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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine.
wärtigen Zollvereine einseitig beizutreten. Die Straßen sollen in gutem
Stande erhalten, neue Straßenzüge verabredet werden. Die bestehenden
Durchfuhrzölle auf Waaren, welche für einen Vereinsstaat bestimmt sind,
dürfen nicht erhöht werden; dagegen steht dem Vereine wie jedem Ver-
einsstaate frei, Waaren, die aus dem Auslande in das Ausland gehen,
mit höheren Transitgebühren zu belasten. England-Hannover war es, das
diesen unzweideutigen Art. 7 durchgesetzt hatte. Es lag darin die Drohung,
den Handel zwischen den beiden Hälften der preußischen Monarchie zu zer-
stören, und zugleich eine systematische Begünstigung der englischen Einfuhr.
Denn da auf Hannovers ausdrückliches Verlangen jedem Vereinsstaate
die Befugniß eingeräumt wurde, Handelsverträge mit dem Auslande zu
schließen, so eröffnete sich den englischen Waaren über Bremen und Han-
nover ein fast zollfreier Weg nach den Binnenstaaten, welche, wie Sachsen,
Thüringen, Nassau, Frankfurt, noch kein geordnetes Grenzzollsystem be-
saßen. Noch deutlicher sprach der neunte Artikel, der jedem Vereinsstaate
das Recht zu einseitigen Retorsionen vorbehielt; Kurhessen hatte diese Be-
stimmung gefordert, und der Kurfürst verstand unter Retorsionen jede ge-
hässige Gewaltthat wider die Nachbarn. Die einzige wesentliche Wohlthat,
welche der Verein dem Handel brachte, war die Erleichterung des Tran-
sits, und sie ward erkauft durch schwere Schädigung der heimischen, vor-
nehmlich der erzgebirgischen Industrie. Im Uebrigen dauerten alle be-
stehenden Accisen und Zölle fort; nur Waarenverbote zwischen den Ver-
einsstaaten waren unstatthaft, auch sollten die gewöhnlichen Erzeugnisse
des Landbaus nicht verzollt werden.

Der Kern des Vertrages blieb die Absicht, auf sechs Jahre hinaus
die Erweiterung des preußischen Zollsystems zu verhindern und inzwischen
vielleicht durch Ableitung des Durchfuhrhandels dem Zollwesen Preußens
die Wurzeln abzugraben. Eine von Marschall und Röntgen verfaßte
nassauische Denkschrift über das Verhältniß des Vereines zu Preußen
und Baiern*) giebt über diese freundnachbarlichen Absichten sicheren Auf-
schluß. Sie schildert beweglich, wie Darmstadt sich "an ein nicht aus
seiner Autonomie hervorgegangenes System" angeschlossen habe. Aller-
dings wurden dabei "die äußeren Formen der Selbständigkeit gewahrt",
aber das Großherzogthum "hat sich während der Dauer des Vertrags
jeder materiellen Autonomie begeben, kann nur noch eine großmüthige Be-
rücksichtigung seiner Wünsche in billigen Anspruch nehmen und ist deshalb
seiner endlichen Mediatisirung um einen bedeutenden Schritt näher ge-
rückt." Solcher Schwäche gegenüber sind die Verbündeten entschlossen,
"keine willenlose Hingebung zu zeigen, keine nicht aus dem eigenen Be-
dürfniß hervorgegangene Handelsgesetzgebung" anzunehmen. "Das Wesent-

*) Die Denkschrift ist vermuthlich zu Anfang des Jahres 1829 entstanden. Die gleich-
lautenden Abschriften in den Karlsruher und den Berliner Acten tragen kein Datum.

III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
wärtigen Zollvereine einſeitig beizutreten. Die Straßen ſollen in gutem
Stande erhalten, neue Straßenzüge verabredet werden. Die beſtehenden
Durchfuhrzölle auf Waaren, welche für einen Vereinsſtaat beſtimmt ſind,
dürfen nicht erhöht werden; dagegen ſteht dem Vereine wie jedem Ver-
einsſtaate frei, Waaren, die aus dem Auslande in das Ausland gehen,
mit höheren Tranſitgebühren zu belaſten. England-Hannover war es, das
dieſen unzweideutigen Art. 7 durchgeſetzt hatte. Es lag darin die Drohung,
den Handel zwiſchen den beiden Hälften der preußiſchen Monarchie zu zer-
ſtören, und zugleich eine ſyſtematiſche Begünſtigung der engliſchen Einfuhr.
Denn da auf Hannovers ausdrückliches Verlangen jedem Vereinsſtaate
die Befugniß eingeräumt wurde, Handelsverträge mit dem Auslande zu
ſchließen, ſo eröffnete ſich den engliſchen Waaren über Bremen und Han-
nover ein faſt zollfreier Weg nach den Binnenſtaaten, welche, wie Sachſen,
Thüringen, Naſſau, Frankfurt, noch kein geordnetes Grenzzollſyſtem be-
ſaßen. Noch deutlicher ſprach der neunte Artikel, der jedem Vereinsſtaate
das Recht zu einſeitigen Retorſionen vorbehielt; Kurheſſen hatte dieſe Be-
ſtimmung gefordert, und der Kurfürſt verſtand unter Retorſionen jede ge-
häſſige Gewaltthat wider die Nachbarn. Die einzige weſentliche Wohlthat,
welche der Verein dem Handel brachte, war die Erleichterung des Tran-
ſits, und ſie ward erkauft durch ſchwere Schädigung der heimiſchen, vor-
nehmlich der erzgebirgiſchen Induſtrie. Im Uebrigen dauerten alle be-
ſtehenden Acciſen und Zölle fort; nur Waarenverbote zwiſchen den Ver-
einsſtaaten waren unſtatthaft, auch ſollten die gewöhnlichen Erzeugniſſe
des Landbaus nicht verzollt werden.

Der Kern des Vertrages blieb die Abſicht, auf ſechs Jahre hinaus
die Erweiterung des preußiſchen Zollſyſtems zu verhindern und inzwiſchen
vielleicht durch Ableitung des Durchfuhrhandels dem Zollweſen Preußens
die Wurzeln abzugraben. Eine von Marſchall und Röntgen verfaßte
naſſauiſche Denkſchrift über das Verhältniß des Vereines zu Preußen
und Baiern*) giebt über dieſe freundnachbarlichen Abſichten ſicheren Auf-
ſchluß. Sie ſchildert beweglich, wie Darmſtadt ſich „an ein nicht aus
ſeiner Autonomie hervorgegangenes Syſtem“ angeſchloſſen habe. Aller-
dings wurden dabei „die äußeren Formen der Selbſtändigkeit gewahrt“,
aber das Großherzogthum „hat ſich während der Dauer des Vertrags
jeder materiellen Autonomie begeben, kann nur noch eine großmüthige Be-
rückſichtigung ſeiner Wünſche in billigen Anſpruch nehmen und iſt deshalb
ſeiner endlichen Mediatiſirung um einen bedeutenden Schritt näher ge-
rückt.“ Solcher Schwäche gegenüber ſind die Verbündeten entſchloſſen,
„keine willenloſe Hingebung zu zeigen, keine nicht aus dem eigenen Be-
dürfniß hervorgegangene Handelsgeſetzgebung“ anzunehmen. „Das Weſent-

*) Die Denkſchrift iſt vermuthlich zu Anfang des Jahres 1829 entſtanden. Die gleich-
lautenden Abſchriften in den Karlsruher und den Berliner Acten tragen kein Datum.
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[658/0674] III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine. wärtigen Zollvereine einſeitig beizutreten. Die Straßen ſollen in gutem Stande erhalten, neue Straßenzüge verabredet werden. Die beſtehenden Durchfuhrzölle auf Waaren, welche für einen Vereinsſtaat beſtimmt ſind, dürfen nicht erhöht werden; dagegen ſteht dem Vereine wie jedem Ver- einsſtaate frei, Waaren, die aus dem Auslande in das Ausland gehen, mit höheren Tranſitgebühren zu belaſten. England-Hannover war es, das dieſen unzweideutigen Art. 7 durchgeſetzt hatte. Es lag darin die Drohung, den Handel zwiſchen den beiden Hälften der preußiſchen Monarchie zu zer- ſtören, und zugleich eine ſyſtematiſche Begünſtigung der engliſchen Einfuhr. Denn da auf Hannovers ausdrückliches Verlangen jedem Vereinsſtaate die Befugniß eingeräumt wurde, Handelsverträge mit dem Auslande zu ſchließen, ſo eröffnete ſich den engliſchen Waaren über Bremen und Han- nover ein faſt zollfreier Weg nach den Binnenſtaaten, welche, wie Sachſen, Thüringen, Naſſau, Frankfurt, noch kein geordnetes Grenzzollſyſtem be- ſaßen. Noch deutlicher ſprach der neunte Artikel, der jedem Vereinsſtaate das Recht zu einſeitigen Retorſionen vorbehielt; Kurheſſen hatte dieſe Be- ſtimmung gefordert, und der Kurfürſt verſtand unter Retorſionen jede ge- häſſige Gewaltthat wider die Nachbarn. Die einzige weſentliche Wohlthat, welche der Verein dem Handel brachte, war die Erleichterung des Tran- ſits, und ſie ward erkauft durch ſchwere Schädigung der heimiſchen, vor- nehmlich der erzgebirgiſchen Induſtrie. Im Uebrigen dauerten alle be- ſtehenden Acciſen und Zölle fort; nur Waarenverbote zwiſchen den Ver- einsſtaaten waren unſtatthaft, auch ſollten die gewöhnlichen Erzeugniſſe des Landbaus nicht verzollt werden. Der Kern des Vertrages blieb die Abſicht, auf ſechs Jahre hinaus die Erweiterung des preußiſchen Zollſyſtems zu verhindern und inzwiſchen vielleicht durch Ableitung des Durchfuhrhandels dem Zollweſen Preußens die Wurzeln abzugraben. Eine von Marſchall und Röntgen verfaßte naſſauiſche Denkſchrift über das Verhältniß des Vereines zu Preußen und Baiern *) giebt über dieſe freundnachbarlichen Abſichten ſicheren Auf- ſchluß. Sie ſchildert beweglich, wie Darmſtadt ſich „an ein nicht aus ſeiner Autonomie hervorgegangenes Syſtem“ angeſchloſſen habe. Aller- dings wurden dabei „die äußeren Formen der Selbſtändigkeit gewahrt“, aber das Großherzogthum „hat ſich während der Dauer des Vertrags jeder materiellen Autonomie begeben, kann nur noch eine großmüthige Be- rückſichtigung ſeiner Wünſche in billigen Anſpruch nehmen und iſt deshalb ſeiner endlichen Mediatiſirung um einen bedeutenden Schritt näher ge- rückt.“ Solcher Schwäche gegenüber ſind die Verbündeten entſchloſſen, „keine willenloſe Hingebung zu zeigen, keine nicht aus dem eigenen Be- dürfniß hervorgegangene Handelsgeſetzgebung“ anzunehmen. „Das Weſent- *) Die Denkſchrift iſt vermuthlich zu Anfang des Jahres 1829 entſtanden. Die gleich- lautenden Abſchriften in den Karlsruher und den Berliner Acten tragen kein Datum.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 658. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/674>, abgerufen am 22.11.2024.