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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Preußens deutsche Handelspolitik.
Berlin Niemand, weil man ihn für hoffnungslos hielt. Dagegen wurde
wiederholt und ernstlich die Frage erwogen: unter welchen Bedingungen
Preußen mit größeren Nachbarstaaten einen Zollbund abschließen könne?
Klewiz beantwortete sie in einem Gutachten vom 27. Juni 1822 dahin:
Nur unter drei Bedingungen können wir die Nachbarstaaten in unseren
Verband aufnehmen. Wir müssen fordern: "Annahme unserer Brannt-
weinsteuer und einer angemessenen Biersteuer," nur dann wird der Ver-
kehr aller Schranken ledig. Ferner "ein sehr überwiegendes Vorrecht für
Preußen bei Bestimmung der Ein-, Aus- und Durchgangsabgaben". End-
lich "die Douanenlinie in jenen Ländern muß ganz von uns abhängen,"
da die bisherige Zollverwaltung der Nachbarstaaten keine Bürgschaft giebt
für die gewissenhafte Ausführung der Gesetze.*) Begreiflich genug, daß
ein preußischer Minister für seinen Staat eine solche handelspolitische
Hegemonie wünschte. Bald aber erkannte man in Berlin, wie wenig die
Mittelstaaten gesonnen waren, eine "fremde" Verwaltung in ihren Ländern
zu ertragen, und stimmte daher seine Ansprüche herab.

Im Jahre 1824 verhandelten die drei Ministerien des Auswärtigen,
des Handels und der Finanzen nochmals über die Frage "wie sich Preußen
bei den Zollvereinsunternehmungen zu verhalten habe." Geh. Rath Sotz-
mann, der Sohn des bekannten Geographen, eines der ersten Talente der
Finanzverwaltung, und H. v. Bülow faßten das Ergebniß der Berathung
in einer großen Denkschrift zusammen, welche schon mehrere Hauptgrund-
sätze der späteren Zollvereinsverfassung aufstellte.**) Sie erklärten: der
Anschluß an Preußen könne auf zwei Wegen erfolgen -- entweder durch
vollständige Unterwerfung, wie sie in Bernburg geschehen sei, oder durch
eine freiere Verbindung. Einem größeren Staate dürfe nur die letztere
zugemuthet werden; doch müsse er jedenfalls seine Zölle und Consumtions-
steuern den preußischen gleichstellen. Der Unterschied von "Zollanschluß"
und "Zollverein" war also schon damals den preußischen Staatsmännern
geläufig, wenngleich sie die modernen Schulausdrücke noch nicht gebrauchen.
Da der Beitritt etwa von Kurhessen "nur so viel Zuwachs bringt als
ein einziger unserer Regierungsbezirke ausmacht", so kann der Berliner
Hof die Entwicklung seines Zollwesens von der Zustimmung eines solchen
Bundesgenossen nicht unbedingt abhängig machen. Daher soll Preußen
sich nur auf eine Reihe von Jahren binden, um bei Ablauf der Frist
über Aenderungen und Zusätze sich von Neuem zu vereinbaren. Man
verzichtet mithin auf jedes Vorrecht, erkennt die volle Gleichberechtigung
des kleinen Bundesgenossen an und behält sich nur das Recht der Kün-
digung vor, als unentbehrliches Gegengewicht. Jeder der beiden Staaten
ernennt seine Zollbeamten selbst, doch werden sie beiden Regierungen ver-

*) Denkschrift des Finanzministeriums vom 27. Juni 1822.
**) H. v. Bülow und Sotzmann, Promemoria vom 28. Dec. 1824.
31*

Preußens deutſche Handelspolitik.
Berlin Niemand, weil man ihn für hoffnungslos hielt. Dagegen wurde
wiederholt und ernſtlich die Frage erwogen: unter welchen Bedingungen
Preußen mit größeren Nachbarſtaaten einen Zollbund abſchließen könne?
Klewiz beantwortete ſie in einem Gutachten vom 27. Juni 1822 dahin:
Nur unter drei Bedingungen können wir die Nachbarſtaaten in unſeren
Verband aufnehmen. Wir müſſen fordern: „Annahme unſerer Brannt-
weinſteuer und einer angemeſſenen Bierſteuer,“ nur dann wird der Ver-
kehr aller Schranken ledig. Ferner „ein ſehr überwiegendes Vorrecht für
Preußen bei Beſtimmung der Ein-, Aus- und Durchgangsabgaben“. End-
lich „die Douanenlinie in jenen Ländern muß ganz von uns abhängen,“
da die bisherige Zollverwaltung der Nachbarſtaaten keine Bürgſchaft giebt
für die gewiſſenhafte Ausführung der Geſetze.*) Begreiflich genug, daß
ein preußiſcher Miniſter für ſeinen Staat eine ſolche handelspolitiſche
Hegemonie wünſchte. Bald aber erkannte man in Berlin, wie wenig die
Mittelſtaaten geſonnen waren, eine „fremde“ Verwaltung in ihren Ländern
zu ertragen, und ſtimmte daher ſeine Anſprüche herab.

Im Jahre 1824 verhandelten die drei Miniſterien des Auswärtigen,
des Handels und der Finanzen nochmals über die Frage „wie ſich Preußen
bei den Zollvereinsunternehmungen zu verhalten habe.“ Geh. Rath Sotz-
mann, der Sohn des bekannten Geographen, eines der erſten Talente der
Finanzverwaltung, und H. v. Bülow faßten das Ergebniß der Berathung
in einer großen Denkſchrift zuſammen, welche ſchon mehrere Hauptgrund-
ſätze der ſpäteren Zollvereinsverfaſſung aufſtellte.**) Sie erklärten: der
Anſchluß an Preußen könne auf zwei Wegen erfolgen — entweder durch
vollſtändige Unterwerfung, wie ſie in Bernburg geſchehen ſei, oder durch
eine freiere Verbindung. Einem größeren Staate dürfe nur die letztere
zugemuthet werden; doch müſſe er jedenfalls ſeine Zölle und Conſumtions-
ſteuern den preußiſchen gleichſtellen. Der Unterſchied von „Zollanſchluß“
und „Zollverein“ war alſo ſchon damals den preußiſchen Staatsmännern
geläufig, wenngleich ſie die modernen Schulausdrücke noch nicht gebrauchen.
Da der Beitritt etwa von Kurheſſen „nur ſo viel Zuwachs bringt als
ein einziger unſerer Regierungsbezirke ausmacht“, ſo kann der Berliner
Hof die Entwicklung ſeines Zollweſens von der Zuſtimmung eines ſolchen
Bundesgenoſſen nicht unbedingt abhängig machen. Daher ſoll Preußen
ſich nur auf eine Reihe von Jahren binden, um bei Ablauf der Friſt
über Aenderungen und Zuſätze ſich von Neuem zu vereinbaren. Man
verzichtet mithin auf jedes Vorrecht, erkennt die volle Gleichberechtigung
des kleinen Bundesgenoſſen an und behält ſich nur das Recht der Kün-
digung vor, als unentbehrliches Gegengewicht. Jeder der beiden Staaten
ernennt ſeine Zollbeamten ſelbſt, doch werden ſie beiden Regierungen ver-

*) Denkſchrift des Finanzminiſteriums vom 27. Juni 1822.
**) H. v. Bülow und Sotzmann, Promemoria vom 28. Dec. 1824.
31*
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[483/0499] Preußens deutſche Handelspolitik. Berlin Niemand, weil man ihn für hoffnungslos hielt. Dagegen wurde wiederholt und ernſtlich die Frage erwogen: unter welchen Bedingungen Preußen mit größeren Nachbarſtaaten einen Zollbund abſchließen könne? Klewiz beantwortete ſie in einem Gutachten vom 27. Juni 1822 dahin: Nur unter drei Bedingungen können wir die Nachbarſtaaten in unſeren Verband aufnehmen. Wir müſſen fordern: „Annahme unſerer Brannt- weinſteuer und einer angemeſſenen Bierſteuer,“ nur dann wird der Ver- kehr aller Schranken ledig. Ferner „ein ſehr überwiegendes Vorrecht für Preußen bei Beſtimmung der Ein-, Aus- und Durchgangsabgaben“. End- lich „die Douanenlinie in jenen Ländern muß ganz von uns abhängen,“ da die bisherige Zollverwaltung der Nachbarſtaaten keine Bürgſchaft giebt für die gewiſſenhafte Ausführung der Geſetze. *) Begreiflich genug, daß ein preußiſcher Miniſter für ſeinen Staat eine ſolche handelspolitiſche Hegemonie wünſchte. Bald aber erkannte man in Berlin, wie wenig die Mittelſtaaten geſonnen waren, eine „fremde“ Verwaltung in ihren Ländern zu ertragen, und ſtimmte daher ſeine Anſprüche herab. Im Jahre 1824 verhandelten die drei Miniſterien des Auswärtigen, des Handels und der Finanzen nochmals über die Frage „wie ſich Preußen bei den Zollvereinsunternehmungen zu verhalten habe.“ Geh. Rath Sotz- mann, der Sohn des bekannten Geographen, eines der erſten Talente der Finanzverwaltung, und H. v. Bülow faßten das Ergebniß der Berathung in einer großen Denkſchrift zuſammen, welche ſchon mehrere Hauptgrund- ſätze der ſpäteren Zollvereinsverfaſſung aufſtellte. **) Sie erklärten: der Anſchluß an Preußen könne auf zwei Wegen erfolgen — entweder durch vollſtändige Unterwerfung, wie ſie in Bernburg geſchehen ſei, oder durch eine freiere Verbindung. Einem größeren Staate dürfe nur die letztere zugemuthet werden; doch müſſe er jedenfalls ſeine Zölle und Conſumtions- ſteuern den preußiſchen gleichſtellen. Der Unterſchied von „Zollanſchluß“ und „Zollverein“ war alſo ſchon damals den preußiſchen Staatsmännern geläufig, wenngleich ſie die modernen Schulausdrücke noch nicht gebrauchen. Da der Beitritt etwa von Kurheſſen „nur ſo viel Zuwachs bringt als ein einziger unſerer Regierungsbezirke ausmacht“, ſo kann der Berliner Hof die Entwicklung ſeines Zollweſens von der Zuſtimmung eines ſolchen Bundesgenoſſen nicht unbedingt abhängig machen. Daher ſoll Preußen ſich nur auf eine Reihe von Jahren binden, um bei Ablauf der Friſt über Aenderungen und Zuſätze ſich von Neuem zu vereinbaren. Man verzichtet mithin auf jedes Vorrecht, erkennt die volle Gleichberechtigung des kleinen Bundesgenoſſen an und behält ſich nur das Recht der Kün- digung vor, als unentbehrliches Gegengewicht. Jeder der beiden Staaten ernennt ſeine Zollbeamten ſelbſt, doch werden ſie beiden Regierungen ver- *) Denkſchrift des Finanzminiſteriums vom 27. Juni 1822. **) H. v. Bülow und Sotzmann, Promemoria vom 28. Dec. 1824. 31*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/499>, abgerufen am 22.11.2024.