III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
Ahnungen, wie unterdessen der preußische Staat die Gedanken echter deut- scher Freiheit in sich aufnahm. Kaum kam die Kunde von der Leipziger Schlacht, so rief er seine Eichsfelder wieder unter die alten Fahnen und war sodann in Halle und Fulda bei der Organisation der wiedereroberten Provinzen thätig.
Als Präsident in Erfurt half er nachher jenen Zollvertrag mit Son- dershausen abschließen, der so vielen anderen zum Vorbilde dienen sollte. Hier in Thüringen trat ihm die ganze Hilflosigkeit der deutschen Klein- staaterei vor Augen. Grenzenlos war seine Verachtung gegen die kleinen Höfe. Er kannte ihre Gesinnung genugsam aus den Schicksalen seiner eigenen Familie, die unter dem Geize des hessischen Kurfürsten schwer zu leiden hatte, und lernte sie noch richtiger schätzen als der König ihn einmal nach Kassel sendete, um die ehelichen Zwistigkeiten im hessischen Hause -- natürlich ohne Erfolg -- zu beschwichtigen. Ein stolzer Preuße von Grund aus, freimüthig, selbständig in Allem, wollte er das Lob Oesterreichs, das in den Beamtenkreisen gesungen wurde, niemals gelten lassen: pfui über diese faule, unwissende, unredliche k. k. Verwaltung Außer Canning war Motz der einzige Staatsmann dieser Epoche, der die Hohlheit Metternich's völlig durchschaute. Während fast alle anderen preußischen Staatsmänner ein stilles Zagen nicht überwinden konnten, blieb diesem frischen Geiste die frohe Zuversicht des Jahres 1813 unge- schwächt. "Ein guter Krieg wird uns wohl thun, sagte er oft. Aber es muß ein Volkskrieg sein, und dann werden wir Kräfte entwickeln, über die man staunen wird."
Motz wollte die Stein-Hardenbergischen Reformen bis in die letzten Consequenzen vollendet sehen: eine neue Landgemeindeordnung sollte er- gänzend neben die Städteordnung treten, die Ablösung der Grundlasten vollständig ausgeführt, auch die Ausgleichung der Grundsteuer vollzogen werden -- um der Gerechtigkeit willen, selbst wenn der Staat dabei Ver- luste erlitte. Wie die tüchtigen Beamten dieser Zeit allesammt ganz und gar in der politischen Arbeit aufgingen, so lebte auch Motz allein dem Staate, selbst in seinen persönlichsten Angelegenheiten standen ihm poli- tische Zwecke vor Augen. Als sein Vermögen wuchs, erwarb er eine große Besitzung in Posen und fühlte sich hier ganz als Pionier deutscher Gesittung. Er griff das verwahrloste Anwesen sogleich in seiner ener- gischen großartigen Weise an, zog deutsche Colonisten auf das Gut, gab der Provinz ein Beispiel durch rührige, wohlgeordnete Wirthschaft und sagte lachend zu seinen Verwandten: "macht es wie ich; ich weiß wo der Has im Pfeffer liegt."
Während seiner angestrengten Verwaltungsthätigkeit in Erfurt und nachher als Oberpräsident in Magdeburg entstanden die Denkschriften über die Abrundung des preußischen Staatsgebiets, über den Anschluß der kleinen Contingente an das preußische Heer, über die Reform der
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
Ahnungen, wie unterdeſſen der preußiſche Staat die Gedanken echter deut- ſcher Freiheit in ſich aufnahm. Kaum kam die Kunde von der Leipziger Schlacht, ſo rief er ſeine Eichsfelder wieder unter die alten Fahnen und war ſodann in Halle und Fulda bei der Organiſation der wiedereroberten Provinzen thätig.
Als Präſident in Erfurt half er nachher jenen Zollvertrag mit Son- dershauſen abſchließen, der ſo vielen anderen zum Vorbilde dienen ſollte. Hier in Thüringen trat ihm die ganze Hilfloſigkeit der deutſchen Klein- ſtaaterei vor Augen. Grenzenlos war ſeine Verachtung gegen die kleinen Höfe. Er kannte ihre Geſinnung genugſam aus den Schickſalen ſeiner eigenen Familie, die unter dem Geize des heſſiſchen Kurfürſten ſchwer zu leiden hatte, und lernte ſie noch richtiger ſchätzen als der König ihn einmal nach Kaſſel ſendete, um die ehelichen Zwiſtigkeiten im heſſiſchen Hauſe — natürlich ohne Erfolg — zu beſchwichtigen. Ein ſtolzer Preuße von Grund aus, freimüthig, ſelbſtändig in Allem, wollte er das Lob Oeſterreichs, das in den Beamtenkreiſen geſungen wurde, niemals gelten laſſen: pfui über dieſe faule, unwiſſende, unredliche k. k. Verwaltung Außer Canning war Motz der einzige Staatsmann dieſer Epoche, der die Hohlheit Metternich’s völlig durchſchaute. Während faſt alle anderen preußiſchen Staatsmänner ein ſtilles Zagen nicht überwinden konnten, blieb dieſem friſchen Geiſte die frohe Zuverſicht des Jahres 1813 unge- ſchwächt. „Ein guter Krieg wird uns wohl thun, ſagte er oft. Aber es muß ein Volkskrieg ſein, und dann werden wir Kräfte entwickeln, über die man ſtaunen wird.“
Motz wollte die Stein-Hardenbergiſchen Reformen bis in die letzten Conſequenzen vollendet ſehen: eine neue Landgemeindeordnung ſollte er- gänzend neben die Städteordnung treten, die Ablöſung der Grundlaſten vollſtändig ausgeführt, auch die Ausgleichung der Grundſteuer vollzogen werden — um der Gerechtigkeit willen, ſelbſt wenn der Staat dabei Ver- luſte erlitte. Wie die tüchtigen Beamten dieſer Zeit alleſammt ganz und gar in der politiſchen Arbeit aufgingen, ſo lebte auch Motz allein dem Staate, ſelbſt in ſeinen perſönlichſten Angelegenheiten ſtanden ihm poli- tiſche Zwecke vor Augen. Als ſein Vermögen wuchs, erwarb er eine große Beſitzung in Poſen und fühlte ſich hier ganz als Pionier deutſcher Geſittung. Er griff das verwahrloſte Anweſen ſogleich in ſeiner ener- giſchen großartigen Weiſe an, zog deutſche Coloniſten auf das Gut, gab der Provinz ein Beiſpiel durch rührige, wohlgeordnete Wirthſchaft und ſagte lachend zu ſeinen Verwandten: „macht es wie ich; ich weiß wo der Has im Pfeffer liegt.“
Während ſeiner angeſtrengten Verwaltungsthätigkeit in Erfurt und nachher als Oberpräſident in Magdeburg entſtanden die Denkſchriften über die Abrundung des preußiſchen Staatsgebiets, über den Anſchluß der kleinen Contingente an das preußiſche Heer, über die Reform der
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
Ahnungen, wie unterdeſſen der preußiſche Staat die Gedanken echter deut-
ſcher Freiheit in ſich aufnahm. Kaum kam die Kunde von der Leipziger
Schlacht, ſo rief er ſeine Eichsfelder wieder unter die alten Fahnen und
war ſodann in Halle und Fulda bei der Organiſation der wiedereroberten
Provinzen thätig.
Als Präſident in Erfurt half er nachher jenen Zollvertrag mit Son-
dershauſen abſchließen, der ſo vielen anderen zum Vorbilde dienen ſollte.
Hier in Thüringen trat ihm die ganze Hilfloſigkeit der deutſchen Klein-
ſtaaterei vor Augen. Grenzenlos war ſeine Verachtung gegen die kleinen
Höfe. Er kannte ihre Geſinnung genugſam aus den Schickſalen ſeiner
eigenen Familie, die unter dem Geize des heſſiſchen Kurfürſten ſchwer
zu leiden hatte, und lernte ſie noch richtiger ſchätzen als der König ihn
einmal nach Kaſſel ſendete, um die ehelichen Zwiſtigkeiten im heſſiſchen
Hauſe — natürlich ohne Erfolg — zu beſchwichtigen. Ein ſtolzer Preuße
von Grund aus, freimüthig, ſelbſtändig in Allem, wollte er das Lob
Oeſterreichs, das in den Beamtenkreiſen geſungen wurde, niemals gelten
laſſen: pfui über dieſe faule, unwiſſende, unredliche k. k. Verwaltung
Außer Canning war Motz der einzige Staatsmann dieſer Epoche, der die
Hohlheit Metternich’s völlig durchſchaute. Während faſt alle anderen
preußiſchen Staatsmänner ein ſtilles Zagen nicht überwinden konnten,
blieb dieſem friſchen Geiſte die frohe Zuverſicht des Jahres 1813 unge-
ſchwächt. „Ein guter Krieg wird uns wohl thun, ſagte er oft. Aber es
muß ein Volkskrieg ſein, und dann werden wir Kräfte entwickeln, über die
man ſtaunen wird.“
Motz wollte die Stein-Hardenbergiſchen Reformen bis in die letzten
Conſequenzen vollendet ſehen: eine neue Landgemeindeordnung ſollte er-
gänzend neben die Städteordnung treten, die Ablöſung der Grundlaſten
vollſtändig ausgeführt, auch die Ausgleichung der Grundſteuer vollzogen
werden — um der Gerechtigkeit willen, ſelbſt wenn der Staat dabei Ver-
luſte erlitte. Wie die tüchtigen Beamten dieſer Zeit alleſammt ganz und
gar in der politiſchen Arbeit aufgingen, ſo lebte auch Motz allein dem
Staate, ſelbſt in ſeinen perſönlichſten Angelegenheiten ſtanden ihm poli-
tiſche Zwecke vor Augen. Als ſein Vermögen wuchs, erwarb er eine
große Beſitzung in Poſen und fühlte ſich hier ganz als Pionier deutſcher
Geſittung. Er griff das verwahrloſte Anweſen ſogleich in ſeiner ener-
giſchen großartigen Weiſe an, zog deutſche Coloniſten auf das Gut, gab
der Provinz ein Beiſpiel durch rührige, wohlgeordnete Wirthſchaft und
ſagte lachend zu ſeinen Verwandten: „macht es wie ich; ich weiß wo der
Has im Pfeffer liegt.“
Während ſeiner angeſtrengten Verwaltungsthätigkeit in Erfurt und
nachher als Oberpräſident in Magdeburg entſtanden die Denkſchriften
über die Abrundung des preußiſchen Staatsgebiets, über den Anſchluß
der kleinen Contingente an das preußiſche Heer, über die Reform der
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/472>, abgerufen am 22.11.2024.
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