die er den europäischen Mächten zu danken habe, gab der Haager Hof die hochtrabende Antwort: die Souveränität des Königs dankt er, nächst der Vorsehung, dem Blute und dem Ruhme seiner Vorfahren, der Wahl und dem Vertrauen eines freien Volkes. Holland ist zur Noth bereit, die Waal als Rheinmündung gelten zu lassen; aber die Waal endet bei Gorkum -- neunzehn Stunden vom Meere entfernt! "Die Meeresarme, welche den Zwischenraum zwischen dieser Mündung und dem Meere aus- füllen, können in keiner Beziehung mit dem genannten Flusse gleichgestellt werden."*) Schon der Wortlaut dieser Sophisterei stellte es außer Zweifel, daß Holland nicht in gutem Glauben handelte. Bald nachher, wie zur Abwechslung, versicherten die Niederlande, nur der Leck sei als die Fort- setzung des Rheines anzusehen; und im Jahre 1827 erklärten sie sich gar bereit, auf ihre "Seerechte" zu verzichten, wenn ihnen ein zollfreier Handelsweg von Lüttich nach Aachen eröffnet würde.
Ganz Deutschland stimmte ein, als George Canning den Holländern zurief:
In matters of commerce the fault of the Dutch Is giving too little and asking too much.
Nach der niederländischen Auslegung war nicht der Rhein frei für die deutschen und die anderen Uferstaaten, sondern der deutsche Rhein war frei für Holländer, Franzosen und Schweizer. Der Tuilerienhof unterstützte den holländischen Vertragsbruch aus freundnachbarlicher Berechnung; man hoffte in Paris: wenn der Rhein veröde, so werde der Verkehr zwischen Oberdeutschland und der See sich durch Frankreichs schöne Kanäle nach Havre ziehen. Der vereinte Widerstand der beiden bösen Nachbarn schien lange unüberwindlich. Viele Städte des Rheingebiets begannen schon ihre Colonialwaaren über Bremen oder Hamburg zu beziehen; die deutsche Presse besprach in vollem Ernste den ungeheuerlichen Plan, Lippe und Ems durch einen Kanal zu verbinden und also über Emden die hollän- dischen Zollstellen zu umgehen.
Da trat Preußen für Deutschlands Rechte ein. Der Berliner Hof erkannte sogleich, daß der holländischen Bosheit nur durch fühlbare Re- torsionen beizukommen sei. Er forderte die vollständige Befreiung des Leck und der Waal bis in die See und erklärte: der Kölner Rheinstapel wird so lange fortbestehen bis Holland seine Verpflichtungen erfüllt hat; Preußen ist jederzeit bereit, dies Umschlagsrecht, den Wiener Verträgen ge- mäß, aufzuheben, hält es aber vorläufig fest als das einzig mögliche Unter- handlungsmittel gegen Holland. Diese Erklärung wurde in zahlreichen diplomatischen Aktenstücken, auch in den amtlichen Artikeln der Staats- zeitung bündig wiederholt. Der König ist fest entschlossen, sagte Witzleben dem badischen Gesandten, in dieser Sache keinen Schritt breit nachzu-
*) Denkschrift des niederländ. Min. d. a. A., 12. April 1826.
Jusqu’à la mer.
die er den europäiſchen Mächten zu danken habe, gab der Haager Hof die hochtrabende Antwort: die Souveränität des Königs dankt er, nächſt der Vorſehung, dem Blute und dem Ruhme ſeiner Vorfahren, der Wahl und dem Vertrauen eines freien Volkes. Holland iſt zur Noth bereit, die Waal als Rheinmündung gelten zu laſſen; aber die Waal endet bei Gorkum — neunzehn Stunden vom Meere entfernt! „Die Meeresarme, welche den Zwiſchenraum zwiſchen dieſer Mündung und dem Meere aus- füllen, können in keiner Beziehung mit dem genannten Fluſſe gleichgeſtellt werden.“*) Schon der Wortlaut dieſer Sophiſterei ſtellte es außer Zweifel, daß Holland nicht in gutem Glauben handelte. Bald nachher, wie zur Abwechslung, verſicherten die Niederlande, nur der Leck ſei als die Fort- ſetzung des Rheines anzuſehen; und im Jahre 1827 erklärten ſie ſich gar bereit, auf ihre „Seerechte“ zu verzichten, wenn ihnen ein zollfreier Handelsweg von Lüttich nach Aachen eröffnet würde.
Ganz Deutſchland ſtimmte ein, als George Canning den Holländern zurief:
In matters of commerce the fault of the Dutch Is giving too little and asking too much.
Nach der niederländiſchen Auslegung war nicht der Rhein frei für die deutſchen und die anderen Uferſtaaten, ſondern der deutſche Rhein war frei für Holländer, Franzoſen und Schweizer. Der Tuilerienhof unterſtützte den holländiſchen Vertragsbruch aus freundnachbarlicher Berechnung; man hoffte in Paris: wenn der Rhein veröde, ſo werde der Verkehr zwiſchen Oberdeutſchland und der See ſich durch Frankreichs ſchöne Kanäle nach Havre ziehen. Der vereinte Widerſtand der beiden böſen Nachbarn ſchien lange unüberwindlich. Viele Städte des Rheingebiets begannen ſchon ihre Colonialwaaren über Bremen oder Hamburg zu beziehen; die deutſche Preſſe beſprach in vollem Ernſte den ungeheuerlichen Plan, Lippe und Ems durch einen Kanal zu verbinden und alſo über Emden die hollän- diſchen Zollſtellen zu umgehen.
Da trat Preußen für Deutſchlands Rechte ein. Der Berliner Hof erkannte ſogleich, daß der holländiſchen Bosheit nur durch fühlbare Re- torſionen beizukommen ſei. Er forderte die vollſtändige Befreiung des Leck und der Waal bis in die See und erklärte: der Kölner Rheinſtapel wird ſo lange fortbeſtehen bis Holland ſeine Verpflichtungen erfüllt hat; Preußen iſt jederzeit bereit, dies Umſchlagsrecht, den Wiener Verträgen ge- mäß, aufzuheben, hält es aber vorläufig feſt als das einzig mögliche Unter- handlungsmittel gegen Holland. Dieſe Erklärung wurde in zahlreichen diplomatiſchen Aktenſtücken, auch in den amtlichen Artikeln der Staats- zeitung bündig wiederholt. Der König iſt feſt entſchloſſen, ſagte Witzleben dem badiſchen Geſandten, in dieſer Sache keinen Schritt breit nachzu-
*) Denkſchrift des niederländ. Min. d. a. A., 12. April 1826.
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Jusqu’à la mer.
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die hochtrabende Antwort: die Souveränität des Königs dankt er, nächſt
der Vorſehung, dem Blute und dem Ruhme ſeiner Vorfahren, der Wahl
und dem Vertrauen eines freien Volkes. Holland iſt zur Noth bereit,
die Waal als Rheinmündung gelten zu laſſen; aber die Waal endet bei
Gorkum — neunzehn Stunden vom Meere entfernt! „Die Meeresarme,
welche den Zwiſchenraum zwiſchen dieſer Mündung und dem Meere aus-
füllen, können in keiner Beziehung mit dem genannten Fluſſe gleichgeſtellt
werden.“ *) Schon der Wortlaut dieſer Sophiſterei ſtellte es außer Zweifel,
daß Holland nicht in gutem Glauben handelte. Bald nachher, wie zur
Abwechslung, verſicherten die Niederlande, nur der Leck ſei als die Fort-
ſetzung des Rheines anzuſehen; und im Jahre 1827 erklärten ſie ſich gar
bereit, auf ihre „Seerechte“ zu verzichten, wenn ihnen ein zollfreier
Handelsweg von Lüttich nach Aachen eröffnet würde.
Ganz Deutſchland ſtimmte ein, als George Canning den Holländern
zurief:
In matters of commerce the fault of the Dutch
Is giving too little and asking too much.
Nach der niederländiſchen Auslegung war nicht der Rhein frei für die
deutſchen und die anderen Uferſtaaten, ſondern der deutſche Rhein war frei
für Holländer, Franzoſen und Schweizer. Der Tuilerienhof unterſtützte
den holländiſchen Vertragsbruch aus freundnachbarlicher Berechnung; man
hoffte in Paris: wenn der Rhein veröde, ſo werde der Verkehr zwiſchen
Oberdeutſchland und der See ſich durch Frankreichs ſchöne Kanäle nach
Havre ziehen. Der vereinte Widerſtand der beiden böſen Nachbarn ſchien
lange unüberwindlich. Viele Städte des Rheingebiets begannen ſchon ihre
Colonialwaaren über Bremen oder Hamburg zu beziehen; die deutſche
Preſſe beſprach in vollem Ernſte den ungeheuerlichen Plan, Lippe und
Ems durch einen Kanal zu verbinden und alſo über Emden die hollän-
diſchen Zollſtellen zu umgehen.
Da trat Preußen für Deutſchlands Rechte ein. Der Berliner Hof
erkannte ſogleich, daß der holländiſchen Bosheit nur durch fühlbare Re-
torſionen beizukommen ſei. Er forderte die vollſtändige Befreiung des
Leck und der Waal bis in die See und erklärte: der Kölner Rheinſtapel
wird ſo lange fortbeſtehen bis Holland ſeine Verpflichtungen erfüllt hat;
Preußen iſt jederzeit bereit, dies Umſchlagsrecht, den Wiener Verträgen ge-
mäß, aufzuheben, hält es aber vorläufig feſt als das einzig mögliche Unter-
handlungsmittel gegen Holland. Dieſe Erklärung wurde in zahlreichen
diplomatiſchen Aktenſtücken, auch in den amtlichen Artikeln der Staats-
zeitung bündig wiederholt. Der König iſt feſt entſchloſſen, ſagte Witzleben
dem badiſchen Geſandten, in dieſer Sache keinen Schritt breit nachzu-
*) Denkſchrift des niederländ. Min. d. a. A., 12. April 1826.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/487>, abgerufen am 20.05.2024.
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