bar bestimmt war, das Ansehen des Geburtsadels herabzubringen, blieb als bairische Eigenthümlichkeit erhalten.
Deutlicher als in den Ständeverhandlungen zeigten sich die Folgen des Thronwechsels in dem geistigen Leben des Landes. In der Welt der Ideen und der Träume war dem neuen König am wohlsten, der von sich selber sagte:
Sehnen will ich und schwärmen und träumen, Phantasie nur befriedigt, entzückt.
Er hob die Preßverordnung auf, die einst nach den Karlsbader Beschlüssen erschienen war, und obwohl die Censur für politische Zeitschriften fortbe- stand, so wurde sie doch in diesen ersten vertrauensvollen Jahren mild gehandhabt; freimüthige Urtheile über das Verfahren der einheimischen Behörden sollten Jedem unverwehrt sein. Auch die Kirche sollte fortan größerer Freiheit genießen als unter der aufgeklärt-bureaukratischen Re- gierung des Vaters. Der gläubige Sohn stellte die alten Hausbräuche der Wittelsbacher wieder her, wusch am Grünen Donnerstag den Armen die Füße, schritt andächtig mit in der Frohnleichnams-Procession; er gab der Hauptstadt das alte Wappen wieder, das ihr Montgelas einst ge- nommen hatte, weil das Münchener Männlein leider ein unaufgeklärtes Mönchlein war; er erlaubte den Ober-Ammergauer Bauern die bisher ebenfalls verbotene Aufführung ihres schönen alten Passionsspieles, und beeilte sich die noch unausgeführten Versprechungen des Concordats einzu- lösen. Sofort wurden acht Manns- und vier Nonnenklöster wiederherge- stellt, zuerst Karl's des Großen ehrwürdige Stiftung, die Benediktinerabtei Metten an der Donau. Nach und nach mehrte sich die Zahl. Mit Ver- wunderung sahen die Münchener wieder die Benediktiner, Kapuziner, Fran- ziskaner, die lange ganz verschollen gewesen, durch die Straßen ziehen. Den Bauern aber gereichte es zur Beruhigung, daß sie das Ignazi-Wasser, das Quirinus- und Walpurgis-Oel, die Lukaszettel, sowie die anderen landesüblichen Wundermittel nunmehr wieder aus der Hand geweihter Gottesmänner kaufen konnten. Bald ging der König sogar über die Vorschriften des Concordats hinaus, indem er außer dem verheißenen Priesterseminar auch zwei Knabenseminare einrichten ließ; er wollte fromme Priester, die den letzten Bodensatz des Illuminatenthums aus dem gläu- bigen Baierlande hinausfegen sollten, und bemerkte nicht, wie fremd der Nachwuchs des Clerus dem Vaterlande werden mußte, wenn man ihn schon in zarter Jugend von der bürgerlichen Gesellschaft absperrte.
An die Spitze des protestantischen Consistoriums wurde der Schwabe Roth gestellt, ein strenger Orthodoxer, der die Ultramontanen als willkom- mene Bundesgenossen gegen den rationalistischen Unglauben ansah. Seit die Königin Wittwe nach Würzburg ziehen mußte, verlor ihr Hofprediger, der versöhnliche Schmitt, seinen Einfluß, und das harte, der Union feind- liche Lutherthum, das in Erlangen unter den jungen Theologen vorherrschte,
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 39
Erſter Landtag. Kirchenpolitik.
bar beſtimmt war, das Anſehen des Geburtsadels herabzubringen, blieb als bairiſche Eigenthümlichkeit erhalten.
Deutlicher als in den Ständeverhandlungen zeigten ſich die Folgen des Thronwechſels in dem geiſtigen Leben des Landes. In der Welt der Ideen und der Träume war dem neuen König am wohlſten, der von ſich ſelber ſagte:
Sehnen will ich und ſchwärmen und träumen, Phantaſie nur befriedigt, entzückt.
Er hob die Preßverordnung auf, die einſt nach den Karlsbader Beſchlüſſen erſchienen war, und obwohl die Cenſur für politiſche Zeitſchriften fortbe- ſtand, ſo wurde ſie doch in dieſen erſten vertrauensvollen Jahren mild gehandhabt; freimüthige Urtheile über das Verfahren der einheimiſchen Behörden ſollten Jedem unverwehrt ſein. Auch die Kirche ſollte fortan größerer Freiheit genießen als unter der aufgeklärt-bureaukratiſchen Re- gierung des Vaters. Der gläubige Sohn ſtellte die alten Hausbräuche der Wittelsbacher wieder her, wuſch am Grünen Donnerſtag den Armen die Füße, ſchritt andächtig mit in der Frohnleichnams-Proceſſion; er gab der Hauptſtadt das alte Wappen wieder, das ihr Montgelas einſt ge- nommen hatte, weil das Münchener Männlein leider ein unaufgeklärtes Mönchlein war; er erlaubte den Ober-Ammergauer Bauern die bisher ebenfalls verbotene Aufführung ihres ſchönen alten Paſſionsſpieles, und beeilte ſich die noch unausgeführten Verſprechungen des Concordats einzu- löſen. Sofort wurden acht Manns- und vier Nonnenklöſter wiederherge- ſtellt, zuerſt Karl’s des Großen ehrwürdige Stiftung, die Benediktinerabtei Metten an der Donau. Nach und nach mehrte ſich die Zahl. Mit Ver- wunderung ſahen die Münchener wieder die Benediktiner, Kapuziner, Fran- ziskaner, die lange ganz verſchollen geweſen, durch die Straßen ziehen. Den Bauern aber gereichte es zur Beruhigung, daß ſie das Ignazi-Waſſer, das Quirinus- und Walpurgis-Oel, die Lukaszettel, ſowie die anderen landesüblichen Wundermittel nunmehr wieder aus der Hand geweihter Gottesmänner kaufen konnten. Bald ging der König ſogar über die Vorſchriften des Concordats hinaus, indem er außer dem verheißenen Prieſterſeminar auch zwei Knabenſeminare einrichten ließ; er wollte fromme Prieſter, die den letzten Bodenſatz des Illuminatenthums aus dem gläu- bigen Baierlande hinausfegen ſollten, und bemerkte nicht, wie fremd der Nachwuchs des Clerus dem Vaterlande werden mußte, wenn man ihn ſchon in zarter Jugend von der bürgerlichen Geſellſchaft abſperrte.
An die Spitze des proteſtantiſchen Conſiſtoriums wurde der Schwabe Roth geſtellt, ein ſtrenger Orthodoxer, der die Ultramontanen als willkom- mene Bundesgenoſſen gegen den rationaliſtiſchen Unglauben anſah. Seit die Königin Wittwe nach Würzburg ziehen mußte, verlor ihr Hofprediger, der verſöhnliche Schmitt, ſeinen Einfluß, und das harte, der Union feind- liche Lutherthum, das in Erlangen unter den jungen Theologen vorherrſchte,
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 39
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Erſter Landtag. Kirchenpolitik.
bar beſtimmt war, das Anſehen des Geburtsadels herabzubringen, blieb
als bairiſche Eigenthümlichkeit erhalten.
Deutlicher als in den Ständeverhandlungen zeigten ſich die Folgen
des Thronwechſels in dem geiſtigen Leben des Landes. In der Welt der
Ideen und der Träume war dem neuen König am wohlſten, der von ſich
ſelber ſagte:
Sehnen will ich und ſchwärmen und träumen,
Phantaſie nur befriedigt, entzückt.
Er hob die Preßverordnung auf, die einſt nach den Karlsbader Beſchlüſſen
erſchienen war, und obwohl die Cenſur für politiſche Zeitſchriften fortbe-
ſtand, ſo wurde ſie doch in dieſen erſten vertrauensvollen Jahren mild
gehandhabt; freimüthige Urtheile über das Verfahren der einheimiſchen
Behörden ſollten Jedem unverwehrt ſein. Auch die Kirche ſollte fortan
größerer Freiheit genießen als unter der aufgeklärt-bureaukratiſchen Re-
gierung des Vaters. Der gläubige Sohn ſtellte die alten Hausbräuche
der Wittelsbacher wieder her, wuſch am Grünen Donnerſtag den Armen
die Füße, ſchritt andächtig mit in der Frohnleichnams-Proceſſion; er gab
der Hauptſtadt das alte Wappen wieder, das ihr Montgelas einſt ge-
nommen hatte, weil das Münchener Männlein leider ein unaufgeklärtes
Mönchlein war; er erlaubte den Ober-Ammergauer Bauern die bisher
ebenfalls verbotene Aufführung ihres ſchönen alten Paſſionsſpieles, und
beeilte ſich die noch unausgeführten Verſprechungen des Concordats einzu-
löſen. Sofort wurden acht Manns- und vier Nonnenklöſter wiederherge-
ſtellt, zuerſt Karl’s des Großen ehrwürdige Stiftung, die Benediktinerabtei
Metten an der Donau. Nach und nach mehrte ſich die Zahl. Mit Ver-
wunderung ſahen die Münchener wieder die Benediktiner, Kapuziner, Fran-
ziskaner, die lange ganz verſchollen geweſen, durch die Straßen ziehen.
Den Bauern aber gereichte es zur Beruhigung, daß ſie das Ignazi-Waſſer,
das Quirinus- und Walpurgis-Oel, die Lukaszettel, ſowie die anderen
landesüblichen Wundermittel nunmehr wieder aus der Hand geweihter
Gottesmänner kaufen konnten. Bald ging der König ſogar über die
Vorſchriften des Concordats hinaus, indem er außer dem verheißenen
Prieſterſeminar auch zwei Knabenſeminare einrichten ließ; er wollte fromme
Prieſter, die den letzten Bodenſatz des Illuminatenthums aus dem gläu-
bigen Baierlande hinausfegen ſollten, und bemerkte nicht, wie fremd der
Nachwuchs des Clerus dem Vaterlande werden mußte, wenn man ihn
ſchon in zarter Jugend von der bürgerlichen Geſellſchaft abſperrte.
An die Spitze des proteſtantiſchen Conſiſtoriums wurde der Schwabe
Roth geſtellt, ein ſtrenger Orthodoxer, der die Ultramontanen als willkom-
mene Bundesgenoſſen gegen den rationaliſtiſchen Unglauben anſah. Seit
die Königin Wittwe nach Würzburg ziehen mußte, verlor ihr Hofprediger,
der verſöhnliche Schmitt, ſeinen Einfluß, und das harte, der Union feind-
liche Lutherthum, das in Erlangen unter den jungen Theologen vorherrſchte,
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 39
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 609. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/625>, abgerufen am 25.11.2024.
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