höchstdieselben sind nicht davon überzeugt, daß es dem Interesse des Kur- staats entsprechend sei, einer solchen Uebereinkunft das bisherige System aufzuopfern."*) Die gröbsten Wendungen hatte der Kurfürst eigenhändig in das Schreiben hineingebracht. Bei einer neuen Audienz donnerte er Wittgenstein an: "Ich bin Chef des hessischen Hauses; Anmaßungen wie der Großherzog sie sich erlaubt hat, werde ich nicht dulden; ich kann die Bitte des Großherzogs nicht gewähren." Auch Wittgenstein's Sendung war gescheitert.
Eichhorn ahnte, daß die süddeutschen Kronen die Hände im Spiele gehabt, empfahl dem Bundestagsgesandten Nagler und allen Gesandten im Oberlande scharfe Aufmerksamkeit auf die Handelspolitik der kleinen Höfe. Zwei Tendenzen, schrieb er, wirken uns in Cassel entgegen. Der bairisch-württembergische Verein sucht Kurhessen für sich zu gewinnen; er krankt an verkehrten politischen Nebengedanken und ruht auf dem falschen Grundsatze, daß die Binnenstaaten von den Küstenländern sich unabhängig machen sollen; "mit jeder Ausdehnung verliert das System selbst an innerem Halt und Zusammenhang." Gefährlicher scheint der von einigen thüringischen Staaten gehegte Plan, unter Kurhessens Führung einen hes- sisch-thüringischen Zollverein zu bilden, der nach Belieben mit Preußen oder mit dem Süden verhandeln könnte -- eine Träumerei "so einladend für den Stolz des Kurfürsten, daß er kaum widerstehen wird."**)
Nach Wittgenstein's Abreise meinten die bairisch-württembergischen Unterhändler ihr Spiel gewonnen. Baiern versprach dem Kurfürsten seine bisherigen Zolleinnahmen zu verbürgen, wenn er dem süddeutschen Ver- eine beitrete. Der Kurfürst, als ein geriebener Handelsmann, holte sofort eine alte Schuldforderung an das fürstliche Haus Oettingen hervor, welche einst Napoleon für Baiern eingezogen hatte; auch diese Sache zu berei- nigen war Baiern erbötig. Schon bereiste Oberkamp mit einem kurhes- sischen Finanzbeamten die bairischen Grenzen, um diesem die Einrichtung der Mauthen zu zeigen. Da griff eine gewandtere Hand ein und betrog die süddeutschen Höfe um den Sieg.
Daß Oesterreich die Erweiterung des preußisch-hessischen Vereines un- gern sah, war allbekannt. Wenn der österreichische Geschäftsträger in Cassel dem Prinzen Wittgenstein zuvorkommend seine Instructionen zeigte, und dort zu lesen stand, er solle seinen preußischen Collegen überall ge- treulich unterstützen, so wußte man in Berlin längst, was von solchen k. k. Scherzen zu halten sei. Aber auch der Zollverein der constitutionellen Südstaaten erschien zu Wien hochgefährlich. Sobald das diplomatische Getriebe in Cassel begann, wurde Frhr. v. Hruby, einer der eifrigsten und gefährlichsten Feinde Preußens, so recht ein Vertreter des alten fer-
*) Schminke an du Thil, 15. März 1828.
**) Weisung an Nagler, Otterstedt u. s. w. 5. April 1828.
Kurheſſen verweigert den Beitritt.
höchſtdieſelben ſind nicht davon überzeugt, daß es dem Intereſſe des Kur- ſtaats entſprechend ſei, einer ſolchen Uebereinkunft das bisherige Syſtem aufzuopfern.“*) Die gröbſten Wendungen hatte der Kurfürſt eigenhändig in das Schreiben hineingebracht. Bei einer neuen Audienz donnerte er Wittgenſtein an: „Ich bin Chef des heſſiſchen Hauſes; Anmaßungen wie der Großherzog ſie ſich erlaubt hat, werde ich nicht dulden; ich kann die Bitte des Großherzogs nicht gewähren.“ Auch Wittgenſtein’s Sendung war geſcheitert.
Eichhorn ahnte, daß die ſüddeutſchen Kronen die Hände im Spiele gehabt, empfahl dem Bundestagsgeſandten Nagler und allen Geſandten im Oberlande ſcharfe Aufmerkſamkeit auf die Handelspolitik der kleinen Höfe. Zwei Tendenzen, ſchrieb er, wirken uns in Caſſel entgegen. Der bairiſch-württembergiſche Verein ſucht Kurheſſen für ſich zu gewinnen; er krankt an verkehrten politiſchen Nebengedanken und ruht auf dem falſchen Grundſatze, daß die Binnenſtaaten von den Küſtenländern ſich unabhängig machen ſollen; „mit jeder Ausdehnung verliert das Syſtem ſelbſt an innerem Halt und Zuſammenhang.“ Gefährlicher ſcheint der von einigen thüringiſchen Staaten gehegte Plan, unter Kurheſſens Führung einen heſ- ſiſch-thüringiſchen Zollverein zu bilden, der nach Belieben mit Preußen oder mit dem Süden verhandeln könnte — eine Träumerei „ſo einladend für den Stolz des Kurfürſten, daß er kaum widerſtehen wird.“**)
Nach Wittgenſtein’s Abreiſe meinten die bairiſch-württembergiſchen Unterhändler ihr Spiel gewonnen. Baiern verſprach dem Kurfürſten ſeine bisherigen Zolleinnahmen zu verbürgen, wenn er dem ſüddeutſchen Ver- eine beitrete. Der Kurfürſt, als ein geriebener Handelsmann, holte ſofort eine alte Schuldforderung an das fürſtliche Haus Oettingen hervor, welche einſt Napoleon für Baiern eingezogen hatte; auch dieſe Sache zu berei- nigen war Baiern erbötig. Schon bereiſte Oberkamp mit einem kurheſ- ſiſchen Finanzbeamten die bairiſchen Grenzen, um dieſem die Einrichtung der Mauthen zu zeigen. Da griff eine gewandtere Hand ein und betrog die ſüddeutſchen Höfe um den Sieg.
Daß Oeſterreich die Erweiterung des preußiſch-heſſiſchen Vereines un- gern ſah, war allbekannt. Wenn der öſterreichiſche Geſchäftsträger in Caſſel dem Prinzen Wittgenſtein zuvorkommend ſeine Inſtructionen zeigte, und dort zu leſen ſtand, er ſolle ſeinen preußiſchen Collegen überall ge- treulich unterſtützen, ſo wußte man in Berlin längſt, was von ſolchen k. k. Scherzen zu halten ſei. Aber auch der Zollverein der conſtitutionellen Südſtaaten erſchien zu Wien hochgefährlich. Sobald das diplomatiſche Getriebe in Caſſel begann, wurde Frhr. v. Hruby, einer der eifrigſten und gefährlichſten Feinde Preußens, ſo recht ein Vertreter des alten fer-
*) Schminke an du Thil, 15. März 1828.
**) Weiſung an Nagler, Otterſtedt u. ſ. w. 5. April 1828.
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aufzuopfern.“ *) Die gröbſten Wendungen hatte der Kurfürſt eigenhändig
in das Schreiben hineingebracht. Bei einer neuen Audienz donnerte er
Wittgenſtein an: „Ich bin Chef des heſſiſchen Hauſes; Anmaßungen wie
der Großherzog ſie ſich erlaubt hat, werde ich nicht dulden; ich kann die
Bitte des Großherzogs nicht gewähren.“ Auch Wittgenſtein’s Sendung
war geſcheitert.
Eichhorn ahnte, daß die ſüddeutſchen Kronen die Hände im Spiele
gehabt, empfahl dem Bundestagsgeſandten Nagler und allen Geſandten
im Oberlande ſcharfe Aufmerkſamkeit auf die Handelspolitik der kleinen
Höfe. Zwei Tendenzen, ſchrieb er, wirken uns in Caſſel entgegen. Der
bairiſch-württembergiſche Verein ſucht Kurheſſen für ſich zu gewinnen; er
krankt an verkehrten politiſchen Nebengedanken und ruht auf dem falſchen
Grundſatze, daß die Binnenſtaaten von den Küſtenländern ſich unabhängig
machen ſollen; „mit jeder Ausdehnung verliert das Syſtem ſelbſt an
innerem Halt und Zuſammenhang.“ Gefährlicher ſcheint der von einigen
thüringiſchen Staaten gehegte Plan, unter Kurheſſens Führung einen heſ-
ſiſch-thüringiſchen Zollverein zu bilden, der nach Belieben mit Preußen
oder mit dem Süden verhandeln könnte — eine Träumerei „ſo einladend
für den Stolz des Kurfürſten, daß er kaum widerſtehen wird.“ **)
Nach Wittgenſtein’s Abreiſe meinten die bairiſch-württembergiſchen
Unterhändler ihr Spiel gewonnen. Baiern verſprach dem Kurfürſten ſeine
bisherigen Zolleinnahmen zu verbürgen, wenn er dem ſüddeutſchen Ver-
eine beitrete. Der Kurfürſt, als ein geriebener Handelsmann, holte ſofort
eine alte Schuldforderung an das fürſtliche Haus Oettingen hervor, welche
einſt Napoleon für Baiern eingezogen hatte; auch dieſe Sache zu berei-
nigen war Baiern erbötig. Schon bereiſte Oberkamp mit einem kurheſ-
ſiſchen Finanzbeamten die bairiſchen Grenzen, um dieſem die Einrichtung
der Mauthen zu zeigen. Da griff eine gewandtere Hand ein und betrog
die ſüddeutſchen Höfe um den Sieg.
Daß Oeſterreich die Erweiterung des preußiſch-heſſiſchen Vereines un-
gern ſah, war allbekannt. Wenn der öſterreichiſche Geſchäftsträger in
Caſſel dem Prinzen Wittgenſtein zuvorkommend ſeine Inſtructionen zeigte,
und dort zu leſen ſtand, er ſolle ſeinen preußiſchen Collegen überall ge-
treulich unterſtützen, ſo wußte man in Berlin längſt, was von ſolchen
k. k. Scherzen zu halten ſei. Aber auch der Zollverein der conſtitutionellen
Südſtaaten erſchien zu Wien hochgefährlich. Sobald das diplomatiſche
Getriebe in Caſſel begann, wurde Frhr. v. Hruby, einer der eifrigſten
und gefährlichſten Feinde Preußens, ſo recht ein Vertreter des alten fer-
*) Schminke an du Thil, 15. März 1828.
**) Weiſung an Nagler, Otterſtedt u. ſ. w. 5. April 1828.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/663>, abgerufen am 29.11.2024.
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