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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Wachsende Unzufriedenheit.
doch mit Händen greifen, daß die Provinz Sachsen sich in jeder Hinsicht
glücklicher befand als das Königreich und dort Niemand mehr ernstlich
nach dem Rautenkranze zurückverlangte. Drüben besaß man Alles was
hüben fehlte: eine gescheidte, schlagfertige, bürgerfreundliche Verwaltung;
dazu ein freies Städtewesen, das von der Vetternherrschaft der kursäch-
sischen Stadträthe seltsam abstach und daher auch an dem Sachsen Streck-
fuß seinen eifrigsten Vertheidiger fand. Während drüben die Entlastung
der Bauerngüter stetig fortschritt, wurden im Königreiche die bestehenden
Grundlasten sogar noch erhöht; noch im Jahre 1828 bestimmte eine neue
Verordnung über die Hutungen: der Hutungsleidende dürfe die Mitweide
auf seinem eigenen Boden nur dann beanspruchen, wenn er dies Recht
seit verjährter Zeit geübt habe!

So begann man im Lande sich nach der Städteordnung und den
Agrargesetzen Preußens zu sehnen, und zu diesem wohlberechtigten Un-
muth gesellte sich noch ein völlig grundloses confessionelles Mißtrauen
gegen die ultramontane Gesinnung des königlichen Hauses. Es war der
Lauf der Welt, daß in diesem erzlutherischen Lande, wo man einst ernst-
lich daran gedacht hatte, neben der christlichen noch eine lutherische Zeit-
rechnung -- von 1517 an -- einzuführen, beständig finstere Gerüchte über
den katholischen Hof umgingen. Je dienstfertiger man sich sonst den
Befehlen des Königs unterwarf, um so reizbarer ward dieser Argwohn,
er blieb lange fast die einzige politische Leidenschaft des kursächsischen Volkes.
König Anton war noch bigotter als sein verstorbener Bruder, der von
Katholiken im Vertrauen zu sagen pflegte: il est de notre religion. Es
kam auch zuweilen vor, daß irgend ein strebsamer Leutnant oder Beamter
aus räthselhaften Gründen zur römischen Kirche übertrat; doch solche
Fälle waren sehr selten, nachweislich seltener als die Uebertritte von der
katholischen zur evangelischen Kirche. Und wenn am Hofe noch von alten
Zeiten her eine geheime Kasse zur Unterstützung von Convertiten bestand*),
wenn einmal einer vormaligen Hofdame der Gnadengehalt entzogen wurde
weil sie ihre Kinder lutherisch erziehen ließ**), so waren dies reine Pri-
vatangelegenheiten des königlichen Hauses, welche den Staat nicht berührten.
Eine planmäßige Begünstigung des Proselytenwesens haben die Albertiner
im neunzehnten Jahrhundert immer ehrenhaft vermieden, trotz ihrer streng
katholischen Gesinnung. Für eine jesuitische Propaganda, wie sie der neu-
bekehrte Köthener Hof trieb, war in Dresden gar kein Boden, Niemand
unter den hohen Beamten hätte sich dazu herbeigelassen.

Gleichwohl wucherte der Argwohn im Volke fort und sog aus einigen
harmlosen Vorfällen neue Nahrung. Als im Jahre 1824 das Kirchen-
jubiläum für das nächste Jahr ausgeschrieben wurde und ein Anschlag in

*) Bericht des Frhrn. v. Oelßen, 28. Dec. 1818.
**) Jordan's Bericht, 4. Nov. 1828.
33*

Wachſende Unzufriedenheit.
doch mit Händen greifen, daß die Provinz Sachſen ſich in jeder Hinſicht
glücklicher befand als das Königreich und dort Niemand mehr ernſtlich
nach dem Rautenkranze zurückverlangte. Drüben beſaß man Alles was
hüben fehlte: eine geſcheidte, ſchlagfertige, bürgerfreundliche Verwaltung;
dazu ein freies Städteweſen, das von der Vetternherrſchaft der kurſäch-
ſiſchen Stadträthe ſeltſam abſtach und daher auch an dem Sachſen Streck-
fuß ſeinen eifrigſten Vertheidiger fand. Während drüben die Entlaſtung
der Bauerngüter ſtetig fortſchritt, wurden im Königreiche die beſtehenden
Grundlaſten ſogar noch erhöht; noch im Jahre 1828 beſtimmte eine neue
Verordnung über die Hutungen: der Hutungsleidende dürfe die Mitweide
auf ſeinem eigenen Boden nur dann beanſpruchen, wenn er dies Recht
ſeit verjährter Zeit geübt habe!

So begann man im Lande ſich nach der Städteordnung und den
Agrargeſetzen Preußens zu ſehnen, und zu dieſem wohlberechtigten Un-
muth geſellte ſich noch ein völlig grundloſes confeſſionelles Mißtrauen
gegen die ultramontane Geſinnung des königlichen Hauſes. Es war der
Lauf der Welt, daß in dieſem erzlutheriſchen Lande, wo man einſt ernſt-
lich daran gedacht hatte, neben der chriſtlichen noch eine lutheriſche Zeit-
rechnung — von 1517 an — einzuführen, beſtändig finſtere Gerüchte über
den katholiſchen Hof umgingen. Je dienſtfertiger man ſich ſonſt den
Befehlen des Königs unterwarf, um ſo reizbarer ward dieſer Argwohn,
er blieb lange faſt die einzige politiſche Leidenſchaft des kurſächſiſchen Volkes.
König Anton war noch bigotter als ſein verſtorbener Bruder, der von
Katholiken im Vertrauen zu ſagen pflegte: il est de notre religion. Es
kam auch zuweilen vor, daß irgend ein ſtrebſamer Leutnant oder Beamter
aus räthſelhaften Gründen zur römiſchen Kirche übertrat; doch ſolche
Fälle waren ſehr ſelten, nachweislich ſeltener als die Uebertritte von der
katholiſchen zur evangeliſchen Kirche. Und wenn am Hofe noch von alten
Zeiten her eine geheime Kaſſe zur Unterſtützung von Convertiten beſtand*),
wenn einmal einer vormaligen Hofdame der Gnadengehalt entzogen wurde
weil ſie ihre Kinder lutheriſch erziehen ließ**), ſo waren dies reine Pri-
vatangelegenheiten des königlichen Hauſes, welche den Staat nicht berührten.
Eine planmäßige Begünſtigung des Proſelytenweſens haben die Albertiner
im neunzehnten Jahrhundert immer ehrenhaft vermieden, trotz ihrer ſtreng
katholiſchen Geſinnung. Für eine jeſuitiſche Propaganda, wie ſie der neu-
bekehrte Köthener Hof trieb, war in Dresden gar kein Boden, Niemand
unter den hohen Beamten hätte ſich dazu herbeigelaſſen.

Gleichwohl wucherte der Argwohn im Volke fort und ſog aus einigen
harmloſen Vorfällen neue Nahrung. Als im Jahre 1824 das Kirchen-
jubiläum für das nächſte Jahr ausgeſchrieben wurde und ein Anſchlag in

*) Bericht des Frhrn. v. Oelßen, 28. Dec. 1818.
**) Jordan’s Bericht, 4. Nov. 1828.
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[515/0531] Wachſende Unzufriedenheit. doch mit Händen greifen, daß die Provinz Sachſen ſich in jeder Hinſicht glücklicher befand als das Königreich und dort Niemand mehr ernſtlich nach dem Rautenkranze zurückverlangte. Drüben beſaß man Alles was hüben fehlte: eine geſcheidte, ſchlagfertige, bürgerfreundliche Verwaltung; dazu ein freies Städteweſen, das von der Vetternherrſchaft der kurſäch- ſiſchen Stadträthe ſeltſam abſtach und daher auch an dem Sachſen Streck- fuß ſeinen eifrigſten Vertheidiger fand. Während drüben die Entlaſtung der Bauerngüter ſtetig fortſchritt, wurden im Königreiche die beſtehenden Grundlaſten ſogar noch erhöht; noch im Jahre 1828 beſtimmte eine neue Verordnung über die Hutungen: der Hutungsleidende dürfe die Mitweide auf ſeinem eigenen Boden nur dann beanſpruchen, wenn er dies Recht ſeit verjährter Zeit geübt habe! So begann man im Lande ſich nach der Städteordnung und den Agrargeſetzen Preußens zu ſehnen, und zu dieſem wohlberechtigten Un- muth geſellte ſich noch ein völlig grundloſes confeſſionelles Mißtrauen gegen die ultramontane Geſinnung des königlichen Hauſes. Es war der Lauf der Welt, daß in dieſem erzlutheriſchen Lande, wo man einſt ernſt- lich daran gedacht hatte, neben der chriſtlichen noch eine lutheriſche Zeit- rechnung — von 1517 an — einzuführen, beſtändig finſtere Gerüchte über den katholiſchen Hof umgingen. Je dienſtfertiger man ſich ſonſt den Befehlen des Königs unterwarf, um ſo reizbarer ward dieſer Argwohn, er blieb lange faſt die einzige politiſche Leidenſchaft des kurſächſiſchen Volkes. König Anton war noch bigotter als ſein verſtorbener Bruder, der von Katholiken im Vertrauen zu ſagen pflegte: il est de notre religion. Es kam auch zuweilen vor, daß irgend ein ſtrebſamer Leutnant oder Beamter aus räthſelhaften Gründen zur römiſchen Kirche übertrat; doch ſolche Fälle waren ſehr ſelten, nachweislich ſeltener als die Uebertritte von der katholiſchen zur evangeliſchen Kirche. Und wenn am Hofe noch von alten Zeiten her eine geheime Kaſſe zur Unterſtützung von Convertiten beſtand *), wenn einmal einer vormaligen Hofdame der Gnadengehalt entzogen wurde weil ſie ihre Kinder lutheriſch erziehen ließ **), ſo waren dies reine Pri- vatangelegenheiten des königlichen Hauſes, welche den Staat nicht berührten. Eine planmäßige Begünſtigung des Proſelytenweſens haben die Albertiner im neunzehnten Jahrhundert immer ehrenhaft vermieden, trotz ihrer ſtreng katholiſchen Geſinnung. Für eine jeſuitiſche Propaganda, wie ſie der neu- bekehrte Köthener Hof trieb, war in Dresden gar kein Boden, Niemand unter den hohen Beamten hätte ſich dazu herbeigelaſſen. Gleichwohl wucherte der Argwohn im Volke fort und ſog aus einigen harmloſen Vorfällen neue Nahrung. Als im Jahre 1824 das Kirchen- jubiläum für das nächſte Jahr ausgeſchrieben wurde und ein Anſchlag in *) Bericht des Frhrn. v. Oelßen, 28. Dec. 1818. **) Jordan’s Bericht, 4. Nov. 1828. 33*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/531>, abgerufen am 26.05.2024.