staaten der Elbe. Die von W. Humboldt redigirten Art. 108--116 der Wiener Congreßakte stellten den Grundsatz auf, daß die Schifffahrt auf den conventionellen Strömen frei, das will sagen: Niemandem verwehrt sein sollte, und verpflichteten die Uferstaaten, binnen sechs Monaten Ver- handlungen einzuleiten, damit die Schifffahrtsabgaben gleichmäßig und unabänderlich, ungefähr dem Betrage des Rhein-Octrois entsprechend, festgesetzt würden.
Offenbar vermochten diese wohlthätigen Verheißungen nur dann ins Leben zu treten, wenn die Erhebung der Schifffahrtsabgaben, wie der Art. 115 ausdrücklich vorschrieb, von dem Zollwesen der Uferstaaten durch- aus getrennt blieb und alle Betheiligten durch eine strenge Uferpolizei verhinderten, daß die freie Schifffahrt zum Schmuggel in die Nachbar- lande mißbraucht würde. Nur unter dieser Bedingung konnte Preußen, das jene Artikel der Congreßakte als sein eigenes Werk betrachtete, seine Hand zu ihrer Ausführung bieten; wie durfte man -- so fragte später- hin eine preußische Staatsschrift -- einem mächtigen Staate zumuthen, "in seinem Herzen einen Wurm zu dulden, der seine innere Lebenswurzel annagt?"*) Nur wenn Anhalt, das von der Provinz Sachsen rings umschlossen war, dem preußischen Zollsysteme beitrat, konnte die verheißene Freiheit der Elbschifffahrt und der rechtmäßige Ertrag der preußischen Einfuhrzölle zugleich gesichert werden. Seit der alte Dessauer einst die sämmtlichen Landgüter seiner Ritterschaft aufgekauft, hatten sich Landbau und Forstwirthschaft in den anhaltischen Ländchen unter der sorgsamen Pflege ihrer Fürsten glücklich entwickelt; alle seine natürlichen Interessen verwiesen dies blühende Gartenland, das der Industrie noch gänzlich ent- behrte, auf den freien Verkehr mit den benachbarten gewerbreichen Be- zirken Preußens. Was der Vereinbarung im Wege stand, war allein der tolle Souveränitätsdünkel des Herzogs von Köthen und die weiter blickende Feindseligkeit seines Rathgebers Adam Müller. Die "Anschlie- ßungs-Insinuationen" des Berliner Cabinets wies der Herzog empört zu- rück: ob man denn nicht einsehe, so fragte er einmal, "wie schon die bloße Unnatur eines solchen Verhältnisses, die Unterordnung eines sou- veränen Fürsten unter die Zoll-Administration eines benachbarten Staates, dem Bestande eines freundschaftlichen Verhältnisses mit der Regierung desselben durchaus ungünstig sei!"**)
Da mit Vernunftgründen bei diesem Hofe nichts auszurichten war, so begnügte sich Preußen vorläufig sein Enclavensystem gegen Anhalt auf- recht zu halten. Alle zu Lande nach Anhalt eingehenden Waaren wurden dem preußischen Eingangszolle unterworfen. Nur den Elbschiffern er- laubte man Sicherheit zu stellen für die Zahlung der preußischen Ab-
*) Instruktion an Nagler, 27. Febr. 1827.
**) Schreiben der herz. Regierung zu Köthen an Graf Bernstorff, 27. März 1823.
III. 1. Die Wiener Conferenzen.
ſtaaten der Elbe. Die von W. Humboldt redigirten Art. 108—116 der Wiener Congreßakte ſtellten den Grundſatz auf, daß die Schifffahrt auf den conventionellen Strömen frei, das will ſagen: Niemandem verwehrt ſein ſollte, und verpflichteten die Uferſtaaten, binnen ſechs Monaten Ver- handlungen einzuleiten, damit die Schifffahrtsabgaben gleichmäßig und unabänderlich, ungefähr dem Betrage des Rhein-Octrois entſprechend, feſtgeſetzt würden.
Offenbar vermochten dieſe wohlthätigen Verheißungen nur dann ins Leben zu treten, wenn die Erhebung der Schifffahrtsabgaben, wie der Art. 115 ausdrücklich vorſchrieb, von dem Zollweſen der Uferſtaaten durch- aus getrennt blieb und alle Betheiligten durch eine ſtrenge Uferpolizei verhinderten, daß die freie Schifffahrt zum Schmuggel in die Nachbar- lande mißbraucht würde. Nur unter dieſer Bedingung konnte Preußen, das jene Artikel der Congreßakte als ſein eigenes Werk betrachtete, ſeine Hand zu ihrer Ausführung bieten; wie durfte man — ſo fragte ſpäter- hin eine preußiſche Staatsſchrift — einem mächtigen Staate zumuthen, „in ſeinem Herzen einen Wurm zu dulden, der ſeine innere Lebenswurzel annagt?“*) Nur wenn Anhalt, das von der Provinz Sachſen rings umſchloſſen war, dem preußiſchen Zollſyſteme beitrat, konnte die verheißene Freiheit der Elbſchifffahrt und der rechtmäßige Ertrag der preußiſchen Einfuhrzölle zugleich geſichert werden. Seit der alte Deſſauer einſt die ſämmtlichen Landgüter ſeiner Ritterſchaft aufgekauft, hatten ſich Landbau und Forſtwirthſchaft in den anhaltiſchen Ländchen unter der ſorgſamen Pflege ihrer Fürſten glücklich entwickelt; alle ſeine natürlichen Intereſſen verwieſen dies blühende Gartenland, das der Induſtrie noch gänzlich ent- behrte, auf den freien Verkehr mit den benachbarten gewerbreichen Be- zirken Preußens. Was der Vereinbarung im Wege ſtand, war allein der tolle Souveränitätsdünkel des Herzogs von Köthen und die weiter blickende Feindſeligkeit ſeines Rathgebers Adam Müller. Die „Anſchlie- ßungs-Inſinuationen“ des Berliner Cabinets wies der Herzog empört zu- rück: ob man denn nicht einſehe, ſo fragte er einmal, „wie ſchon die bloße Unnatur eines ſolchen Verhältniſſes, die Unterordnung eines ſou- veränen Fürſten unter die Zoll-Adminiſtration eines benachbarten Staates, dem Beſtande eines freundſchaftlichen Verhältniſſes mit der Regierung deſſelben durchaus ungünſtig ſei!“**)
Da mit Vernunftgründen bei dieſem Hofe nichts auszurichten war, ſo begnügte ſich Preußen vorläufig ſein Enclavenſyſtem gegen Anhalt auf- recht zu halten. Alle zu Lande nach Anhalt eingehenden Waaren wurden dem preußiſchen Eingangszolle unterworfen. Nur den Elbſchiffern er- laubte man Sicherheit zu ſtellen für die Zahlung der preußiſchen Ab-
*) Inſtruktion an Nagler, 27. Febr. 1827.
**) Schreiben der herz. Regierung zu Köthen an Graf Bernſtorff, 27. März 1823.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0056"n="40"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 1. Die Wiener Conferenzen.</fw><lb/>ſtaaten der Elbe. Die von W. Humboldt redigirten Art. 108—116 der<lb/>
Wiener Congreßakte ſtellten den Grundſatz auf, daß die Schifffahrt auf<lb/>
den conventionellen Strömen frei, das will ſagen: Niemandem verwehrt<lb/>ſein ſollte, und verpflichteten die Uferſtaaten, binnen ſechs Monaten Ver-<lb/>
handlungen einzuleiten, damit die Schifffahrtsabgaben gleichmäßig und<lb/>
unabänderlich, ungefähr dem Betrage des Rhein-Octrois entſprechend,<lb/>
feſtgeſetzt würden.</p><lb/><p>Offenbar vermochten dieſe wohlthätigen Verheißungen nur dann ins<lb/>
Leben zu treten, wenn die Erhebung der Schifffahrtsabgaben, wie der<lb/>
Art. 115 ausdrücklich vorſchrieb, von dem Zollweſen der Uferſtaaten durch-<lb/>
aus getrennt blieb und alle Betheiligten durch eine ſtrenge Uferpolizei<lb/>
verhinderten, daß die freie Schifffahrt zum Schmuggel in die Nachbar-<lb/>
lande mißbraucht würde. Nur unter dieſer Bedingung konnte Preußen,<lb/>
das jene Artikel der Congreßakte als ſein eigenes Werk betrachtete, ſeine<lb/>
Hand zu ihrer Ausführung bieten; wie durfte man —ſo fragte ſpäter-<lb/>
hin eine preußiſche Staatsſchrift — einem mächtigen Staate zumuthen,<lb/>„in ſeinem Herzen einen Wurm zu dulden, der ſeine innere Lebenswurzel<lb/>
annagt?“<noteplace="foot"n="*)">Inſtruktion an Nagler, 27. Febr. 1827.</note> Nur wenn Anhalt, das von der Provinz Sachſen rings<lb/>
umſchloſſen war, dem preußiſchen Zollſyſteme beitrat, konnte die verheißene<lb/>
Freiheit der Elbſchifffahrt und der rechtmäßige Ertrag der preußiſchen<lb/>
Einfuhrzölle zugleich geſichert werden. Seit der alte Deſſauer einſt die<lb/>ſämmtlichen Landgüter ſeiner Ritterſchaft aufgekauft, hatten ſich Landbau<lb/>
und Forſtwirthſchaft in den anhaltiſchen Ländchen unter der ſorgſamen<lb/>
Pflege ihrer Fürſten glücklich entwickelt; alle ſeine natürlichen Intereſſen<lb/>
verwieſen dies blühende Gartenland, das der Induſtrie noch gänzlich ent-<lb/>
behrte, auf den freien Verkehr mit den benachbarten gewerbreichen Be-<lb/>
zirken Preußens. Was der Vereinbarung im Wege ſtand, war allein<lb/>
der tolle Souveränitätsdünkel des Herzogs von Köthen und die weiter<lb/>
blickende Feindſeligkeit ſeines Rathgebers Adam Müller. Die „Anſchlie-<lb/>
ßungs-Inſinuationen“ des Berliner Cabinets wies der Herzog empört zu-<lb/>
rück: ob man denn nicht einſehe, ſo fragte er einmal, „wie ſchon die<lb/>
bloße Unnatur eines ſolchen Verhältniſſes, die Unterordnung eines ſou-<lb/>
veränen Fürſten unter die Zoll-Adminiſtration eines benachbarten Staates,<lb/>
dem Beſtande eines freundſchaftlichen Verhältniſſes mit der Regierung<lb/>
deſſelben durchaus ungünſtig ſei!“<noteplace="foot"n="**)">Schreiben der herz. Regierung zu Köthen an Graf Bernſtorff, 27. März 1823.</note></p><lb/><p>Da mit Vernunftgründen bei dieſem Hofe nichts auszurichten war,<lb/>ſo begnügte ſich Preußen vorläufig ſein Enclavenſyſtem gegen Anhalt auf-<lb/>
recht zu halten. Alle zu Lande nach Anhalt eingehenden Waaren wurden<lb/>
dem preußiſchen Eingangszolle unterworfen. Nur den Elbſchiffern er-<lb/>
laubte man Sicherheit zu ſtellen für die Zahlung der preußiſchen Ab-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[40/0056]
III. 1. Die Wiener Conferenzen.
ſtaaten der Elbe. Die von W. Humboldt redigirten Art. 108—116 der
Wiener Congreßakte ſtellten den Grundſatz auf, daß die Schifffahrt auf
den conventionellen Strömen frei, das will ſagen: Niemandem verwehrt
ſein ſollte, und verpflichteten die Uferſtaaten, binnen ſechs Monaten Ver-
handlungen einzuleiten, damit die Schifffahrtsabgaben gleichmäßig und
unabänderlich, ungefähr dem Betrage des Rhein-Octrois entſprechend,
feſtgeſetzt würden.
Offenbar vermochten dieſe wohlthätigen Verheißungen nur dann ins
Leben zu treten, wenn die Erhebung der Schifffahrtsabgaben, wie der
Art. 115 ausdrücklich vorſchrieb, von dem Zollweſen der Uferſtaaten durch-
aus getrennt blieb und alle Betheiligten durch eine ſtrenge Uferpolizei
verhinderten, daß die freie Schifffahrt zum Schmuggel in die Nachbar-
lande mißbraucht würde. Nur unter dieſer Bedingung konnte Preußen,
das jene Artikel der Congreßakte als ſein eigenes Werk betrachtete, ſeine
Hand zu ihrer Ausführung bieten; wie durfte man — ſo fragte ſpäter-
hin eine preußiſche Staatsſchrift — einem mächtigen Staate zumuthen,
„in ſeinem Herzen einen Wurm zu dulden, der ſeine innere Lebenswurzel
annagt?“ *) Nur wenn Anhalt, das von der Provinz Sachſen rings
umſchloſſen war, dem preußiſchen Zollſyſteme beitrat, konnte die verheißene
Freiheit der Elbſchifffahrt und der rechtmäßige Ertrag der preußiſchen
Einfuhrzölle zugleich geſichert werden. Seit der alte Deſſauer einſt die
ſämmtlichen Landgüter ſeiner Ritterſchaft aufgekauft, hatten ſich Landbau
und Forſtwirthſchaft in den anhaltiſchen Ländchen unter der ſorgſamen
Pflege ihrer Fürſten glücklich entwickelt; alle ſeine natürlichen Intereſſen
verwieſen dies blühende Gartenland, das der Induſtrie noch gänzlich ent-
behrte, auf den freien Verkehr mit den benachbarten gewerbreichen Be-
zirken Preußens. Was der Vereinbarung im Wege ſtand, war allein
der tolle Souveränitätsdünkel des Herzogs von Köthen und die weiter
blickende Feindſeligkeit ſeines Rathgebers Adam Müller. Die „Anſchlie-
ßungs-Inſinuationen“ des Berliner Cabinets wies der Herzog empört zu-
rück: ob man denn nicht einſehe, ſo fragte er einmal, „wie ſchon die
bloße Unnatur eines ſolchen Verhältniſſes, die Unterordnung eines ſou-
veränen Fürſten unter die Zoll-Adminiſtration eines benachbarten Staates,
dem Beſtande eines freundſchaftlichen Verhältniſſes mit der Regierung
deſſelben durchaus ungünſtig ſei!“ **)
Da mit Vernunftgründen bei dieſem Hofe nichts auszurichten war,
ſo begnügte ſich Preußen vorläufig ſein Enclavenſyſtem gegen Anhalt auf-
recht zu halten. Alle zu Lande nach Anhalt eingehenden Waaren wurden
dem preußiſchen Eingangszolle unterworfen. Nur den Elbſchiffern er-
laubte man Sicherheit zu ſtellen für die Zahlung der preußiſchen Ab-
*) Inſtruktion an Nagler, 27. Febr. 1827.
**) Schreiben der herz. Regierung zu Köthen an Graf Bernſtorff, 27. März 1823.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/56>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.