Ebenso streng wurde die Gleichberechtigung der Verbündeten in Sachen der Zollgesetzgebung aufrecht erhalten. Der Artikel 4 lautete ur- sprünglich: Abänderungen der Zollgesetze sollen nur in "gegenseitigem Einvernehmen" erfolgen, "und es sollen alle diese Veränderungen im Großherzogthum Hessen im Namen S. K. H. des Großherzogs ver- kündigt werden." Diese Fassung erregte in Darmstadt schmerzliches Auf- sehen. Prinz Emil selbst eilte zu Maltzan, stellte ihm vor: "der Groß- herzog weiß, daß man in Berlin selbst nicht wünscht, daß die großher- zogliche Regierung in den Augen des übrigen Deutschlands erniedrigt werde."*) Eichhorn, der längst verlernt hatte, sich über die Weltanschau- ung deutscher Kleinfürsten zu verwundern, ging auf die Bitte ein; er strich jene erniedrigenden Worte, ersetzte sie nachträglich durch die Wendung: "und sollen von jeder der beiden Regierungen ihrerseits verkündigt werden." Damit war das europäische Gleichgewicht zwischen Preußen und Darm- stadt wieder hergestellt.
So bereitwillig die preußischen Staatsmänner in diesen lächerlichen Formfragen nachgaben, ebenso schwer fiel ihnen der Entschluß, den In- halt des Art. 4 selbst anzunehmen. Wann hatte denn jemals eine Großmacht ihre Zollgesetzgebung dem guten Willen eines Staates vom dritten Range unterworfen? Es war vorauszusehen, daß dieser darm- städtische Vertrag allen späteren Zollvereinsverträgen ebenso zum Vorbilde dienen würde, wie der Sondershausener Vertrag das Muster gewesen war für alle nachfolgenden Enclavenverträge. In jenem Augenblicke freilich standen die kleinen Cabinette den Ideen des Freihandels sogar noch näher als Preußen. Doch konnte dem Scharfblick Motz's und Maassen's nicht entgehen, daß diese Parteistellung in einer nahen Zu- kunft sich gänzlich verschieben würde, sobald in Oberdeutschland eine junge Großindustrie entstand. Der preußischen Zollgesetzgebung drohte viel- leicht Stillstand und Verkümmerung, wenn die Mittelstaaten ein Veto erhielten.
Alle diese staatswirthschaftlichen Bedenken mußten verstummen vor den glänzenden Aussichten, welche sich der nationalen Politik Preußens eröffneten. Darmstadt -- so berichtete Eichhorn dem Könige -- empfängt durch den Vertrag erst die Möglichkeit eines haltbaren Zollsystems. Preu- ßen gewinnt die wichtige Position in Mainz, verhindert den süddeutschen Sonderbund in den Norden hinein vorzudringen, und darf mit Sicher- heit darauf rechnen, daß Hessens Beispiel Nachfolge finden, eine große handelspolitische Vereinigung entstehen wird. Nochmals wird sodann dem Könige versichert, daß jede Feindseligkeit gegen deutsche Staaten vermieden werden solle. "Die Vereinigung ist von Ew. Maj. Behörden weder gesucht, noch weniger durch verführerische Lockungen veranlaßt
*) Maltzan's Bericht, 20. Febr. 1828.
Der preußiſch-heſſiſche Zollverein.
Ebenſo ſtreng wurde die Gleichberechtigung der Verbündeten in Sachen der Zollgeſetzgebung aufrecht erhalten. Der Artikel 4 lautete ur- ſprünglich: Abänderungen der Zollgeſetze ſollen nur in „gegenſeitigem Einvernehmen“ erfolgen, „und es ſollen alle dieſe Veränderungen im Großherzogthum Heſſen im Namen S. K. H. des Großherzogs ver- kündigt werden.“ Dieſe Faſſung erregte in Darmſtadt ſchmerzliches Auf- ſehen. Prinz Emil ſelbſt eilte zu Maltzan, ſtellte ihm vor: „der Groß- herzog weiß, daß man in Berlin ſelbſt nicht wünſcht, daß die großher- zogliche Regierung in den Augen des übrigen Deutſchlands erniedrigt werde.“*) Eichhorn, der längſt verlernt hatte, ſich über die Weltanſchau- ung deutſcher Kleinfürſten zu verwundern, ging auf die Bitte ein; er ſtrich jene erniedrigenden Worte, erſetzte ſie nachträglich durch die Wendung: „und ſollen von jeder der beiden Regierungen ihrerſeits verkündigt werden.“ Damit war das europäiſche Gleichgewicht zwiſchen Preußen und Darm- ſtadt wieder hergeſtellt.
So bereitwillig die preußiſchen Staatsmänner in dieſen lächerlichen Formfragen nachgaben, ebenſo ſchwer fiel ihnen der Entſchluß, den In- halt des Art. 4 ſelbſt anzunehmen. Wann hatte denn jemals eine Großmacht ihre Zollgeſetzgebung dem guten Willen eines Staates vom dritten Range unterworfen? Es war vorauszuſehen, daß dieſer darm- ſtädtiſche Vertrag allen ſpäteren Zollvereinsverträgen ebenſo zum Vorbilde dienen würde, wie der Sondershauſener Vertrag das Muſter geweſen war für alle nachfolgenden Enclavenverträge. In jenem Augenblicke freilich ſtanden die kleinen Cabinette den Ideen des Freihandels ſogar noch näher als Preußen. Doch konnte dem Scharfblick Motz’s und Maaſſen’s nicht entgehen, daß dieſe Parteiſtellung in einer nahen Zu- kunft ſich gänzlich verſchieben würde, ſobald in Oberdeutſchland eine junge Großinduſtrie entſtand. Der preußiſchen Zollgeſetzgebung drohte viel- leicht Stillſtand und Verkümmerung, wenn die Mittelſtaaten ein Veto erhielten.
Alle dieſe ſtaatswirthſchaftlichen Bedenken mußten verſtummen vor den glänzenden Ausſichten, welche ſich der nationalen Politik Preußens eröffneten. Darmſtadt — ſo berichtete Eichhorn dem Könige — empfängt durch den Vertrag erſt die Möglichkeit eines haltbaren Zollſyſtems. Preu- ßen gewinnt die wichtige Poſition in Mainz, verhindert den ſüddeutſchen Sonderbund in den Norden hinein vorzudringen, und darf mit Sicher- heit darauf rechnen, daß Heſſens Beiſpiel Nachfolge finden, eine große handelspolitiſche Vereinigung entſtehen wird. Nochmals wird ſodann dem Könige verſichert, daß jede Feindſeligkeit gegen deutſche Staaten vermieden werden ſolle. „Die Vereinigung iſt von Ew. Maj. Behörden weder geſucht, noch weniger durch verführeriſche Lockungen veranlaßt
*) Maltzan’s Bericht, 20. Febr. 1828.
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Der preußiſch-heſſiſche Zollverein.
Ebenſo ſtreng wurde die Gleichberechtigung der Verbündeten in
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ſprünglich: Abänderungen der Zollgeſetze ſollen nur in „gegenſeitigem
Einvernehmen“ erfolgen, „und es ſollen alle dieſe Veränderungen im
Großherzogthum Heſſen im Namen S. K. H. des Großherzogs ver-
kündigt werden.“ Dieſe Faſſung erregte in Darmſtadt ſchmerzliches Auf-
ſehen. Prinz Emil ſelbſt eilte zu Maltzan, ſtellte ihm vor: „der Groß-
herzog weiß, daß man in Berlin ſelbſt nicht wünſcht, daß die großher-
zogliche Regierung in den Augen des übrigen Deutſchlands erniedrigt
werde.“ *) Eichhorn, der längſt verlernt hatte, ſich über die Weltanſchau-
ung deutſcher Kleinfürſten zu verwundern, ging auf die Bitte ein; er ſtrich
jene erniedrigenden Worte, erſetzte ſie nachträglich durch die Wendung:
„und ſollen von jeder der beiden Regierungen ihrerſeits verkündigt werden.“
Damit war das europäiſche Gleichgewicht zwiſchen Preußen und Darm-
ſtadt wieder hergeſtellt.
So bereitwillig die preußiſchen Staatsmänner in dieſen lächerlichen
Formfragen nachgaben, ebenſo ſchwer fiel ihnen der Entſchluß, den In-
halt des Art. 4 ſelbſt anzunehmen. Wann hatte denn jemals eine
Großmacht ihre Zollgeſetzgebung dem guten Willen eines Staates vom
dritten Range unterworfen? Es war vorauszuſehen, daß dieſer darm-
ſtädtiſche Vertrag allen ſpäteren Zollvereinsverträgen ebenſo zum Vorbilde
dienen würde, wie der Sondershauſener Vertrag das Muſter geweſen
war für alle nachfolgenden Enclavenverträge. In jenem Augenblicke
freilich ſtanden die kleinen Cabinette den Ideen des Freihandels ſogar
noch näher als Preußen. Doch konnte dem Scharfblick Motz’s und
Maaſſen’s nicht entgehen, daß dieſe Parteiſtellung in einer nahen Zu-
kunft ſich gänzlich verſchieben würde, ſobald in Oberdeutſchland eine junge
Großinduſtrie entſtand. Der preußiſchen Zollgeſetzgebung drohte viel-
leicht Stillſtand und Verkümmerung, wenn die Mittelſtaaten ein Veto
erhielten.
Alle dieſe ſtaatswirthſchaftlichen Bedenken mußten verſtummen vor
den glänzenden Ausſichten, welche ſich der nationalen Politik Preußens
eröffneten. Darmſtadt — ſo berichtete Eichhorn dem Könige — empfängt
durch den Vertrag erſt die Möglichkeit eines haltbaren Zollſyſtems. Preu-
ßen gewinnt die wichtige Poſition in Mainz, verhindert den ſüddeutſchen
Sonderbund in den Norden hinein vorzudringen, und darf mit Sicher-
heit darauf rechnen, daß Heſſens Beiſpiel Nachfolge finden, eine große
handelspolitiſche Vereinigung entſtehen wird. Nochmals wird ſodann
dem Könige verſichert, daß jede Feindſeligkeit gegen deutſche Staaten
vermieden werden ſolle. „Die Vereinigung iſt von Ew. Maj. Behörden
weder geſucht, noch weniger durch verführeriſche Lockungen veranlaßt
*) Maltzan’s Bericht, 20. Febr. 1828.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/651>, abgerufen am 25.11.2024.
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