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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Münster. Rehberg.
Herzens hielt er die Anschauungen der Restaurationspolitik immer fest,
und nach diesen Grundsätzen führte er auch die Regierung von Hannover.
Er wies den angebotenen Fürstentitel zurück und bezog nur einen nach
althannoverschen Begriffen sehr bescheidenen Gehalt; um so eifersüchtiger
wachte er darüber, daß in diesem Staate, den er mit Recht als das Werk
seiner kunstfertigen Hände betrachtete, kein anderer Wille als der seine
gelten dürfe. Leider kannte er seine Heimath kaum; er hatte nur drei
Jugendjahre in der Verwaltung, sein ganzes Mannesleben als Diplomat
im Auslande zugebracht und kam auch jetzt nur zu kurzen Besuchen nach
seinem schönen Dotationsgute, dem Kloster Derneburg hinüber.

So fiel denn die Arbeit der Wiederherstellung des Staates unter
Münster's Oberleitung zunächst dem Cabinetsrath A. W. Rehberg zu,
der Zierde des althannoverschen bürgerlichen Beamtenthums. Rehberg
vereinigte mit gründlicher Geschäftskenntniß eine reiche, philosophisch durch-
gebildete Gelehrsamkeit und hatte sich durch zahlreiche politische Schriften
großen Ruf, aber wenig Leser erworben; die kühle Verständigkeit seines
wohlgefeilten, sentenzenreichen Stiles fesselte nur die Kenner. Er verab-
scheute die Revolution sowie alle abstrakten politischen Theorien; feurige
Naturen wie Fichte und Arndt tadelte er von oben herunter, mit der
Selbstgefälligkeit des praktischen Geschäftsmannes, da ihre Leidenschaft
Ombrage erregte. Sein politisches Ideal, den altständischen Staat, leitete
er ab aus "dem republikanischen deutschen Geiste", der keinen ärgeren
Feind habe als die Monarchie Friedrich's des Großen; darum sei Preußen
überall in Deutschland verabscheut, Oesterreich aber, das seine Kronländer
in der alten Weise ruhig gewähren lasse, allgemein beliebt. Und wie viel
gesünder als das zusammengewürfelte preußische Beamtenthum erscheine
die durch Verwandtschaft und Nachbarschaft verbundene Dienst-Aristokratie
der ständischen Länder! Den Beweis für die Verwerflichkeit der preußi-
schen Institutionen fand er einfach in der Katastrophe von 1806, und
niemals verfiel der geschichtskundige Mann auf die naheliegende Frage:
warum wohl der hannoversche Musterstaat ebenfalls, und weit unrühm-
licher als Preußen, den französischen Waffen erlegen war? Nachdem er
sich während der Fremdherrschaft in ein stilles Nebenamt zurückgezogen,
ging er jetzt mit freudigem Eifer an die Wiederaufrichtung der alten
Ordnung, soweit sie sich mit den verwandelten Verhältnissen nur noch
irgend vertrug. Er blickte mit Stolz auf seine kernhaften niedersächsischen
Bauern und zeigte für die Lebensbedingungen communaler Selbstverwal-
tung ein feines Verständniß, das ihm Niebuhr's Beifall gewann. Auch
verwarf er nicht unbedingt die demokratischen Forderungen der neuen Ge-
sellschaft; doch alle Neuerungen sollten sich nur Schritt für Schritt, aus
dem Bestehenden heraus entwickeln. Die Zeit, da es in Deutschland
einen allgemeinen Stand von Staatsbürgern geben würde, schien ihm
noch in unabsehbarer Ferne zu liegen.

Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 35

Münſter. Rehberg.
Herzens hielt er die Anſchauungen der Reſtaurationspolitik immer feſt,
und nach dieſen Grundſätzen führte er auch die Regierung von Hannover.
Er wies den angebotenen Fürſtentitel zurück und bezog nur einen nach
althannoverſchen Begriffen ſehr beſcheidenen Gehalt; um ſo eiferſüchtiger
wachte er darüber, daß in dieſem Staate, den er mit Recht als das Werk
ſeiner kunſtfertigen Hände betrachtete, kein anderer Wille als der ſeine
gelten dürfe. Leider kannte er ſeine Heimath kaum; er hatte nur drei
Jugendjahre in der Verwaltung, ſein ganzes Mannesleben als Diplomat
im Auslande zugebracht und kam auch jetzt nur zu kurzen Beſuchen nach
ſeinem ſchönen Dotationsgute, dem Kloſter Derneburg hinüber.

So fiel denn die Arbeit der Wiederherſtellung des Staates unter
Münſter’s Oberleitung zunächſt dem Cabinetsrath A. W. Rehberg zu,
der Zierde des althannoverſchen bürgerlichen Beamtenthums. Rehberg
vereinigte mit gründlicher Geſchäftskenntniß eine reiche, philoſophiſch durch-
gebildete Gelehrſamkeit und hatte ſich durch zahlreiche politiſche Schriften
großen Ruf, aber wenig Leſer erworben; die kühle Verſtändigkeit ſeines
wohlgefeilten, ſentenzenreichen Stiles feſſelte nur die Kenner. Er verab-
ſcheute die Revolution ſowie alle abſtrakten politiſchen Theorien; feurige
Naturen wie Fichte und Arndt tadelte er von oben herunter, mit der
Selbſtgefälligkeit des praktiſchen Geſchäftsmannes, da ihre Leidenſchaft
Ombrage erregte. Sein politiſches Ideal, den altſtändiſchen Staat, leitete
er ab aus „dem republikaniſchen deutſchen Geiſte“, der keinen ärgeren
Feind habe als die Monarchie Friedrich’s des Großen; darum ſei Preußen
überall in Deutſchland verabſcheut, Oeſterreich aber, das ſeine Kronländer
in der alten Weiſe ruhig gewähren laſſe, allgemein beliebt. Und wie viel
geſünder als das zuſammengewürfelte preußiſche Beamtenthum erſcheine
die durch Verwandtſchaft und Nachbarſchaft verbundene Dienſt-Ariſtokratie
der ſtändiſchen Länder! Den Beweis für die Verwerflichkeit der preußi-
ſchen Inſtitutionen fand er einfach in der Kataſtrophe von 1806, und
niemals verfiel der geſchichtskundige Mann auf die naheliegende Frage:
warum wohl der hannoverſche Muſterſtaat ebenfalls, und weit unrühm-
licher als Preußen, den franzöſiſchen Waffen erlegen war? Nachdem er
ſich während der Fremdherrſchaft in ein ſtilles Nebenamt zurückgezogen,
ging er jetzt mit freudigem Eifer an die Wiederaufrichtung der alten
Ordnung, ſoweit ſie ſich mit den verwandelten Verhältniſſen nur noch
irgend vertrug. Er blickte mit Stolz auf ſeine kernhaften niederſächſiſchen
Bauern und zeigte für die Lebensbedingungen communaler Selbſtverwal-
tung ein feines Verſtändniß, das ihm Niebuhr’s Beifall gewann. Auch
verwarf er nicht unbedingt die demokratiſchen Forderungen der neuen Ge-
ſellſchaft; doch alle Neuerungen ſollten ſich nur Schritt für Schritt, aus
dem Beſtehenden heraus entwickeln. Die Zeit, da es in Deutſchland
einen allgemeinen Stand von Staatsbürgern geben würde, ſchien ihm
noch in unabſehbarer Ferne zu liegen.

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 35
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[545/0561] Münſter. Rehberg. Herzens hielt er die Anſchauungen der Reſtaurationspolitik immer feſt, und nach dieſen Grundſätzen führte er auch die Regierung von Hannover. Er wies den angebotenen Fürſtentitel zurück und bezog nur einen nach althannoverſchen Begriffen ſehr beſcheidenen Gehalt; um ſo eiferſüchtiger wachte er darüber, daß in dieſem Staate, den er mit Recht als das Werk ſeiner kunſtfertigen Hände betrachtete, kein anderer Wille als der ſeine gelten dürfe. Leider kannte er ſeine Heimath kaum; er hatte nur drei Jugendjahre in der Verwaltung, ſein ganzes Mannesleben als Diplomat im Auslande zugebracht und kam auch jetzt nur zu kurzen Beſuchen nach ſeinem ſchönen Dotationsgute, dem Kloſter Derneburg hinüber. So fiel denn die Arbeit der Wiederherſtellung des Staates unter Münſter’s Oberleitung zunächſt dem Cabinetsrath A. W. Rehberg zu, der Zierde des althannoverſchen bürgerlichen Beamtenthums. Rehberg vereinigte mit gründlicher Geſchäftskenntniß eine reiche, philoſophiſch durch- gebildete Gelehrſamkeit und hatte ſich durch zahlreiche politiſche Schriften großen Ruf, aber wenig Leſer erworben; die kühle Verſtändigkeit ſeines wohlgefeilten, ſentenzenreichen Stiles feſſelte nur die Kenner. Er verab- ſcheute die Revolution ſowie alle abſtrakten politiſchen Theorien; feurige Naturen wie Fichte und Arndt tadelte er von oben herunter, mit der Selbſtgefälligkeit des praktiſchen Geſchäftsmannes, da ihre Leidenſchaft Ombrage erregte. Sein politiſches Ideal, den altſtändiſchen Staat, leitete er ab aus „dem republikaniſchen deutſchen Geiſte“, der keinen ärgeren Feind habe als die Monarchie Friedrich’s des Großen; darum ſei Preußen überall in Deutſchland verabſcheut, Oeſterreich aber, das ſeine Kronländer in der alten Weiſe ruhig gewähren laſſe, allgemein beliebt. Und wie viel geſünder als das zuſammengewürfelte preußiſche Beamtenthum erſcheine die durch Verwandtſchaft und Nachbarſchaft verbundene Dienſt-Ariſtokratie der ſtändiſchen Länder! Den Beweis für die Verwerflichkeit der preußi- ſchen Inſtitutionen fand er einfach in der Kataſtrophe von 1806, und niemals verfiel der geſchichtskundige Mann auf die naheliegende Frage: warum wohl der hannoverſche Muſterſtaat ebenfalls, und weit unrühm- licher als Preußen, den franzöſiſchen Waffen erlegen war? Nachdem er ſich während der Fremdherrſchaft in ein ſtilles Nebenamt zurückgezogen, ging er jetzt mit freudigem Eifer an die Wiederaufrichtung der alten Ordnung, ſoweit ſie ſich mit den verwandelten Verhältniſſen nur noch irgend vertrug. Er blickte mit Stolz auf ſeine kernhaften niederſächſiſchen Bauern und zeigte für die Lebensbedingungen communaler Selbſtverwal- tung ein feines Verſtändniß, das ihm Niebuhr’s Beifall gewann. Auch verwarf er nicht unbedingt die demokratiſchen Forderungen der neuen Ge- ſellſchaft; doch alle Neuerungen ſollten ſich nur Schritt für Schritt, aus dem Beſtehenden heraus entwickeln. Die Zeit, da es in Deutſchland einen allgemeinen Stand von Staatsbürgern geben würde, ſchien ihm noch in unabſehbarer Ferne zu liegen. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 35

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/561>, abgerufen am 25.11.2024.