bedarf zollfrei auf dem Strome: 53 Oxhoft Wein, 4 Oxhoft Rum, 98 Säcke und 1 Faß Kaffee, 13 Säcke Pigment und Pfeffer, insgesammt an 1000 Centner. Mehr denn eine halbe Million Thaler im Jahre wurden durch den anhaltischen Schleichhandel den preußischen Kassen vor- enthalten; der Zollertrag in den Provinzen Brandenburg und Sachsen stieg nachher, als Anhalt endlich sich dem preußischen System unterworfen hatte, bald von 3,135 auf 4,128 Millionen.
Der Besitz einer souveränen Krone ohne Macht entsittlicht auf die Dauer ihren Träger. Wie gründlich mußte das Rechtsgefühl der kleinen Höfe, seit sie keinen Richter mehr über sich anerkannten, verwüstet sein, wenn dies rechtschaffene askanische Haus, das von jeher einer wohlver- dienten allgemeinen Achtung genoß und so viele seiner tapferen Söhne in die Reihen des preußischen Heeres gesendet hatte, sich jetzt unbedenklich erdreistete, die Gesetzgebung seines alten treuen Beschützers durch groben Unfug zu untergraben! Ein Unglück, daß der ehrwürdige Senior des an- haltischen Gesammthauses, der seinem Ländchen unvergeßliche Leopold Friedrich Franz von Dessau vor Kurzem gestorben war; er würde den zweifachen Vertragsbruch schwerlich geduldet haben, denn Anhalt hatte sich auf dem Wiener Congresse zur Unterdrückung des Schleichhandels ver- pflichtet und nachher in Dresden feierlich eine Verständigung mit Preußen versprochen.
Um dieser letzteren Verpflichtung scheinbar zu genügen, sendete Her- zog Ferdinand endlich im Januar 1822 seinen Hofmarschall Sternegg nach Berlin, befahl ihm allein mit Hardenberg zu verhandeln; mit Bern- storff zu sprechen, sei unter der Würde des Kötheners. Der Staats- kanzler aber zwang den Abgesandten kurzweg, sich an das Auswärtige Amt zu wenden, und dort stellte sich heraus, daß Sternegg durchaus keine Anerbietungen wegen des Zollanschlusses zu bringen, sondern lediglich eine Entschädigungsforderung zu überreichen hatte. Der Schaden Köthens betrug, nach dem billigen Maßstabe der Kopfzahl angeschlagen, etwa 40,000 Thaler für drei Jahre. Der Herzog berechnete das Zehnfache und zeigte sich hoch erstaunt, da Preußen den Köthener Schmuggel in Gegenrechnung stellte. Nach langen, gereizten Erörterungen rückten die Herzöge schließ- lich mit dem Vorschlage heraus: Preußen möge dem enclavirten Anhalt durch einen Gebiets-Austausch auf ewige Zeiten freien Verkehr mit Sachsen verschaffen, dann seien die drei Höfe bereit, sich versuchsweise auf einige Jahre dem preußischen Zollsysteme anzuschließen. Sofort wies Bernstorff die "unangemessene" Zumuthung scharf zurück, der Unterhändler mußte abziehen, und Anhalt blieb mit preußischen Zolllinien umgeben.*) Aber
*) Bernstorff, Ministerialschreiben an die anhaltischen Regierungen, 18. Febr. 1822. Berichte des badischen Geschäftsträgers v. Meyern, Berlin 5., 19. Januar, 19. Februar, 18. Mai, 22. Okt. 1822.
III. 1. Die Wiener Conferenzen.
bedarf zollfrei auf dem Strome: 53 Oxhoft Wein, 4 Oxhoft Rum, 98 Säcke und 1 Faß Kaffee, 13 Säcke Pigment und Pfeffer, insgeſammt an 1000 Centner. Mehr denn eine halbe Million Thaler im Jahre wurden durch den anhaltiſchen Schleichhandel den preußiſchen Kaſſen vor- enthalten; der Zollertrag in den Provinzen Brandenburg und Sachſen ſtieg nachher, als Anhalt endlich ſich dem preußiſchen Syſtem unterworfen hatte, bald von 3,135 auf 4,128 Millionen.
Der Beſitz einer ſouveränen Krone ohne Macht entſittlicht auf die Dauer ihren Träger. Wie gründlich mußte das Rechtsgefühl der kleinen Höfe, ſeit ſie keinen Richter mehr über ſich anerkannten, verwüſtet ſein, wenn dies rechtſchaffene askaniſche Haus, das von jeher einer wohlver- dienten allgemeinen Achtung genoß und ſo viele ſeiner tapferen Söhne in die Reihen des preußiſchen Heeres geſendet hatte, ſich jetzt unbedenklich erdreiſtete, die Geſetzgebung ſeines alten treuen Beſchützers durch groben Unfug zu untergraben! Ein Unglück, daß der ehrwürdige Senior des an- haltiſchen Geſammthauſes, der ſeinem Ländchen unvergeßliche Leopold Friedrich Franz von Deſſau vor Kurzem geſtorben war; er würde den zweifachen Vertragsbruch ſchwerlich geduldet haben, denn Anhalt hatte ſich auf dem Wiener Congreſſe zur Unterdrückung des Schleichhandels ver- pflichtet und nachher in Dresden feierlich eine Verſtändigung mit Preußen verſprochen.
Um dieſer letzteren Verpflichtung ſcheinbar zu genügen, ſendete Her- zog Ferdinand endlich im Januar 1822 ſeinen Hofmarſchall Sternegg nach Berlin, befahl ihm allein mit Hardenberg zu verhandeln; mit Bern- ſtorff zu ſprechen, ſei unter der Würde des Kötheners. Der Staats- kanzler aber zwang den Abgeſandten kurzweg, ſich an das Auswärtige Amt zu wenden, und dort ſtellte ſich heraus, daß Sternegg durchaus keine Anerbietungen wegen des Zollanſchluſſes zu bringen, ſondern lediglich eine Entſchädigungsforderung zu überreichen hatte. Der Schaden Köthens betrug, nach dem billigen Maßſtabe der Kopfzahl angeſchlagen, etwa 40,000 Thaler für drei Jahre. Der Herzog berechnete das Zehnfache und zeigte ſich hoch erſtaunt, da Preußen den Köthener Schmuggel in Gegenrechnung ſtellte. Nach langen, gereizten Erörterungen rückten die Herzöge ſchließ- lich mit dem Vorſchlage heraus: Preußen möge dem enclavirten Anhalt durch einen Gebiets-Austauſch auf ewige Zeiten freien Verkehr mit Sachſen verſchaffen, dann ſeien die drei Höfe bereit, ſich verſuchsweiſe auf einige Jahre dem preußiſchen Zollſyſteme anzuſchließen. Sofort wies Bernſtorff die „unangemeſſene“ Zumuthung ſcharf zurück, der Unterhändler mußte abziehen, und Anhalt blieb mit preußiſchen Zolllinien umgeben.*) Aber
*) Bernſtorff, Miniſterialſchreiben an die anhaltiſchen Regierungen, 18. Febr. 1822. Berichte des badiſchen Geſchäftsträgers v. Meyern, Berlin 5., 19. Januar, 19. Februar, 18. Mai, 22. Okt. 1822.
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Säcke und 1 Faß Kaffee, 13 Säcke Pigment und Pfeffer, insgeſammt
an 1000 Centner. Mehr denn eine halbe Million Thaler im Jahre
wurden durch den anhaltiſchen Schleichhandel den preußiſchen Kaſſen vor-
enthalten; der Zollertrag in den Provinzen Brandenburg und Sachſen
ſtieg nachher, als Anhalt endlich ſich dem preußiſchen Syſtem unterworfen
hatte, bald von 3,135 auf 4,128 Millionen.
Der Beſitz einer ſouveränen Krone ohne Macht entſittlicht auf die
Dauer ihren Träger. Wie gründlich mußte das Rechtsgefühl der kleinen
Höfe, ſeit ſie keinen Richter mehr über ſich anerkannten, verwüſtet ſein,
wenn dies rechtſchaffene askaniſche Haus, das von jeher einer wohlver-
dienten allgemeinen Achtung genoß und ſo viele ſeiner tapferen Söhne
in die Reihen des preußiſchen Heeres geſendet hatte, ſich jetzt unbedenklich
erdreiſtete, die Geſetzgebung ſeines alten treuen Beſchützers durch groben
Unfug zu untergraben! Ein Unglück, daß der ehrwürdige Senior des an-
haltiſchen Geſammthauſes, der ſeinem Ländchen unvergeßliche Leopold
Friedrich Franz von Deſſau vor Kurzem geſtorben war; er würde den
zweifachen Vertragsbruch ſchwerlich geduldet haben, denn Anhalt hatte ſich
auf dem Wiener Congreſſe zur Unterdrückung des Schleichhandels ver-
pflichtet und nachher in Dresden feierlich eine Verſtändigung mit Preußen
verſprochen.
Um dieſer letzteren Verpflichtung ſcheinbar zu genügen, ſendete Her-
zog Ferdinand endlich im Januar 1822 ſeinen Hofmarſchall Sternegg
nach Berlin, befahl ihm allein mit Hardenberg zu verhandeln; mit Bern-
ſtorff zu ſprechen, ſei unter der Würde des Kötheners. Der Staats-
kanzler aber zwang den Abgeſandten kurzweg, ſich an das Auswärtige
Amt zu wenden, und dort ſtellte ſich heraus, daß Sternegg durchaus
keine Anerbietungen wegen des Zollanſchluſſes zu bringen, ſondern lediglich
eine Entſchädigungsforderung zu überreichen hatte. Der Schaden Köthens
betrug, nach dem billigen Maßſtabe der Kopfzahl angeſchlagen, etwa 40,000
Thaler für drei Jahre. Der Herzog berechnete das Zehnfache und zeigte ſich
hoch erſtaunt, da Preußen den Köthener Schmuggel in Gegenrechnung
ſtellte. Nach langen, gereizten Erörterungen rückten die Herzöge ſchließ-
lich mit dem Vorſchlage heraus: Preußen möge dem enclavirten Anhalt
durch einen Gebiets-Austauſch auf ewige Zeiten freien Verkehr mit Sachſen
verſchaffen, dann ſeien die drei Höfe bereit, ſich verſuchsweiſe auf einige
Jahre dem preußiſchen Zollſyſteme anzuſchließen. Sofort wies Bernſtorff
die „unangemeſſene“ Zumuthung ſcharf zurück, der Unterhändler mußte
abziehen, und Anhalt blieb mit preußiſchen Zolllinien umgeben. *) Aber
*) Bernſtorff, Miniſterialſchreiben an die anhaltiſchen Regierungen, 18. Febr. 1822.
Berichte des badiſchen Geſchäftsträgers v. Meyern, Berlin 5., 19. Januar, 19. Februar,
18. Mai, 22. Okt. 1822.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/60>, abgerufen am 28.11.2024.
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