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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
schwänglichen Schilderungen von dem glückseligen Eldorado des Westens
in das alte Vaterland sendete. Das Idealbild der großen Bundesrepublik
begann eine Macht zu werden im deutschen Parteileben. --

Mit dem Eifer der Demagogenverfolgung ging die Wachsamkeit der
Censur Hand in Hand. Da Grano auf beiden Gebieten polizeilicher Ab-
wandlung zugleich seine bewährte Kraft entfaltete, so konnte es nicht aus-
bleiben, daß auch Berlin seinen Beitrag gab zu der Fülle läppischer Cen-
suranekdoten, welche überall in Deutschland einen beliebten Unterhaltungs-
stoff bildeten. Vor den unerforschlichen Launen dieses Censors war Niemand
sicher. Als General Minutoli einmal in Gubitz's harmlosem "Gesellschafter"
äußerte, von Intelligenz sei in dem Berliner Intelligenzblatt wenig zu
spüren, da strich ihm Grano diese frevelhafte Bemerkung, weil das In-
telligenzblatt seinen Namen mit Allerhöchster Ermächtigung führe. Ganz so
arg stand es in Berlin freilich nicht wie in Oesterreich, wo alle von den
deutschen Behörden bereits censirten Schriften einer strengen Recensur
unterworfen und sogar das Conversationslexikon nur einer kleinen Zahl
von Fürsten und Gelehrten, gegen das schriftliche Versprechen strenger Ge-
heimhaltung ausgehändigt wurde. Die Preußen waren aber auch be-
rechtigt eine milde Handhabung der Censur zu erwarten; denn bei der
Einsetzung des Ober-Censurcollegiums hatte der König ausdrücklich be-
fohlen, daß "nach liberalen Grundsätzen Preßfreiheit möglichst erhalten,
dem Mißbrauche derselben aber kräftigst gesteuert werde."*) Und wie
wurde diese Vorschrift befolgt! Was sollte Deutschland von dem Staate
der Befreiungskriege denken, wenn jetzt Grano dem wackeren Reimer er-
öffnete, eine neue Ausgabe von Fichte's Reden an die deutsche Nation,
die seit Jahren unbelästigt umliefen, sei "für die jetzige Zeit nicht passend",
und das Ober-Censurcollegium dies unglaubliche Verbot bestätigte?**)
Auch eine Uebersetzung von Hutten's lateinischen Werken durfte nicht er-
scheinen, damit der römische Stuhl sich nicht beleidigt fühle.

Besonders schwer hatte Brockhaus in Leipzig unter der preußischen
Censur zu leiden. Er war als erklärter Liberaler und als Verleger von
Massenbach's Denkwürdigkeiten in Berlin längst übel berüchtigt. Als er
nun noch eine ungeschickte Schrift Benzenberg's über Friedrich Wilhelm III.
herausgab, welche dem Monarchen wie seinem Kanzler constitutionelle
Grundsätze nachrühmte, da fühlte sich der König persönlich verletzt, weil
darin "besonders über die Verfassungsangelegenheit, in einem mit meinen
Absichten gar nicht übereinstimmenden Sinne geredet wird." Friedrich
Wilhelm befahl, fortan alle Schriften aus Brockhaus' Verlag, bevor man

*) Cabinetsordre an Hardenberg, 25. Nov. 1819.
**) Bescheide an Reimer: von Grano, 27. Febr., vom Oberpräsidenten v. Heyde-
breck, 30. April, vom Ober-Censurcollegium, 8. Sept. 1824. Abgedruckt in den Preu-
ßischen Jahrbüchern XLIV. 1 ff. (1879).

III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
ſchwänglichen Schilderungen von dem glückſeligen Eldorado des Weſtens
in das alte Vaterland ſendete. Das Idealbild der großen Bundesrepublik
begann eine Macht zu werden im deutſchen Parteileben. —

Mit dem Eifer der Demagogenverfolgung ging die Wachſamkeit der
Cenſur Hand in Hand. Da Grano auf beiden Gebieten polizeilicher Ab-
wandlung zugleich ſeine bewährte Kraft entfaltete, ſo konnte es nicht aus-
bleiben, daß auch Berlin ſeinen Beitrag gab zu der Fülle läppiſcher Cen-
ſuranekdoten, welche überall in Deutſchland einen beliebten Unterhaltungs-
ſtoff bildeten. Vor den unerforſchlichen Launen dieſes Cenſors war Niemand
ſicher. Als General Minutoli einmal in Gubitz’s harmloſem „Geſellſchafter“
äußerte, von Intelligenz ſei in dem Berliner Intelligenzblatt wenig zu
ſpüren, da ſtrich ihm Grano dieſe frevelhafte Bemerkung, weil das In-
telligenzblatt ſeinen Namen mit Allerhöchſter Ermächtigung führe. Ganz ſo
arg ſtand es in Berlin freilich nicht wie in Oeſterreich, wo alle von den
deutſchen Behörden bereits cenſirten Schriften einer ſtrengen Recenſur
unterworfen und ſogar das Converſationslexikon nur einer kleinen Zahl
von Fürſten und Gelehrten, gegen das ſchriftliche Verſprechen ſtrenger Ge-
heimhaltung ausgehändigt wurde. Die Preußen waren aber auch be-
rechtigt eine milde Handhabung der Cenſur zu erwarten; denn bei der
Einſetzung des Ober-Cenſurcollegiums hatte der König ausdrücklich be-
fohlen, daß „nach liberalen Grundſätzen Preßfreiheit möglichſt erhalten,
dem Mißbrauche derſelben aber kräftigſt geſteuert werde.“*) Und wie
wurde dieſe Vorſchrift befolgt! Was ſollte Deutſchland von dem Staate
der Befreiungskriege denken, wenn jetzt Grano dem wackeren Reimer er-
öffnete, eine neue Ausgabe von Fichte’s Reden an die deutſche Nation,
die ſeit Jahren unbeläſtigt umliefen, ſei „für die jetzige Zeit nicht paſſend“,
und das Ober-Cenſurcollegium dies unglaubliche Verbot beſtätigte?**)
Auch eine Ueberſetzung von Hutten’s lateiniſchen Werken durfte nicht er-
ſcheinen, damit der römiſche Stuhl ſich nicht beleidigt fühle.

Beſonders ſchwer hatte Brockhaus in Leipzig unter der preußiſchen
Cenſur zu leiden. Er war als erklärter Liberaler und als Verleger von
Maſſenbach’s Denkwürdigkeiten in Berlin längſt übel berüchtigt. Als er
nun noch eine ungeſchickte Schrift Benzenberg’s über Friedrich Wilhelm III.
herausgab, welche dem Monarchen wie ſeinem Kanzler conſtitutionelle
Grundſätze nachrühmte, da fühlte ſich der König perſönlich verletzt, weil
darin „beſonders über die Verfaſſungsangelegenheit, in einem mit meinen
Abſichten gar nicht übereinſtimmenden Sinne geredet wird.“ Friedrich
Wilhelm befahl, fortan alle Schriften aus Brockhaus’ Verlag, bevor man

*) Cabinetsordre an Hardenberg, 25. Nov. 1819.
**) Beſcheide an Reimer: von Grano, 27. Febr., vom Oberpräſidenten v. Heyde-
breck, 30. April, vom Ober-Cenſurcollegium, 8. Sept. 1824. Abgedruckt in den Preu-
ßiſchen Jahrbüchern XLIV. 1 ff. (1879).
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[450/0466] III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. ſchwänglichen Schilderungen von dem glückſeligen Eldorado des Weſtens in das alte Vaterland ſendete. Das Idealbild der großen Bundesrepublik begann eine Macht zu werden im deutſchen Parteileben. — Mit dem Eifer der Demagogenverfolgung ging die Wachſamkeit der Cenſur Hand in Hand. Da Grano auf beiden Gebieten polizeilicher Ab- wandlung zugleich ſeine bewährte Kraft entfaltete, ſo konnte es nicht aus- bleiben, daß auch Berlin ſeinen Beitrag gab zu der Fülle läppiſcher Cen- ſuranekdoten, welche überall in Deutſchland einen beliebten Unterhaltungs- ſtoff bildeten. Vor den unerforſchlichen Launen dieſes Cenſors war Niemand ſicher. Als General Minutoli einmal in Gubitz’s harmloſem „Geſellſchafter“ äußerte, von Intelligenz ſei in dem Berliner Intelligenzblatt wenig zu ſpüren, da ſtrich ihm Grano dieſe frevelhafte Bemerkung, weil das In- telligenzblatt ſeinen Namen mit Allerhöchſter Ermächtigung führe. Ganz ſo arg ſtand es in Berlin freilich nicht wie in Oeſterreich, wo alle von den deutſchen Behörden bereits cenſirten Schriften einer ſtrengen Recenſur unterworfen und ſogar das Converſationslexikon nur einer kleinen Zahl von Fürſten und Gelehrten, gegen das ſchriftliche Verſprechen ſtrenger Ge- heimhaltung ausgehändigt wurde. Die Preußen waren aber auch be- rechtigt eine milde Handhabung der Cenſur zu erwarten; denn bei der Einſetzung des Ober-Cenſurcollegiums hatte der König ausdrücklich be- fohlen, daß „nach liberalen Grundſätzen Preßfreiheit möglichſt erhalten, dem Mißbrauche derſelben aber kräftigſt geſteuert werde.“ *) Und wie wurde dieſe Vorſchrift befolgt! Was ſollte Deutſchland von dem Staate der Befreiungskriege denken, wenn jetzt Grano dem wackeren Reimer er- öffnete, eine neue Ausgabe von Fichte’s Reden an die deutſche Nation, die ſeit Jahren unbeläſtigt umliefen, ſei „für die jetzige Zeit nicht paſſend“, und das Ober-Cenſurcollegium dies unglaubliche Verbot beſtätigte? **) Auch eine Ueberſetzung von Hutten’s lateiniſchen Werken durfte nicht er- ſcheinen, damit der römiſche Stuhl ſich nicht beleidigt fühle. Beſonders ſchwer hatte Brockhaus in Leipzig unter der preußiſchen Cenſur zu leiden. Er war als erklärter Liberaler und als Verleger von Maſſenbach’s Denkwürdigkeiten in Berlin längſt übel berüchtigt. Als er nun noch eine ungeſchickte Schrift Benzenberg’s über Friedrich Wilhelm III. herausgab, welche dem Monarchen wie ſeinem Kanzler conſtitutionelle Grundſätze nachrühmte, da fühlte ſich der König perſönlich verletzt, weil darin „beſonders über die Verfaſſungsangelegenheit, in einem mit meinen Abſichten gar nicht übereinſtimmenden Sinne geredet wird.“ Friedrich Wilhelm befahl, fortan alle Schriften aus Brockhaus’ Verlag, bevor man *) Cabinetsordre an Hardenberg, 25. Nov. 1819. **) Beſcheide an Reimer: von Grano, 27. Febr., vom Oberpräſidenten v. Heyde- breck, 30. April, vom Ober-Cenſurcollegium, 8. Sept. 1824. Abgedruckt in den Preu- ßiſchen Jahrbüchern XLIV. 1 ff. (1879).

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/466>, abgerufen am 26.11.2024.