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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Der Zollkrieg.
liche des Casseler Vertrags liegt in der Vereinigung selbst, in dem für
sechs Jahre begründeten non plus ultra. Das Wesentliche liegt ferner
in dem durch diese sechsjährige engere Verbindung begründeten Ablehnungs-
motive von Ansinnungen mancher Art, denen, wenn sie von übermächtiger
Seite ausgehen, der Einzelne und Schwächere nicht viel mehr als die
Bitte um Schonung entgegenzusetzen hat." Das Wesentliche liegt endlich
in der Aussicht, zu einer Verbindung mit anderen Staaten "mit Ehren
gelangen zu können". Baiern und Preußen haben dasselbe, ja ein größeres
Bedürfniß nach einer Annäherung an die Vereinsstaaten als diese selbst;
daher muß der Verein die Verbindungsstraßen zwischen Baiern und Preu-
ßen fest in der Hand halten, ihre freie Benutzung nur kraft gemeinsamen
Beschlusses bewilligen. So wird er eine gesetzliche Ordnung mit verhält-
nißmäßig gleichen Rechten für ganz Deutschland begründen.

Die Denkschrift schließt mit der pathetischen Frage: "Kann man denn
aus irgend einem Grunde auch nur vermuthen, daß Preußen die fieberhaften
Träume, in welchen eine übermüthige Partei das ganze nördliche Deutsch-
land nur als eine mit Unrecht noch länger vorenthaltene Beute des preu-
ßischen Adlers erscheinen lassen möchte, irgend theilen oder begünstigen
werde?" Naiver ließ sich die Seelenangst der Kleinen nicht aussprechen.
Nicht irgend ein positiver Gedanke, sondern allein die Furcht vor Preußens
und Baierns Uebermacht, der ohnmächtige Wunsch ein tertium aliquid
zu bilden, wie der alte Gagern sagte, hatte den mitteldeutschen Verein
geschaffen. Aber je rathloser man sich fühlte, um so lauter ward gelärmt;
"es war ein Gegacker, schreibt du Thil, als sei ein großes Werk vollendet
worden." Zahllose Orden belohnten alle Theilnehmer der Casseler Be-
rathung, bis zum Kanzlisten herab.

Selbst die einzige Waffe, die man gegen Preußen schwingen konnte,
erwies sich als unwirksam; den preußischen Durchfuhrhandel zu lähmen
war unmöglich, so lange die Handelsstraßen, welche das preußische Gebiet
umgehen sollten, noch nicht gebaut waren. Mannichfache Entwürfe wur-
den zu Cassel besprochen; man träumte von neuen Handelswegen dicht
neben Darmstadts Grenzen, von einem langen Straßenzuge aus Sachsen
über Altenburg und Gotha nach Kurhessen, der den Verkehr hinwegleiten
sollte von der großen preußischen Chaussee über Kösen und Eckartsberge.
Aber wer sollte die Straße bauen? Die verarmten kleinen ernestinischen
Staaten besaßen nicht die Mittel, die größeren Bundesgenossen wollten
kein Geld vorschießen. Zudem stieß man überall auf preußisches Gebiet;
wie sollte die Erfurter Gegend umgangen werden, wo Preußen bereits
eine gute Chaussee gebaut hatte? Unablässig arbeitete die Diplomatie der
Bundesgenossen, um Baiern und Württemberg von Preußen fern zu halten;
der hannoversche Gesandte Stralenheim in Stuttgart ward nicht müde
den König Wilhelm vor Preußens Fallstricken zu warnen. Beharrlich
wiederholte der Dresdner Hof, der die Führung des Vereins behielt, er

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Der Zollkrieg.
liche des Caſſeler Vertrags liegt in der Vereinigung ſelbſt, in dem für
ſechs Jahre begründeten non plus ultra. Das Weſentliche liegt ferner
in dem durch dieſe ſechsjährige engere Verbindung begründeten Ablehnungs-
motive von Anſinnungen mancher Art, denen, wenn ſie von übermächtiger
Seite ausgehen, der Einzelne und Schwächere nicht viel mehr als die
Bitte um Schonung entgegenzuſetzen hat.“ Das Weſentliche liegt endlich
in der Ausſicht, zu einer Verbindung mit anderen Staaten „mit Ehren
gelangen zu können“. Baiern und Preußen haben daſſelbe, ja ein größeres
Bedürfniß nach einer Annäherung an die Vereinsſtaaten als dieſe ſelbſt;
daher muß der Verein die Verbindungsſtraßen zwiſchen Baiern und Preu-
ßen feſt in der Hand halten, ihre freie Benutzung nur kraft gemeinſamen
Beſchluſſes bewilligen. So wird er eine geſetzliche Ordnung mit verhält-
nißmäßig gleichen Rechten für ganz Deutſchland begründen.

Die Denkſchrift ſchließt mit der pathetiſchen Frage: „Kann man denn
aus irgend einem Grunde auch nur vermuthen, daß Preußen die fieberhaften
Träume, in welchen eine übermüthige Partei das ganze nördliche Deutſch-
land nur als eine mit Unrecht noch länger vorenthaltene Beute des preu-
ßiſchen Adlers erſcheinen laſſen möchte, irgend theilen oder begünſtigen
werde?“ Naiver ließ ſich die Seelenangſt der Kleinen nicht ausſprechen.
Nicht irgend ein poſitiver Gedanke, ſondern allein die Furcht vor Preußens
und Baierns Uebermacht, der ohnmächtige Wunſch ein tertium aliquid
zu bilden, wie der alte Gagern ſagte, hatte den mitteldeutſchen Verein
geſchaffen. Aber je rathloſer man ſich fühlte, um ſo lauter ward gelärmt;
„es war ein Gegacker, ſchreibt du Thil, als ſei ein großes Werk vollendet
worden.“ Zahlloſe Orden belohnten alle Theilnehmer der Caſſeler Be-
rathung, bis zum Kanzliſten herab.

Selbſt die einzige Waffe, die man gegen Preußen ſchwingen konnte,
erwies ſich als unwirkſam; den preußiſchen Durchfuhrhandel zu lähmen
war unmöglich, ſo lange die Handelsſtraßen, welche das preußiſche Gebiet
umgehen ſollten, noch nicht gebaut waren. Mannichfache Entwürfe wur-
den zu Caſſel beſprochen; man träumte von neuen Handelswegen dicht
neben Darmſtadts Grenzen, von einem langen Straßenzuge aus Sachſen
über Altenburg und Gotha nach Kurheſſen, der den Verkehr hinwegleiten
ſollte von der großen preußiſchen Chauſſee über Köſen und Eckartsberge.
Aber wer ſollte die Straße bauen? Die verarmten kleinen erneſtiniſchen
Staaten beſaßen nicht die Mittel, die größeren Bundesgenoſſen wollten
kein Geld vorſchießen. Zudem ſtieß man überall auf preußiſches Gebiet;
wie ſollte die Erfurter Gegend umgangen werden, wo Preußen bereits
eine gute Chauſſee gebaut hatte? Unabläſſig arbeitete die Diplomatie der
Bundesgenoſſen, um Baiern und Württemberg von Preußen fern zu halten;
der hannoverſche Geſandte Stralenheim in Stuttgart ward nicht müde
den König Wilhelm vor Preußens Fallſtricken zu warnen. Beharrlich
wiederholte der Dresdner Hof, der die Führung des Vereins behielt, er

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[659/0675] Der Zollkrieg. liche des Caſſeler Vertrags liegt in der Vereinigung ſelbſt, in dem für ſechs Jahre begründeten non plus ultra. Das Weſentliche liegt ferner in dem durch dieſe ſechsjährige engere Verbindung begründeten Ablehnungs- motive von Anſinnungen mancher Art, denen, wenn ſie von übermächtiger Seite ausgehen, der Einzelne und Schwächere nicht viel mehr als die Bitte um Schonung entgegenzuſetzen hat.“ Das Weſentliche liegt endlich in der Ausſicht, zu einer Verbindung mit anderen Staaten „mit Ehren gelangen zu können“. Baiern und Preußen haben daſſelbe, ja ein größeres Bedürfniß nach einer Annäherung an die Vereinsſtaaten als dieſe ſelbſt; daher muß der Verein die Verbindungsſtraßen zwiſchen Baiern und Preu- ßen feſt in der Hand halten, ihre freie Benutzung nur kraft gemeinſamen Beſchluſſes bewilligen. So wird er eine geſetzliche Ordnung mit verhält- nißmäßig gleichen Rechten für ganz Deutſchland begründen. Die Denkſchrift ſchließt mit der pathetiſchen Frage: „Kann man denn aus irgend einem Grunde auch nur vermuthen, daß Preußen die fieberhaften Träume, in welchen eine übermüthige Partei das ganze nördliche Deutſch- land nur als eine mit Unrecht noch länger vorenthaltene Beute des preu- ßiſchen Adlers erſcheinen laſſen möchte, irgend theilen oder begünſtigen werde?“ Naiver ließ ſich die Seelenangſt der Kleinen nicht ausſprechen. Nicht irgend ein poſitiver Gedanke, ſondern allein die Furcht vor Preußens und Baierns Uebermacht, der ohnmächtige Wunſch ein tertium aliquid zu bilden, wie der alte Gagern ſagte, hatte den mitteldeutſchen Verein geſchaffen. Aber je rathloſer man ſich fühlte, um ſo lauter ward gelärmt; „es war ein Gegacker, ſchreibt du Thil, als ſei ein großes Werk vollendet worden.“ Zahlloſe Orden belohnten alle Theilnehmer der Caſſeler Be- rathung, bis zum Kanzliſten herab. Selbſt die einzige Waffe, die man gegen Preußen ſchwingen konnte, erwies ſich als unwirkſam; den preußiſchen Durchfuhrhandel zu lähmen war unmöglich, ſo lange die Handelsſtraßen, welche das preußiſche Gebiet umgehen ſollten, noch nicht gebaut waren. Mannichfache Entwürfe wur- den zu Caſſel beſprochen; man träumte von neuen Handelswegen dicht neben Darmſtadts Grenzen, von einem langen Straßenzuge aus Sachſen über Altenburg und Gotha nach Kurheſſen, der den Verkehr hinwegleiten ſollte von der großen preußiſchen Chauſſee über Köſen und Eckartsberge. Aber wer ſollte die Straße bauen? Die verarmten kleinen erneſtiniſchen Staaten beſaßen nicht die Mittel, die größeren Bundesgenoſſen wollten kein Geld vorſchießen. Zudem ſtieß man überall auf preußiſches Gebiet; wie ſollte die Erfurter Gegend umgangen werden, wo Preußen bereits eine gute Chauſſee gebaut hatte? Unabläſſig arbeitete die Diplomatie der Bundesgenoſſen, um Baiern und Württemberg von Preußen fern zu halten; der hannoverſche Geſandte Stralenheim in Stuttgart ward nicht müde den König Wilhelm vor Preußens Fallſtricken zu warnen. Beharrlich wiederholte der Dresdner Hof, der die Führung des Vereins behielt, er 42*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 659. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/675>, abgerufen am 22.11.2024.