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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Ergebniß der Conferenzen.
gegnet; er wußte, daß er die Unwahrheit sagte, als er seinem Kaiser am
17. Mai ganz in dem hochmüthigen Karlsbader Tone schrieb: "Ein Wort
von Oesterreich gesprochen wird in ganz Deutschland unverbrüchliches Gesetz
sein. Nun erst werden die Karlsbader Maßregeln in ihr wahres Leben
treten." Immerhin hatte er Grund, seine Erfolge nicht völlig ungenügend
zu finden. Wie dies alte Oesterreich dastand, scheinbar so mächtig und
beneidenswerth, und doch fast erliegend unter der unmöglichen Aufgabe
Deutschland, Italien, Ungarn zu beherrschen, mußte die Hofburg schon
zufrieden sein, wenn der Deutsche Bund gemächlich in dem alten Geleise
weiter fuhr. Durch sein herrisches Gebahren in Karlsbad hatte Metter-
nich die kleinen Höfe nur erschreckt, seine zuvorkommende Versöhnlichkeit
in Wien gewann ihm ein Vertrauen, das ungleich werthvoller war; und
eben jetzt, da die Revolution in Südeuropa ausbrach, mußte jeder Zwist
in Deutschland verhindert werden. Positive Pläne für unsere nationale
Wohlfahrt konnte er, nach seiner Natur wie nach seiner Stellung als öster-
reichischer Staatsmann, niemals hegen. Genug also, daß das Frankfurter
Mühlrad wie einst das Regensburger mit regelmäßigem Geklapper fort
arbeitete; ob dabei auch Korn gemahlen wurde, kam für ihn nicht in Be-
tracht. Es war ihm Ernst, als er einem Vertrauten schrieb, die Con-
ferenz habe eine ungeheuere Arbeit in sehr kurzer Zeit vollendet; hatte
er doch wirklich mit rastlosem Fleiße Vorträge gehalten und Artikel ge-
schmiedet und selbst durch den Tod einer Tochter, der ihn tief ergriff,
sich in seinem Eifer nicht stören lassen. Die Nichtigkeit dieses leeren Para-
graphenwerks kam ihm gar nicht zum Bewußtsein.

Die Nation befand sich nach den Conferenzen nicht besser und nicht
schlechter denn zuvor und nahm die Schlußakte sehr gleichgiltig entgegen.
Der schon in der Anlage verfehlte Bau der Bundesverfassung war für
den Abbruch reif; einige wohlgemeinte Nachbesserungen konnten ihn nicht
festigen. Aber wie lange noch, bis dies wieder ganz im Partikularismus
versinkende Geschlecht erkannte, daß die von Ancillon gerühmte "Verein-
barung zwischen der Kraft des Ganzen und der Souveränität eines jeden
Staates" nichts anderes war als die Quadratur des Cirkels! --


Die Hauptverhandlung der Conferenzen endete mit einem farblosen
Compromiß, das ohne tiefe Nachwirkung blieb. Weit folgenreicher wurde
eine Episode der Wiener Berathungen: der Kampf um das preußische
Zollgesetz. Als Hardenberg seine Weisungen an Bernstorff ertheilte,
schärfte er ihm noch einmal ein, daß ein Bundeszollwesen bei dem gegen-
wärtigen Zustande der deutschen Staaten unmöglich sei. Sodann wieder-
holte er ihm wörtlich, was er gleichzeitig den Abgesandten des List'schen
Handelsvereins antwortete und durch die Staatszeitung veröffentlichen

Ergebniß der Conferenzen.
gegnet; er wußte, daß er die Unwahrheit ſagte, als er ſeinem Kaiſer am
17. Mai ganz in dem hochmüthigen Karlsbader Tone ſchrieb: „Ein Wort
von Oeſterreich geſprochen wird in ganz Deutſchland unverbrüchliches Geſetz
ſein. Nun erſt werden die Karlsbader Maßregeln in ihr wahres Leben
treten.“ Immerhin hatte er Grund, ſeine Erfolge nicht völlig ungenügend
zu finden. Wie dies alte Oeſterreich daſtand, ſcheinbar ſo mächtig und
beneidenswerth, und doch faſt erliegend unter der unmöglichen Aufgabe
Deutſchland, Italien, Ungarn zu beherrſchen, mußte die Hofburg ſchon
zufrieden ſein, wenn der Deutſche Bund gemächlich in dem alten Geleiſe
weiter fuhr. Durch ſein herriſches Gebahren in Karlsbad hatte Metter-
nich die kleinen Höfe nur erſchreckt, ſeine zuvorkommende Verſöhnlichkeit
in Wien gewann ihm ein Vertrauen, das ungleich werthvoller war; und
eben jetzt, da die Revolution in Südeuropa ausbrach, mußte jeder Zwiſt
in Deutſchland verhindert werden. Poſitive Pläne für unſere nationale
Wohlfahrt konnte er, nach ſeiner Natur wie nach ſeiner Stellung als öſter-
reichiſcher Staatsmann, niemals hegen. Genug alſo, daß das Frankfurter
Mühlrad wie einſt das Regensburger mit regelmäßigem Geklapper fort
arbeitete; ob dabei auch Korn gemahlen wurde, kam für ihn nicht in Be-
tracht. Es war ihm Ernſt, als er einem Vertrauten ſchrieb, die Con-
ferenz habe eine ungeheuere Arbeit in ſehr kurzer Zeit vollendet; hatte
er doch wirklich mit raſtloſem Fleiße Vorträge gehalten und Artikel ge-
ſchmiedet und ſelbſt durch den Tod einer Tochter, der ihn tief ergriff,
ſich in ſeinem Eifer nicht ſtören laſſen. Die Nichtigkeit dieſes leeren Para-
graphenwerks kam ihm gar nicht zum Bewußtſein.

Die Nation befand ſich nach den Conferenzen nicht beſſer und nicht
ſchlechter denn zuvor und nahm die Schlußakte ſehr gleichgiltig entgegen.
Der ſchon in der Anlage verfehlte Bau der Bundesverfaſſung war für
den Abbruch reif; einige wohlgemeinte Nachbeſſerungen konnten ihn nicht
feſtigen. Aber wie lange noch, bis dies wieder ganz im Partikularismus
verſinkende Geſchlecht erkannte, daß die von Ancillon gerühmte „Verein-
barung zwiſchen der Kraft des Ganzen und der Souveränität eines jeden
Staates“ nichts anderes war als die Quadratur des Cirkels! —


Die Hauptverhandlung der Conferenzen endete mit einem farbloſen
Compromiß, das ohne tiefe Nachwirkung blieb. Weit folgenreicher wurde
eine Epiſode der Wiener Berathungen: der Kampf um das preußiſche
Zollgeſetz. Als Hardenberg ſeine Weiſungen an Bernſtorff ertheilte,
ſchärfte er ihm noch einmal ein, daß ein Bundeszollweſen bei dem gegen-
wärtigen Zuſtande der deutſchen Staaten unmöglich ſei. Sodann wieder-
holte er ihm wörtlich, was er gleichzeitig den Abgeſandten des Liſt’ſchen
Handelsvereins antwortete und durch die Staatszeitung veröffentlichen

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[29/0045] Ergebniß der Conferenzen. gegnet; er wußte, daß er die Unwahrheit ſagte, als er ſeinem Kaiſer am 17. Mai ganz in dem hochmüthigen Karlsbader Tone ſchrieb: „Ein Wort von Oeſterreich geſprochen wird in ganz Deutſchland unverbrüchliches Geſetz ſein. Nun erſt werden die Karlsbader Maßregeln in ihr wahres Leben treten.“ Immerhin hatte er Grund, ſeine Erfolge nicht völlig ungenügend zu finden. Wie dies alte Oeſterreich daſtand, ſcheinbar ſo mächtig und beneidenswerth, und doch faſt erliegend unter der unmöglichen Aufgabe Deutſchland, Italien, Ungarn zu beherrſchen, mußte die Hofburg ſchon zufrieden ſein, wenn der Deutſche Bund gemächlich in dem alten Geleiſe weiter fuhr. Durch ſein herriſches Gebahren in Karlsbad hatte Metter- nich die kleinen Höfe nur erſchreckt, ſeine zuvorkommende Verſöhnlichkeit in Wien gewann ihm ein Vertrauen, das ungleich werthvoller war; und eben jetzt, da die Revolution in Südeuropa ausbrach, mußte jeder Zwiſt in Deutſchland verhindert werden. Poſitive Pläne für unſere nationale Wohlfahrt konnte er, nach ſeiner Natur wie nach ſeiner Stellung als öſter- reichiſcher Staatsmann, niemals hegen. Genug alſo, daß das Frankfurter Mühlrad wie einſt das Regensburger mit regelmäßigem Geklapper fort arbeitete; ob dabei auch Korn gemahlen wurde, kam für ihn nicht in Be- tracht. Es war ihm Ernſt, als er einem Vertrauten ſchrieb, die Con- ferenz habe eine ungeheuere Arbeit in ſehr kurzer Zeit vollendet; hatte er doch wirklich mit raſtloſem Fleiße Vorträge gehalten und Artikel ge- ſchmiedet und ſelbſt durch den Tod einer Tochter, der ihn tief ergriff, ſich in ſeinem Eifer nicht ſtören laſſen. Die Nichtigkeit dieſes leeren Para- graphenwerks kam ihm gar nicht zum Bewußtſein. Die Nation befand ſich nach den Conferenzen nicht beſſer und nicht ſchlechter denn zuvor und nahm die Schlußakte ſehr gleichgiltig entgegen. Der ſchon in der Anlage verfehlte Bau der Bundesverfaſſung war für den Abbruch reif; einige wohlgemeinte Nachbeſſerungen konnten ihn nicht feſtigen. Aber wie lange noch, bis dies wieder ganz im Partikularismus verſinkende Geſchlecht erkannte, daß die von Ancillon gerühmte „Verein- barung zwiſchen der Kraft des Ganzen und der Souveränität eines jeden Staates“ nichts anderes war als die Quadratur des Cirkels! — Die Hauptverhandlung der Conferenzen endete mit einem farbloſen Compromiß, das ohne tiefe Nachwirkung blieb. Weit folgenreicher wurde eine Epiſode der Wiener Berathungen: der Kampf um das preußiſche Zollgeſetz. Als Hardenberg ſeine Weiſungen an Bernſtorff ertheilte, ſchärfte er ihm noch einmal ein, daß ein Bundeszollweſen bei dem gegen- wärtigen Zuſtande der deutſchen Staaten unmöglich ſei. Sodann wieder- holte er ihm wörtlich, was er gleichzeitig den Abgeſandten des Liſt’ſchen Handelsvereins antwortete und durch die Staatszeitung veröffentlichen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/45>, abgerufen am 19.04.2024.