III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
hielt: "Wenn ein Prediger erschossen ist, hat die Sache ein Ende." Es war eine Abschrift jener Bemerkungen, welche der König im Jahre 1811 an den Rand der Denkschrift Gneisenau's über den Volkskrieg geschrieben hatte.*) Welche Mühe, bis der Untersuchungsrichter endlich seinen lächer- lichen Irrthum einsah. Kamptz unterstand sich noch fünfundzwanzig Jahre später, öffentlich dreistweg abzuleugnen, daß Arndt in der That wegen der eigenen Worte des Monarchen zur Rede gestellt worden war.
Drei Jahre nach der ersten Haussuchung, anderthalb Jahre nach Be- ginn der förmlichen Untersuchung wurde das Verfahren plötzlich eingestellt. Eine gerichtliche Freisprechung konnte Arndt so wenig wie Welcker erlangen. Erst im Jahre 1827 erhielt er die Mittheilung, daß die Untersuchung nichts ergeben habe. Sein Amt und seinen Wohnsitz konnte er behalten, da Stein, Niebuhr und Eichhorn sich freimüthig für ihn verwendeten, aber seine Vorlesungen durfte er nicht wieder eröffnen. Und bei Alledem blieb der Tapfere unverbittert. Seine kindliche Frömmigkeit brachte es über sich, selbst die schmähliche Unbill dieser Jahre als ein Verhängniß des ausgleichenden und gerechten Gottes hinzunehmen; wollte ihn einmal der Groll übermannen, dann rief er sich zu:
Und hast doch oft den Himmel offen Und Gott die Finger recken seh'n!
Von seinem Preußen wollte er nicht lassen, "weil es mein Vaterland und noch immer meine Hoffnung ist." Und doch gestand er, daß er die lang- same Zerreibung und Zermürbung seiner besten Kräfte bis ins Mark hinein nur zu tief gefühlt habe. Die Publicistik war ihm verleidet und so gut wie verboten; zu wissenschaftlicher Arbeit fühlte er sich wenig auf- gelegt, da ihm der Stachel der Lehrthätigkeit fehlte; so verlebte er schöne Jahre "in einer Art von nebelndem und spielendem Traume unter Kin- dern, Bäumen und Blumen." Die deutsche Jugend aber verlor durch die Thorheit der Demagogenjagd einen Lehrer, der wie kein anderer den hereinbrechenden Verirrungen revolutionären Weltbürgerthums sich ent- gegenstemmen konnte.
Arndt's Schicksal erbitterte vornehmlich die Norddeutschen; am Rhein galt Görres für den Märtyrer der Freiheit. Der wiederholte aus seinem Exile noch mehrmals, immer vergeblich, seine alte Forderung, daß man ihn vor ein rheinisches Schwurgericht stellen solle, und rächte sich sodann durch die Flugschrift "In Sachen der Rheinprovinzen und in eigener Angelegenheit", ein leidenschaftliches Pamphlet, das dem Ansehen Preußens am Rhein schwere Wunden schlug. Mit demagogischer Meisterschaft setzte er hier alle Hebel des rheinischen Particularismus in Bewegung: den Haß der Katholiken wider den protestantischen Uebermuth und die Abneigung des Bürgerthums gegen das Heer: in der freien Schweiz, sagte er mit
*) S. o. I. 389 (3. Aufl.).
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
hielt: „Wenn ein Prediger erſchoſſen iſt, hat die Sache ein Ende.“ Es war eine Abſchrift jener Bemerkungen, welche der König im Jahre 1811 an den Rand der Denkſchrift Gneiſenau’s über den Volkskrieg geſchrieben hatte.*) Welche Mühe, bis der Unterſuchungsrichter endlich ſeinen lächer- lichen Irrthum einſah. Kamptz unterſtand ſich noch fünfundzwanzig Jahre ſpäter, öffentlich dreiſtweg abzuleugnen, daß Arndt in der That wegen der eigenen Worte des Monarchen zur Rede geſtellt worden war.
Drei Jahre nach der erſten Hausſuchung, anderthalb Jahre nach Be- ginn der förmlichen Unterſuchung wurde das Verfahren plötzlich eingeſtellt. Eine gerichtliche Freiſprechung konnte Arndt ſo wenig wie Welcker erlangen. Erſt im Jahre 1827 erhielt er die Mittheilung, daß die Unterſuchung nichts ergeben habe. Sein Amt und ſeinen Wohnſitz konnte er behalten, da Stein, Niebuhr und Eichhorn ſich freimüthig für ihn verwendeten, aber ſeine Vorleſungen durfte er nicht wieder eröffnen. Und bei Alledem blieb der Tapfere unverbittert. Seine kindliche Frömmigkeit brachte es über ſich, ſelbſt die ſchmähliche Unbill dieſer Jahre als ein Verhängniß des ausgleichenden und gerechten Gottes hinzunehmen; wollte ihn einmal der Groll übermannen, dann rief er ſich zu:
Und haſt doch oft den Himmel offen Und Gott die Finger recken ſeh’n!
Von ſeinem Preußen wollte er nicht laſſen, „weil es mein Vaterland und noch immer meine Hoffnung iſt.“ Und doch geſtand er, daß er die lang- ſame Zerreibung und Zermürbung ſeiner beſten Kräfte bis ins Mark hinein nur zu tief gefühlt habe. Die Publiciſtik war ihm verleidet und ſo gut wie verboten; zu wiſſenſchaftlicher Arbeit fühlte er ſich wenig auf- gelegt, da ihm der Stachel der Lehrthätigkeit fehlte; ſo verlebte er ſchöne Jahre „in einer Art von nebelndem und ſpielendem Traume unter Kin- dern, Bäumen und Blumen.“ Die deutſche Jugend aber verlor durch die Thorheit der Demagogenjagd einen Lehrer, der wie kein anderer den hereinbrechenden Verirrungen revolutionären Weltbürgerthums ſich ent- gegenſtemmen konnte.
Arndt’s Schickſal erbitterte vornehmlich die Norddeutſchen; am Rhein galt Görres für den Märtyrer der Freiheit. Der wiederholte aus ſeinem Exile noch mehrmals, immer vergeblich, ſeine alte Forderung, daß man ihn vor ein rheiniſches Schwurgericht ſtellen ſolle, und rächte ſich ſodann durch die Flugſchrift „In Sachen der Rheinprovinzen und in eigener Angelegenheit“, ein leidenſchaftliches Pamphlet, das dem Anſehen Preußens am Rhein ſchwere Wunden ſchlug. Mit demagogiſcher Meiſterſchaft ſetzte er hier alle Hebel des rheiniſchen Particularismus in Bewegung: den Haß der Katholiken wider den proteſtantiſchen Uebermuth und die Abneigung des Bürgerthums gegen das Heer: in der freien Schweiz, ſagte er mit
*) S. o. I. 389 (3. Aufl.).
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
hielt: „Wenn ein Prediger erſchoſſen iſt, hat die Sache ein Ende.“ Es
war eine Abſchrift jener Bemerkungen, welche der König im Jahre 1811
an den Rand der Denkſchrift Gneiſenau’s über den Volkskrieg geſchrieben
hatte. *) Welche Mühe, bis der Unterſuchungsrichter endlich ſeinen lächer-
lichen Irrthum einſah. Kamptz unterſtand ſich noch fünfundzwanzig Jahre
ſpäter, öffentlich dreiſtweg abzuleugnen, daß Arndt in der That wegen der
eigenen Worte des Monarchen zur Rede geſtellt worden war.
Drei Jahre nach der erſten Hausſuchung, anderthalb Jahre nach Be-
ginn der förmlichen Unterſuchung wurde das Verfahren plötzlich eingeſtellt.
Eine gerichtliche Freiſprechung konnte Arndt ſo wenig wie Welcker erlangen.
Erſt im Jahre 1827 erhielt er die Mittheilung, daß die Unterſuchung
nichts ergeben habe. Sein Amt und ſeinen Wohnſitz konnte er behalten,
da Stein, Niebuhr und Eichhorn ſich freimüthig für ihn verwendeten, aber
ſeine Vorleſungen durfte er nicht wieder eröffnen. Und bei Alledem blieb
der Tapfere unverbittert. Seine kindliche Frömmigkeit brachte es über
ſich, ſelbſt die ſchmähliche Unbill dieſer Jahre als ein Verhängniß des
ausgleichenden und gerechten Gottes hinzunehmen; wollte ihn einmal der
Groll übermannen, dann rief er ſich zu:
Und haſt doch oft den Himmel offen
Und Gott die Finger recken ſeh’n!
Von ſeinem Preußen wollte er nicht laſſen, „weil es mein Vaterland und
noch immer meine Hoffnung iſt.“ Und doch geſtand er, daß er die lang-
ſame Zerreibung und Zermürbung ſeiner beſten Kräfte bis ins Mark
hinein nur zu tief gefühlt habe. Die Publiciſtik war ihm verleidet und
ſo gut wie verboten; zu wiſſenſchaftlicher Arbeit fühlte er ſich wenig auf-
gelegt, da ihm der Stachel der Lehrthätigkeit fehlte; ſo verlebte er ſchöne
Jahre „in einer Art von nebelndem und ſpielendem Traume unter Kin-
dern, Bäumen und Blumen.“ Die deutſche Jugend aber verlor durch
die Thorheit der Demagogenjagd einen Lehrer, der wie kein anderer den
hereinbrechenden Verirrungen revolutionären Weltbürgerthums ſich ent-
gegenſtemmen konnte.
Arndt’s Schickſal erbitterte vornehmlich die Norddeutſchen; am Rhein
galt Görres für den Märtyrer der Freiheit. Der wiederholte aus ſeinem
Exile noch mehrmals, immer vergeblich, ſeine alte Forderung, daß man
ihn vor ein rheiniſches Schwurgericht ſtellen ſolle, und rächte ſich ſodann
durch die Flugſchrift „In Sachen der Rheinprovinzen und in eigener
Angelegenheit“, ein leidenſchaftliches Pamphlet, das dem Anſehen Preußens
am Rhein ſchwere Wunden ſchlug. Mit demagogiſcher Meiſterſchaft ſetzte
er hier alle Hebel des rheiniſchen Particularismus in Bewegung: den Haß
der Katholiken wider den proteſtantiſchen Uebermuth und die Abneigung
des Bürgerthums gegen das Heer: in der freien Schweiz, ſagte er mit
*) S. o. I. 389 (3. Aufl.).
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/454>, abgerufen am 24.11.2024.
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