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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Verfolgungen gegen Arndt, Görres u. A.
einer Redewendung, die in seinen Schriften fortan immer wiederkehrte,
"begegnet man nirgends jenen Schaaren stehender Müßiggänger, die im
Frieden den Wohlstand des Volkes fressen, damit sie ihn im Kriege nicht
zu vertheidigen haben." Der Unbill, die ihm selber widerfahren, gab er
eine Färbung, als ob er blos um des rheinisch-französischen Rechtes willen
gelitten hätte, und schloß drohend: "Nun, wie es auch kommen möge, muß
ihm sein Recht werden, sobald der Provinz das ihrige geworden."

Sonst hatten nur noch wenige angesehene Männer unter der Dema-
gogenverfolgung zu leiden. Dem wackeren Reimer war schlechterdings
nichts anzuhaben, trotz der sorgsamen Durchstöberung aller seiner Papiere.
Von den Breslauer Turngenossen kam Passow mit wenigen Wochen leichter
Haft davon, da ihm nichts Anderes zur Last fiel, als ein paar starke
Worte in seinem "Turnziel"; Karl v. Raumer ließ sich, um den schlesi-
schen Händeln zu entrinnen, selber nach Halle versetzen, sein Freund
Harnisch blieb, nachdem er einige unangenehme Amtsschreiben empfangen,
unbelästigt am Lehrerseminar. Die verhafteten Studenten aber hielten fast
alle treu zusammen. Man fand bei dem jungen Philosophen v. Henning
eine Landkarte von Deutschland, welche dem preußischen Staate schon
ungefähr die Grenzen vom Jahre 1866 bestimmte, und entdeckte auch den
radicalen Reichsverfassungsplan der Unbedingten. Manche der aufge-
fangenen Briefe verkündeten die fanatischen Lehren Karl Follen's: daß jeder
Staat, der in seiner Freiheit bedrängt sei, sich im Zustande berechtigter
Revolution befinde, daß dann der Krieg der Individuen beginne und jeder
Bürger die Volksverräther zu strafen berechtigt sei, wenn der Staat sie
nicht bestrafe. Noch häufiger fanden sich allerhand drohende Redensarten
über den nahen Tag der That, der Rache. Doch wer mochte herausfinden,
wo hier die jugendliche Prahlerei aufhörte und der ernste Vorsatz be-
gann? Selbst die Demagogenrichter mußten sich sagen, daß der Weg von
der Feder zum Dolche in Deutschland nicht kurz ist. Von den nächsten
Freunden der beiden Mörder hatten sich einige bereits ins Ausland ge-
flüchtet, die anderen schwiegen unverbrüchlich. Dann entfloh auch Mühlen-
fels, der, sicherlich mit Unrecht, für besonders gefährlich galt, weil seine
Briefe von burschikosen Kraftworten überflossen; er entkam auf einem
Fischerboote nach Schweden und konnte erst nach vielen Jahren die Ver-
zeihung des Königs erlangen. --

Die große Untersuchung drohte schon im Sande zu verlaufen; da
ward im Jahre 1823, zu Kamptz's Genugthuung, ein neuer Geheimbund
entdeckt, der einer Verschwörung mindestens ähnlich sah. Wie war es auch
möglich, daß die Karlsbader Beschlüsse bei deutschen Studenten unbedingten
Gehorsam hätten finden sollen? Die Burschenschaft hatte sich überall
aufgelöst, die Breslauer unter feierlichem Absingen des Liedes "unsern
Bund trennt nur der Tod"; doch überall schaarte sie sich sogleich von
Neuem zusammen, hier unter dem alten Namen, dort als Allgemeinheit

Verfolgungen gegen Arndt, Görres u. A.
einer Redewendung, die in ſeinen Schriften fortan immer wiederkehrte,
„begegnet man nirgends jenen Schaaren ſtehender Müßiggänger, die im
Frieden den Wohlſtand des Volkes freſſen, damit ſie ihn im Kriege nicht
zu vertheidigen haben.“ Der Unbill, die ihm ſelber widerfahren, gab er
eine Färbung, als ob er blos um des rheiniſch-franzöſiſchen Rechtes willen
gelitten hätte, und ſchloß drohend: „Nun, wie es auch kommen möge, muß
ihm ſein Recht werden, ſobald der Provinz das ihrige geworden.“

Sonſt hatten nur noch wenige angeſehene Männer unter der Dema-
gogenverfolgung zu leiden. Dem wackeren Reimer war ſchlechterdings
nichts anzuhaben, trotz der ſorgſamen Durchſtöberung aller ſeiner Papiere.
Von den Breslauer Turngenoſſen kam Paſſow mit wenigen Wochen leichter
Haft davon, da ihm nichts Anderes zur Laſt fiel, als ein paar ſtarke
Worte in ſeinem „Turnziel“; Karl v. Raumer ließ ſich, um den ſchleſi-
ſchen Händeln zu entrinnen, ſelber nach Halle verſetzen, ſein Freund
Harniſch blieb, nachdem er einige unangenehme Amtsſchreiben empfangen,
unbeläſtigt am Lehrerſeminar. Die verhafteten Studenten aber hielten faſt
alle treu zuſammen. Man fand bei dem jungen Philoſophen v. Henning
eine Landkarte von Deutſchland, welche dem preußiſchen Staate ſchon
ungefähr die Grenzen vom Jahre 1866 beſtimmte, und entdeckte auch den
radicalen Reichsverfaſſungsplan der Unbedingten. Manche der aufge-
fangenen Briefe verkündeten die fanatiſchen Lehren Karl Follen’s: daß jeder
Staat, der in ſeiner Freiheit bedrängt ſei, ſich im Zuſtande berechtigter
Revolution befinde, daß dann der Krieg der Individuen beginne und jeder
Bürger die Volksverräther zu ſtrafen berechtigt ſei, wenn der Staat ſie
nicht beſtrafe. Noch häufiger fanden ſich allerhand drohende Redensarten
über den nahen Tag der That, der Rache. Doch wer mochte herausfinden,
wo hier die jugendliche Prahlerei aufhörte und der ernſte Vorſatz be-
gann? Selbſt die Demagogenrichter mußten ſich ſagen, daß der Weg von
der Feder zum Dolche in Deutſchland nicht kurz iſt. Von den nächſten
Freunden der beiden Mörder hatten ſich einige bereits ins Ausland ge-
flüchtet, die anderen ſchwiegen unverbrüchlich. Dann entfloh auch Mühlen-
fels, der, ſicherlich mit Unrecht, für beſonders gefährlich galt, weil ſeine
Briefe von burſchikoſen Kraftworten überfloſſen; er entkam auf einem
Fiſcherboote nach Schweden und konnte erſt nach vielen Jahren die Ver-
zeihung des Königs erlangen. —

Die große Unterſuchung drohte ſchon im Sande zu verlaufen; da
ward im Jahre 1823, zu Kamptz’s Genugthuung, ein neuer Geheimbund
entdeckt, der einer Verſchwörung mindeſtens ähnlich ſah. Wie war es auch
möglich, daß die Karlsbader Beſchlüſſe bei deutſchen Studenten unbedingten
Gehorſam hätten finden ſollen? Die Burſchenſchaft hatte ſich überall
aufgelöſt, die Breslauer unter feierlichem Abſingen des Liedes „unſern
Bund trennt nur der Tod“; doch überall ſchaarte ſie ſich ſogleich von
Neuem zuſammen, hier unter dem alten Namen, dort als Allgemeinheit

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/455>, abgerufen am 20.05.2024.