großen Heerden seiner Heidschnucken leidlichen Wohlstand. Ueberall wo die sächsischen Roßköpfe auf dem Hausgiebel prangten versammelten sich die Bauern noch wie vor tausend Jahren unter der Linde auf dem Ti zur Berathung; und fast noch stolzer hielten sich die Friesen, denn auf dem gefahrvollen Marschboden gedeiht die Unfreiheit so wenig wie im Hoch- gebirge. Aber die wirthschaftliche Kraft dieses selbstbewußten, kernhaften Volkes wurde gelähmt durch mannichfache Grundlasten und ein oft sehr drückendes Meierrecht; Vorzügliches leistete die Landwirthschaft nur in der Pferdezucht, die durch das treffliche Celler Landgestüt gefördert wurde. Mit Neid sah der Bauer auf den adlichen Grundherrn, der zu den Staats- steuern wenig, zu den Gemeindelasten nichts beitrug und bei schlechter Wirthschaft sich durch den Lehnsconcurs seinen Gläubigern entziehen konnte.
Von Kindesbeinen an genoß der Edelmann einer unbilligen Begünsti- gung, welche selbst den gesetzlichen Sinn der Niedersachsen endlich erbittern mußte. Auf der Lüneburger Ritterakademie, der Pflanzstätte des welfi- schen Junkerhochmuths, wurden zwölf adliche Freischüler durch vierzehn Lehrer schlecht, aber standesgemäß unterrichtet. Trat der junge Edelmann als Auditor in die Verwaltung, so erhielt er nach kurzer Zeit den Titel Drost und damit das Recht seine bürgerlichen Genossen zu überspringen. Dazu noch die adliche Bank am Celler Obergerichte und die adlichen Stellen im Forstdienst. Sogar für die Hausdienerschaft des Adels war durch die berüchtigte Livree-Carriere gesorgt; die Stellen der Subaltern- beamten wurden in der Regel nicht mit ausgedienten Soldaten besetzt, sondern nach englischer Weise mit Leuten die von einem vornehmen Herrn eine Empfehlung beibrachten. Auch das reiche Klostergut, das bei dem friedlichen Verlaufe der Reformation hier fast ungeschmälert geblieben war, half mit zur Versorgung der regierenden Familien; in der lieblichen Wald- einsamkeit von Mariensee und in anderen stillen Winkeln versteckt lagen achtzehn Damenklöster, wo die Töchter des Adels, der Offiziere, der hohen Beamten als Chanoinessen eine Unterkunft fanden. Das Land war über- säet mit Privilegien und Exemtionen; von Gunst und Gnade zog Jeder- mann seinen Vortheil, bis herab zu den Göttinger Buchhändlern, die sich im Gnadenwege die Postmoderation für ihre Packete errangen.
In der Armee hatte der Adel nie so viel gegolten wie im Beamten- thum. Sie besaß an den Offizieren der Deutschen Legion kampferprobte und welterfahrene Führer. Diese Helden von Torres Vedras, Salamanca, Waterloo schworen auf Wellington, "den Herzog", und hingen an den englischen Bräuchen noch treuer sogar als die Hofgesellschaft, die jeden vornehmen Mann mit dem Lobe beehrte: er sieht aus wie ein Engländer. Der tapfere General Hartmann ward als Commandeur des Bath-Ordens allgemein "Sir Julius" genannt. Minder behaglich empfand der gemeine Soldat die Anmuth britischer Sitte, wenn er mit der neunschwänzigen Katze "gestripst" wurde. Indeß forderte das erstarkende deutsche National-
Welfiſches Junkerthum.
großen Heerden ſeiner Heidſchnucken leidlichen Wohlſtand. Ueberall wo die ſächſiſchen Roßköpfe auf dem Hausgiebel prangten verſammelten ſich die Bauern noch wie vor tauſend Jahren unter der Linde auf dem Ti zur Berathung; und faſt noch ſtolzer hielten ſich die Frieſen, denn auf dem gefahrvollen Marſchboden gedeiht die Unfreiheit ſo wenig wie im Hoch- gebirge. Aber die wirthſchaftliche Kraft dieſes ſelbſtbewußten, kernhaften Volkes wurde gelähmt durch mannichfache Grundlaſten und ein oft ſehr drückendes Meierrecht; Vorzügliches leiſtete die Landwirthſchaft nur in der Pferdezucht, die durch das treffliche Celler Landgeſtüt gefördert wurde. Mit Neid ſah der Bauer auf den adlichen Grundherrn, der zu den Staats- ſteuern wenig, zu den Gemeindelaſten nichts beitrug und bei ſchlechter Wirthſchaft ſich durch den Lehnsconcurs ſeinen Gläubigern entziehen konnte.
Von Kindesbeinen an genoß der Edelmann einer unbilligen Begünſti- gung, welche ſelbſt den geſetzlichen Sinn der Niederſachſen endlich erbittern mußte. Auf der Lüneburger Ritterakademie, der Pflanzſtätte des welfi- ſchen Junkerhochmuths, wurden zwölf adliche Freiſchüler durch vierzehn Lehrer ſchlecht, aber ſtandesgemäß unterrichtet. Trat der junge Edelmann als Auditor in die Verwaltung, ſo erhielt er nach kurzer Zeit den Titel Droſt und damit das Recht ſeine bürgerlichen Genoſſen zu überſpringen. Dazu noch die adliche Bank am Celler Obergerichte und die adlichen Stellen im Forſtdienſt. Sogar für die Hausdienerſchaft des Adels war durch die berüchtigte Livree-Carriere geſorgt; die Stellen der Subaltern- beamten wurden in der Regel nicht mit ausgedienten Soldaten beſetzt, ſondern nach engliſcher Weiſe mit Leuten die von einem vornehmen Herrn eine Empfehlung beibrachten. Auch das reiche Kloſtergut, das bei dem friedlichen Verlaufe der Reformation hier faſt ungeſchmälert geblieben war, half mit zur Verſorgung der regierenden Familien; in der lieblichen Wald- einſamkeit von Marienſee und in anderen ſtillen Winkeln verſteckt lagen achtzehn Damenklöſter, wo die Töchter des Adels, der Offiziere, der hohen Beamten als Chanoineſſen eine Unterkunft fanden. Das Land war über- ſäet mit Privilegien und Exemtionen; von Gunſt und Gnade zog Jeder- mann ſeinen Vortheil, bis herab zu den Göttinger Buchhändlern, die ſich im Gnadenwege die Poſtmoderation für ihre Packete errangen.
In der Armee hatte der Adel nie ſo viel gegolten wie im Beamten- thum. Sie beſaß an den Offizieren der Deutſchen Legion kampferprobte und welterfahrene Führer. Dieſe Helden von Torres Vedras, Salamanca, Waterloo ſchworen auf Wellington, „den Herzog“, und hingen an den engliſchen Bräuchen noch treuer ſogar als die Hofgeſellſchaft, die jeden vornehmen Mann mit dem Lobe beehrte: er ſieht aus wie ein Engländer. Der tapfere General Hartmann ward als Commandeur des Bath-Ordens allgemein „Sir Julius“ genannt. Minder behaglich empfand der gemeine Soldat die Anmuth britiſcher Sitte, wenn er mit der neunſchwänzigen Katze „geſtripſt“ wurde. Indeß forderte das erſtarkende deutſche National-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0567"n="551"/><fwplace="top"type="header">Welfiſches Junkerthum.</fw><lb/>
großen Heerden ſeiner Heidſchnucken leidlichen Wohlſtand. Ueberall wo<lb/>
die ſächſiſchen Roßköpfe auf dem Hausgiebel prangten verſammelten ſich<lb/>
die Bauern noch wie vor tauſend Jahren unter der Linde auf dem Ti<lb/>
zur Berathung; und faſt noch ſtolzer hielten ſich die Frieſen, denn auf<lb/>
dem gefahrvollen Marſchboden gedeiht die Unfreiheit ſo wenig wie im Hoch-<lb/>
gebirge. Aber die wirthſchaftliche Kraft dieſes ſelbſtbewußten, kernhaften<lb/>
Volkes wurde gelähmt durch mannichfache Grundlaſten und ein oft ſehr<lb/>
drückendes Meierrecht; Vorzügliches leiſtete die Landwirthſchaft nur in<lb/>
der Pferdezucht, die durch das treffliche Celler Landgeſtüt gefördert wurde.<lb/>
Mit Neid ſah der Bauer auf den adlichen Grundherrn, der zu den Staats-<lb/>ſteuern wenig, zu den Gemeindelaſten nichts beitrug und bei ſchlechter<lb/>
Wirthſchaft ſich durch den Lehnsconcurs ſeinen Gläubigern entziehen konnte.</p><lb/><p>Von Kindesbeinen an genoß der Edelmann einer unbilligen Begünſti-<lb/>
gung, welche ſelbſt den geſetzlichen Sinn der Niederſachſen endlich erbittern<lb/>
mußte. Auf der Lüneburger Ritterakademie, der Pflanzſtätte des welfi-<lb/>ſchen Junkerhochmuths, wurden zwölf adliche Freiſchüler durch vierzehn<lb/>
Lehrer ſchlecht, aber ſtandesgemäß unterrichtet. Trat der junge Edelmann<lb/>
als Auditor in die Verwaltung, ſo erhielt er nach kurzer Zeit den Titel<lb/>
Droſt und damit das Recht ſeine bürgerlichen Genoſſen zu überſpringen.<lb/>
Dazu noch die adliche Bank am Celler Obergerichte und die adlichen<lb/>
Stellen im Forſtdienſt. Sogar für die Hausdienerſchaft des Adels war<lb/>
durch die berüchtigte Livree-Carriere geſorgt; die Stellen der Subaltern-<lb/>
beamten wurden in der Regel nicht mit ausgedienten Soldaten beſetzt,<lb/>ſondern nach engliſcher Weiſe mit Leuten die von einem vornehmen Herrn<lb/>
eine Empfehlung beibrachten. Auch das reiche Kloſtergut, das bei dem<lb/>
friedlichen Verlaufe der Reformation hier faſt ungeſchmälert geblieben war,<lb/>
half mit zur Verſorgung der regierenden Familien; in der lieblichen Wald-<lb/>
einſamkeit von Marienſee und in anderen ſtillen Winkeln verſteckt lagen<lb/>
achtzehn Damenklöſter, wo die Töchter des Adels, der Offiziere, der hohen<lb/>
Beamten als Chanoineſſen eine Unterkunft fanden. Das Land war über-<lb/>ſäet mit Privilegien und Exemtionen; von Gunſt und Gnade zog Jeder-<lb/>
mann ſeinen Vortheil, bis herab zu den Göttinger Buchhändlern, die ſich<lb/>
im Gnadenwege die Poſtmoderation für ihre Packete errangen.</p><lb/><p>In der Armee hatte der Adel nie ſo viel gegolten wie im Beamten-<lb/>
thum. Sie beſaß an den Offizieren der Deutſchen Legion kampferprobte<lb/>
und welterfahrene Führer. Dieſe Helden von Torres Vedras, Salamanca,<lb/>
Waterloo ſchworen auf Wellington, „den Herzog“, und hingen an den<lb/>
engliſchen Bräuchen noch treuer ſogar als die Hofgeſellſchaft, die jeden<lb/>
vornehmen Mann mit dem Lobe beehrte: er ſieht aus wie ein Engländer.<lb/>
Der tapfere General Hartmann ward als Commandeur des Bath-Ordens<lb/>
allgemein „Sir Julius“ genannt. Minder behaglich empfand der gemeine<lb/>
Soldat die Anmuth britiſcher Sitte, wenn er mit der neunſchwänzigen<lb/>
Katze „geſtripſt“ wurde. Indeß forderte das erſtarkende deutſche National-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[551/0567]
Welfiſches Junkerthum.
großen Heerden ſeiner Heidſchnucken leidlichen Wohlſtand. Ueberall wo
die ſächſiſchen Roßköpfe auf dem Hausgiebel prangten verſammelten ſich
die Bauern noch wie vor tauſend Jahren unter der Linde auf dem Ti
zur Berathung; und faſt noch ſtolzer hielten ſich die Frieſen, denn auf
dem gefahrvollen Marſchboden gedeiht die Unfreiheit ſo wenig wie im Hoch-
gebirge. Aber die wirthſchaftliche Kraft dieſes ſelbſtbewußten, kernhaften
Volkes wurde gelähmt durch mannichfache Grundlaſten und ein oft ſehr
drückendes Meierrecht; Vorzügliches leiſtete die Landwirthſchaft nur in
der Pferdezucht, die durch das treffliche Celler Landgeſtüt gefördert wurde.
Mit Neid ſah der Bauer auf den adlichen Grundherrn, der zu den Staats-
ſteuern wenig, zu den Gemeindelaſten nichts beitrug und bei ſchlechter
Wirthſchaft ſich durch den Lehnsconcurs ſeinen Gläubigern entziehen konnte.
Von Kindesbeinen an genoß der Edelmann einer unbilligen Begünſti-
gung, welche ſelbſt den geſetzlichen Sinn der Niederſachſen endlich erbittern
mußte. Auf der Lüneburger Ritterakademie, der Pflanzſtätte des welfi-
ſchen Junkerhochmuths, wurden zwölf adliche Freiſchüler durch vierzehn
Lehrer ſchlecht, aber ſtandesgemäß unterrichtet. Trat der junge Edelmann
als Auditor in die Verwaltung, ſo erhielt er nach kurzer Zeit den Titel
Droſt und damit das Recht ſeine bürgerlichen Genoſſen zu überſpringen.
Dazu noch die adliche Bank am Celler Obergerichte und die adlichen
Stellen im Forſtdienſt. Sogar für die Hausdienerſchaft des Adels war
durch die berüchtigte Livree-Carriere geſorgt; die Stellen der Subaltern-
beamten wurden in der Regel nicht mit ausgedienten Soldaten beſetzt,
ſondern nach engliſcher Weiſe mit Leuten die von einem vornehmen Herrn
eine Empfehlung beibrachten. Auch das reiche Kloſtergut, das bei dem
friedlichen Verlaufe der Reformation hier faſt ungeſchmälert geblieben war,
half mit zur Verſorgung der regierenden Familien; in der lieblichen Wald-
einſamkeit von Marienſee und in anderen ſtillen Winkeln verſteckt lagen
achtzehn Damenklöſter, wo die Töchter des Adels, der Offiziere, der hohen
Beamten als Chanoineſſen eine Unterkunft fanden. Das Land war über-
ſäet mit Privilegien und Exemtionen; von Gunſt und Gnade zog Jeder-
mann ſeinen Vortheil, bis herab zu den Göttinger Buchhändlern, die ſich
im Gnadenwege die Poſtmoderation für ihre Packete errangen.
In der Armee hatte der Adel nie ſo viel gegolten wie im Beamten-
thum. Sie beſaß an den Offizieren der Deutſchen Legion kampferprobte
und welterfahrene Führer. Dieſe Helden von Torres Vedras, Salamanca,
Waterloo ſchworen auf Wellington, „den Herzog“, und hingen an den
engliſchen Bräuchen noch treuer ſogar als die Hofgeſellſchaft, die jeden
vornehmen Mann mit dem Lobe beehrte: er ſieht aus wie ein Engländer.
Der tapfere General Hartmann ward als Commandeur des Bath-Ordens
allgemein „Sir Julius“ genannt. Minder behaglich empfand der gemeine
Soldat die Anmuth britiſcher Sitte, wenn er mit der neunſchwänzigen
Katze „geſtripſt“ wurde. Indeß forderte das erſtarkende deutſche National-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/567>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.