für den mitteldeutschen Bund geworben; vergeblich war der Nassauer Röntgen, jener alte vielgeschäftige Feind Preußens, nach Stuttgart gereist, um dort vorzustellen: Motz, der ruchlos ehrgeizige Kraftmensch, wolle Preußen durch die Entfesselung der industriellen Kräfte zur leitenden deut- schen Macht erheben. In Berlin selbst arbeiteten einige Agenten des mitteldeutschen Vereins, so der Frankfurter Senator Guaita. Oesterreich sendete den Hofrath Eichhof nach München um Baiern durch das Ange- bot einiger geringfügigen Handelserleichterungen von Preußen hinwegzu- locken und zugleich den König Ludwig zu erinnern, wie feindselig Preußen in der Sponheimer Sache gehandelt habe. Münch in Frankfurt ver- suchte wieder einmal, den Darmstädter Hof gegen Hofmann, "dies Werk- zeug Preußens", einzunehmen. Die Diplomatie Englands, Frankreichs, Hollands -- voran Lord Erskine und Graf Rumigny in München -- ward nicht müde vor Preußen zu warnen. Von allen fremden Mächten zeigte sich wieder nur Rußland als ein treuer Freund Preußens; Anstett in Frankfurt sprach offen und nachdrücklich für die Berliner Handelspolitik.
Nach und nach begann doch die vollendete Thatsache ihren Zauber zu üben. Wie lange sollte man noch die Klagen der mißhandelten Nation ertragen? Wie lange noch sich abquälen an allezeit vergeblichen Sonder- bünden, während Preußen jede handelspolitische Verhandlung regelmäßig erfolgreich hinausführte? Selbst Blittersdorff, der rastlose Parteigänger Oesterreichs, gab nunmehr die Sache Habsburgs fast verloren. Wenn Preußen, so schrieb er, alle deutschen Staaten unter seinem Handelssysteme vereinigt, dann ist Oesterreich faktisch aus dem deutschen Bunde hinaus- gedrängt! Der Verkehr wird dadurch nicht centralisirt, sondern, bei der großen Anzahl unserer kleinen Mittelpunkte, überall gleichmäßig belebt werden. Die Gefahren für die Souveränität sind geringer in einem großen Zollvereine, als wenn man versucht der Zeit in den Weg zu treten.*) --
Die preußisch-bairischen Verhandlungen blieben ein Schlag ins Wasser, so lange der Verkehr zwischen den beiden Staaten den willkürlichen "Re- torsionen" des mitteldeutschen Vereines unterlag. Die neue Straße von Westphalen durch das darmstädtische Gebiet verband nur die westlichen Provinzen Preußens mit den Ländern der süddeutschen Bundesgenossen und führte überdies in der Frankfurter Gegend einige Stunden lang durch mitteldeutsches Vereinsland. Sollte der preußisch-bairische Bund Lebenskraft gewinnen, so war eine zollfreie Straße zwischen den Haupt- massen der beiden verbündeten Zollvereine unentbehrlich. Da erinnerte sich Motz zur guten Stunde an den Straßendünkel des Meininger Reichs und an jenen unterthänigen Entschuldigungsbrief des Gothaer Herzogs. Wie nun, wenn Preußen dem Meininger Lande die Mittel bot, jene Welt- handelsstraße zwischen Italien und der Nordsee wirklich zu bauen? Der
*) Blittersdorff an Berstett, 12. März, 17. Dec. 1829.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 43
Abfall von Meiningen und Gotha.
für den mitteldeutſchen Bund geworben; vergeblich war der Naſſauer Röntgen, jener alte vielgeſchäftige Feind Preußens, nach Stuttgart gereiſt, um dort vorzuſtellen: Motz, der ruchlos ehrgeizige Kraftmenſch, wolle Preußen durch die Entfeſſelung der induſtriellen Kräfte zur leitenden deut- ſchen Macht erheben. In Berlin ſelbſt arbeiteten einige Agenten des mitteldeutſchen Vereins, ſo der Frankfurter Senator Guaita. Oeſterreich ſendete den Hofrath Eichhof nach München um Baiern durch das Ange- bot einiger geringfügigen Handelserleichterungen von Preußen hinwegzu- locken und zugleich den König Ludwig zu erinnern, wie feindſelig Preußen in der Sponheimer Sache gehandelt habe. Münch in Frankfurt ver- ſuchte wieder einmal, den Darmſtädter Hof gegen Hofmann, „dies Werk- zeug Preußens“, einzunehmen. Die Diplomatie Englands, Frankreichs, Hollands — voran Lord Erskine und Graf Rumigny in München — ward nicht müde vor Preußen zu warnen. Von allen fremden Mächten zeigte ſich wieder nur Rußland als ein treuer Freund Preußens; Anſtett in Frankfurt ſprach offen und nachdrücklich für die Berliner Handelspolitik.
Nach und nach begann doch die vollendete Thatſache ihren Zauber zu üben. Wie lange ſollte man noch die Klagen der mißhandelten Nation ertragen? Wie lange noch ſich abquälen an allezeit vergeblichen Sonder- bünden, während Preußen jede handelspolitiſche Verhandlung regelmäßig erfolgreich hinausführte? Selbſt Blittersdorff, der raſtloſe Parteigänger Oeſterreichs, gab nunmehr die Sache Habsburgs faſt verloren. Wenn Preußen, ſo ſchrieb er, alle deutſchen Staaten unter ſeinem Handelsſyſteme vereinigt, dann iſt Oeſterreich faktiſch aus dem deutſchen Bunde hinaus- gedrängt! Der Verkehr wird dadurch nicht centraliſirt, ſondern, bei der großen Anzahl unſerer kleinen Mittelpunkte, überall gleichmäßig belebt werden. Die Gefahren für die Souveränität ſind geringer in einem großen Zollvereine, als wenn man verſucht der Zeit in den Weg zu treten.*) —
Die preußiſch-bairiſchen Verhandlungen blieben ein Schlag ins Waſſer, ſo lange der Verkehr zwiſchen den beiden Staaten den willkürlichen „Re- torſionen“ des mitteldeutſchen Vereines unterlag. Die neue Straße von Weſtphalen durch das darmſtädtiſche Gebiet verband nur die weſtlichen Provinzen Preußens mit den Ländern der ſüddeutſchen Bundesgenoſſen und führte überdies in der Frankfurter Gegend einige Stunden lang durch mitteldeutſches Vereinsland. Sollte der preußiſch-bairiſche Bund Lebenskraft gewinnen, ſo war eine zollfreie Straße zwiſchen den Haupt- maſſen der beiden verbündeten Zollvereine unentbehrlich. Da erinnerte ſich Motz zur guten Stunde an den Straßendünkel des Meininger Reichs und an jenen unterthänigen Entſchuldigungsbrief des Gothaer Herzogs. Wie nun, wenn Preußen dem Meininger Lande die Mittel bot, jene Welt- handelsſtraße zwiſchen Italien und der Nordſee wirklich zu bauen? Der
*) Blittersdorff an Berſtett, 12. März, 17. Dec. 1829.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 43
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Abfall von Meiningen und Gotha.
für den mitteldeutſchen Bund geworben; vergeblich war der Naſſauer
Röntgen, jener alte vielgeſchäftige Feind Preußens, nach Stuttgart gereiſt,
um dort vorzuſtellen: Motz, der ruchlos ehrgeizige Kraftmenſch, wolle
Preußen durch die Entfeſſelung der induſtriellen Kräfte zur leitenden deut-
ſchen Macht erheben. In Berlin ſelbſt arbeiteten einige Agenten des
mitteldeutſchen Vereins, ſo der Frankfurter Senator Guaita. Oeſterreich
ſendete den Hofrath Eichhof nach München um Baiern durch das Ange-
bot einiger geringfügigen Handelserleichterungen von Preußen hinwegzu-
locken und zugleich den König Ludwig zu erinnern, wie feindſelig Preußen
in der Sponheimer Sache gehandelt habe. Münch in Frankfurt ver-
ſuchte wieder einmal, den Darmſtädter Hof gegen Hofmann, „dies Werk-
zeug Preußens“, einzunehmen. Die Diplomatie Englands, Frankreichs,
Hollands — voran Lord Erskine und Graf Rumigny in München —
ward nicht müde vor Preußen zu warnen. Von allen fremden Mächten
zeigte ſich wieder nur Rußland als ein treuer Freund Preußens; Anſtett
in Frankfurt ſprach offen und nachdrücklich für die Berliner Handelspolitik.
Nach und nach begann doch die vollendete Thatſache ihren Zauber
zu üben. Wie lange ſollte man noch die Klagen der mißhandelten Nation
ertragen? Wie lange noch ſich abquälen an allezeit vergeblichen Sonder-
bünden, während Preußen jede handelspolitiſche Verhandlung regelmäßig
erfolgreich hinausführte? Selbſt Blittersdorff, der raſtloſe Parteigänger
Oeſterreichs, gab nunmehr die Sache Habsburgs faſt verloren. Wenn
Preußen, ſo ſchrieb er, alle deutſchen Staaten unter ſeinem Handelsſyſteme
vereinigt, dann iſt Oeſterreich faktiſch aus dem deutſchen Bunde hinaus-
gedrängt! Der Verkehr wird dadurch nicht centraliſirt, ſondern, bei der
großen Anzahl unſerer kleinen Mittelpunkte, überall gleichmäßig belebt
werden. Die Gefahren für die Souveränität ſind geringer in einem großen
Zollvereine, als wenn man verſucht der Zeit in den Weg zu treten. *) —
Die preußiſch-bairiſchen Verhandlungen blieben ein Schlag ins Waſſer,
ſo lange der Verkehr zwiſchen den beiden Staaten den willkürlichen „Re-
torſionen“ des mitteldeutſchen Vereines unterlag. Die neue Straße von
Weſtphalen durch das darmſtädtiſche Gebiet verband nur die weſtlichen
Provinzen Preußens mit den Ländern der ſüddeutſchen Bundesgenoſſen
und führte überdies in der Frankfurter Gegend einige Stunden lang
durch mitteldeutſches Vereinsland. Sollte der preußiſch-bairiſche Bund
Lebenskraft gewinnen, ſo war eine zollfreie Straße zwiſchen den Haupt-
maſſen der beiden verbündeten Zollvereine unentbehrlich. Da erinnerte
ſich Motz zur guten Stunde an den Straßendünkel des Meininger Reichs
und an jenen unterthänigen Entſchuldigungsbrief des Gothaer Herzogs.
Wie nun, wenn Preußen dem Meininger Lande die Mittel bot, jene Welt-
handelsſtraße zwiſchen Italien und der Nordſee wirklich zu bauen? Der
*) Blittersdorff an Berſtett, 12. März, 17. Dec. 1829.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 43
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 673. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/689>, abgerufen am 16.07.2024.
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