III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
Cumberland verliehen, der das Land im Herbst 1813 für den König in Besitz genommen hatte, sondern dem gefügigen jüngeren Bruder, dem Her- zog von Cambridge. Dieser mäßig begabte, gutmüthige Prinz bezauberte alle Herzen durch seine Leutseligkeit, er mußte aber späterhin selber ge- stehen, daß ihm die Zustände und Stimmungen in Hannover fünfzehn Jahre hindurch ganz unbekannt geblieben seien.
Graf Münster blieb sein Leben lang von der Unübertrefflichkeit der althannoverschen Institutionen tief überzeugt. Ganz mit Unrecht war er zur Zeit des Wiener Congresses in den Ruf liberaler Gesinnung gekommen, weil er das Repräsentativsystem, das in Deutschland zu allen Zeiten Rechtens gewesen, gegen die sultanischen Gelüste der Rheinbundsfürsten ver- theidigt hatte. Ebenso grundlos ward er nachher des Gesinnungswechsels be- schuldigt, als er sich in Karlsbad für die deutschrechtlichen Landstände und gegen die ausländischen Repräsentativverfassungen erklärte. In Wahrheit hatte er auch in Wien unter dem deutschen Repräsentativsystem nur seine welfischen Landtage verstanden. Da in Hannover wie in England der Adel regierte, so fand Münster keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Verfassungen dieser beiden Welfenlande; seine dilettantenhafte poli- tische Bildung reichte nicht weit genug um zu erkennen, daß drüben das gemeine Recht herrschte, hüben eine starre ständische Gliederung. Nach dem Veroneser Congresse schrieb er dem Bundesgesandten Hammerstein: der König von Hannover werde sich, was auch das englische Cabinet beschließen möge, niemals von den verbündeten Mächten trennen; die vernünftige Freiheit in Hannover entspreche durchaus den Grundsätzen der großen Allianz.*) Einige Jahre darauf ward der welfische Staatsmann noch ein- mal um seines Freisinns willen hoch gepriesen, weil er in seinen Depeschen an den Gesandten in Wien (1826) die maßlose Reactionspolitik Metter- nich's scharf tadelte. "Muß man denn, so fragte er, um das monar- chische System aufrechtzuhalten, ein Absolutist werden, ein Vertheidiger aller Mißbräuche und der erbitterte Feind alles dessen, was einer Bürg- schaft gegen die Willkürgewalt ähnlich sieht?" Metternich wehrte sich in einer hochmüthigen Erwiderung; Hatzfeldt schrieb wüthend, etwas so Grobes und Revolutionäres habe er noch nie gelesen, und auch Bern- storff äußerte sein Befremden über den unbegreiflichen Angriff.**) Indeß die flüchtige Aufwallung blieb ohne Folgen; sie entsprang nicht einem tiefen Gegensatze der Gesinnung, sondern persönlicher Gereiztheit. Als Münster jene Depeschen schrieb, war er mit Herzog Karl von Braun- schweig, dem Schützling Metternich's, in Händel verwickelt und zudem über die türkenfreundliche Haltung der Hofburg erbittert, da er der Ueber- legenheit Canning's nicht ganz zu widerstehen vermochte. Im Grunde des
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Cumberland verliehen, der das Land im Herbſt 1813 für den König in Beſitz genommen hatte, ſondern dem gefügigen jüngeren Bruder, dem Her- zog von Cambridge. Dieſer mäßig begabte, gutmüthige Prinz bezauberte alle Herzen durch ſeine Leutſeligkeit, er mußte aber ſpäterhin ſelber ge- ſtehen, daß ihm die Zuſtände und Stimmungen in Hannover fünfzehn Jahre hindurch ganz unbekannt geblieben ſeien.
Graf Münſter blieb ſein Leben lang von der Unübertrefflichkeit der althannoverſchen Inſtitutionen tief überzeugt. Ganz mit Unrecht war er zur Zeit des Wiener Congreſſes in den Ruf liberaler Geſinnung gekommen, weil er das Repräſentativſyſtem, das in Deutſchland zu allen Zeiten Rechtens geweſen, gegen die ſultaniſchen Gelüſte der Rheinbundsfürſten ver- theidigt hatte. Ebenſo grundlos ward er nachher des Geſinnungswechſels be- ſchuldigt, als er ſich in Karlsbad für die deutſchrechtlichen Landſtände und gegen die ausländiſchen Repräſentativverfaſſungen erklärte. In Wahrheit hatte er auch in Wien unter dem deutſchen Repräſentativſyſtem nur ſeine welfiſchen Landtage verſtanden. Da in Hannover wie in England der Adel regierte, ſo fand Münſter keinen weſentlichen Unterſchied zwiſchen den Verfaſſungen dieſer beiden Welfenlande; ſeine dilettantenhafte poli- tiſche Bildung reichte nicht weit genug um zu erkennen, daß drüben das gemeine Recht herrſchte, hüben eine ſtarre ſtändiſche Gliederung. Nach dem Veroneſer Congreſſe ſchrieb er dem Bundesgeſandten Hammerſtein: der König von Hannover werde ſich, was auch das engliſche Cabinet beſchließen möge, niemals von den verbündeten Mächten trennen; die vernünftige Freiheit in Hannover entſpreche durchaus den Grundſätzen der großen Allianz.*) Einige Jahre darauf ward der welfiſche Staatsmann noch ein- mal um ſeines Freiſinns willen hoch geprieſen, weil er in ſeinen Depeſchen an den Geſandten in Wien (1826) die maßloſe Reactionspolitik Metter- nich’s ſcharf tadelte. „Muß man denn, ſo fragte er, um das monar- chiſche Syſtem aufrechtzuhalten, ein Abſolutiſt werden, ein Vertheidiger aller Mißbräuche und der erbitterte Feind alles deſſen, was einer Bürg- ſchaft gegen die Willkürgewalt ähnlich ſieht?“ Metternich wehrte ſich in einer hochmüthigen Erwiderung; Hatzfeldt ſchrieb wüthend, etwas ſo Grobes und Revolutionäres habe er noch nie geleſen, und auch Bern- ſtorff äußerte ſein Befremden über den unbegreiflichen Angriff.**) Indeß die flüchtige Aufwallung blieb ohne Folgen; ſie entſprang nicht einem tiefen Gegenſatze der Geſinnung, ſondern perſönlicher Gereiztheit. Als Münſter jene Depeſchen ſchrieb, war er mit Herzog Karl von Braun- ſchweig, dem Schützling Metternich’s, in Händel verwickelt und zudem über die türkenfreundliche Haltung der Hofburg erbittert, da er der Ueber- legenheit Canning’s nicht ganz zu widerſtehen vermochte. Im Grunde des
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III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Cumberland verliehen, der das Land im Herbſt 1813 für den König in
Beſitz genommen hatte, ſondern dem gefügigen jüngeren Bruder, dem Her-
zog von Cambridge. Dieſer mäßig begabte, gutmüthige Prinz bezauberte
alle Herzen durch ſeine Leutſeligkeit, er mußte aber ſpäterhin ſelber ge-
ſtehen, daß ihm die Zuſtände und Stimmungen in Hannover fünfzehn
Jahre hindurch ganz unbekannt geblieben ſeien.
Graf Münſter blieb ſein Leben lang von der Unübertrefflichkeit der
althannoverſchen Inſtitutionen tief überzeugt. Ganz mit Unrecht war er
zur Zeit des Wiener Congreſſes in den Ruf liberaler Geſinnung gekommen,
weil er das Repräſentativſyſtem, das in Deutſchland zu allen Zeiten
Rechtens geweſen, gegen die ſultaniſchen Gelüſte der Rheinbundsfürſten ver-
theidigt hatte. Ebenſo grundlos ward er nachher des Geſinnungswechſels be-
ſchuldigt, als er ſich in Karlsbad für die deutſchrechtlichen Landſtände und
gegen die ausländiſchen Repräſentativverfaſſungen erklärte. In Wahrheit
hatte er auch in Wien unter dem deutſchen Repräſentativſyſtem nur ſeine
welfiſchen Landtage verſtanden. Da in Hannover wie in England der
Adel regierte, ſo fand Münſter keinen weſentlichen Unterſchied zwiſchen
den Verfaſſungen dieſer beiden Welfenlande; ſeine dilettantenhafte poli-
tiſche Bildung reichte nicht weit genug um zu erkennen, daß drüben das
gemeine Recht herrſchte, hüben eine ſtarre ſtändiſche Gliederung. Nach dem
Veroneſer Congreſſe ſchrieb er dem Bundesgeſandten Hammerſtein: der
König von Hannover werde ſich, was auch das engliſche Cabinet beſchließen
möge, niemals von den verbündeten Mächten trennen; die vernünftige
Freiheit in Hannover entſpreche durchaus den Grundſätzen der großen
Allianz. *) Einige Jahre darauf ward der welfiſche Staatsmann noch ein-
mal um ſeines Freiſinns willen hoch geprieſen, weil er in ſeinen Depeſchen
an den Geſandten in Wien (1826) die maßloſe Reactionspolitik Metter-
nich’s ſcharf tadelte. „Muß man denn, ſo fragte er, um das monar-
chiſche Syſtem aufrechtzuhalten, ein Abſolutiſt werden, ein Vertheidiger
aller Mißbräuche und der erbitterte Feind alles deſſen, was einer Bürg-
ſchaft gegen die Willkürgewalt ähnlich ſieht?“ Metternich wehrte ſich
in einer hochmüthigen Erwiderung; Hatzfeldt ſchrieb wüthend, etwas ſo
Grobes und Revolutionäres habe er noch nie geleſen, und auch Bern-
ſtorff äußerte ſein Befremden über den unbegreiflichen Angriff. **) Indeß
die flüchtige Aufwallung blieb ohne Folgen; ſie entſprang nicht einem
tiefen Gegenſatze der Geſinnung, ſondern perſönlicher Gereiztheit. Als
Münſter jene Depeſchen ſchrieb, war er mit Herzog Karl von Braun-
ſchweig, dem Schützling Metternich’s, in Händel verwickelt und zudem
über die türkenfreundliche Haltung der Hofburg erbittert, da er der Ueber-
legenheit Canning’s nicht ganz zu widerſtehen vermochte. Im Grunde des
*) Blittersdorff’s Bericht, 8. April 1823.
**) Hatzfeldt’s Bericht, 11. Dec. 1826. Bernſtorff, Weiſung an Hatzfeldt, 15. Jan. 1827.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/560>, abgerufen am 22.11.2024.
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