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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
tionsakte brach allmählich zusammen. Zum ersten male seit der Her-
stellung des Weltfriedens war ein wirksamer Schlag gefallen wider das
alte Bollwerk der britischen Seeherrschaft. Jahrzehnte vergingen, ohne
daß, wie vordem so oft, britische Breitseiten donnerten für die Verthei-
digung von Handelsvorrechten. England suchte fortan was in Europa
verloren war durch die Ausbreitung seines transatlantischen Handelsge-
bietes einzubringen. Jener Sieg der freien handelspolitischen Ideen, worauf
die Urheber des preußischen Zollgesetzes gehofft, fing an, sehr langsam frei-
lich, ins Leben zu treten. In den Parlamentsdebatten der nächsten Jahre
verwiesen die Freihändler gern auf die preußischen und die französischen
Einfuhrtabellen, um den Segen der Freiheit, die lähmende Wirkung des
Zwanges zu zeigen, und Huskisson erklärte: ich hoffe, der Tag wird
kommen, da der Tarif dieses Landes ebenso frei sein wird wie der preußische.

Weit schwerer hielt es mit der holländischen Handelspolitik sich zu
verständigen. Das der Wiener Congreßakte beigelegte Rheinschifffahrts-
reglement bestimmte in unzweideutigen Worten, daß die Schifffahrt zwischen
Basel und den Mündungen des Stromes allein den vertragsmäßigen
Schifffahrtsabgaben unterliegen solle; selbst ein Krieg zwischen den Rhein-
uferstaaten dürfe daran nichts ändern. Doch schamloser ward niemals
ein Vertrag gebrochen. Selbst nach allen den Proben gehässiger Habgier,
welche Hollands Krämerpolitik in vergangenen Jahrhunderten ihren Nach-
barn gegeben, gerieth die deutsche Welt doch in Verwunderung, als dieser
durch unser Blut wiederhergestellte Staat alsbald an seinen Rheinarmen,
die unter Napoleon frei gewesen, mehrere Zollstellen errichtete, die durch-
gehenden Waaren mit Durchfuhrzöllen belegte, einzelne Waarenklassen
sogar gänzlich verbot, so daß die Transportkosten auf der niederländischen
Stromstrecke sich ungefähr dreizehnmal höher stellten als auf einer preu-
ßischen Strecke von gleicher Länge. Die Feder, die den Vertrag unter-
zeichnet, war noch kaum trocken. Schon auf der ersten Conferenz der
Rheinuferstaaten, die im Jahre 1816 zu Mainz zusammentrat, zeigte
Holland den bösesten Willen; durch seine Schuld blieben diese Rheinschiff-
fahrtsconferenzen viele Jahre hindurch ebenso unfruchtbar wie weiland
die Schifffahrts-Kapitel der vier rheinischen Kurfürsten.

Mit vollendeter Frivolität erklärte das Haager Cabinet: unter dem
Rhein sei offenbar nur der alte Rhein zu verstehen, jener versandete Fluß-
arm, der bei Leyden und Katwyk mühselig die See erreicht; die Schifffahrt
auf den großen Mündungen des Stromes unterliege den Seezöllen; man
frage nur bei Hannover an, das ja auch seinen Stader Seezoll erhebe;
und wo stehe denn geschrieben, daß der Rhein frei sei jusque dans la
mer?
-- nur jusqu'a la mer sage der Pariser Friedenvertrag. Die
Mahnungen des Veroneser Congresses blieben fruchtlos; auf eine Vorstel-
lung des englischen Cabinets verweigerte man im Haag jede Erklärung.
Als Oesterreich den König der Niederlande an die Wohlthaten erinnerte,

III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
tionsakte brach allmählich zuſammen. Zum erſten male ſeit der Her-
ſtellung des Weltfriedens war ein wirkſamer Schlag gefallen wider das
alte Bollwerk der britiſchen Seeherrſchaft. Jahrzehnte vergingen, ohne
daß, wie vordem ſo oft, britiſche Breitſeiten donnerten für die Verthei-
digung von Handelsvorrechten. England ſuchte fortan was in Europa
verloren war durch die Ausbreitung ſeines transatlantiſchen Handelsge-
bietes einzubringen. Jener Sieg der freien handelspolitiſchen Ideen, worauf
die Urheber des preußiſchen Zollgeſetzes gehofft, fing an, ſehr langſam frei-
lich, ins Leben zu treten. In den Parlamentsdebatten der nächſten Jahre
verwieſen die Freihändler gern auf die preußiſchen und die franzöſiſchen
Einfuhrtabellen, um den Segen der Freiheit, die lähmende Wirkung des
Zwanges zu zeigen, und Huskiſſon erklärte: ich hoffe, der Tag wird
kommen, da der Tarif dieſes Landes ebenſo frei ſein wird wie der preußiſche.

Weit ſchwerer hielt es mit der holländiſchen Handelspolitik ſich zu
verſtändigen. Das der Wiener Congreßakte beigelegte Rheinſchifffahrts-
reglement beſtimmte in unzweideutigen Worten, daß die Schifffahrt zwiſchen
Baſel und den Mündungen des Stromes allein den vertragsmäßigen
Schifffahrtsabgaben unterliegen ſolle; ſelbſt ein Krieg zwiſchen den Rhein-
uferſtaaten dürfe daran nichts ändern. Doch ſchamloſer ward niemals
ein Vertrag gebrochen. Selbſt nach allen den Proben gehäſſiger Habgier,
welche Hollands Krämerpolitik in vergangenen Jahrhunderten ihren Nach-
barn gegeben, gerieth die deutſche Welt doch in Verwunderung, als dieſer
durch unſer Blut wiederhergeſtellte Staat alsbald an ſeinen Rheinarmen,
die unter Napoleon frei geweſen, mehrere Zollſtellen errichtete, die durch-
gehenden Waaren mit Durchfuhrzöllen belegte, einzelne Waarenklaſſen
ſogar gänzlich verbot, ſo daß die Transportkoſten auf der niederländiſchen
Stromſtrecke ſich ungefähr dreizehnmal höher ſtellten als auf einer preu-
ßiſchen Strecke von gleicher Länge. Die Feder, die den Vertrag unter-
zeichnet, war noch kaum trocken. Schon auf der erſten Conferenz der
Rheinuferſtaaten, die im Jahre 1816 zu Mainz zuſammentrat, zeigte
Holland den böſeſten Willen; durch ſeine Schuld blieben dieſe Rheinſchiff-
fahrtsconferenzen viele Jahre hindurch ebenſo unfruchtbar wie weiland
die Schifffahrts-Kapitel der vier rheiniſchen Kurfürſten.

Mit vollendeter Frivolität erklärte das Haager Cabinet: unter dem
Rhein ſei offenbar nur der alte Rhein zu verſtehen, jener verſandete Fluß-
arm, der bei Leyden und Katwyk mühſelig die See erreicht; die Schifffahrt
auf den großen Mündungen des Stromes unterliege den Seezöllen; man
frage nur bei Hannover an, das ja auch ſeinen Stader Seezoll erhebe;
und wo ſtehe denn geſchrieben, daß der Rhein frei ſei jusque dans la
mer?
— nur jusqu’à la mer ſage der Pariſer Friedenvertrag. Die
Mahnungen des Veroneſer Congreſſes blieben fruchtlos; auf eine Vorſtel-
lung des engliſchen Cabinets verweigerte man im Haag jede Erklärung.
Als Oeſterreich den König der Niederlande an die Wohlthaten erinnerte,

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[470/0486] III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. tionsakte brach allmählich zuſammen. Zum erſten male ſeit der Her- ſtellung des Weltfriedens war ein wirkſamer Schlag gefallen wider das alte Bollwerk der britiſchen Seeherrſchaft. Jahrzehnte vergingen, ohne daß, wie vordem ſo oft, britiſche Breitſeiten donnerten für die Verthei- digung von Handelsvorrechten. England ſuchte fortan was in Europa verloren war durch die Ausbreitung ſeines transatlantiſchen Handelsge- bietes einzubringen. Jener Sieg der freien handelspolitiſchen Ideen, worauf die Urheber des preußiſchen Zollgeſetzes gehofft, fing an, ſehr langſam frei- lich, ins Leben zu treten. In den Parlamentsdebatten der nächſten Jahre verwieſen die Freihändler gern auf die preußiſchen und die franzöſiſchen Einfuhrtabellen, um den Segen der Freiheit, die lähmende Wirkung des Zwanges zu zeigen, und Huskiſſon erklärte: ich hoffe, der Tag wird kommen, da der Tarif dieſes Landes ebenſo frei ſein wird wie der preußiſche. Weit ſchwerer hielt es mit der holländiſchen Handelspolitik ſich zu verſtändigen. Das der Wiener Congreßakte beigelegte Rheinſchifffahrts- reglement beſtimmte in unzweideutigen Worten, daß die Schifffahrt zwiſchen Baſel und den Mündungen des Stromes allein den vertragsmäßigen Schifffahrtsabgaben unterliegen ſolle; ſelbſt ein Krieg zwiſchen den Rhein- uferſtaaten dürfe daran nichts ändern. Doch ſchamloſer ward niemals ein Vertrag gebrochen. Selbſt nach allen den Proben gehäſſiger Habgier, welche Hollands Krämerpolitik in vergangenen Jahrhunderten ihren Nach- barn gegeben, gerieth die deutſche Welt doch in Verwunderung, als dieſer durch unſer Blut wiederhergeſtellte Staat alsbald an ſeinen Rheinarmen, die unter Napoleon frei geweſen, mehrere Zollſtellen errichtete, die durch- gehenden Waaren mit Durchfuhrzöllen belegte, einzelne Waarenklaſſen ſogar gänzlich verbot, ſo daß die Transportkoſten auf der niederländiſchen Stromſtrecke ſich ungefähr dreizehnmal höher ſtellten als auf einer preu- ßiſchen Strecke von gleicher Länge. Die Feder, die den Vertrag unter- zeichnet, war noch kaum trocken. Schon auf der erſten Conferenz der Rheinuferſtaaten, die im Jahre 1816 zu Mainz zuſammentrat, zeigte Holland den böſeſten Willen; durch ſeine Schuld blieben dieſe Rheinſchiff- fahrtsconferenzen viele Jahre hindurch ebenſo unfruchtbar wie weiland die Schifffahrts-Kapitel der vier rheiniſchen Kurfürſten. Mit vollendeter Frivolität erklärte das Haager Cabinet: unter dem Rhein ſei offenbar nur der alte Rhein zu verſtehen, jener verſandete Fluß- arm, der bei Leyden und Katwyk mühſelig die See erreicht; die Schifffahrt auf den großen Mündungen des Stromes unterliege den Seezöllen; man frage nur bei Hannover an, das ja auch ſeinen Stader Seezoll erhebe; und wo ſtehe denn geſchrieben, daß der Rhein frei ſei jusque dans la mer? — nur jusqu’à la mer ſage der Pariſer Friedenvertrag. Die Mahnungen des Veroneſer Congreſſes blieben fruchtlos; auf eine Vorſtel- lung des engliſchen Cabinets verweigerte man im Haag jede Erklärung. Als Oeſterreich den König der Niederlande an die Wohlthaten erinnerte,

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/486>, abgerufen am 22.11.2024.