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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Motz's große Denkschrift.

So der preußische Finanzminister, ein Jahr vor der Julirevolution,
zwei Jahre bevor Paul Pfizer den Briefwechsel zweier Deutschen erscheinen
ließ! Unter allen Aeußerungen deutscher Staatsmänner aus jener Zeit
ist keine, die so entschieden mit der Politik des friedlichen Dualismus
bricht, die so rund heraussagt: los von Oesterreich! Und welche Sicherheit
des Blicks in Allem und Jedem! Der Mann wußte schon 1829 bis auf
einen geringfügigen Irrthum ganz genau, in welcher Reihenfolge bis zum
Jahre 1866 die deutschen Staaten dem Zollvereine beigetreten sind.

In einem Rundschreiben an ihre Gesandten sprach die preußische Re-
gierung offen aus: der Vertrag mit Baiern stelle eine noch engere Ver-
einigung und die allmähliche Verwirklichung der deutschen Handelseinheit
in Anssicht. Noch blieben am bairischen Hofe tausend Bedenken zu über-
winden. König Ludwig, gewöhnt an unbedingte Selbstherrschaft, zürnte
heftig, weil seine Unterhändler in einigen Punkten ihre Instructionen über-
schritten hatten; er konnte das alte süddeutsche Mißtrauen gegen die preu-
ßischen Kniffe nicht überwinden, mäkelte an jedem Worte, fürchtete überall
doppelte Auslegung. Auch der berühmte Streit über das Alternat, der
in jenen Tagen die Mußestunden der Bundestagsgesandten würdig aus-
füllte, wirkte störend. Die königlichen Höfe wollten den großherzoglichen
wohl die Gleichberechtigung beim Vortritt doch nicht bei den Unterschriften
zugestehen; nach vielem Herzeleid behalf man sich endlich, fertigte nur zwei
Haupturkunden aus, die eine für Preußen-Hessen, die andere für Baiern-
Württemberg gemeinsam. Dazu die begreifliche Furcht des Münchener
Hofes vor der Kleinmeisterei seines Landtags. Cotta bat inständig: "nicht
zu vergessen, daß wir selbst Vorurtheilen fröhnen müssen, um die höheren
großen Zwecke zu erreichen, besonders den Verein." In gleichem Sinne
schrieb Armansperg an Motz: "das gewiß segensreiche Werk, welches durch
den Handelsvertrag nunmehr in das Leben treten wird, verdankt Deutsch-
land größtentheils der Großartigkeit Ihrer Ideen und der thätigen Sorg-
falt, womit Ew. Excellenz die Unterhandlungen leiteten und jede Einsei-
tigkeit zu entfernen strebten. Wenn dem Geiste Ew. Excellenz Manches,
wonach unsere Wünsche zielen, kleinlich erscheinen wird, so mögen Sie in
Erwägung ziehen, daß in den Hallen der Stände manch Kleinliches hauset
und nicht immer durch die Waffe der Vernunft bekämpft und besiegt wer-
den kann" -- worauf dann im Interesse der oberpfälzischen Hammer-
werke gebeten ward, die groben Eisenwaaren unter die Ausnahmeartikel
zu stellen.*) Im Laufe des Sommers hat Cotta selbst in Brückenau und
Friedrichshafen die letzten Bedenken der beiden süddeutschen Könige be-
schwichtigt; sie ratificirten, überhäuften den gewandten Unterhändler mit
Gunst. König Wilhelm zeigte sich ebenso unbefangen wie sein Minister
Varnbüler; von den alten cäsarischen Träumen war keine Rede mehr.

*) Cotta an Motz, 14. Juni; Armansperg an Motz, 22. Juni 1829.
Motz’s große Denkſchrift.

So der preußiſche Finanzminiſter, ein Jahr vor der Julirevolution,
zwei Jahre bevor Paul Pfizer den Briefwechſel zweier Deutſchen erſcheinen
ließ! Unter allen Aeußerungen deutſcher Staatsmänner aus jener Zeit
iſt keine, die ſo entſchieden mit der Politik des friedlichen Dualismus
bricht, die ſo rund herausſagt: los von Oeſterreich! Und welche Sicherheit
des Blicks in Allem und Jedem! Der Mann wußte ſchon 1829 bis auf
einen geringfügigen Irrthum ganz genau, in welcher Reihenfolge bis zum
Jahre 1866 die deutſchen Staaten dem Zollvereine beigetreten ſind.

In einem Rundſchreiben an ihre Geſandten ſprach die preußiſche Re-
gierung offen aus: der Vertrag mit Baiern ſtelle eine noch engere Ver-
einigung und die allmähliche Verwirklichung der deutſchen Handelseinheit
in Ansſicht. Noch blieben am bairiſchen Hofe tauſend Bedenken zu über-
winden. König Ludwig, gewöhnt an unbedingte Selbſtherrſchaft, zürnte
heftig, weil ſeine Unterhändler in einigen Punkten ihre Inſtructionen über-
ſchritten hatten; er konnte das alte ſüddeutſche Mißtrauen gegen die preu-
ßiſchen Kniffe nicht überwinden, mäkelte an jedem Worte, fürchtete überall
doppelte Auslegung. Auch der berühmte Streit über das Alternat, der
in jenen Tagen die Mußeſtunden der Bundestagsgeſandten würdig aus-
füllte, wirkte ſtörend. Die königlichen Höfe wollten den großherzoglichen
wohl die Gleichberechtigung beim Vortritt doch nicht bei den Unterſchriften
zugeſtehen; nach vielem Herzeleid behalf man ſich endlich, fertigte nur zwei
Haupturkunden aus, die eine für Preußen-Heſſen, die andere für Baiern-
Württemberg gemeinſam. Dazu die begreifliche Furcht des Münchener
Hofes vor der Kleinmeiſterei ſeines Landtags. Cotta bat inſtändig: „nicht
zu vergeſſen, daß wir ſelbſt Vorurtheilen fröhnen müſſen, um die höheren
großen Zwecke zu erreichen, beſonders den Verein.“ In gleichem Sinne
ſchrieb Armansperg an Motz: „das gewiß ſegensreiche Werk, welches durch
den Handelsvertrag nunmehr in das Leben treten wird, verdankt Deutſch-
land größtentheils der Großartigkeit Ihrer Ideen und der thätigen Sorg-
falt, womit Ew. Excellenz die Unterhandlungen leiteten und jede Einſei-
tigkeit zu entfernen ſtrebten. Wenn dem Geiſte Ew. Excellenz Manches,
wonach unſere Wünſche zielen, kleinlich erſcheinen wird, ſo mögen Sie in
Erwägung ziehen, daß in den Hallen der Stände manch Kleinliches hauſet
und nicht immer durch die Waffe der Vernunft bekämpft und beſiegt wer-
den kann“ — worauf dann im Intereſſe der oberpfälziſchen Hammer-
werke gebeten ward, die groben Eiſenwaaren unter die Ausnahmeartikel
zu ſtellen.*) Im Laufe des Sommers hat Cotta ſelbſt in Brückenau und
Friedrichshafen die letzten Bedenken der beiden ſüddeutſchen Könige be-
ſchwichtigt; ſie ratificirten, überhäuften den gewandten Unterhändler mit
Gunſt. König Wilhelm zeigte ſich ebenſo unbefangen wie ſein Miniſter
Varnbüler; von den alten cäſariſchen Träumen war keine Rede mehr.

*) Cotta an Motz, 14. Juni; Armansperg an Motz, 22. Juni 1829.
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[671/0687] Motz’s große Denkſchrift. So der preußiſche Finanzminiſter, ein Jahr vor der Julirevolution, zwei Jahre bevor Paul Pfizer den Briefwechſel zweier Deutſchen erſcheinen ließ! Unter allen Aeußerungen deutſcher Staatsmänner aus jener Zeit iſt keine, die ſo entſchieden mit der Politik des friedlichen Dualismus bricht, die ſo rund herausſagt: los von Oeſterreich! Und welche Sicherheit des Blicks in Allem und Jedem! Der Mann wußte ſchon 1829 bis auf einen geringfügigen Irrthum ganz genau, in welcher Reihenfolge bis zum Jahre 1866 die deutſchen Staaten dem Zollvereine beigetreten ſind. In einem Rundſchreiben an ihre Geſandten ſprach die preußiſche Re- gierung offen aus: der Vertrag mit Baiern ſtelle eine noch engere Ver- einigung und die allmähliche Verwirklichung der deutſchen Handelseinheit in Ansſicht. Noch blieben am bairiſchen Hofe tauſend Bedenken zu über- winden. König Ludwig, gewöhnt an unbedingte Selbſtherrſchaft, zürnte heftig, weil ſeine Unterhändler in einigen Punkten ihre Inſtructionen über- ſchritten hatten; er konnte das alte ſüddeutſche Mißtrauen gegen die preu- ßiſchen Kniffe nicht überwinden, mäkelte an jedem Worte, fürchtete überall doppelte Auslegung. Auch der berühmte Streit über das Alternat, der in jenen Tagen die Mußeſtunden der Bundestagsgeſandten würdig aus- füllte, wirkte ſtörend. Die königlichen Höfe wollten den großherzoglichen wohl die Gleichberechtigung beim Vortritt doch nicht bei den Unterſchriften zugeſtehen; nach vielem Herzeleid behalf man ſich endlich, fertigte nur zwei Haupturkunden aus, die eine für Preußen-Heſſen, die andere für Baiern- Württemberg gemeinſam. Dazu die begreifliche Furcht des Münchener Hofes vor der Kleinmeiſterei ſeines Landtags. Cotta bat inſtändig: „nicht zu vergeſſen, daß wir ſelbſt Vorurtheilen fröhnen müſſen, um die höheren großen Zwecke zu erreichen, beſonders den Verein.“ In gleichem Sinne ſchrieb Armansperg an Motz: „das gewiß ſegensreiche Werk, welches durch den Handelsvertrag nunmehr in das Leben treten wird, verdankt Deutſch- land größtentheils der Großartigkeit Ihrer Ideen und der thätigen Sorg- falt, womit Ew. Excellenz die Unterhandlungen leiteten und jede Einſei- tigkeit zu entfernen ſtrebten. Wenn dem Geiſte Ew. Excellenz Manches, wonach unſere Wünſche zielen, kleinlich erſcheinen wird, ſo mögen Sie in Erwägung ziehen, daß in den Hallen der Stände manch Kleinliches hauſet und nicht immer durch die Waffe der Vernunft bekämpft und beſiegt wer- den kann“ — worauf dann im Intereſſe der oberpfälziſchen Hammer- werke gebeten ward, die groben Eiſenwaaren unter die Ausnahmeartikel zu ſtellen. *) Im Laufe des Sommers hat Cotta ſelbſt in Brückenau und Friedrichshafen die letzten Bedenken der beiden ſüddeutſchen Könige be- ſchwichtigt; ſie ratificirten, überhäuften den gewandten Unterhändler mit Gunſt. König Wilhelm zeigte ſich ebenſo unbefangen wie ſein Miniſter Varnbüler; von den alten cäſariſchen Träumen war keine Rede mehr. *) Cotta an Motz, 14. Juni; Armansperg an Motz, 22. Juni 1829.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 671. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/687>, abgerufen am 22.11.2024.