, rücksichsvoller Verhandlungen
gewärtig sein, wenn es seine mitteldeutschen Verpflichtungen aufgiebt, deren
Dauer den Anschluß an das preußische Zollsystem geradezu verhindert.
Herr v. Könneritz gehört zu den beschränkten einseitigen Köpfen, deren
Belehrung, wenn man auch Zeit daran wenden wollte, ebenso unfruchtbar

*) Das hannov. Cabinetsministerium an Bernstorff, 14. Aug. Antwort 31. Okt. 1829.

Auflockerung des mitteldeutſchen Handelsvereins.
ſonſt ein unmittelbares Intereſſe an ſolchen Verhandlungen, ſondern nur
das eine Intereſſe, „daß dadurch eine engere Verbindung zwiſchen den
deutſchen Völkern begründet und durch dieſe ein neuer Segen über Deutſch-
land und deſſen einzelne Staaten verbreitet werde. Wird dabei der
Grundſatz befolgt, ſolche gemeinſchaftliche Maßregeln zu verabreden, wo-
durch nur in dem eigenen Gebiet bisher beſtandene Hemmungen im
gegenſeitigen Verhältniß zu einander aufgehoben und keine neuen zur
Störung des Verkehrs mit anderen Staaten angeordnet werden, ſo kann
ſich Niemand über eine Vereinigung, welche auf einer ſolchen Grundlage
errichtet wird, beſchweren. Jede ſolche Vereinigung bildet vielmehr den
Uebergang zu einer neuen; und in einer ſolchen praktiſch fortſchreitenden
Entwicklung, welche keinem feindſeligen Prinzip Raum giebt, läßt ſich
hoffen, daß allmählich das Problem einer gegenſeitigen Freiheit des Ver-
kehrs zwiſchen den deutſchen Staaten in dem größtmöglichen Umfange,
welchen überhaupt die Natur der Verhältniſſe geſtattet, gelöſt werde.“*)
Hannover ſuchte noch einige unwahre Entſchuldigungen vorzubringen, doch
allein mit dem Berliner Hofe zu verhandeln war dem Welfenſtolze un-
möglich.

Sachſen und Kurheſſen unterließen nunmehr jede Anfrage; indeß
konnte ſich der Dresdener Hof eine Rechtfertigung ſeiner Handelspolitik
nicht verſagen. Geh. Rath v. Könneritz — in ſpäteren Jahren als Mi-
niſter eine Säule der hochconſervativen Partei — verfaßte eine Denk-
ſchrift im kurſächſiſchen Curialſtile und wiederholte darin die alten hundert-
mal wiederlegten Anklagen gegen das preußiſche Zollſyſtem. Dann ver-
ſicherte „Man annoch forderſamſt“: der mitteldeutſche Verein ſei „eine
völkerrechtlich vollkommen ſtatthafte und in der Staatengeſchichte gar nicht
ungewöhnliche Uebereinkunft mehrerer ſouveräner Staaten, eine zur Rettung
der dem hieſigen Lande unentbehrlichen Nahrungszweige, des Fabrikweſens
und des Handels, nothwendig bedungene Maßregel“ — und ſprach ſein
Befremden aus, daß Preußen dieſer unſchuldigen Verbindung entgegen-
arbeite. Motz, von Eichhorn befragt, ob eine Verhandlung mit Sachſen
räthlich ſei, erwiderte: „Sachſen gewinnt durch eine Zollvereinigung mit
Preußen in allen Beziehungen vorzugsweiſe, und Preußen kann dieſelbe
mehr nur in politiſcher, weniger in finanzieller Beziehung wünſchen. Auch
die politiſchen Vortheile ſind mehr in der hierdurch geförderten Einigung
von Deutſchland als in dem beſonderen Anſchluß von Sachſen an Preu-
ßen zu ſuchen. Sachſen kann freundlicher, rückſichsvoller Verhandlungen
gewärtig ſein, wenn es ſeine mitteldeutſchen Verpflichtungen aufgiebt, deren
Dauer den Anſchluß an das preußiſche Zollſyſtem geradezu verhindert.
Herr v. Könneritz gehört zu den beſchränkten einſeitigen Köpfen, deren
Belehrung, wenn man auch Zeit daran wenden wollte, ebenſo unfruchtbar

*) Das hannov. Cabinetsminiſterium an Bernſtorff, 14. Aug. Antwort 31. Okt. 1829.
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[679/0695] Auflockerung des mitteldeutſchen Handelsvereins. ſonſt ein unmittelbares Intereſſe an ſolchen Verhandlungen, ſondern nur das eine Intereſſe, „daß dadurch eine engere Verbindung zwiſchen den deutſchen Völkern begründet und durch dieſe ein neuer Segen über Deutſch- land und deſſen einzelne Staaten verbreitet werde. Wird dabei der Grundſatz befolgt, ſolche gemeinſchaftliche Maßregeln zu verabreden, wo- durch nur in dem eigenen Gebiet bisher beſtandene Hemmungen im gegenſeitigen Verhältniß zu einander aufgehoben und keine neuen zur Störung des Verkehrs mit anderen Staaten angeordnet werden, ſo kann ſich Niemand über eine Vereinigung, welche auf einer ſolchen Grundlage errichtet wird, beſchweren. Jede ſolche Vereinigung bildet vielmehr den Uebergang zu einer neuen; und in einer ſolchen praktiſch fortſchreitenden Entwicklung, welche keinem feindſeligen Prinzip Raum giebt, läßt ſich hoffen, daß allmählich das Problem einer gegenſeitigen Freiheit des Ver- kehrs zwiſchen den deutſchen Staaten in dem größtmöglichen Umfange, welchen überhaupt die Natur der Verhältniſſe geſtattet, gelöſt werde.“ *) Hannover ſuchte noch einige unwahre Entſchuldigungen vorzubringen, doch allein mit dem Berliner Hofe zu verhandeln war dem Welfenſtolze un- möglich. Sachſen und Kurheſſen unterließen nunmehr jede Anfrage; indeß konnte ſich der Dresdener Hof eine Rechtfertigung ſeiner Handelspolitik nicht verſagen. Geh. Rath v. Könneritz — in ſpäteren Jahren als Mi- niſter eine Säule der hochconſervativen Partei — verfaßte eine Denk- ſchrift im kurſächſiſchen Curialſtile und wiederholte darin die alten hundert- mal wiederlegten Anklagen gegen das preußiſche Zollſyſtem. Dann ver- ſicherte „Man annoch forderſamſt“: der mitteldeutſche Verein ſei „eine völkerrechtlich vollkommen ſtatthafte und in der Staatengeſchichte gar nicht ungewöhnliche Uebereinkunft mehrerer ſouveräner Staaten, eine zur Rettung der dem hieſigen Lande unentbehrlichen Nahrungszweige, des Fabrikweſens und des Handels, nothwendig bedungene Maßregel“ — und ſprach ſein Befremden aus, daß Preußen dieſer unſchuldigen Verbindung entgegen- arbeite. Motz, von Eichhorn befragt, ob eine Verhandlung mit Sachſen räthlich ſei, erwiderte: „Sachſen gewinnt durch eine Zollvereinigung mit Preußen in allen Beziehungen vorzugsweiſe, und Preußen kann dieſelbe mehr nur in politiſcher, weniger in finanzieller Beziehung wünſchen. Auch die politiſchen Vortheile ſind mehr in der hierdurch geförderten Einigung von Deutſchland als in dem beſonderen Anſchluß von Sachſen an Preu- ßen zu ſuchen. Sachſen kann freundlicher, rückſichsvoller Verhandlungen gewärtig ſein, wenn es ſeine mitteldeutſchen Verpflichtungen aufgiebt, deren Dauer den Anſchluß an das preußiſche Zollſyſtem geradezu verhindert. Herr v. Könneritz gehört zu den beſchränkten einſeitigen Köpfen, deren Belehrung, wenn man auch Zeit daran wenden wollte, ebenſo unfruchtbar *) Das hannov. Cabinetsminiſterium an Bernſtorff, 14. Aug. Antwort 31. Okt. 1829.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/695>, abgerufen am 25.11.2024.