bedurfte; dafür wurden 16,000 Mann jährlich beurlaubt und den alten Offizieren, selbst wenn sie nicht mehr reiten konnten, fast niemals mehr der Abschied bewilligt. Feldmarschall Wrede, der einst dem Kronprinzen so nahe gestanden, verlor jetzt jeden Einfluß, weil der alte Soldat die Gebrechen des Heerwesens erkannte und der unkriegerische Monarch keinen Widerspruch ertrug. Schon zur Zeit der Juli-Revolution befand sich das Heer in so schlechtem Zustande, daß der kriegserfahrene Nachbar, König Wilhelm von Württemberg sich schwer besorgt äußerte*); aber erst in dem Main-Feldzuge vom Jahre 1866 wurden die langnachwirkenden üblen Folgen dieses Systems falscher Sparsamkeit offenkundig.
Seinen ersten Landtag eröffnete der König mit einer Thronrede monu- mentalen Stils: "Wie ich gesinnt bin, wie ich für gesetzliche Freiheit, des Thrones Rechte und die eines Jeden schützende Verfassung bin, dieses jetzt zu versichern wäre hoffentlich überflüssig, desgleichen daß ich Religion als das Wesentlichste ansehe und jeden Theil bei dem ihm Zuständigen zu behaupten wissen werde." Die langwierige Tagung führte zu einem wichtigen Ergebniß: der im pfälzischen Rheinkreise schon längst bestehende Landrath wurde mit einigen Aenderungen auch in den übrigen Kreisen eingeführt und dadurch erst der Verfassung ein festerer Unterbau geschaffen. Wohl besaßen diese den französischen Generalräthen nachgebildeten Land- rathsversammlungen nur beschränkte Befugnisse, sie führten keine eigenen Verwaltungsgeschäfte, sondern hatten nur die Kreis-Umlagen und außer- ordentlichen Ausgaben zu bewilligen; immerhin gewährten sie den Regierten die Möglichkeit, durch Bitten, Beschwerden, Gutachten in den Gang der Verwaltung einzugreifen und die Macht des Staatsbeamtenthums einiger- maßen zu beschränken. Im Uebrigen zeigte sich die Krone den Kammern gegenüber fast ebenso spröde wie vormals. Der alte Zentner, noch immer der tüchtigste Geschäftsmann des Ministeriums, behauptete nach wie vor, mit sehr anfechtbaren Gründen, daß die Regierung befugt sei, auch den Gemeindebeamten den Urlaub zum Landtage zu verweigern; darum konnte selbst Bürgermeister Behr schlechterdings nicht die Zulassung zur Kammer erlangen, obgleich er seinen Rechts-Anspruch in einer lebhaften Streit- schrift verfocht und bis vor Kurzem noch in Würzburg mit dem Kron- prinzen Ludwig freundschaftlich verkehrt hatte. Manche romantische Ent- würfe des Königs mußten liegen bleiben. Wie sein Schwager in Berlin be- schäftigte er sich lebhaft mit der Zukunft des deutschen Adels, und wie jener glaubte er von außen her helfen zu können, durch Einführung des englischen Erstgeburtsrechts. Die Unzufriedenheit seiner Reichsräthe zeigte ihm indeß, daß uralte Sitten sich nicht durch einen Machtspruch des Ge- setzgebers beseitigen lassen; das geplante Adelsgesetz wurde zurückgezogen, und selbst der neuerfundene rheinbündische Personal-Adel, der doch offen-
*) Küster's Bericht, 2. Okt. 1830.
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
bedurfte; dafür wurden 16,000 Mann jährlich beurlaubt und den alten Offizieren, ſelbſt wenn ſie nicht mehr reiten konnten, faſt niemals mehr der Abſchied bewilligt. Feldmarſchall Wrede, der einſt dem Kronprinzen ſo nahe geſtanden, verlor jetzt jeden Einfluß, weil der alte Soldat die Gebrechen des Heerweſens erkannte und der unkriegeriſche Monarch keinen Widerſpruch ertrug. Schon zur Zeit der Juli-Revolution befand ſich das Heer in ſo ſchlechtem Zuſtande, daß der kriegserfahrene Nachbar, König Wilhelm von Württemberg ſich ſchwer beſorgt äußerte*); aber erſt in dem Main-Feldzuge vom Jahre 1866 wurden die langnachwirkenden üblen Folgen dieſes Syſtems falſcher Sparſamkeit offenkundig.
Seinen erſten Landtag eröffnete der König mit einer Thronrede monu- mentalen Stils: „Wie ich geſinnt bin, wie ich für geſetzliche Freiheit, des Thrones Rechte und die eines Jeden ſchützende Verfaſſung bin, dieſes jetzt zu verſichern wäre hoffentlich überflüſſig, desgleichen daß ich Religion als das Weſentlichſte anſehe und jeden Theil bei dem ihm Zuſtändigen zu behaupten wiſſen werde.“ Die langwierige Tagung führte zu einem wichtigen Ergebniß: der im pfälziſchen Rheinkreiſe ſchon längſt beſtehende Landrath wurde mit einigen Aenderungen auch in den übrigen Kreiſen eingeführt und dadurch erſt der Verfaſſung ein feſterer Unterbau geſchaffen. Wohl beſaßen dieſe den franzöſiſchen Generalräthen nachgebildeten Land- rathsverſammlungen nur beſchränkte Befugniſſe, ſie führten keine eigenen Verwaltungsgeſchäfte, ſondern hatten nur die Kreis-Umlagen und außer- ordentlichen Ausgaben zu bewilligen; immerhin gewährten ſie den Regierten die Möglichkeit, durch Bitten, Beſchwerden, Gutachten in den Gang der Verwaltung einzugreifen und die Macht des Staatsbeamtenthums einiger- maßen zu beſchränken. Im Uebrigen zeigte ſich die Krone den Kammern gegenüber faſt ebenſo ſpröde wie vormals. Der alte Zentner, noch immer der tüchtigſte Geſchäftsmann des Miniſteriums, behauptete nach wie vor, mit ſehr anfechtbaren Gründen, daß die Regierung befugt ſei, auch den Gemeindebeamten den Urlaub zum Landtage zu verweigern; darum konnte ſelbſt Bürgermeiſter Behr ſchlechterdings nicht die Zulaſſung zur Kammer erlangen, obgleich er ſeinen Rechts-Anſpruch in einer lebhaften Streit- ſchrift verfocht und bis vor Kurzem noch in Würzburg mit dem Kron- prinzen Ludwig freundſchaftlich verkehrt hatte. Manche romantiſche Ent- würfe des Königs mußten liegen bleiben. Wie ſein Schwager in Berlin be- ſchäftigte er ſich lebhaft mit der Zukunft des deutſchen Adels, und wie jener glaubte er von außen her helfen zu können, durch Einführung des engliſchen Erſtgeburtsrechts. Die Unzufriedenheit ſeiner Reichsräthe zeigte ihm indeß, daß uralte Sitten ſich nicht durch einen Machtſpruch des Ge- ſetzgebers beſeitigen laſſen; das geplante Adelsgeſetz wurde zurückgezogen, und ſelbſt der neuerfundene rheinbündiſche Perſonal-Adel, der doch offen-
*) Küſter’s Bericht, 2. Okt. 1830.
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Offizieren, ſelbſt wenn ſie nicht mehr reiten konnten, faſt niemals mehr
der Abſchied bewilligt. Feldmarſchall Wrede, der einſt dem Kronprinzen
ſo nahe geſtanden, verlor jetzt jeden Einfluß, weil der alte Soldat die
Gebrechen des Heerweſens erkannte und der unkriegeriſche Monarch keinen
Widerſpruch ertrug. Schon zur Zeit der Juli-Revolution befand ſich das
Heer in ſo ſchlechtem Zuſtande, daß der kriegserfahrene Nachbar, König
Wilhelm von Württemberg ſich ſchwer beſorgt äußerte *); aber erſt in dem
Main-Feldzuge vom Jahre 1866 wurden die langnachwirkenden üblen
Folgen dieſes Syſtems falſcher Sparſamkeit offenkundig.
Seinen erſten Landtag eröffnete der König mit einer Thronrede monu-
mentalen Stils: „Wie ich geſinnt bin, wie ich für geſetzliche Freiheit, des
Thrones Rechte und die eines Jeden ſchützende Verfaſſung bin, dieſes
jetzt zu verſichern wäre hoffentlich überflüſſig, desgleichen daß ich Religion
als das Weſentlichſte anſehe und jeden Theil bei dem ihm Zuſtändigen
zu behaupten wiſſen werde.“ Die langwierige Tagung führte zu einem
wichtigen Ergebniß: der im pfälziſchen Rheinkreiſe ſchon längſt beſtehende
Landrath wurde mit einigen Aenderungen auch in den übrigen Kreiſen
eingeführt und dadurch erſt der Verfaſſung ein feſterer Unterbau geſchaffen.
Wohl beſaßen dieſe den franzöſiſchen Generalräthen nachgebildeten Land-
rathsverſammlungen nur beſchränkte Befugniſſe, ſie führten keine eigenen
Verwaltungsgeſchäfte, ſondern hatten nur die Kreis-Umlagen und außer-
ordentlichen Ausgaben zu bewilligen; immerhin gewährten ſie den Regierten
die Möglichkeit, durch Bitten, Beſchwerden, Gutachten in den Gang der
Verwaltung einzugreifen und die Macht des Staatsbeamtenthums einiger-
maßen zu beſchränken. Im Uebrigen zeigte ſich die Krone den Kammern
gegenüber faſt ebenſo ſpröde wie vormals. Der alte Zentner, noch immer
der tüchtigſte Geſchäftsmann des Miniſteriums, behauptete nach wie vor,
mit ſehr anfechtbaren Gründen, daß die Regierung befugt ſei, auch den
Gemeindebeamten den Urlaub zum Landtage zu verweigern; darum konnte
ſelbſt Bürgermeiſter Behr ſchlechterdings nicht die Zulaſſung zur Kammer
erlangen, obgleich er ſeinen Rechts-Anſpruch in einer lebhaften Streit-
ſchrift verfocht und bis vor Kurzem noch in Würzburg mit dem Kron-
prinzen Ludwig freundſchaftlich verkehrt hatte. Manche romantiſche Ent-
würfe des Königs mußten liegen bleiben. Wie ſein Schwager in Berlin be-
ſchäftigte er ſich lebhaft mit der Zukunft des deutſchen Adels, und wie
jener glaubte er von außen her helfen zu können, durch Einführung des
engliſchen Erſtgeburtsrechts. Die Unzufriedenheit ſeiner Reichsräthe zeigte
ihm indeß, daß uralte Sitten ſich nicht durch einen Machtſpruch des Ge-
ſetzgebers beſeitigen laſſen; das geplante Adelsgeſetz wurde zurückgezogen,
und ſelbſt der neuerfundene rheinbündiſche Perſonal-Adel, der doch offen-
*) Küſter’s Bericht, 2. Okt. 1830.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/624>, abgerufen am 25.11.2024.
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