III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
gefühl auch in diesem halbenglischen Heere sein gutes Recht. Die Tage des Reislaufens waren vorüber. Auf das Verlangen des Landtags ver- sprach die Krone, die hannoverschen Truppen niemals mehr für fremde Zwecke zu benutzen, und diese Zusage konnte in so friedlicher Zeit leicht gehalten werden. Canning beabsichtigte zwar einmal, hannoversche Regi- menter zur Besetzung von Portugal zu verwenden, gab aber den Plan bald wieder auf, als der französische Gesandte Reinhard in Frankfurt Lärm schlug und der Bundestag unruhig wurde.*) Ein Gesetz über die Dienstpflicht bestand noch nicht; die Aushebung erfolgte, oft sehr willkür- lich, nach dem freien Ermessen der Behörden. Nur bei der Reiterei traten die Bauerburschen gern ein; denn die Cavalleristen mit ihren schönen Rossen wurden auf den Bauerhöfen, wo möglich bei ihren Verwandten einquar- tiert, und oft dienten Vater, Sohn und Enkel nach einander bei derselben Schwadron. Die Regimenter waren klein, damit nach Landesbrauch eine große Zahl von Stabsoffizieren angestellt werden konnte.
Mit den preußischen Kampfgenossen von Belle Alliance verkehrte die Armee wenig und ohne Herzlichkeit; denn nach der welfischen Ueberliefe- rung hatten die Briten und Hannoveraner allein gesiegt, die Preußen nur ein wenig nachgeholfen, waren doch die letzten Trümmer der Kaiser- garde durch die Osnabrücker Landwehr vernichtet worden. Die Waffen- brüderschaft aus dem siebenjährigen Kriege war vergessen; um so lebhafter gedachte man der Einverleibung vom Jahre 1806, die selbst durch die Thaten des Befreiungskriegs nicht gesühnt schien. Wenn ein junger Mann aus den alten Soldatengeschlechtern zu der Erkenntniß kam, daß sein Wel- fenreich doch nur eine preußische Enclave sei, und sich nach einem größeren Wirkungskreise sehnte, dann ging er regelmäßig in österreichische Dienste -- ganz wie seine Standesgenossen in Mecklenburg und Sachsen -- und half an seinem Theile mit, die alte, politisch so folgenreiche Verbindung zwischen der Hofburg und dem deutschen Adel zu befestigen. Dagegen galt es für ganz unerhört, daß General Hartmann seinen Sohn in das preußische Heer schickte und der trotzige junge Goeben bald nachher desselben Weges ging. Im Volke war der Groll gegen Preußen fast noch stärker. Ueberall wo altwelfisches und preußisches Gebiet an einander stießen, erklang zur Ver- höhnung der preußischen Hungerleider das stolze Lied "Gut Wein und gut Bier! Lustige Hannoveraner sind wir," und die Raufhändel in den Grenz- dörfern gingen oft sehr weit über das herkömmliche Maß deutscher nach- barlicher Zärtlichkeit hinaus. --
Die Verhandlungen der Landstände verliefen still; das Volk beachtete sie kaum, das Königreich besaß noch keine einzige politische Zeitung. Insge- heim jedoch war eine Adelspartei sehr thätig, die von dem gewandten, ränke- süchtigen Geh. Rath v. Schele geleitet, mit ihren 26 Stimmen allen Re-
*) Berichte von Blittersdorff, 24. Juli, von Meyern, Berlin 25. Sept. 1824.
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
gefühl auch in dieſem halbengliſchen Heere ſein gutes Recht. Die Tage des Reislaufens waren vorüber. Auf das Verlangen des Landtags ver- ſprach die Krone, die hannoverſchen Truppen niemals mehr für fremde Zwecke zu benutzen, und dieſe Zuſage konnte in ſo friedlicher Zeit leicht gehalten werden. Canning beabſichtigte zwar einmal, hannoverſche Regi- menter zur Beſetzung von Portugal zu verwenden, gab aber den Plan bald wieder auf, als der franzöſiſche Geſandte Reinhard in Frankfurt Lärm ſchlug und der Bundestag unruhig wurde.*) Ein Geſetz über die Dienſtpflicht beſtand noch nicht; die Aushebung erfolgte, oft ſehr willkür- lich, nach dem freien Ermeſſen der Behörden. Nur bei der Reiterei traten die Bauerburſchen gern ein; denn die Cavalleriſten mit ihren ſchönen Roſſen wurden auf den Bauerhöfen, wo möglich bei ihren Verwandten einquar- tiert, und oft dienten Vater, Sohn und Enkel nach einander bei derſelben Schwadron. Die Regimenter waren klein, damit nach Landesbrauch eine große Zahl von Stabsoffizieren angeſtellt werden konnte.
Mit den preußiſchen Kampfgenoſſen von Belle Alliance verkehrte die Armee wenig und ohne Herzlichkeit; denn nach der welfiſchen Ueberliefe- rung hatten die Briten und Hannoveraner allein geſiegt, die Preußen nur ein wenig nachgeholfen, waren doch die letzten Trümmer der Kaiſer- garde durch die Osnabrücker Landwehr vernichtet worden. Die Waffen- brüderſchaft aus dem ſiebenjährigen Kriege war vergeſſen; um ſo lebhafter gedachte man der Einverleibung vom Jahre 1806, die ſelbſt durch die Thaten des Befreiungskriegs nicht geſühnt ſchien. Wenn ein junger Mann aus den alten Soldatengeſchlechtern zu der Erkenntniß kam, daß ſein Wel- fenreich doch nur eine preußiſche Enclave ſei, und ſich nach einem größeren Wirkungskreiſe ſehnte, dann ging er regelmäßig in öſterreichiſche Dienſte — ganz wie ſeine Standesgenoſſen in Mecklenburg und Sachſen — und half an ſeinem Theile mit, die alte, politiſch ſo folgenreiche Verbindung zwiſchen der Hofburg und dem deutſchen Adel zu befeſtigen. Dagegen galt es für ganz unerhört, daß General Hartmann ſeinen Sohn in das preußiſche Heer ſchickte und der trotzige junge Goeben bald nachher deſſelben Weges ging. Im Volke war der Groll gegen Preußen faſt noch ſtärker. Ueberall wo altwelfiſches und preußiſches Gebiet an einander ſtießen, erklang zur Ver- höhnung der preußiſchen Hungerleider das ſtolze Lied „Gut Wein und gut Bier! Luſtige Hannoveraner ſind wir,“ und die Raufhändel in den Grenz- dörfern gingen oft ſehr weit über das herkömmliche Maß deutſcher nach- barlicher Zärtlichkeit hinaus. —
Die Verhandlungen der Landſtände verliefen ſtill; das Volk beachtete ſie kaum, das Königreich beſaß noch keine einzige politiſche Zeitung. Insge- heim jedoch war eine Adelspartei ſehr thätig, die von dem gewandten, ränke- ſüchtigen Geh. Rath v. Schele geleitet, mit ihren 26 Stimmen allen Re-
*) Berichte von Blittersdorff, 24. Juli, von Meyern, Berlin 25. Sept. 1824.
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III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
gefühl auch in dieſem halbengliſchen Heere ſein gutes Recht. Die Tage
des Reislaufens waren vorüber. Auf das Verlangen des Landtags ver-
ſprach die Krone, die hannoverſchen Truppen niemals mehr für fremde
Zwecke zu benutzen, und dieſe Zuſage konnte in ſo friedlicher Zeit leicht
gehalten werden. Canning beabſichtigte zwar einmal, hannoverſche Regi-
menter zur Beſetzung von Portugal zu verwenden, gab aber den Plan
bald wieder auf, als der franzöſiſche Geſandte Reinhard in Frankfurt
Lärm ſchlug und der Bundestag unruhig wurde. *) Ein Geſetz über die
Dienſtpflicht beſtand noch nicht; die Aushebung erfolgte, oft ſehr willkür-
lich, nach dem freien Ermeſſen der Behörden. Nur bei der Reiterei traten
die Bauerburſchen gern ein; denn die Cavalleriſten mit ihren ſchönen Roſſen
wurden auf den Bauerhöfen, wo möglich bei ihren Verwandten einquar-
tiert, und oft dienten Vater, Sohn und Enkel nach einander bei derſelben
Schwadron. Die Regimenter waren klein, damit nach Landesbrauch eine
große Zahl von Stabsoffizieren angeſtellt werden konnte.
Mit den preußiſchen Kampfgenoſſen von Belle Alliance verkehrte die
Armee wenig und ohne Herzlichkeit; denn nach der welfiſchen Ueberliefe-
rung hatten die Briten und Hannoveraner allein geſiegt, die Preußen
nur ein wenig nachgeholfen, waren doch die letzten Trümmer der Kaiſer-
garde durch die Osnabrücker Landwehr vernichtet worden. Die Waffen-
brüderſchaft aus dem ſiebenjährigen Kriege war vergeſſen; um ſo lebhafter
gedachte man der Einverleibung vom Jahre 1806, die ſelbſt durch die
Thaten des Befreiungskriegs nicht geſühnt ſchien. Wenn ein junger Mann
aus den alten Soldatengeſchlechtern zu der Erkenntniß kam, daß ſein Wel-
fenreich doch nur eine preußiſche Enclave ſei, und ſich nach einem größeren
Wirkungskreiſe ſehnte, dann ging er regelmäßig in öſterreichiſche Dienſte —
ganz wie ſeine Standesgenoſſen in Mecklenburg und Sachſen — und half
an ſeinem Theile mit, die alte, politiſch ſo folgenreiche Verbindung zwiſchen
der Hofburg und dem deutſchen Adel zu befeſtigen. Dagegen galt es für
ganz unerhört, daß General Hartmann ſeinen Sohn in das preußiſche Heer
ſchickte und der trotzige junge Goeben bald nachher deſſelben Weges ging.
Im Volke war der Groll gegen Preußen faſt noch ſtärker. Ueberall wo
altwelfiſches und preußiſches Gebiet an einander ſtießen, erklang zur Ver-
höhnung der preußiſchen Hungerleider das ſtolze Lied „Gut Wein und gut
Bier! Luſtige Hannoveraner ſind wir,“ und die Raufhändel in den Grenz-
dörfern gingen oft ſehr weit über das herkömmliche Maß deutſcher nach-
barlicher Zärtlichkeit hinaus. —
Die Verhandlungen der Landſtände verliefen ſtill; das Volk beachtete
ſie kaum, das Königreich beſaß noch keine einzige politiſche Zeitung. Insge-
heim jedoch war eine Adelspartei ſehr thätig, die von dem gewandten, ränke-
ſüchtigen Geh. Rath v. Schele geleitet, mit ihren 26 Stimmen allen Re-
*) Berichte von Blittersdorff, 24. Juli, von Meyern, Berlin 25. Sept. 1824.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/568>, abgerufen am 16.07.2024.
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