leicht hinwegzugehen", gewährte dem Verbündeten gleiches Stimmrecht bei Abänderungen der Zollgesetze und eine selbständige Zollverwaltung, die aber streng nach preußischem Muster eingerichtet werden sollte. Mit diesem Entschlusse war alles Wesentliche entschieden. Die nächste Con- ferenz vom 17. Januar behandelte nur noch Detailfragen. Am 24. Ja- nuar berichtete Eichhorn dem Könige: der Vertrag verspreche allein für Hessen finanzielle und volkswirthschaftliche Vortheile, für Preußen dagegen einen großen politischen Gewinn, da die kleinen Staaten auf diesem Wege dauernd an uns gefesselt werden. Am 3. Februar genehmigte der König den Abschluß der Verhandlungen; in seiner streng rechtlichen Gesinnung fügte er ausdrücklich die Bedingung hinzu: "die deutschen Nachbarstaaten, besonders Baden, dürfen dadurch nicht in ihrem Interesse gekränkt werden."
So kam denn am 14. Februar 1828 jener denkwürdige Vertrag zu Stande, der in Wahrheit die Verfassung des deutschen Zollvereins fest- stellte. Er verhält sich zu den späteren Zollvereinsverträgen genau so, wie die Verfassung des Norddeutschen Bundes zu der heutigen Reichs- verfassung sich verhält. Durch den Zutritt anderer, größerer Mittelstaaten haben sich späterhin die centrifugalen Kräfte des Zollvereins erheblich verstärkt; einzelne Bestimmungen des Vertrags wurden im föderalistischen Sinne abgeschwächt; doch die Fundamente des preußisch-hessischen Ver- trags blieben unerschüttert. Darmstadt nahm die preußischen Zölle an und gab überdies die vertrauliche Zusage, daß auch die wichtigsten preu- ßischen Consumtionssteuern eingeführt werden sollten. Der Kreis Wetz- lar tritt unter die darmstädtischen, das hessische Hinterland unter die westphälischen Zollbehörden. Preußen ernennt einen Rath bei der Zoll- direction in Darmstadt, Hessen desgleichen bei der Steuerdirection zu Köln. Beide Staaten beaufsichtigen wechselseitig ihre Hauptzollämter durch Controleure; eine Conferenz von Bevollmächtigten vertheilt all- jährlich die gemeinschaftlichen Einnahmen nach Verhältniß der Kopf- zahl. Dergestalt war die Rechtsgleichheit der Verbündeten, die souveräne Würde des darmstädtischen Reiches mit peinlicher Sorgfalt gewahrt. Die milde Controle änderte wenig an der Selbständigkeit der hessischen Zollverwaltung; der Verein beruhte im Grunde nur auf gegenseitigem Vertrauen. Nach den bisherigen Leistungen kleinstaatlicher Zollverwal- tung konnten die preußischen Geschäftsmänner einen solchen Vertrag nicht ohne ernste Bedenken unterschreiben. Die hessische Regierung aber hat das gute Zutrauen gerechtfertigt, sie ließ das neue Zollwesen unter der einsichtigen Leitung des Finanzraths Biersack fest und redlich durchführen. Diese deutsche Treue, diese ehrenhafte Erfüllung der eingegangenen Ver- bindlichkeiten bildet überhaupt das beste Verdienst, das die Mittelstaaten um den Zollverein sich erworben haben; der Abschluß der Verträge selbst war nicht eine freie patriotische That der kleinen Höfe, sondern ein Ergebniß der bitteren Noth.
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
leicht hinwegzugehen“, gewährte dem Verbündeten gleiches Stimmrecht bei Abänderungen der Zollgeſetze und eine ſelbſtändige Zollverwaltung, die aber ſtreng nach preußiſchem Muſter eingerichtet werden ſollte. Mit dieſem Entſchluſſe war alles Weſentliche entſchieden. Die nächſte Con- ferenz vom 17. Januar behandelte nur noch Detailfragen. Am 24. Ja- nuar berichtete Eichhorn dem Könige: der Vertrag verſpreche allein für Heſſen finanzielle und volkswirthſchaftliche Vortheile, für Preußen dagegen einen großen politiſchen Gewinn, da die kleinen Staaten auf dieſem Wege dauernd an uns gefeſſelt werden. Am 3. Februar genehmigte der König den Abſchluß der Verhandlungen; in ſeiner ſtreng rechtlichen Geſinnung fügte er ausdrücklich die Bedingung hinzu: „die deutſchen Nachbarſtaaten, beſonders Baden, dürfen dadurch nicht in ihrem Intereſſe gekränkt werden.“
So kam denn am 14. Februar 1828 jener denkwürdige Vertrag zu Stande, der in Wahrheit die Verfaſſung des deutſchen Zollvereins feſt- ſtellte. Er verhält ſich zu den ſpäteren Zollvereinsverträgen genau ſo, wie die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes zu der heutigen Reichs- verfaſſung ſich verhält. Durch den Zutritt anderer, größerer Mittelſtaaten haben ſich ſpäterhin die centrifugalen Kräfte des Zollvereins erheblich verſtärkt; einzelne Beſtimmungen des Vertrags wurden im föderaliſtiſchen Sinne abgeſchwächt; doch die Fundamente des preußiſch-heſſiſchen Ver- trags blieben unerſchüttert. Darmſtadt nahm die preußiſchen Zölle an und gab überdies die vertrauliche Zuſage, daß auch die wichtigſten preu- ßiſchen Conſumtionsſteuern eingeführt werden ſollten. Der Kreis Wetz- lar tritt unter die darmſtädtiſchen, das heſſiſche Hinterland unter die weſtphäliſchen Zollbehörden. Preußen ernennt einen Rath bei der Zoll- direction in Darmſtadt, Heſſen desgleichen bei der Steuerdirection zu Köln. Beide Staaten beaufſichtigen wechſelſeitig ihre Hauptzollämter durch Controleure; eine Conferenz von Bevollmächtigten vertheilt all- jährlich die gemeinſchaftlichen Einnahmen nach Verhältniß der Kopf- zahl. Dergeſtalt war die Rechtsgleichheit der Verbündeten, die ſouveräne Würde des darmſtädtiſchen Reiches mit peinlicher Sorgfalt gewahrt. Die milde Controle änderte wenig an der Selbſtändigkeit der heſſiſchen Zollverwaltung; der Verein beruhte im Grunde nur auf gegenſeitigem Vertrauen. Nach den bisherigen Leiſtungen kleinſtaatlicher Zollverwal- tung konnten die preußiſchen Geſchäftsmänner einen ſolchen Vertrag nicht ohne ernſte Bedenken unterſchreiben. Die heſſiſche Regierung aber hat das gute Zutrauen gerechtfertigt, ſie ließ das neue Zollweſen unter der einſichtigen Leitung des Finanzraths Bierſack feſt und redlich durchführen. Dieſe deutſche Treue, dieſe ehrenhafte Erfüllung der eingegangenen Ver- bindlichkeiten bildet überhaupt das beſte Verdienſt, das die Mittelſtaaten um den Zollverein ſich erworben haben; der Abſchluß der Verträge ſelbſt war nicht eine freie patriotiſche That der kleinen Höfe, ſondern ein Ergebniß der bitteren Noth.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0650"n="634"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.</fw><lb/>
leicht hinwegzugehen“, gewährte dem Verbündeten gleiches Stimmrecht bei<lb/>
Abänderungen der Zollgeſetze und eine ſelbſtändige Zollverwaltung, die<lb/>
aber ſtreng nach preußiſchem Muſter eingerichtet werden ſollte. Mit<lb/>
dieſem Entſchluſſe war alles Weſentliche entſchieden. Die nächſte Con-<lb/>
ferenz vom 17. Januar behandelte nur noch Detailfragen. Am 24. Ja-<lb/>
nuar berichtete Eichhorn dem Könige: der Vertrag verſpreche allein für<lb/>
Heſſen finanzielle und volkswirthſchaftliche Vortheile, für Preußen dagegen<lb/>
einen großen politiſchen Gewinn, da die kleinen Staaten auf dieſem Wege<lb/>
dauernd an uns gefeſſelt werden. Am 3. Februar genehmigte der König<lb/>
den Abſchluß der Verhandlungen; in ſeiner ſtreng rechtlichen Geſinnung<lb/>
fügte er ausdrücklich die Bedingung hinzu: „die deutſchen Nachbarſtaaten,<lb/>
beſonders Baden, dürfen dadurch nicht in ihrem Intereſſe gekränkt werden.“</p><lb/><p>So kam denn am 14. Februar 1828 jener denkwürdige Vertrag<lb/>
zu Stande, der in Wahrheit die Verfaſſung des deutſchen Zollvereins feſt-<lb/>ſtellte. Er verhält ſich zu den ſpäteren Zollvereinsverträgen genau ſo,<lb/>
wie die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes zu der heutigen Reichs-<lb/>
verfaſſung ſich verhält. Durch den Zutritt anderer, größerer Mittelſtaaten<lb/>
haben ſich ſpäterhin die centrifugalen Kräfte des Zollvereins erheblich<lb/>
verſtärkt; einzelne Beſtimmungen des Vertrags wurden im föderaliſtiſchen<lb/>
Sinne abgeſchwächt; doch die Fundamente des preußiſch-heſſiſchen Ver-<lb/>
trags blieben unerſchüttert. Darmſtadt nahm die preußiſchen Zölle an<lb/>
und gab überdies die vertrauliche Zuſage, daß auch die wichtigſten preu-<lb/>
ßiſchen Conſumtionsſteuern eingeführt werden ſollten. Der Kreis Wetz-<lb/>
lar tritt unter die darmſtädtiſchen, das heſſiſche Hinterland unter die<lb/>
weſtphäliſchen Zollbehörden. Preußen ernennt einen Rath bei der Zoll-<lb/>
direction in Darmſtadt, Heſſen desgleichen bei der Steuerdirection zu<lb/>
Köln. Beide Staaten beaufſichtigen wechſelſeitig ihre Hauptzollämter<lb/>
durch Controleure; eine Conferenz von Bevollmächtigten vertheilt all-<lb/>
jährlich die gemeinſchaftlichen Einnahmen nach Verhältniß der Kopf-<lb/>
zahl. Dergeſtalt war die Rechtsgleichheit der Verbündeten, die ſouveräne<lb/>
Würde des darmſtädtiſchen Reiches mit peinlicher Sorgfalt gewahrt.<lb/>
Die milde Controle änderte wenig an der Selbſtändigkeit der heſſiſchen<lb/>
Zollverwaltung; der Verein beruhte im Grunde nur auf gegenſeitigem<lb/>
Vertrauen. Nach den bisherigen Leiſtungen kleinſtaatlicher Zollverwal-<lb/>
tung konnten die preußiſchen Geſchäftsmänner einen ſolchen Vertrag nicht<lb/>
ohne ernſte Bedenken unterſchreiben. Die heſſiſche Regierung aber hat<lb/>
das gute Zutrauen gerechtfertigt, ſie ließ das neue Zollweſen unter der<lb/>
einſichtigen Leitung des Finanzraths Bierſack feſt und redlich durchführen.<lb/>
Dieſe deutſche Treue, dieſe ehrenhafte Erfüllung der eingegangenen Ver-<lb/>
bindlichkeiten bildet überhaupt das beſte Verdienſt, das die Mittelſtaaten<lb/>
um den Zollverein ſich erworben haben; der Abſchluß der Verträge<lb/>ſelbſt war nicht eine freie patriotiſche That der kleinen Höfe, ſondern<lb/>
ein Ergebniß der bitteren Noth.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[634/0650]
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
leicht hinwegzugehen“, gewährte dem Verbündeten gleiches Stimmrecht bei
Abänderungen der Zollgeſetze und eine ſelbſtändige Zollverwaltung, die
aber ſtreng nach preußiſchem Muſter eingerichtet werden ſollte. Mit
dieſem Entſchluſſe war alles Weſentliche entſchieden. Die nächſte Con-
ferenz vom 17. Januar behandelte nur noch Detailfragen. Am 24. Ja-
nuar berichtete Eichhorn dem Könige: der Vertrag verſpreche allein für
Heſſen finanzielle und volkswirthſchaftliche Vortheile, für Preußen dagegen
einen großen politiſchen Gewinn, da die kleinen Staaten auf dieſem Wege
dauernd an uns gefeſſelt werden. Am 3. Februar genehmigte der König
den Abſchluß der Verhandlungen; in ſeiner ſtreng rechtlichen Geſinnung
fügte er ausdrücklich die Bedingung hinzu: „die deutſchen Nachbarſtaaten,
beſonders Baden, dürfen dadurch nicht in ihrem Intereſſe gekränkt werden.“
So kam denn am 14. Februar 1828 jener denkwürdige Vertrag
zu Stande, der in Wahrheit die Verfaſſung des deutſchen Zollvereins feſt-
ſtellte. Er verhält ſich zu den ſpäteren Zollvereinsverträgen genau ſo,
wie die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes zu der heutigen Reichs-
verfaſſung ſich verhält. Durch den Zutritt anderer, größerer Mittelſtaaten
haben ſich ſpäterhin die centrifugalen Kräfte des Zollvereins erheblich
verſtärkt; einzelne Beſtimmungen des Vertrags wurden im föderaliſtiſchen
Sinne abgeſchwächt; doch die Fundamente des preußiſch-heſſiſchen Ver-
trags blieben unerſchüttert. Darmſtadt nahm die preußiſchen Zölle an
und gab überdies die vertrauliche Zuſage, daß auch die wichtigſten preu-
ßiſchen Conſumtionsſteuern eingeführt werden ſollten. Der Kreis Wetz-
lar tritt unter die darmſtädtiſchen, das heſſiſche Hinterland unter die
weſtphäliſchen Zollbehörden. Preußen ernennt einen Rath bei der Zoll-
direction in Darmſtadt, Heſſen desgleichen bei der Steuerdirection zu
Köln. Beide Staaten beaufſichtigen wechſelſeitig ihre Hauptzollämter
durch Controleure; eine Conferenz von Bevollmächtigten vertheilt all-
jährlich die gemeinſchaftlichen Einnahmen nach Verhältniß der Kopf-
zahl. Dergeſtalt war die Rechtsgleichheit der Verbündeten, die ſouveräne
Würde des darmſtädtiſchen Reiches mit peinlicher Sorgfalt gewahrt.
Die milde Controle änderte wenig an der Selbſtändigkeit der heſſiſchen
Zollverwaltung; der Verein beruhte im Grunde nur auf gegenſeitigem
Vertrauen. Nach den bisherigen Leiſtungen kleinſtaatlicher Zollverwal-
tung konnten die preußiſchen Geſchäftsmänner einen ſolchen Vertrag nicht
ohne ernſte Bedenken unterſchreiben. Die heſſiſche Regierung aber hat
das gute Zutrauen gerechtfertigt, ſie ließ das neue Zollweſen unter der
einſichtigen Leitung des Finanzraths Bierſack feſt und redlich durchführen.
Dieſe deutſche Treue, dieſe ehrenhafte Erfüllung der eingegangenen Ver-
bindlichkeiten bildet überhaupt das beſte Verdienſt, das die Mittelſtaaten
um den Zollverein ſich erworben haben; der Abſchluß der Verträge
ſelbſt war nicht eine freie patriotiſche That der kleinen Höfe, ſondern
ein Ergebniß der bitteren Noth.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/650>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.