sische Vertrag bis zum Mai geheim; denn niemals hätte der Stolz des Casseler Despoten sich entschlossen, einem bereits veröffentlichten Vertrage nachträglich beizutreten und also vor der Welt zuzugestehen, daß das min- dermächtige Darmstadt ihm vorangegangen sei. Hofmann ging noch im Februar, auf der Rückreise von Berlin, nach Cassel und meinte die Lage ziemlich günstig zu finden. Freiherr v. Meysenbug und andere hohe Be- amte, mit denen er vertraulich sprach, gaben ihm bereitwillig zu, daß Kurhessen nach Darmstadts Beitritt nicht mehr zögern dürfe: nur der Anschluß an Preußen könne die zerrüttete Volkswirthschaft retten. Gleich- wohl war Hofmann im Irrthum; schon nach vierundzwanzig Stunden mußte er unverrichteter Dinge abziehen. "An diesem Hofe, schrieb du Thil, sind rationelle Berechnungen nicht statthaft." Hinter und über den Beamten trieb die Reichenbach ihr Wesen, die noch immer auf eine öster- reichische Fürstenkrone hoffte.
Auf solchem Boden war den armseligen Künsten der kleinen Höfe die Stätte bereitet. Ein Heerlager von amtlichen und geheimen Unter- händlern strömte im Frühjahr 1828 zu Cassel zusammen, um den Kur- fürsten von Preußen fernzuhalten. Aus Baiern erschienen die Geheimen Räthe Oberkamp und Siebein, der Erstere wohlgeschult in dem Ränkespiele der Eschenheimer Gasse; auch seinen Freund v. d. Tann schickte König Ludwig hinüber. Für Württemberg arbeitete der alte Agitator Miller von Immenstadt, jetzt württembergischer Steuerrath. Aus Sachsen kam Frhr. v. Lützerode, aus Hannover Kammerrath Lüder, auch Coburg und Mei- ningen sendeten Unterhändler. Dann erschien "zum allgemeinen Schrecken" Präsident v. Porbeck aus Arnsberg, um dem Berliner Cabinet über das verworrene Treiben zu berichten. Die Darmstädter Regierung erneuerte im März ihren Versuch und sendete den Prinzen Wittgenstein, um dem Kurfürsten mitzutheilen: Preußen habe eingewilligt, daß der Zutritt Kur- hessens zu dem Vertrage vorbehalten bleibe, und Darmstadt den Antrag stelle; der Großherzog erlaube sich daher anzufragen, ob der Kurfürst die Absendung eines Bevollmächtigten genehmige. Am 12. März sprach der Kurfürst dem Prinzen seinen verbindlichen Dank aus. Doch schon nach drei Tagen schlug der Wind um. Sei es, daß Wittgenstein allzu zuver- sichtlich aufgetreten war, sei es daß Oberkamp und die Reichenbach dem Kurfürsten die Schmach einer Unterwerfung unter Preußens Befehle ge- schildert hatten -- genug, am 15. März ließ der Finanzminister Schminke ein Schreiben an du Thil abgehen, in jener Tonart, die nur in Cassel oder Köthen möglich war: "S. K. Hoheit können nicht ohne große Em- pfindlichkeit wahrnehmen, daß in einem Allerhöchstdemselben und Aller- höchstdero Kurstaate durchaus fremden Vertrage von Seiten des großh. Hofes Stipulationen in Beziehung auf das Kurfürstenthum eingegangen sind und eine Initiative ergriffen worden ist, welche das Kurhaus in An- sehung des großherzoglichen Hauses sich nicht einmal gestattet hat. Aller-
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
ſiſche Vertrag bis zum Mai geheim; denn niemals hätte der Stolz des Caſſeler Despoten ſich entſchloſſen, einem bereits veröffentlichten Vertrage nachträglich beizutreten und alſo vor der Welt zuzugeſtehen, daß das min- dermächtige Darmſtadt ihm vorangegangen ſei. Hofmann ging noch im Februar, auf der Rückreiſe von Berlin, nach Caſſel und meinte die Lage ziemlich günſtig zu finden. Freiherr v. Meyſenbug und andere hohe Be- amte, mit denen er vertraulich ſprach, gaben ihm bereitwillig zu, daß Kurheſſen nach Darmſtadts Beitritt nicht mehr zögern dürfe: nur der Anſchluß an Preußen könne die zerrüttete Volkswirthſchaft retten. Gleich- wohl war Hofmann im Irrthum; ſchon nach vierundzwanzig Stunden mußte er unverrichteter Dinge abziehen. „An dieſem Hofe, ſchrieb du Thil, ſind rationelle Berechnungen nicht ſtatthaft.“ Hinter und über den Beamten trieb die Reichenbach ihr Weſen, die noch immer auf eine öſter- reichiſche Fürſtenkrone hoffte.
Auf ſolchem Boden war den armſeligen Künſten der kleinen Höfe die Stätte bereitet. Ein Heerlager von amtlichen und geheimen Unter- händlern ſtrömte im Frühjahr 1828 zu Caſſel zuſammen, um den Kur- fürſten von Preußen fernzuhalten. Aus Baiern erſchienen die Geheimen Räthe Oberkamp und Siebein, der Erſtere wohlgeſchult in dem Ränkeſpiele der Eſchenheimer Gaſſe; auch ſeinen Freund v. d. Tann ſchickte König Ludwig hinüber. Für Württemberg arbeitete der alte Agitator Miller von Immenſtadt, jetzt württembergiſcher Steuerrath. Aus Sachſen kam Frhr. v. Lützerode, aus Hannover Kammerrath Lüder, auch Coburg und Mei- ningen ſendeten Unterhändler. Dann erſchien „zum allgemeinen Schrecken“ Präſident v. Porbeck aus Arnsberg, um dem Berliner Cabinet über das verworrene Treiben zu berichten. Die Darmſtädter Regierung erneuerte im März ihren Verſuch und ſendete den Prinzen Wittgenſtein, um dem Kurfürſten mitzutheilen: Preußen habe eingewilligt, daß der Zutritt Kur- heſſens zu dem Vertrage vorbehalten bleibe, und Darmſtadt den Antrag ſtelle; der Großherzog erlaube ſich daher anzufragen, ob der Kurfürſt die Abſendung eines Bevollmächtigten genehmige. Am 12. März ſprach der Kurfürſt dem Prinzen ſeinen verbindlichen Dank aus. Doch ſchon nach drei Tagen ſchlug der Wind um. Sei es, daß Wittgenſtein allzu zuver- ſichtlich aufgetreten war, ſei es daß Oberkamp und die Reichenbach dem Kurfürſten die Schmach einer Unterwerfung unter Preußens Befehle ge- ſchildert hatten — genug, am 15. März ließ der Finanzminiſter Schminke ein Schreiben an du Thil abgehen, in jener Tonart, die nur in Caſſel oder Köthen möglich war: „S. K. Hoheit können nicht ohne große Em- pfindlichkeit wahrnehmen, daß in einem Allerhöchſtdemſelben und Aller- höchſtdero Kurſtaate durchaus fremden Vertrage von Seiten des großh. Hofes Stipulationen in Beziehung auf das Kurfürſtenthum eingegangen ſind und eine Initiative ergriffen worden iſt, welche das Kurhaus in An- ſehung des großherzoglichen Hauſes ſich nicht einmal geſtattet hat. Aller-
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ſiſche Vertrag bis zum Mai geheim; denn niemals hätte der Stolz des
Caſſeler Despoten ſich entſchloſſen, einem bereits veröffentlichten Vertrage
nachträglich beizutreten und alſo vor der Welt zuzugeſtehen, daß das min-
dermächtige Darmſtadt ihm vorangegangen ſei. Hofmann ging noch im
Februar, auf der Rückreiſe von Berlin, nach Caſſel und meinte die Lage
ziemlich günſtig zu finden. Freiherr v. Meyſenbug und andere hohe Be-
amte, mit denen er vertraulich ſprach, gaben ihm bereitwillig zu, daß
Kurheſſen nach Darmſtadts Beitritt nicht mehr zögern dürfe: nur der
Anſchluß an Preußen könne die zerrüttete Volkswirthſchaft retten. Gleich-
wohl war Hofmann im Irrthum; ſchon nach vierundzwanzig Stunden
mußte er unverrichteter Dinge abziehen. „An dieſem Hofe, ſchrieb du
Thil, ſind rationelle Berechnungen nicht ſtatthaft.“ Hinter und über den
Beamten trieb die Reichenbach ihr Weſen, die noch immer auf eine öſter-
reichiſche Fürſtenkrone hoffte.
Auf ſolchem Boden war den armſeligen Künſten der kleinen Höfe
die Stätte bereitet. Ein Heerlager von amtlichen und geheimen Unter-
händlern ſtrömte im Frühjahr 1828 zu Caſſel zuſammen, um den Kur-
fürſten von Preußen fernzuhalten. Aus Baiern erſchienen die Geheimen
Räthe Oberkamp und Siebein, der Erſtere wohlgeſchult in dem Ränkeſpiele
der Eſchenheimer Gaſſe; auch ſeinen Freund v. d. Tann ſchickte König
Ludwig hinüber. Für Württemberg arbeitete der alte Agitator Miller von
Immenſtadt, jetzt württembergiſcher Steuerrath. Aus Sachſen kam Frhr.
v. Lützerode, aus Hannover Kammerrath Lüder, auch Coburg und Mei-
ningen ſendeten Unterhändler. Dann erſchien „zum allgemeinen Schrecken“
Präſident v. Porbeck aus Arnsberg, um dem Berliner Cabinet über das
verworrene Treiben zu berichten. Die Darmſtädter Regierung erneuerte
im März ihren Verſuch und ſendete den Prinzen Wittgenſtein, um dem
Kurfürſten mitzutheilen: Preußen habe eingewilligt, daß der Zutritt Kur-
heſſens zu dem Vertrage vorbehalten bleibe, und Darmſtadt den Antrag
ſtelle; der Großherzog erlaube ſich daher anzufragen, ob der Kurfürſt die
Abſendung eines Bevollmächtigten genehmige. Am 12. März ſprach der
Kurfürſt dem Prinzen ſeinen verbindlichen Dank aus. Doch ſchon nach
drei Tagen ſchlug der Wind um. Sei es, daß Wittgenſtein allzu zuver-
ſichtlich aufgetreten war, ſei es daß Oberkamp und die Reichenbach dem
Kurfürſten die Schmach einer Unterwerfung unter Preußens Befehle ge-
ſchildert hatten — genug, am 15. März ließ der Finanzminiſter Schminke
ein Schreiben an du Thil abgehen, in jener Tonart, die nur in Caſſel
oder Köthen möglich war: „S. K. Hoheit können nicht ohne große Em-
pfindlichkeit wahrnehmen, daß in einem Allerhöchſtdemſelben und Aller-
höchſtdero Kurſtaate durchaus fremden Vertrage von Seiten des großh.
Hofes Stipulationen in Beziehung auf das Kurfürſtenthum eingegangen
ſind und eine Initiative ergriffen worden iſt, welche das Kurhaus in An-
ſehung des großherzoglichen Hauſes ſich nicht einmal geſtattet hat. Aller-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 646. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/662>, abgerufen am 29.11.2024.
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