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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Englisch-hannoversche Handelspolitik.
sein Hof werde sich freuen, wenn Hessen bei dem preußischen Bündniß
seinen Vortheil finde.*) Nach den Enthüllungen, die man in Berlin vom
Darmstädter Hofe selbst erhalten, konnten solche Betheuerungen nur Heiter-
keit erregen. Wie Oesterreich zu dem neuen Gegenzollvereine stand, das
erhellte, wenn anders die Frankfurter Gesandtschaftsberichte noch einer
Bestätigung bedurften, aus einem Briefe Lindenau's, der in Berlin be-
kannt wurde. "Ich verhandle mit Holstein und den Niederlanden, schrieb
der sächsische Diplomat an den Bundestagsgesandten Leonhardi, sowie
wir nicht minder der Unterstützung des gemeinnützigen, vielversprechenden
Unternehmens von Seiten der österreichischen Regierung, welche dessen
Förderung wünscht, versichert sein können."**) Auch die anderen auslän-
dischen Feinde der preußischen Handelspolitik liehen dem Vereine ihren
Beistand. Graf Reinhard versicherte die Vereinsmitglieder der warmen
Unterstützung des Pariser Cabinets. Um die Niederlande zu gewinnen,
ging Lindenau im Herbst selber nach Brüssel und stellte dort vor -- er,
der Vertreter des Elbuferstaates Sachsen: -- es sei nothwendig, den Rhein
und Main wieder zu beleben, die durch den Elb- und Weserhandel so
schwere Einbuße erlitten hätten, und den rheinischen Colonialwaarenhandel
Hollands wieder zu der Höhe zu erheben, die er im achtzehnten Jahr-
hundert behauptet. Selber mit seiner deutschen Provinz beizutreten lag
freilich nicht ins Hollands Absicht; doch warben seine Diplomaten in Frank-
furt eifrig für den Verein.

Entscheidend wurde die Haltung von England-Hannover. Noch war
man in London gewohnt, mit dreister Sicherheit auf Deutschlands Zwie-
tracht zu rechnen; jede Regung selbständigen Willens in der deutschen
Handelspolitik galt den Briten als ein Schlag ins eigene Angesicht. Welch'
eine köstliche Aussicht, wenn jetzt durch den Gegenzollverein nicht nur die
machtlose Anarchie des deutschen Zollwesens verewigt, sondern auch den
englischen Waaren gegen mäßige Transitzölle der Weg bis ins Herz von
Deutschland eröffnet wurde; von dort mochten sie dann durch die Schmuggler
nach Preußen und Baiern hinübergeschafft werden. Mit Feuereifer ging
der Gesandte am Bundestage, Addington, auf Lindenau's Ideen ein. Um-
sonst warnte der nüchterne Milbanke, Geschäftsträger bei der Stadt Frank-
furt: der Verein entbehre jedes positiven Zwecks, könne und werde nicht
dauern, der deutsche Handel bedürfe schlechterdings einer Reform. Adding-
ton's Meinung drang in London durch; allzu verlockend war der Gedanke,
den offenen hannoverschen Markt, der bisher den englischen Fabriken so
unschätzbar gewesen, bis an den Main zu erweitern. Die englische Scha-
luppe Hannover folgte wie immer ihrem Schiffe. Graf Münster schalt
hinterrücks den preußischen Zollverein "eine preußische Reunionskammer",

*) Maltzan's Bericht, 10. Sept. 1828.
**) Lindenau an Leonhardi, 3. Juni 1828.

Engliſch-hannoverſche Handelspolitik.
ſein Hof werde ſich freuen, wenn Heſſen bei dem preußiſchen Bündniß
ſeinen Vortheil finde.*) Nach den Enthüllungen, die man in Berlin vom
Darmſtädter Hofe ſelbſt erhalten, konnten ſolche Betheuerungen nur Heiter-
keit erregen. Wie Oeſterreich zu dem neuen Gegenzollvereine ſtand, das
erhellte, wenn anders die Frankfurter Geſandtſchaftsberichte noch einer
Beſtätigung bedurften, aus einem Briefe Lindenau’s, der in Berlin be-
kannt wurde. „Ich verhandle mit Holſtein und den Niederlanden, ſchrieb
der ſächſiſche Diplomat an den Bundestagsgeſandten Leonhardi, ſowie
wir nicht minder der Unterſtützung des gemeinnützigen, vielverſprechenden
Unternehmens von Seiten der öſterreichiſchen Regierung, welche deſſen
Förderung wünſcht, verſichert ſein können.“**) Auch die anderen auslän-
diſchen Feinde der preußiſchen Handelspolitik liehen dem Vereine ihren
Beiſtand. Graf Reinhard verſicherte die Vereinsmitglieder der warmen
Unterſtützung des Pariſer Cabinets. Um die Niederlande zu gewinnen,
ging Lindenau im Herbſt ſelber nach Brüſſel und ſtellte dort vor — er,
der Vertreter des Elbuferſtaates Sachſen: — es ſei nothwendig, den Rhein
und Main wieder zu beleben, die durch den Elb- und Weſerhandel ſo
ſchwere Einbuße erlitten hätten, und den rheiniſchen Colonialwaarenhandel
Hollands wieder zu der Höhe zu erheben, die er im achtzehnten Jahr-
hundert behauptet. Selber mit ſeiner deutſchen Provinz beizutreten lag
freilich nicht ins Hollands Abſicht; doch warben ſeine Diplomaten in Frank-
furt eifrig für den Verein.

Entſcheidend wurde die Haltung von England-Hannover. Noch war
man in London gewohnt, mit dreiſter Sicherheit auf Deutſchlands Zwie-
tracht zu rechnen; jede Regung ſelbſtändigen Willens in der deutſchen
Handelspolitik galt den Briten als ein Schlag ins eigene Angeſicht. Welch’
eine köſtliche Ausſicht, wenn jetzt durch den Gegenzollverein nicht nur die
machtloſe Anarchie des deutſchen Zollweſens verewigt, ſondern auch den
engliſchen Waaren gegen mäßige Tranſitzölle der Weg bis ins Herz von
Deutſchland eröffnet wurde; von dort mochten ſie dann durch die Schmuggler
nach Preußen und Baiern hinübergeſchafft werden. Mit Feuereifer ging
der Geſandte am Bundestage, Addington, auf Lindenau’s Ideen ein. Um-
ſonſt warnte der nüchterne Milbanke, Geſchäftsträger bei der Stadt Frank-
furt: der Verein entbehre jedes poſitiven Zwecks, könne und werde nicht
dauern, der deutſche Handel bedürfe ſchlechterdings einer Reform. Adding-
ton’s Meinung drang in London durch; allzu verlockend war der Gedanke,
den offenen hannoverſchen Markt, der bisher den engliſchen Fabriken ſo
unſchätzbar geweſen, bis an den Main zu erweitern. Die engliſche Scha-
luppe Hannover folgte wie immer ihrem Schiffe. Graf Münſter ſchalt
hinterrücks den preußiſchen Zollverein „eine preußiſche Reunionskammer“,

*) Maltzan’s Bericht, 10. Sept. 1828.
**) Lindenau an Leonhardi, 3. Juni 1828.
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[653/0669] Engliſch-hannoverſche Handelspolitik. ſein Hof werde ſich freuen, wenn Heſſen bei dem preußiſchen Bündniß ſeinen Vortheil finde. *) Nach den Enthüllungen, die man in Berlin vom Darmſtädter Hofe ſelbſt erhalten, konnten ſolche Betheuerungen nur Heiter- keit erregen. Wie Oeſterreich zu dem neuen Gegenzollvereine ſtand, das erhellte, wenn anders die Frankfurter Geſandtſchaftsberichte noch einer Beſtätigung bedurften, aus einem Briefe Lindenau’s, der in Berlin be- kannt wurde. „Ich verhandle mit Holſtein und den Niederlanden, ſchrieb der ſächſiſche Diplomat an den Bundestagsgeſandten Leonhardi, ſowie wir nicht minder der Unterſtützung des gemeinnützigen, vielverſprechenden Unternehmens von Seiten der öſterreichiſchen Regierung, welche deſſen Förderung wünſcht, verſichert ſein können.“ **) Auch die anderen auslän- diſchen Feinde der preußiſchen Handelspolitik liehen dem Vereine ihren Beiſtand. Graf Reinhard verſicherte die Vereinsmitglieder der warmen Unterſtützung des Pariſer Cabinets. Um die Niederlande zu gewinnen, ging Lindenau im Herbſt ſelber nach Brüſſel und ſtellte dort vor — er, der Vertreter des Elbuferſtaates Sachſen: — es ſei nothwendig, den Rhein und Main wieder zu beleben, die durch den Elb- und Weſerhandel ſo ſchwere Einbuße erlitten hätten, und den rheiniſchen Colonialwaarenhandel Hollands wieder zu der Höhe zu erheben, die er im achtzehnten Jahr- hundert behauptet. Selber mit ſeiner deutſchen Provinz beizutreten lag freilich nicht ins Hollands Abſicht; doch warben ſeine Diplomaten in Frank- furt eifrig für den Verein. Entſcheidend wurde die Haltung von England-Hannover. Noch war man in London gewohnt, mit dreiſter Sicherheit auf Deutſchlands Zwie- tracht zu rechnen; jede Regung ſelbſtändigen Willens in der deutſchen Handelspolitik galt den Briten als ein Schlag ins eigene Angeſicht. Welch’ eine köſtliche Ausſicht, wenn jetzt durch den Gegenzollverein nicht nur die machtloſe Anarchie des deutſchen Zollweſens verewigt, ſondern auch den engliſchen Waaren gegen mäßige Tranſitzölle der Weg bis ins Herz von Deutſchland eröffnet wurde; von dort mochten ſie dann durch die Schmuggler nach Preußen und Baiern hinübergeſchafft werden. Mit Feuereifer ging der Geſandte am Bundestage, Addington, auf Lindenau’s Ideen ein. Um- ſonſt warnte der nüchterne Milbanke, Geſchäftsträger bei der Stadt Frank- furt: der Verein entbehre jedes poſitiven Zwecks, könne und werde nicht dauern, der deutſche Handel bedürfe ſchlechterdings einer Reform. Adding- ton’s Meinung drang in London durch; allzu verlockend war der Gedanke, den offenen hannoverſchen Markt, der bisher den engliſchen Fabriken ſo unſchätzbar geweſen, bis an den Main zu erweitern. Die engliſche Scha- luppe Hannover folgte wie immer ihrem Schiffe. Graf Münſter ſchalt hinterrücks den preußiſchen Zollverein „eine preußiſche Reunionskammer“, *) Maltzan’s Bericht, 10. Sept. 1828. **) Lindenau an Leonhardi, 3. Juni 1828.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 653. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/669>, abgerufen am 25.11.2024.