III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
Kräfte an den kleinen Höfen ihr Wesen trieben und beschloß daher, alle Verhandlungen über Zollsachen nur in Berlin zu führen. Nur in Berlin fanden sich die kundigen Fachmänner und das reiche statistische Material, deren man zur Lösung so vieler verwickelten Einzelfragen bedurfte. Nur hier war man leidlich gesichert gegen die Umtriebe der Hofburg, wie gegen die Vorurtheile der kleinen Dynastien. Der Aufenthalt in einem ernsten Gemeinwesen übt immer einen wohlthätig ernüchternden Einfluß, und selbst in jener stillen Zeit bewährte Preußen diese erziehende Kraft. In den Gesandtschaftsberichten läßt sich deutlich verfolgen, wie die kleinen Diplomaten stets mit mißtrauischem Zagen den verrufenen Berliner Boden betraten und schon nach wenigen Monaten ein unbefangenes, ja wohl- wollendes Urtheil über die preußischen Dinge sich bildeten. Graf Bern- storff blieb mit den Gesandten der Mittelstaaten immer auf gutem Fuße, selbst wenn das Verhältniß zu den Cabinetten sich trübte.
Sodann lernte man aus dem unglücklichen Verlaufe der Darm- städter Zollconferenzen, daß Zollverhandlungen mit mehreren Staaten zugleich, bei der großen Verschiedenheit der Interessen, keinen Erfolg ver- sprechen. Seitdem stand in Berlin der Entschluß fest, immer nur mit einem einzelnen Staate über Zollfragen zu verhandeln, mit mehreren nur dann, wenn diese sich bereits zu einer handelspolitischen Einheit verbunden hätten.*) Diese streng eingehaltene Regel erlitt eine einzige Ausnahme. Die kleinen thüringischen Lande konnten vereinzelt weder eine Zollgrenze bewachen, noch als Träger eines handelspolitischen Interesses gelten. Darum hatte das Berliner Cabinet schon im Jahre 1819 dem Gothaer Hofe die Bildung eines thüringischen Vereins empfohlen -- ein Vorschlag, dessen Berechtigung selbst auf den Darmstädter Conferenzen von dem sachkundigen badischen Bevollmächtigten anerkannt wurde.**) Allen anderen Staaten gegenüber blieb der Grundsatz der Einzelverhandlungen aufrecht.
Ueber die handelspolitischen Pläne der Mittelstaaten war der Ber- liner Hof sehr genau unterrichtet; denn an mehreren der kleinen Höfe bestand eine einflußreiche preußische Partei, in München und Stuttgart mindestens ein tiefer Groll gegen Oesterreich, der unseren Geschäftsmännern zu statten kam. Dazu der landesübliche Nationalhaß des Nachbars gegen den Nachbar; wie ließ sich ein Geheimniß bewahren, wenn heute ein darmstädtischer, morgen ein badischer Minister sich gedrungen fühlte, seine gerechte Entrüstung über Baierns oder Württembergs anmaßende Vor- schläge in den schweigsamen Busen des wohlwollenden preußischen Ge- sandten auszuschütten? Der Karlsruher Posten diente als die beste Warte um den Wandel der kleinen Gestirne zu beobachten. Die Theilnahme Preußens an dem geplanten süddeutschen Zollvereine befürwortete in
*) So erzählt Eichhorn in der Instruction für die Gesandtschaften v. 25. März 1828.
**) Nebenius' Bericht aus Darmstadt, 22. Sept. 1820. S. o. II. 621.
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
Kräfte an den kleinen Höfen ihr Weſen trieben und beſchloß daher, alle Verhandlungen über Zollſachen nur in Berlin zu führen. Nur in Berlin fanden ſich die kundigen Fachmänner und das reiche ſtatiſtiſche Material, deren man zur Löſung ſo vieler verwickelten Einzelfragen bedurfte. Nur hier war man leidlich geſichert gegen die Umtriebe der Hofburg, wie gegen die Vorurtheile der kleinen Dynaſtien. Der Aufenthalt in einem ernſten Gemeinweſen übt immer einen wohlthätig ernüchternden Einfluß, und ſelbſt in jener ſtillen Zeit bewährte Preußen dieſe erziehende Kraft. In den Geſandtſchaftsberichten läßt ſich deutlich verfolgen, wie die kleinen Diplomaten ſtets mit mißtrauiſchem Zagen den verrufenen Berliner Boden betraten und ſchon nach wenigen Monaten ein unbefangenes, ja wohl- wollendes Urtheil über die preußiſchen Dinge ſich bildeten. Graf Bern- ſtorff blieb mit den Geſandten der Mittelſtaaten immer auf gutem Fuße, ſelbſt wenn das Verhältniß zu den Cabinetten ſich trübte.
Sodann lernte man aus dem unglücklichen Verlaufe der Darm- ſtädter Zollconferenzen, daß Zollverhandlungen mit mehreren Staaten zugleich, bei der großen Verſchiedenheit der Intereſſen, keinen Erfolg ver- ſprechen. Seitdem ſtand in Berlin der Entſchluß feſt, immer nur mit einem einzelnen Staate über Zollfragen zu verhandeln, mit mehreren nur dann, wenn dieſe ſich bereits zu einer handelspolitiſchen Einheit verbunden hätten.*) Dieſe ſtreng eingehaltene Regel erlitt eine einzige Ausnahme. Die kleinen thüringiſchen Lande konnten vereinzelt weder eine Zollgrenze bewachen, noch als Träger eines handelspolitiſchen Intereſſes gelten. Darum hatte das Berliner Cabinet ſchon im Jahre 1819 dem Gothaer Hofe die Bildung eines thüringiſchen Vereins empfohlen — ein Vorſchlag, deſſen Berechtigung ſelbſt auf den Darmſtädter Conferenzen von dem ſachkundigen badiſchen Bevollmächtigten anerkannt wurde.**) Allen anderen Staaten gegenüber blieb der Grundſatz der Einzelverhandlungen aufrecht.
Ueber die handelspolitiſchen Pläne der Mittelſtaaten war der Ber- liner Hof ſehr genau unterrichtet; denn an mehreren der kleinen Höfe beſtand eine einflußreiche preußiſche Partei, in München und Stuttgart mindeſtens ein tiefer Groll gegen Oeſterreich, der unſeren Geſchäftsmännern zu ſtatten kam. Dazu der landesübliche Nationalhaß des Nachbars gegen den Nachbar; wie ließ ſich ein Geheimniß bewahren, wenn heute ein darmſtädtiſcher, morgen ein badiſcher Miniſter ſich gedrungen fühlte, ſeine gerechte Entrüſtung über Baierns oder Württembergs anmaßende Vor- ſchläge in den ſchweigſamen Buſen des wohlwollenden preußiſchen Ge- ſandten auszuſchütten? Der Karlsruher Poſten diente als die beſte Warte um den Wandel der kleinen Geſtirne zu beobachten. Die Theilnahme Preußens an dem geplanten ſüddeutſchen Zollvereine befürwortete in
*) So erzählt Eichhorn in der Inſtruction für die Geſandtſchaften v. 25. März 1828.
**) Nebenius’ Bericht aus Darmſtadt, 22. Sept. 1820. S. o. II. 621.
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
Kräfte an den kleinen Höfen ihr Weſen trieben und beſchloß daher, alle
Verhandlungen über Zollſachen nur in Berlin zu führen. Nur in Berlin
fanden ſich die kundigen Fachmänner und das reiche ſtatiſtiſche Material,
deren man zur Löſung ſo vieler verwickelten Einzelfragen bedurfte. Nur
hier war man leidlich geſichert gegen die Umtriebe der Hofburg, wie gegen
die Vorurtheile der kleinen Dynaſtien. Der Aufenthalt in einem ernſten
Gemeinweſen übt immer einen wohlthätig ernüchternden Einfluß, und
ſelbſt in jener ſtillen Zeit bewährte Preußen dieſe erziehende Kraft. In
den Geſandtſchaftsberichten läßt ſich deutlich verfolgen, wie die kleinen
Diplomaten ſtets mit mißtrauiſchem Zagen den verrufenen Berliner Boden
betraten und ſchon nach wenigen Monaten ein unbefangenes, ja wohl-
wollendes Urtheil über die preußiſchen Dinge ſich bildeten. Graf Bern-
ſtorff blieb mit den Geſandten der Mittelſtaaten immer auf gutem Fuße,
ſelbſt wenn das Verhältniß zu den Cabinetten ſich trübte.
Sodann lernte man aus dem unglücklichen Verlaufe der Darm-
ſtädter Zollconferenzen, daß Zollverhandlungen mit mehreren Staaten
zugleich, bei der großen Verſchiedenheit der Intereſſen, keinen Erfolg ver-
ſprechen. Seitdem ſtand in Berlin der Entſchluß feſt, immer nur mit
einem einzelnen Staate über Zollfragen zu verhandeln, mit mehreren nur
dann, wenn dieſe ſich bereits zu einer handelspolitiſchen Einheit verbunden
hätten. *) Dieſe ſtreng eingehaltene Regel erlitt eine einzige Ausnahme.
Die kleinen thüringiſchen Lande konnten vereinzelt weder eine Zollgrenze
bewachen, noch als Träger eines handelspolitiſchen Intereſſes gelten. Darum
hatte das Berliner Cabinet ſchon im Jahre 1819 dem Gothaer Hofe die
Bildung eines thüringiſchen Vereins empfohlen — ein Vorſchlag, deſſen
Berechtigung ſelbſt auf den Darmſtädter Conferenzen von dem ſachkundigen
badiſchen Bevollmächtigten anerkannt wurde. **) Allen anderen Staaten
gegenüber blieb der Grundſatz der Einzelverhandlungen aufrecht.
Ueber die handelspolitiſchen Pläne der Mittelſtaaten war der Ber-
liner Hof ſehr genau unterrichtet; denn an mehreren der kleinen Höfe
beſtand eine einflußreiche preußiſche Partei, in München und Stuttgart
mindeſtens ein tiefer Groll gegen Oeſterreich, der unſeren Geſchäftsmännern
zu ſtatten kam. Dazu der landesübliche Nationalhaß des Nachbars gegen
den Nachbar; wie ließ ſich ein Geheimniß bewahren, wenn heute ein
darmſtädtiſcher, morgen ein badiſcher Miniſter ſich gedrungen fühlte, ſeine
gerechte Entrüſtung über Baierns oder Württembergs anmaßende Vor-
ſchläge in den ſchweigſamen Buſen des wohlwollenden preußiſchen Ge-
ſandten auszuſchütten? Der Karlsruher Poſten diente als die beſte Warte
um den Wandel der kleinen Geſtirne zu beobachten. Die Theilnahme
Preußens an dem geplanten ſüddeutſchen Zollvereine befürwortete in
*) So erzählt Eichhorn in der Inſtruction für die Geſandtſchaften v. 25. März 1828.
**) Nebenius’ Bericht aus Darmſtadt, 22. Sept. 1820. S. o. II. 621.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/498>, abgerufen am 16.07.2024.
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