die Mitteldeutschen ledig seien. Im Frankfurter gesetzgebenden Körper fragte man murrend: warum verständige Kaufleute sich verpflichten sollten, zwölf Jahre lang nichts zu thun? Einflußreiche Firmen forderten den Anschluß an Preußen, selbstverständlich nicht zu gleichem Rechte: das mächtige Frankfurt sollte nur "einen Freihafen des preußischen Vereins" bilden. Die Stadt litt schwer; Spedition und Fabriken begannen nach Offenbach überzusiedeln. Dennoch behauptete die österreichische Partei die Oberhand. Sachsen und Weimar, erschreckt durch den schwunghaften bairisch-preußischen Verkehr dicht neben ihren Grenzen, knüpften ihre Ratification an den Vorbehalt: vom Jahre 1835 müsse ihnen der Aus- tritt freistehen, falls bis dahin Preußen und Baiern zu einem Zollvereine sich verschmolzen hätten. Der rastlose Röntgen reiste von einer preußischen Gesandtschaft zur anderen, versuchte sich zu entschuldigen: wer hätte denn vor einem Jahre ahnen können, daß Preußen in der orientalischen Frage und in den Zollsachen eine so glückliche Rolle spielen würde? Als Mal- tzan allen Anzapfungen nur ein diplomatisches Schweigen entgegensetzte, fuhr der beleidigte Nassauer heraus: "Es ist unrecht auch den kleinsten Feind zu mißachten" -- worauf Jener verbindlich erwiderte: "Also Ihr seid unsere Feinde?" Endlich genehmigte Nassau den Vertrag nur mit der Erklärung: als unbedingt verpflichtend könne er nicht gelten. So drohten Abfall und Verrath von allen Seiten her.
Bei der verblendeten Selbstüberschätzung dieser Cabinette läßt sich's nicht leicht entscheiden, ob die drei führenden Mittelstaaten ernstlich hofften Zugeständnisse von Preußen zu erlangen, oder ob sie die Verhandlungen mit dem Berliner Hofe lediglich begannen um ihre unzufriedenen thürin- gischen Bundesgenossen zu beschwichtigen. Genug, das hannöversche Cabi- netsministerium richtete schon am 14. August an Bernstorff die Frage, ob Preußen mit den Verbündeten unterhandeln wolle, und fügte in der üb- lichen hochtrabenden Weise hinzu: "Der Verein sei wohl im Stande, solche Vortheile anzubieten, welche die Zugeständnisse aufwiegen dürften." In Berlin ergriff man die Gelegenheit, den Mitteldeutschen unumwunden die Meinung zu sagen und zugleich den nationalen Sinn der preußischen Handelspolitik ausführlicher als je zuvor darzulegen. Ein Ministerial- schreiben vom 31. Octbr. 1829 hielt der hannoverschen Regierung ihr gehässiges unaufrichtiges Verfahren vor, schilderte drastisch den Handels- verein, der "nichts Gemeinsames habe als das Motiv, woraus er ent- sprang; im Uebrigen findet man nur ein Aggregat besonderer Interessen." Wesentliche Vortheile hat der Verein uns nicht zu bieten, es müßte denn sein, daß er den Verkehr zwischen unseren Provinzen erschweren wollte. "Vor dergleichen feindseligen Maßregeln hegt die preußische Regierung überhaupt keine Besorgniß." Mit Hannover allein sind wir bereit zu verhandeln, nicht mit einer Mehrzahl grundverschiedener Staaten. Preußen hat jetzt, nach den neuesten vortheilhaften Verträgen, noch weniger als
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
die Mitteldeutſchen ledig ſeien. Im Frankfurter geſetzgebenden Körper fragte man murrend: warum verſtändige Kaufleute ſich verpflichten ſollten, zwölf Jahre lang nichts zu thun? Einflußreiche Firmen forderten den Anſchluß an Preußen, ſelbſtverſtändlich nicht zu gleichem Rechte: das mächtige Frankfurt ſollte nur „einen Freihafen des preußiſchen Vereins“ bilden. Die Stadt litt ſchwer; Spedition und Fabriken begannen nach Offenbach überzuſiedeln. Dennoch behauptete die öſterreichiſche Partei die Oberhand. Sachſen und Weimar, erſchreckt durch den ſchwunghaften bairiſch-preußiſchen Verkehr dicht neben ihren Grenzen, knüpften ihre Ratification an den Vorbehalt: vom Jahre 1835 müſſe ihnen der Aus- tritt freiſtehen, falls bis dahin Preußen und Baiern zu einem Zollvereine ſich verſchmolzen hätten. Der raſtloſe Röntgen reiſte von einer preußiſchen Geſandtſchaft zur anderen, verſuchte ſich zu entſchuldigen: wer hätte denn vor einem Jahre ahnen können, daß Preußen in der orientaliſchen Frage und in den Zollſachen eine ſo glückliche Rolle ſpielen würde? Als Mal- tzan allen Anzapfungen nur ein diplomatiſches Schweigen entgegenſetzte, fuhr der beleidigte Naſſauer heraus: „Es iſt unrecht auch den kleinſten Feind zu mißachten“ — worauf Jener verbindlich erwiderte: „Alſo Ihr ſeid unſere Feinde?“ Endlich genehmigte Naſſau den Vertrag nur mit der Erklärung: als unbedingt verpflichtend könne er nicht gelten. So drohten Abfall und Verrath von allen Seiten her.
Bei der verblendeten Selbſtüberſchätzung dieſer Cabinette läßt ſich’s nicht leicht entſcheiden, ob die drei führenden Mittelſtaaten ernſtlich hofften Zugeſtändniſſe von Preußen zu erlangen, oder ob ſie die Verhandlungen mit dem Berliner Hofe lediglich begannen um ihre unzufriedenen thürin- giſchen Bundesgenoſſen zu beſchwichtigen. Genug, das hannöverſche Cabi- netsminiſterium richtete ſchon am 14. Auguſt an Bernſtorff die Frage, ob Preußen mit den Verbündeten unterhandeln wolle, und fügte in der üb- lichen hochtrabenden Weiſe hinzu: „Der Verein ſei wohl im Stande, ſolche Vortheile anzubieten, welche die Zugeſtändniſſe aufwiegen dürften.“ In Berlin ergriff man die Gelegenheit, den Mitteldeutſchen unumwunden die Meinung zu ſagen und zugleich den nationalen Sinn der preußiſchen Handelspolitik ausführlicher als je zuvor darzulegen. Ein Miniſterial- ſchreiben vom 31. Octbr. 1829 hielt der hannoverſchen Regierung ihr gehäſſiges unaufrichtiges Verfahren vor, ſchilderte draſtiſch den Handels- verein, der „nichts Gemeinſames habe als das Motiv, woraus er ent- ſprang; im Uebrigen findet man nur ein Aggregat beſonderer Intereſſen.“ Weſentliche Vortheile hat der Verein uns nicht zu bieten, es müßte denn ſein, daß er den Verkehr zwiſchen unſeren Provinzen erſchweren wollte. „Vor dergleichen feindſeligen Maßregeln hegt die preußiſche Regierung überhaupt keine Beſorgniß.“ Mit Hannover allein ſind wir bereit zu verhandeln, nicht mit einer Mehrzahl grundverſchiedener Staaten. Preußen hat jetzt, nach den neueſten vortheilhaften Verträgen, noch weniger als
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die Mitteldeutſchen ledig ſeien. Im Frankfurter geſetzgebenden Körper
fragte man murrend: warum verſtändige Kaufleute ſich verpflichten ſollten,
zwölf Jahre lang nichts zu thun? Einflußreiche Firmen forderten den
Anſchluß an Preußen, ſelbſtverſtändlich nicht zu gleichem Rechte: das
mächtige Frankfurt ſollte nur „einen Freihafen des preußiſchen Vereins“
bilden. Die Stadt litt ſchwer; Spedition und Fabriken begannen nach
Offenbach überzuſiedeln. Dennoch behauptete die öſterreichiſche Partei die
Oberhand. Sachſen und Weimar, erſchreckt durch den ſchwunghaften
bairiſch-preußiſchen Verkehr dicht neben ihren Grenzen, knüpften ihre
Ratification an den Vorbehalt: vom Jahre 1835 müſſe ihnen der Aus-
tritt freiſtehen, falls bis dahin Preußen und Baiern zu einem Zollvereine
ſich verſchmolzen hätten. Der raſtloſe Röntgen reiſte von einer preußiſchen
Geſandtſchaft zur anderen, verſuchte ſich zu entſchuldigen: wer hätte denn
vor einem Jahre ahnen können, daß Preußen in der orientaliſchen Frage
und in den Zollſachen eine ſo glückliche Rolle ſpielen würde? Als Mal-
tzan allen Anzapfungen nur ein diplomatiſches Schweigen entgegenſetzte,
fuhr der beleidigte Naſſauer heraus: „Es iſt unrecht auch den kleinſten
Feind zu mißachten“ — worauf Jener verbindlich erwiderte: „Alſo Ihr
ſeid unſere Feinde?“ Endlich genehmigte Naſſau den Vertrag nur mit
der Erklärung: als unbedingt verpflichtend könne er nicht gelten. So
drohten Abfall und Verrath von allen Seiten her.
Bei der verblendeten Selbſtüberſchätzung dieſer Cabinette läßt ſich’s
nicht leicht entſcheiden, ob die drei führenden Mittelſtaaten ernſtlich hofften
Zugeſtändniſſe von Preußen zu erlangen, oder ob ſie die Verhandlungen
mit dem Berliner Hofe lediglich begannen um ihre unzufriedenen thürin-
giſchen Bundesgenoſſen zu beſchwichtigen. Genug, das hannöverſche Cabi-
netsminiſterium richtete ſchon am 14. Auguſt an Bernſtorff die Frage, ob
Preußen mit den Verbündeten unterhandeln wolle, und fügte in der üb-
lichen hochtrabenden Weiſe hinzu: „Der Verein ſei wohl im Stande,
ſolche Vortheile anzubieten, welche die Zugeſtändniſſe aufwiegen dürften.“
In Berlin ergriff man die Gelegenheit, den Mitteldeutſchen unumwunden
die Meinung zu ſagen und zugleich den nationalen Sinn der preußiſchen
Handelspolitik ausführlicher als je zuvor darzulegen. Ein Miniſterial-
ſchreiben vom 31. Octbr. 1829 hielt der hannoverſchen Regierung ihr
gehäſſiges unaufrichtiges Verfahren vor, ſchilderte draſtiſch den Handels-
verein, der „nichts Gemeinſames habe als das Motiv, woraus er ent-
ſprang; im Uebrigen findet man nur ein Aggregat beſonderer Intereſſen.“
Weſentliche Vortheile hat der Verein uns nicht zu bieten, es müßte denn
ſein, daß er den Verkehr zwiſchen unſeren Provinzen erſchweren wollte.
„Vor dergleichen feindſeligen Maßregeln hegt die preußiſche Regierung
überhaupt keine Beſorgniß.“ Mit Hannover allein ſind wir bereit zu
verhandeln, nicht mit einer Mehrzahl grundverſchiedener Staaten. Preußen
hat jetzt, nach den neueſten vortheilhaften Verträgen, noch weniger als
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 678. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/694>, abgerufen am 16.07.2024.
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