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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
er einst dem wissenschaftlichen Leben seines Staates neue Wege gewiesen,
nun auch noch an der ästhetischen Erziehung der Preußen mitzuhelfen. Denn
darin war er mit Schinkel einig, daß die Kunstschätze des Museums nicht
der gelehrten Forschung dienen, sondern zunächst der überkritischen haupt-
städtischen Welt die harmlose Freude am Schönen erwecken sollten. Was
Preußen in den drängenden Nöthen seiner kriegerischen Geschichte hatte
versäumen müssen, ließ sich freilich nicht mehr ganz nachholen; die Meister-
werke der Malerei waren fast allesammt längst in festen Händen, und
Bunsen wurde wie ein Schooßkind des Glücks angestaunt, als er Raphael's
Madonna Colonna, die er in Rom für den unerschwinglichen Preis von
1000 Louisdor erstanden, eigenhändig nach Berlin überbrachte. Immer-
hin ward dies jüngste der großen europäischen Museen eine unschätzbare
Bildungsstätte für unseren prosaischen Nordosten; vor der Hoheit des
Geistes, die aus Schinkel's mächtiger Rotunde sprach, verstummte selbst
das Berliner Besserwissen. Auch Meister Rauch schritt vorwärts in kräf-
tigem Schaffen, neidlos bewundert von seinem alten Lehrer Gottfried
Schadow. Wie viel freier, einfacher, größer als einst jener erste Versuch
Schadow's in Rostock, war Rauch's neues Berliner Blücherdenkmal. Als
das Standbild am Frühmorgen geräuschlos enthüllt wurde, standen nur
drei Zuschauer auf dem weiten Platze: Gneisenau, Hegel und der Meister
selbst. Preußens Heer, Wissenschaft und Kunst huldigten dem Helden des
heiligen Völkerzornes. --

Trotz dieser Menge bedeutender Menschen fehlte der Hauptstadt noch
gänzlich der beste Reiz des großstädtischen Lebens, die weitherzige, alle
Gegensätze umfassende Geselligkeit. Friedrich Wilhelm verstand wohl die
Talente der Kunst und Wissenschaft an der rechten Stelle zu verwenden;
jedoch sie in regem geselligen Verkehre um sich zu versammeln widersprach
seinen anspruchslosen Gewohnheiten. Noch immer freilich boten der Hof
und die Erlebnisse des königlichen Hauses den einzigen Gesprächsstoff, der
allen Ständen gemein war; die Berliner lebten mit ihrem Monarchen, sie
redeten gemüthlich von "unserem Schwiegersohn" in Petersburg, von
"unserer Alexandrine" in Schwerin und jubelten aus vollem Herzen als
ihr alter Herr nach seiner Genesung zum ersten male wieder im Theater
erschien. Von Zeit zu Zeit entschloß sich der König auch, der gesammten
Berliner Gesellschaft ein Schauspiel königlicher Pracht zu geben, wobei
Schinkel, Spontini und der Maler W. Hensel ihre ganze Kunst aufbieten
mußten. Zwei dieser Feste, die beiden Märchenspiele "Lalla Rookh" und
"Die weiße Rose", erlangten einen europäischen Ruf, und das Fest der
weißen Rose verdiente in der That durch den Pinsel des jungen Adolf
Menzel verherrlicht zu werden, denn es war das letzte großartige und vom
Zauber der Kunst durchleuchtete höfische Spiel der neuen Geschichte, der
letzte Triumph der alten Romantik und der aristokratischen Gesellschaft
der Restauration. In denselben Tagen, da die königlichen Prinzen in

III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
er einſt dem wiſſenſchaftlichen Leben ſeines Staates neue Wege gewieſen,
nun auch noch an der äſthetiſchen Erziehung der Preußen mitzuhelfen. Denn
darin war er mit Schinkel einig, daß die Kunſtſchätze des Muſeums nicht
der gelehrten Forſchung dienen, ſondern zunächſt der überkritiſchen haupt-
ſtädtiſchen Welt die harmloſe Freude am Schönen erwecken ſollten. Was
Preußen in den drängenden Nöthen ſeiner kriegeriſchen Geſchichte hatte
verſäumen müſſen, ließ ſich freilich nicht mehr ganz nachholen; die Meiſter-
werke der Malerei waren faſt alleſammt längſt in feſten Händen, und
Bunſen wurde wie ein Schooßkind des Glücks angeſtaunt, als er Raphael’s
Madonna Colonna, die er in Rom für den unerſchwinglichen Preis von
1000 Louisdor erſtanden, eigenhändig nach Berlin überbrachte. Immer-
hin ward dies jüngſte der großen europäiſchen Muſeen eine unſchätzbare
Bildungsſtätte für unſeren proſaiſchen Nordoſten; vor der Hoheit des
Geiſtes, die aus Schinkel’s mächtiger Rotunde ſprach, verſtummte ſelbſt
das Berliner Beſſerwiſſen. Auch Meiſter Rauch ſchritt vorwärts in kräf-
tigem Schaffen, neidlos bewundert von ſeinem alten Lehrer Gottfried
Schadow. Wie viel freier, einfacher, größer als einſt jener erſte Verſuch
Schadow’s in Roſtock, war Rauch’s neues Berliner Blücherdenkmal. Als
das Standbild am Frühmorgen geräuſchlos enthüllt wurde, ſtanden nur
drei Zuſchauer auf dem weiten Platze: Gneiſenau, Hegel und der Meiſter
ſelbſt. Preußens Heer, Wiſſenſchaft und Kunſt huldigten dem Helden des
heiligen Völkerzornes. —

Trotz dieſer Menge bedeutender Menſchen fehlte der Hauptſtadt noch
gänzlich der beſte Reiz des großſtädtiſchen Lebens, die weitherzige, alle
Gegenſätze umfaſſende Geſelligkeit. Friedrich Wilhelm verſtand wohl die
Talente der Kunſt und Wiſſenſchaft an der rechten Stelle zu verwenden;
jedoch ſie in regem geſelligen Verkehre um ſich zu verſammeln widerſprach
ſeinen anſpruchsloſen Gewohnheiten. Noch immer freilich boten der Hof
und die Erlebniſſe des königlichen Hauſes den einzigen Geſprächsſtoff, der
allen Ständen gemein war; die Berliner lebten mit ihrem Monarchen, ſie
redeten gemüthlich von „unſerem Schwiegerſohn“ in Petersburg, von
„unſerer Alexandrine“ in Schwerin und jubelten aus vollem Herzen als
ihr alter Herr nach ſeiner Geneſung zum erſten male wieder im Theater
erſchien. Von Zeit zu Zeit entſchloß ſich der König auch, der geſammten
Berliner Geſellſchaft ein Schauſpiel königlicher Pracht zu geben, wobei
Schinkel, Spontini und der Maler W. Henſel ihre ganze Kunſt aufbieten
mußten. Zwei dieſer Feſte, die beiden Märchenſpiele „Lalla Rookh“ und
„Die weiße Roſe“, erlangten einen europäiſchen Ruf, und das Feſt der
weißen Roſe verdiente in der That durch den Pinſel des jungen Adolf
Menzel verherrlicht zu werden, denn es war das letzte großartige und vom
Zauber der Kunſt durchleuchtete höfiſche Spiel der neuen Geſchichte, der
letzte Triumph der alten Romantik und der ariſtokratiſchen Geſellſchaft
der Reſtauration. In denſelben Tagen, da die königlichen Prinzen in

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[430/0446] III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. er einſt dem wiſſenſchaftlichen Leben ſeines Staates neue Wege gewieſen, nun auch noch an der äſthetiſchen Erziehung der Preußen mitzuhelfen. Denn darin war er mit Schinkel einig, daß die Kunſtſchätze des Muſeums nicht der gelehrten Forſchung dienen, ſondern zunächſt der überkritiſchen haupt- ſtädtiſchen Welt die harmloſe Freude am Schönen erwecken ſollten. Was Preußen in den drängenden Nöthen ſeiner kriegeriſchen Geſchichte hatte verſäumen müſſen, ließ ſich freilich nicht mehr ganz nachholen; die Meiſter- werke der Malerei waren faſt alleſammt längſt in feſten Händen, und Bunſen wurde wie ein Schooßkind des Glücks angeſtaunt, als er Raphael’s Madonna Colonna, die er in Rom für den unerſchwinglichen Preis von 1000 Louisdor erſtanden, eigenhändig nach Berlin überbrachte. Immer- hin ward dies jüngſte der großen europäiſchen Muſeen eine unſchätzbare Bildungsſtätte für unſeren proſaiſchen Nordoſten; vor der Hoheit des Geiſtes, die aus Schinkel’s mächtiger Rotunde ſprach, verſtummte ſelbſt das Berliner Beſſerwiſſen. Auch Meiſter Rauch ſchritt vorwärts in kräf- tigem Schaffen, neidlos bewundert von ſeinem alten Lehrer Gottfried Schadow. Wie viel freier, einfacher, größer als einſt jener erſte Verſuch Schadow’s in Roſtock, war Rauch’s neues Berliner Blücherdenkmal. Als das Standbild am Frühmorgen geräuſchlos enthüllt wurde, ſtanden nur drei Zuſchauer auf dem weiten Platze: Gneiſenau, Hegel und der Meiſter ſelbſt. Preußens Heer, Wiſſenſchaft und Kunſt huldigten dem Helden des heiligen Völkerzornes. — Trotz dieſer Menge bedeutender Menſchen fehlte der Hauptſtadt noch gänzlich der beſte Reiz des großſtädtiſchen Lebens, die weitherzige, alle Gegenſätze umfaſſende Geſelligkeit. Friedrich Wilhelm verſtand wohl die Talente der Kunſt und Wiſſenſchaft an der rechten Stelle zu verwenden; jedoch ſie in regem geſelligen Verkehre um ſich zu verſammeln widerſprach ſeinen anſpruchsloſen Gewohnheiten. Noch immer freilich boten der Hof und die Erlebniſſe des königlichen Hauſes den einzigen Geſprächsſtoff, der allen Ständen gemein war; die Berliner lebten mit ihrem Monarchen, ſie redeten gemüthlich von „unſerem Schwiegerſohn“ in Petersburg, von „unſerer Alexandrine“ in Schwerin und jubelten aus vollem Herzen als ihr alter Herr nach ſeiner Geneſung zum erſten male wieder im Theater erſchien. Von Zeit zu Zeit entſchloß ſich der König auch, der geſammten Berliner Geſellſchaft ein Schauſpiel königlicher Pracht zu geben, wobei Schinkel, Spontini und der Maler W. Henſel ihre ganze Kunſt aufbieten mußten. Zwei dieſer Feſte, die beiden Märchenſpiele „Lalla Rookh“ und „Die weiße Roſe“, erlangten einen europäiſchen Ruf, und das Feſt der weißen Roſe verdiente in der That durch den Pinſel des jungen Adolf Menzel verherrlicht zu werden, denn es war das letzte großartige und vom Zauber der Kunſt durchleuchtete höfiſche Spiel der neuen Geſchichte, der letzte Triumph der alten Romantik und der ariſtokratiſchen Geſellſchaft der Reſtauration. In denſelben Tagen, da die königlichen Prinzen in

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/446>, abgerufen am 23.11.2024.