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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Der mitteldeutsche Handelsverein.
erlangen; daher wurden dort die stärksten Hebel eingesetzt. Der jüngere
Carlowitz selbst erschien im April zu Cassel, bald darauf kam Lindenau.
Beide, unterstützt durch Hruby, stellten dem Kurfürsten vor, was er am
liebsten hörte: der neutrale Verein verlange gar keine Aenderung in den
bestehenden Gesetzen Kurhessens; man betrachte dies Land als den Kern
des Bundes, könne der Sachkenntniß des Kurfürsten nicht entbehren, darum
sollten die Berathungen über das Grundgesetz unter seinen Augen, in
Cassel erfolgen. Den Ausschlag gab jedoch die staatsmännische Absicht,
dem Schwager in Berlin einen derben Possen zu spielen. Durch Kur-
hessens Beitritt wurde Badens Ablehnung mehr als aufgewogen. Lindenau
schrieb an Berstett: er hoffe auf die Mitwirkung des Karlsruher Hofes
um so sicherer, da durch den Verein "weder die Selbständigkeit der eigenen
Landesverwaltung, noch auch deren finanzielle Verhältnisse die mindeste
Störung erleiden, sondern nur die unveränderte Aufrechterhaltung des
status quo versichert und bezweckt wird."*) Der Antrag ward abgelehnt.
Mit Baiern verfeindet, von süddeutschen und preußischen Vereinslanden
rings umschlossen, hatte Baden von dem neutralen Vereine nichts zu
hoffen, von Preußens Zorn Alles zu fürchten. Bei allen anderen kleinen
Höfen fanden Lindenau's Werbungen günstiges Gehör. Einige ängstliche
thüringische Cabinette wurden gewonnen durch die vertrauliche Versiche-
rung, Preußen sei mit der Gründung des Vereins einverstanden, eine
plumpe Erfindung, die doch Eingang fand, weil die preußische Diplomatie
sich wie bisher ruhig zurückhielt. Selbst Herzog Karl von Braunschweig
ging diesmal Hand in Hand mit dem gehaßten jüngeren Welfenhause;
eine Weisung Metternich's bewog ihn, beizutreten.

Also waren im Laufe des Sommers die sämmtlichen zwischen den
beiden Hälften der preußischen Monarchie eingepreßten Kleinstaaten an-
geworben für den Neutralitätsbund, der sich den Namen "Mitteldeutscher
Handelsverein" beilegte. Nach jahrelangen vergeblichen Unterhandlungen
sah Deutschland plötzlich in einem Jahre drei handelspolitische Vereine
auftauchen. Nur Baden und die niederdeutschen Kleinstaaten östlich der
Elbe blieben noch isolirt. Triumphirend verkündete ein Artikel der Frank-
furter Oberpostamtszeitung, der aus Lindenau's Feder stammte, am
25. Juni: Sachsen, Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt sind die
Schöpfer des neuen Vereins, der den Art. 19 der Bundesacte zur Wahr-
heit macht und, statt neue Zolllinien zu schaffen, vielmehr die Handels-
freiheit auf sein Banner schreibt. "Daß Waare gegen Waare vertauscht,
Freiheit mit Freiheit, Gleiches mit Gleichem erwidert werde, das ist For-
derung des natürlichen Rechts, bei dessen Verkennung und Verweigerung
es dem Vereine wohl nicht an Mitteln fehlen dürfte, das was recht und
billig ist, mit feierlicher Kraft geltend zu machen, da er helfen und hemmen,

*) Lindenau an Berstett, 19. April 1828.

Der mitteldeutſche Handelsverein.
erlangen; daher wurden dort die ſtärkſten Hebel eingeſetzt. Der jüngere
Carlowitz ſelbſt erſchien im April zu Caſſel, bald darauf kam Lindenau.
Beide, unterſtützt durch Hruby, ſtellten dem Kurfürſten vor, was er am
liebſten hörte: der neutrale Verein verlange gar keine Aenderung in den
beſtehenden Geſetzen Kurheſſens; man betrachte dies Land als den Kern
des Bundes, könne der Sachkenntniß des Kurfürſten nicht entbehren, darum
ſollten die Berathungen über das Grundgeſetz unter ſeinen Augen, in
Caſſel erfolgen. Den Ausſchlag gab jedoch die ſtaatsmänniſche Abſicht,
dem Schwager in Berlin einen derben Poſſen zu ſpielen. Durch Kur-
heſſens Beitritt wurde Badens Ablehnung mehr als aufgewogen. Lindenau
ſchrieb an Berſtett: er hoffe auf die Mitwirkung des Karlsruher Hofes
um ſo ſicherer, da durch den Verein „weder die Selbſtändigkeit der eigenen
Landesverwaltung, noch auch deren finanzielle Verhältniſſe die mindeſte
Störung erleiden, ſondern nur die unveränderte Aufrechterhaltung des
status quo verſichert und bezweckt wird.“*) Der Antrag ward abgelehnt.
Mit Baiern verfeindet, von ſüddeutſchen und preußiſchen Vereinslanden
rings umſchloſſen, hatte Baden von dem neutralen Vereine nichts zu
hoffen, von Preußens Zorn Alles zu fürchten. Bei allen anderen kleinen
Höfen fanden Lindenau’s Werbungen günſtiges Gehör. Einige ängſtliche
thüringiſche Cabinette wurden gewonnen durch die vertrauliche Verſiche-
rung, Preußen ſei mit der Gründung des Vereins einverſtanden, eine
plumpe Erfindung, die doch Eingang fand, weil die preußiſche Diplomatie
ſich wie bisher ruhig zurückhielt. Selbſt Herzog Karl von Braunſchweig
ging diesmal Hand in Hand mit dem gehaßten jüngeren Welfenhauſe;
eine Weiſung Metternich’s bewog ihn, beizutreten.

Alſo waren im Laufe des Sommers die ſämmtlichen zwiſchen den
beiden Hälften der preußiſchen Monarchie eingepreßten Kleinſtaaten an-
geworben für den Neutralitätsbund, der ſich den Namen „Mitteldeutſcher
Handelsverein“ beilegte. Nach jahrelangen vergeblichen Unterhandlungen
ſah Deutſchland plötzlich in einem Jahre drei handelspolitiſche Vereine
auftauchen. Nur Baden und die niederdeutſchen Kleinſtaaten öſtlich der
Elbe blieben noch iſolirt. Triumphirend verkündete ein Artikel der Frank-
furter Oberpoſtamtszeitung, der aus Lindenau’s Feder ſtammte, am
25. Juni: Sachſen, Hannover, Kurheſſen, Naſſau, Frankfurt ſind die
Schöpfer des neuen Vereins, der den Art. 19 der Bundesacte zur Wahr-
heit macht und, ſtatt neue Zolllinien zu ſchaffen, vielmehr die Handels-
freiheit auf ſein Banner ſchreibt. „Daß Waare gegen Waare vertauſcht,
Freiheit mit Freiheit, Gleiches mit Gleichem erwidert werde, das iſt For-
derung des natürlichen Rechts, bei deſſen Verkennung und Verweigerung
es dem Vereine wohl nicht an Mitteln fehlen dürfte, das was recht und
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*) Lindenau an Berſtett, 19. April 1828.
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[655/0671] Der mitteldeutſche Handelsverein. erlangen; daher wurden dort die ſtärkſten Hebel eingeſetzt. Der jüngere Carlowitz ſelbſt erſchien im April zu Caſſel, bald darauf kam Lindenau. Beide, unterſtützt durch Hruby, ſtellten dem Kurfürſten vor, was er am liebſten hörte: der neutrale Verein verlange gar keine Aenderung in den beſtehenden Geſetzen Kurheſſens; man betrachte dies Land als den Kern des Bundes, könne der Sachkenntniß des Kurfürſten nicht entbehren, darum ſollten die Berathungen über das Grundgeſetz unter ſeinen Augen, in Caſſel erfolgen. Den Ausſchlag gab jedoch die ſtaatsmänniſche Abſicht, dem Schwager in Berlin einen derben Poſſen zu ſpielen. Durch Kur- heſſens Beitritt wurde Badens Ablehnung mehr als aufgewogen. Lindenau ſchrieb an Berſtett: er hoffe auf die Mitwirkung des Karlsruher Hofes um ſo ſicherer, da durch den Verein „weder die Selbſtändigkeit der eigenen Landesverwaltung, noch auch deren finanzielle Verhältniſſe die mindeſte Störung erleiden, ſondern nur die unveränderte Aufrechterhaltung des status quo verſichert und bezweckt wird.“ *) Der Antrag ward abgelehnt. Mit Baiern verfeindet, von ſüddeutſchen und preußiſchen Vereinslanden rings umſchloſſen, hatte Baden von dem neutralen Vereine nichts zu hoffen, von Preußens Zorn Alles zu fürchten. Bei allen anderen kleinen Höfen fanden Lindenau’s Werbungen günſtiges Gehör. Einige ängſtliche thüringiſche Cabinette wurden gewonnen durch die vertrauliche Verſiche- rung, Preußen ſei mit der Gründung des Vereins einverſtanden, eine plumpe Erfindung, die doch Eingang fand, weil die preußiſche Diplomatie ſich wie bisher ruhig zurückhielt. Selbſt Herzog Karl von Braunſchweig ging diesmal Hand in Hand mit dem gehaßten jüngeren Welfenhauſe; eine Weiſung Metternich’s bewog ihn, beizutreten. Alſo waren im Laufe des Sommers die ſämmtlichen zwiſchen den beiden Hälften der preußiſchen Monarchie eingepreßten Kleinſtaaten an- geworben für den Neutralitätsbund, der ſich den Namen „Mitteldeutſcher Handelsverein“ beilegte. Nach jahrelangen vergeblichen Unterhandlungen ſah Deutſchland plötzlich in einem Jahre drei handelspolitiſche Vereine auftauchen. Nur Baden und die niederdeutſchen Kleinſtaaten öſtlich der Elbe blieben noch iſolirt. Triumphirend verkündete ein Artikel der Frank- furter Oberpoſtamtszeitung, der aus Lindenau’s Feder ſtammte, am 25. Juni: Sachſen, Hannover, Kurheſſen, Naſſau, Frankfurt ſind die Schöpfer des neuen Vereins, der den Art. 19 der Bundesacte zur Wahr- heit macht und, ſtatt neue Zolllinien zu ſchaffen, vielmehr die Handels- freiheit auf ſein Banner ſchreibt. „Daß Waare gegen Waare vertauſcht, Freiheit mit Freiheit, Gleiches mit Gleichem erwidert werde, das iſt For- derung des natürlichen Rechts, bei deſſen Verkennung und Verweigerung es dem Vereine wohl nicht an Mitteln fehlen dürfte, das was recht und billig iſt, mit feierlicher Kraft geltend zu machen, da er helfen und hemmen, *) Lindenau an Berſtett, 19. April 1828.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 655. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/671>, abgerufen am 22.11.2024.