III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
preußischen Häfen behaupteten, daß ihnen von Altersher ein Recht auf Er- leichterung zustehe; nur den beiden kleinen Plätzen Cammin und Kolberg wurden in einem geheimen Artikel einige Begünstigungen gewährt. Also hatte man sich für zwanzig Jahre gebunden. Der hohe Zoll (durchschnitt- lich 1 Proc. vom Werthe der Waaren) wurde durch willkürliche Neben- abgaben beständig vermehrt; die Stettiner Rheder berechneten 1827, daß ihnen alljährlich 40,000 Thaler zu viel abgenommen würden. Auf alle Beschwerden der Großmächte antwortete der kleine Staat mit jener Ueber- hebung, welche gefallenen Größen natürlich ist. Der Sundzoll war Däne- marks Goldgrube, die letzte Erinnerung an die Zeiten seiner Großmachts- stellung; die Patrioten feierten ihn als den Augapfel, den schönsten Dia- manten der dänischen Krone. Die preußischen Ostseeplätze empfanden den Druck sehr schwer. Vergeblich suchte der König zu helfen, indem er den Stettiner Kaufleuten für alle übersundischen Waaren Steuererlasse be- willigte. Der Colonialwaarenhandel der pommerschen Hauptstadt ging unaufhaltsam zurück, ihre Kaffee-Einfuhr sank seit 1821, in acht Jahren, von 21,000 auf 8000 Ctr., und bald konnte man den Kaffee in Berlin wohlfeiler kaufen als in Stettin. Und das Alles mußte man ertragen, da ein einmüthiges Auftreten der großen Mächte nicht zu erreichen war. --
Noch weit bedenklicher erschien die handelspolitische Lage an der Ost- grenze. Nach widerwärtigen Verhandlungen waren die drei Theilungs- mächte stillschweigend übereingekommen den unbedachten Wiener Vertrag über den polnischen Handel nicht buchstäblich auszuführen.*) Preußen konnte so wenig wie Oesterreich seinen vormals polnischen Landestheilen eine handelspolitische Sonderstellung einräumen, und Rußland war nicht gesonnen, das polnische Litthauen mit dem neuen Königreiche Polen zu einem Zollverbande zu vereinigen. Wie die Dinge lagen, mußte man sich in Berlin schon zufrieden geben, als am 19. Dec. 1818 endlich ein Handels- vertrag mit Rußland und Polen zu Stande kam, der einerseits dem Durch- fuhrhandel auf der Weichsel und der Memel große Vortheile, anderer- seits den preußischen Industriewaaren einige Begünstigungen gewährte. Die Nationalpartei in Warschau fühlte sich empört; denn obwohl die Ueberein- kunft als "Zusatzakte zu dem Wiener Vertrage" bezeichnet wurde, auch einige verlorene Worte über "das Polen von 1772" darin standen, so enthielt sie doch sachlich gar nichts, was die erträumte Wiederherstellung des alten Polenreichs fördern konnte: die von Rußland gewährten Zugeständnisse sollten allen preußischen Unterthanen, nicht blos den Polen zu gute kommen, und an der Grenze von Posen und Westpreußen galt derselbe Zolltarif wie in den übrigen preußischen Provinzen. Die Folgen dieser Ueberein- kunft waren für Preußen recht erfreulich: der schlesische Gewerbfleiß zeigte sich stark genug die russischen Zölle zu ertragen, der alte Handelsverkehr
*) S. o. II. 212.
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
preußiſchen Häfen behaupteten, daß ihnen von Altersher ein Recht auf Er- leichterung zuſtehe; nur den beiden kleinen Plätzen Cammin und Kolberg wurden in einem geheimen Artikel einige Begünſtigungen gewährt. Alſo hatte man ſich für zwanzig Jahre gebunden. Der hohe Zoll (durchſchnitt- lich 1 Proc. vom Werthe der Waaren) wurde durch willkürliche Neben- abgaben beſtändig vermehrt; die Stettiner Rheder berechneten 1827, daß ihnen alljährlich 40,000 Thaler zu viel abgenommen würden. Auf alle Beſchwerden der Großmächte antwortete der kleine Staat mit jener Ueber- hebung, welche gefallenen Größen natürlich iſt. Der Sundzoll war Däne- marks Goldgrube, die letzte Erinnerung an die Zeiten ſeiner Großmachts- ſtellung; die Patrioten feierten ihn als den Augapfel, den ſchönſten Dia- manten der däniſchen Krone. Die preußiſchen Oſtſeeplätze empfanden den Druck ſehr ſchwer. Vergeblich ſuchte der König zu helfen, indem er den Stettiner Kaufleuten für alle überſundiſchen Waaren Steuererlaſſe be- willigte. Der Colonialwaarenhandel der pommerſchen Hauptſtadt ging unaufhaltſam zurück, ihre Kaffee-Einfuhr ſank ſeit 1821, in acht Jahren, von 21,000 auf 8000 Ctr., und bald konnte man den Kaffee in Berlin wohlfeiler kaufen als in Stettin. Und das Alles mußte man ertragen, da ein einmüthiges Auftreten der großen Mächte nicht zu erreichen war. —
Noch weit bedenklicher erſchien die handelspolitiſche Lage an der Oſt- grenze. Nach widerwärtigen Verhandlungen waren die drei Theilungs- mächte ſtillſchweigend übereingekommen den unbedachten Wiener Vertrag über den polniſchen Handel nicht buchſtäblich auszuführen.*) Preußen konnte ſo wenig wie Oeſterreich ſeinen vormals polniſchen Landestheilen eine handelspolitiſche Sonderſtellung einräumen, und Rußland war nicht geſonnen, das polniſche Litthauen mit dem neuen Königreiche Polen zu einem Zollverbande zu vereinigen. Wie die Dinge lagen, mußte man ſich in Berlin ſchon zufrieden geben, als am 19. Dec. 1818 endlich ein Handels- vertrag mit Rußland und Polen zu Stande kam, der einerſeits dem Durch- fuhrhandel auf der Weichſel und der Memel große Vortheile, anderer- ſeits den preußiſchen Induſtriewaaren einige Begünſtigungen gewährte. Die Nationalpartei in Warſchau fühlte ſich empört; denn obwohl die Ueberein- kunft als „Zuſatzakte zu dem Wiener Vertrage“ bezeichnet wurde, auch einige verlorene Worte über „das Polen von 1772“ darin ſtanden, ſo enthielt ſie doch ſachlich gar nichts, was die erträumte Wiederherſtellung des alten Polenreichs fördern konnte: die von Rußland gewährten Zugeſtändniſſe ſollten allen preußiſchen Unterthanen, nicht blos den Polen zu gute kommen, und an der Grenze von Poſen und Weſtpreußen galt derſelbe Zolltarif wie in den übrigen preußiſchen Provinzen. Die Folgen dieſer Ueberein- kunft waren für Preußen recht erfreulich: der ſchleſiſche Gewerbfleiß zeigte ſich ſtark genug die ruſſiſchen Zölle zu ertragen, der alte Handelsverkehr
*) S. o. II. 212.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0490"n="474"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.</fw><lb/>
preußiſchen Häfen behaupteten, daß ihnen von Altersher ein Recht auf Er-<lb/>
leichterung zuſtehe; nur den beiden kleinen Plätzen Cammin und Kolberg<lb/>
wurden in einem geheimen Artikel einige Begünſtigungen gewährt. Alſo<lb/>
hatte man ſich für zwanzig Jahre gebunden. Der hohe Zoll (durchſchnitt-<lb/>
lich 1 Proc. vom Werthe der Waaren) wurde durch willkürliche Neben-<lb/>
abgaben beſtändig vermehrt; die Stettiner Rheder berechneten 1827, daß<lb/>
ihnen alljährlich 40,000 Thaler zu viel abgenommen würden. Auf alle<lb/>
Beſchwerden der Großmächte antwortete der kleine Staat mit jener Ueber-<lb/>
hebung, welche gefallenen Größen natürlich iſt. Der Sundzoll war Däne-<lb/>
marks Goldgrube, die letzte Erinnerung an die Zeiten ſeiner Großmachts-<lb/>ſtellung; die Patrioten feierten ihn als den Augapfel, den ſchönſten Dia-<lb/>
manten der däniſchen Krone. Die preußiſchen Oſtſeeplätze empfanden den<lb/>
Druck ſehr ſchwer. Vergeblich ſuchte der König zu helfen, indem er den<lb/>
Stettiner Kaufleuten für alle überſundiſchen Waaren Steuererlaſſe be-<lb/>
willigte. Der Colonialwaarenhandel der pommerſchen Hauptſtadt ging<lb/>
unaufhaltſam zurück, ihre Kaffee-Einfuhr ſank ſeit 1821, in acht Jahren,<lb/>
von 21,000 auf 8000 Ctr., und bald konnte man den Kaffee in Berlin<lb/>
wohlfeiler kaufen als in Stettin. Und das Alles mußte man ertragen,<lb/>
da ein einmüthiges Auftreten der großen Mächte nicht zu erreichen war. —</p><lb/><p>Noch weit bedenklicher erſchien die handelspolitiſche Lage an der Oſt-<lb/>
grenze. Nach widerwärtigen Verhandlungen waren die drei Theilungs-<lb/>
mächte ſtillſchweigend übereingekommen den unbedachten Wiener Vertrag<lb/>
über den polniſchen Handel nicht buchſtäblich auszuführen.<noteplace="foot"n="*)">S. o. <hirendition="#aq">II.</hi> 212.</note> Preußen<lb/>
konnte ſo wenig wie Oeſterreich ſeinen vormals polniſchen Landestheilen<lb/>
eine handelspolitiſche Sonderſtellung einräumen, und Rußland war nicht<lb/>
geſonnen, das polniſche Litthauen mit dem neuen Königreiche Polen zu<lb/>
einem Zollverbande zu vereinigen. Wie die Dinge lagen, mußte man ſich<lb/>
in Berlin ſchon zufrieden geben, als am 19. Dec. 1818 endlich ein Handels-<lb/>
vertrag mit Rußland und Polen zu Stande kam, der einerſeits dem Durch-<lb/>
fuhrhandel auf der Weichſel und der Memel große Vortheile, anderer-<lb/>ſeits den preußiſchen Induſtriewaaren einige Begünſtigungen gewährte. Die<lb/>
Nationalpartei in Warſchau fühlte ſich empört; denn obwohl die Ueberein-<lb/>
kunft als „Zuſatzakte zu dem Wiener Vertrage“ bezeichnet wurde, auch einige<lb/>
verlorene Worte über „das Polen von 1772“ darin ſtanden, ſo enthielt<lb/>ſie doch ſachlich gar nichts, was die erträumte Wiederherſtellung des alten<lb/>
Polenreichs fördern konnte: die von Rußland gewährten Zugeſtändniſſe<lb/>ſollten allen preußiſchen Unterthanen, nicht blos den Polen zu gute kommen,<lb/>
und an der Grenze von Poſen und Weſtpreußen galt derſelbe Zolltarif<lb/>
wie in den übrigen preußiſchen Provinzen. Die Folgen dieſer Ueberein-<lb/>
kunft waren für Preußen recht erfreulich: der ſchleſiſche Gewerbfleiß zeigte<lb/>ſich ſtark genug die ruſſiſchen Zölle zu ertragen, der alte Handelsverkehr<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[474/0490]
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
preußiſchen Häfen behaupteten, daß ihnen von Altersher ein Recht auf Er-
leichterung zuſtehe; nur den beiden kleinen Plätzen Cammin und Kolberg
wurden in einem geheimen Artikel einige Begünſtigungen gewährt. Alſo
hatte man ſich für zwanzig Jahre gebunden. Der hohe Zoll (durchſchnitt-
lich 1 Proc. vom Werthe der Waaren) wurde durch willkürliche Neben-
abgaben beſtändig vermehrt; die Stettiner Rheder berechneten 1827, daß
ihnen alljährlich 40,000 Thaler zu viel abgenommen würden. Auf alle
Beſchwerden der Großmächte antwortete der kleine Staat mit jener Ueber-
hebung, welche gefallenen Größen natürlich iſt. Der Sundzoll war Däne-
marks Goldgrube, die letzte Erinnerung an die Zeiten ſeiner Großmachts-
ſtellung; die Patrioten feierten ihn als den Augapfel, den ſchönſten Dia-
manten der däniſchen Krone. Die preußiſchen Oſtſeeplätze empfanden den
Druck ſehr ſchwer. Vergeblich ſuchte der König zu helfen, indem er den
Stettiner Kaufleuten für alle überſundiſchen Waaren Steuererlaſſe be-
willigte. Der Colonialwaarenhandel der pommerſchen Hauptſtadt ging
unaufhaltſam zurück, ihre Kaffee-Einfuhr ſank ſeit 1821, in acht Jahren,
von 21,000 auf 8000 Ctr., und bald konnte man den Kaffee in Berlin
wohlfeiler kaufen als in Stettin. Und das Alles mußte man ertragen,
da ein einmüthiges Auftreten der großen Mächte nicht zu erreichen war. —
Noch weit bedenklicher erſchien die handelspolitiſche Lage an der Oſt-
grenze. Nach widerwärtigen Verhandlungen waren die drei Theilungs-
mächte ſtillſchweigend übereingekommen den unbedachten Wiener Vertrag
über den polniſchen Handel nicht buchſtäblich auszuführen. *) Preußen
konnte ſo wenig wie Oeſterreich ſeinen vormals polniſchen Landestheilen
eine handelspolitiſche Sonderſtellung einräumen, und Rußland war nicht
geſonnen, das polniſche Litthauen mit dem neuen Königreiche Polen zu
einem Zollverbande zu vereinigen. Wie die Dinge lagen, mußte man ſich
in Berlin ſchon zufrieden geben, als am 19. Dec. 1818 endlich ein Handels-
vertrag mit Rußland und Polen zu Stande kam, der einerſeits dem Durch-
fuhrhandel auf der Weichſel und der Memel große Vortheile, anderer-
ſeits den preußiſchen Induſtriewaaren einige Begünſtigungen gewährte. Die
Nationalpartei in Warſchau fühlte ſich empört; denn obwohl die Ueberein-
kunft als „Zuſatzakte zu dem Wiener Vertrage“ bezeichnet wurde, auch einige
verlorene Worte über „das Polen von 1772“ darin ſtanden, ſo enthielt
ſie doch ſachlich gar nichts, was die erträumte Wiederherſtellung des alten
Polenreichs fördern konnte: die von Rußland gewährten Zugeſtändniſſe
ſollten allen preußiſchen Unterthanen, nicht blos den Polen zu gute kommen,
und an der Grenze von Poſen und Weſtpreußen galt derſelbe Zolltarif
wie in den übrigen preußiſchen Provinzen. Die Folgen dieſer Ueberein-
kunft waren für Preußen recht erfreulich: der ſchleſiſche Gewerbfleiß zeigte
ſich ſtark genug die ruſſiſchen Zölle zu ertragen, der alte Handelsverkehr
*) S. o. II. 212.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/490>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.