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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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K. Follen und F. Lieber in Amerika.
Follen unitarischer Prediger und fand frühzeitig einen schrecklichen Tod
an Bord eines brennenden Dampfers (1839).

Nachhaltigen politischen Einfluß gewann aus dieser ersten Generation
deutscher Flüchtlinge nur Einer, Franz Lieber. Er ward ein Vermittler
zweier Nationen, indem er als Lehrer und Gelehrter, englisch schreibend
aber deutsch denkend, die Ideen der Niebuhr'schen Geschichtsphilosophie zur
wissenschaftlichen Begründung der Verfassungsgrundsätze Amerikas ver-
wendete. Mochte er auch die republikanische Freiheit der neuen Heimath
etwas überschätzen, von der gehässigen Verbitterung des Flüchtlings blieb
sein treues Gemüth unberührt. Mitten in seinem gesegneten Wirken
empfand er oft tief erschüttert die tragische Wahrheit, daß Niemand zwei
Vaterländer haben kann, und sehnte sich aus der dünnen Luft dieses
Landes der Arbeit hinweg in die Gedankenfülle der alten deutschen Cul-
turwelt.

Für das unfertige nationale Leben Nordamerikas wurde die anhal-
tende deutsche Einwanderung ein köstlicher Völkerdünger, wie der Hoch-
muth der Yankees sagte, unschätzbar durch Fleiß und Treue, durch Tapfer-
keit und Herzenswärme. Inmitten eines zwar minder geistvollen, aber
wirthschaftlich rührigeren Volkes mußte die kleine deutsche Minderheit durch
die Nationalität der Mehrheit ebenso unaufhaltsam erdrückt werden, wie
einst die französischen Refugies im deutschen Volksthum aufgegangen waren.
Spätestens in der dritten Generation wurden alle deutschen Einwanderer
zu Amerikanern, wenngleich sich in einzelnen Strichen Pennsylvaniens
neben der englischen Sprache noch ein verdorbener deutscher Dialekt be-
hauptete. Für Deutschland aber bedeutete dies Abströmen gesunder Kräfte
schlechthin einen Verlust, ein ohne jeden Entgelt dem Auslande darge-
brachtes Geschenk. Der wagende Weltbürgersinn unseres Volks blieb auch
jetzt, da er sich in neue Bahnen zu werfen begann, noch ebenso unfrucht-
bar für das deutsche Staatsleben, wie vor Zeiten, als unsere Lands-
knechte die Schlachten aller Völker schlugen. Und so lange der Bundes-
tag über Deutschland schaltete, konnte kaum die Frage aufgeworfen werden,
ob es nicht möglich sei den Zug der deutschen Auswanderung nach solchen
Ländern abzulenken, wo sie der Sprache, der Sitte, der Volkswirthschaft
des Mutterlandes nicht ganz verloren gingen.

An den Parteikämpfen der alten Heimath nahmen die Ausgewanderten
damals unmittelbar gar keinen Antheil; um so stärker wirkte in der Stille
was sie in ihren Briefen erzählten von dem freien Lande ohne Fürsten
und Steuern, wo Jeder auf eigenen Füßen stehe, Jeder thun und lassen
könne was ihm beliebe. Seit so viele Opfer des monarchischen Beamten-
staates unter dem Sternenbanner gastliches Obdach gefunden hatten, ge-
wannen die Doctrinen des Vernunftrechts, das die Republik für den Frei-
staat schlechthin erklärte, neue Kraft, und Gottfried Duden fand den Boden
schon wohl vorbereitet, als er zu Anfang der dreißiger Jahre seine über-

Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 29

K. Follen und F. Lieber in Amerika.
Follen unitariſcher Prediger und fand frühzeitig einen ſchrecklichen Tod
an Bord eines brennenden Dampfers (1839).

Nachhaltigen politiſchen Einfluß gewann aus dieſer erſten Generation
deutſcher Flüchtlinge nur Einer, Franz Lieber. Er ward ein Vermittler
zweier Nationen, indem er als Lehrer und Gelehrter, engliſch ſchreibend
aber deutſch denkend, die Ideen der Niebuhr’ſchen Geſchichtsphiloſophie zur
wiſſenſchaftlichen Begründung der Verfaſſungsgrundſätze Amerikas ver-
wendete. Mochte er auch die republikaniſche Freiheit der neuen Heimath
etwas überſchätzen, von der gehäſſigen Verbitterung des Flüchtlings blieb
ſein treues Gemüth unberührt. Mitten in ſeinem geſegneten Wirken
empfand er oft tief erſchüttert die tragiſche Wahrheit, daß Niemand zwei
Vaterländer haben kann, und ſehnte ſich aus der dünnen Luft dieſes
Landes der Arbeit hinweg in die Gedankenfülle der alten deutſchen Cul-
turwelt.

Für das unfertige nationale Leben Nordamerikas wurde die anhal-
tende deutſche Einwanderung ein köſtlicher Völkerdünger, wie der Hoch-
muth der Yankees ſagte, unſchätzbar durch Fleiß und Treue, durch Tapfer-
keit und Herzenswärme. Inmitten eines zwar minder geiſtvollen, aber
wirthſchaftlich rührigeren Volkes mußte die kleine deutſche Minderheit durch
die Nationalität der Mehrheit ebenſo unaufhaltſam erdrückt werden, wie
einſt die franzöſiſchen Refugiés im deutſchen Volksthum aufgegangen waren.
Späteſtens in der dritten Generation wurden alle deutſchen Einwanderer
zu Amerikanern, wenngleich ſich in einzelnen Strichen Pennſylvaniens
neben der engliſchen Sprache noch ein verdorbener deutſcher Dialekt be-
hauptete. Für Deutſchland aber bedeutete dies Abſtrömen geſunder Kräfte
ſchlechthin einen Verluſt, ein ohne jeden Entgelt dem Auslande darge-
brachtes Geſchenk. Der wagende Weltbürgerſinn unſeres Volks blieb auch
jetzt, da er ſich in neue Bahnen zu werfen begann, noch ebenſo unfrucht-
bar für das deutſche Staatsleben, wie vor Zeiten, als unſere Lands-
knechte die Schlachten aller Völker ſchlugen. Und ſo lange der Bundes-
tag über Deutſchland ſchaltete, konnte kaum die Frage aufgeworfen werden,
ob es nicht möglich ſei den Zug der deutſchen Auswanderung nach ſolchen
Ländern abzulenken, wo ſie der Sprache, der Sitte, der Volkswirthſchaft
des Mutterlandes nicht ganz verloren gingen.

An den Parteikämpfen der alten Heimath nahmen die Ausgewanderten
damals unmittelbar gar keinen Antheil; um ſo ſtärker wirkte in der Stille
was ſie in ihren Briefen erzählten von dem freien Lande ohne Fürſten
und Steuern, wo Jeder auf eigenen Füßen ſtehe, Jeder thun und laſſen
könne was ihm beliebe. Seit ſo viele Opfer des monarchiſchen Beamten-
ſtaates unter dem Sternenbanner gaſtliches Obdach gefunden hatten, ge-
wannen die Doctrinen des Vernunftrechts, das die Republik für den Frei-
ſtaat ſchlechthin erklärte, neue Kraft, und Gottfried Duden fand den Boden
ſchon wohl vorbereitet, als er zu Anfang der dreißiger Jahre ſeine über-

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 29
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[449/0465] K. Follen und F. Lieber in Amerika. Follen unitariſcher Prediger und fand frühzeitig einen ſchrecklichen Tod an Bord eines brennenden Dampfers (1839). Nachhaltigen politiſchen Einfluß gewann aus dieſer erſten Generation deutſcher Flüchtlinge nur Einer, Franz Lieber. Er ward ein Vermittler zweier Nationen, indem er als Lehrer und Gelehrter, engliſch ſchreibend aber deutſch denkend, die Ideen der Niebuhr’ſchen Geſchichtsphiloſophie zur wiſſenſchaftlichen Begründung der Verfaſſungsgrundſätze Amerikas ver- wendete. Mochte er auch die republikaniſche Freiheit der neuen Heimath etwas überſchätzen, von der gehäſſigen Verbitterung des Flüchtlings blieb ſein treues Gemüth unberührt. Mitten in ſeinem geſegneten Wirken empfand er oft tief erſchüttert die tragiſche Wahrheit, daß Niemand zwei Vaterländer haben kann, und ſehnte ſich aus der dünnen Luft dieſes Landes der Arbeit hinweg in die Gedankenfülle der alten deutſchen Cul- turwelt. Für das unfertige nationale Leben Nordamerikas wurde die anhal- tende deutſche Einwanderung ein köſtlicher Völkerdünger, wie der Hoch- muth der Yankees ſagte, unſchätzbar durch Fleiß und Treue, durch Tapfer- keit und Herzenswärme. Inmitten eines zwar minder geiſtvollen, aber wirthſchaftlich rührigeren Volkes mußte die kleine deutſche Minderheit durch die Nationalität der Mehrheit ebenſo unaufhaltſam erdrückt werden, wie einſt die franzöſiſchen Refugiés im deutſchen Volksthum aufgegangen waren. Späteſtens in der dritten Generation wurden alle deutſchen Einwanderer zu Amerikanern, wenngleich ſich in einzelnen Strichen Pennſylvaniens neben der engliſchen Sprache noch ein verdorbener deutſcher Dialekt be- hauptete. Für Deutſchland aber bedeutete dies Abſtrömen geſunder Kräfte ſchlechthin einen Verluſt, ein ohne jeden Entgelt dem Auslande darge- brachtes Geſchenk. Der wagende Weltbürgerſinn unſeres Volks blieb auch jetzt, da er ſich in neue Bahnen zu werfen begann, noch ebenſo unfrucht- bar für das deutſche Staatsleben, wie vor Zeiten, als unſere Lands- knechte die Schlachten aller Völker ſchlugen. Und ſo lange der Bundes- tag über Deutſchland ſchaltete, konnte kaum die Frage aufgeworfen werden, ob es nicht möglich ſei den Zug der deutſchen Auswanderung nach ſolchen Ländern abzulenken, wo ſie der Sprache, der Sitte, der Volkswirthſchaft des Mutterlandes nicht ganz verloren gingen. An den Parteikämpfen der alten Heimath nahmen die Ausgewanderten damals unmittelbar gar keinen Antheil; um ſo ſtärker wirkte in der Stille was ſie in ihren Briefen erzählten von dem freien Lande ohne Fürſten und Steuern, wo Jeder auf eigenen Füßen ſtehe, Jeder thun und laſſen könne was ihm beliebe. Seit ſo viele Opfer des monarchiſchen Beamten- ſtaates unter dem Sternenbanner gaſtliches Obdach gefunden hatten, ge- wannen die Doctrinen des Vernunftrechts, das die Republik für den Frei- ſtaat ſchlechthin erklärte, neue Kraft, und Gottfried Duden fand den Boden ſchon wohl vorbereitet, als er zu Anfang der dreißiger Jahre ſeine über- Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 29

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/465>, abgerufen am 22.11.2024.