III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
von statten ging, als Hardenberg gedacht hatte. Es blieb sehr zweifelhaft, ob die Krone schon im Jahre 1833 über eine ausreichende Masse von Staatsforsten würde frei verfügen können; ein Ankauf von Landgütern aber war gesetzlich unmöglich, da die Staatsschuld nicht ohne die Zustim- mung der Reichsstände vermehrt werden durfte. In solcher Lage drängten sich die schweren politischen und volkswirthschaftlichen Bedenken, welche gegen den Grundbesitz der Kirche sprechen, unabweisbar auf, und die Regie- rung beschloß stillschweigend, diesen Theil der Circumscriptionsbulle unaus- geführt zu lassen. Die Kirche erlitt dadurch keine Einbuße, denn sie er- hielt den versprochenen Zuschuß pünktlich und sicher von den Regierungs- hauptkassen ausgezahlt; sie verlor nur die sehr unbestimmte Aussicht auf die mögliche Erwerbung von Grundbesitz. Aber dies formelle Unrecht ge- nügte der ultramontanen Partei, um den Staat des Vertragsbruchs, des Kirchenraubes zu beschuldigen.
Besser begründet war die Klage der Katholiken über die Kirchen- paraden. Nach dem alten gedankenlos beibehaltenen Herkommen wurden die Truppen auch jetzt noch an einem Sonntage jedes Monats in die evangelischen Garnisonkirchen geführt, obgleich in manchen Regimentern der westlichen Provinzen die Mannschaft fast durchweg aus Katholiken bestand. Der König hatte angeordnet, daß in solchen Fällen nur eine kurze, für beide Confessionen unverfängliche Predigt gehalten würde, und meinte arglos: wenn sein Heer vor der Schlacht gemeinsam bete, warum nicht auch am Sonntage? Er lebte selber so ganz in den Ideen des allge- meinen evangelischen Christenthums, daß er sich die Anschauungen einer Kirche, welche ihren Mitgliedern die Theilnahme am Gottesdienste anderer Christen streng verbietet, gar nicht vorstellen konnte. Das katholische Volk aber fühlte sich in seinen heiligsten Empfindungen verletzt. Am Rhein äußerte sich der Unwille so laut, daß die Generale der Provinz überein- kamen, die anstößige Vorschrift auf sich beruhen zu lassen, was sie dem Monarchen freilich nicht mitzutheilen wagten. In Westphalen dagegen bestand die Unsitte fort, und die wohlberechtigten Klagen, die von dort herüberdrangen, fanden im Rheinlande dankbare Hörer. --
Alle diese Mißhelligkeiten bedeuteten wenig neben dem Streite über die gemischten Ehen, der sich von Jahr zu Jahr bedenklicher gestaltete. Da die römische Kirche die Ehe für ein Sakrament hält, so betrachtet sie jede Ehe, welche den kanonischen Vorschriften widerspricht, als ein Con- cubinat und kann dem Staate niemals die Befugniß zugestehen, nach seinem Ermessen das Eherecht zu ordnen. In den alten Zeiten der Staats- allmacht hatte sie sich wohl den weltlichen Gesetzen gefügt, doch immer mit dem stillen Vorbehalte, ihre niemals aufgegebenen Grundsätze zur günstigen Stunde wieder geltend zu machen. Und diese Stunde schien jetzt gekommen, da das Schiff des Apostelfürsten wieder so fröhlich daher- fuhr; zum mindesten war der römische Hof entschlossen, der weltlichen
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
von ſtatten ging, als Hardenberg gedacht hatte. Es blieb ſehr zweifelhaft, ob die Krone ſchon im Jahre 1833 über eine ausreichende Maſſe von Staatsforſten würde frei verfügen können; ein Ankauf von Landgütern aber war geſetzlich unmöglich, da die Staatsſchuld nicht ohne die Zuſtim- mung der Reichsſtände vermehrt werden durfte. In ſolcher Lage drängten ſich die ſchweren politiſchen und volkswirthſchaftlichen Bedenken, welche gegen den Grundbeſitz der Kirche ſprechen, unabweisbar auf, und die Regie- rung beſchloß ſtillſchweigend, dieſen Theil der Circumſcriptionsbulle unaus- geführt zu laſſen. Die Kirche erlitt dadurch keine Einbuße, denn ſie er- hielt den verſprochenen Zuſchuß pünktlich und ſicher von den Regierungs- hauptkaſſen ausgezahlt; ſie verlor nur die ſehr unbeſtimmte Ausſicht auf die mögliche Erwerbung von Grundbeſitz. Aber dies formelle Unrecht ge- nügte der ultramontanen Partei, um den Staat des Vertragsbruchs, des Kirchenraubes zu beſchuldigen.
Beſſer begründet war die Klage der Katholiken über die Kirchen- paraden. Nach dem alten gedankenlos beibehaltenen Herkommen wurden die Truppen auch jetzt noch an einem Sonntage jedes Monats in die evangeliſchen Garniſonkirchen geführt, obgleich in manchen Regimentern der weſtlichen Provinzen die Mannſchaft faſt durchweg aus Katholiken beſtand. Der König hatte angeordnet, daß in ſolchen Fällen nur eine kurze, für beide Confeſſionen unverfängliche Predigt gehalten würde, und meinte arglos: wenn ſein Heer vor der Schlacht gemeinſam bete, warum nicht auch am Sonntage? Er lebte ſelber ſo ganz in den Ideen des allge- meinen evangeliſchen Chriſtenthums, daß er ſich die Anſchauungen einer Kirche, welche ihren Mitgliedern die Theilnahme am Gottesdienſte anderer Chriſten ſtreng verbietet, gar nicht vorſtellen konnte. Das katholiſche Volk aber fühlte ſich in ſeinen heiligſten Empfindungen verletzt. Am Rhein äußerte ſich der Unwille ſo laut, daß die Generale der Provinz überein- kamen, die anſtößige Vorſchrift auf ſich beruhen zu laſſen, was ſie dem Monarchen freilich nicht mitzutheilen wagten. In Weſtphalen dagegen beſtand die Unſitte fort, und die wohlberechtigten Klagen, die von dort herüberdrangen, fanden im Rheinlande dankbare Hörer. —
Alle dieſe Mißhelligkeiten bedeuteten wenig neben dem Streite über die gemiſchten Ehen, der ſich von Jahr zu Jahr bedenklicher geſtaltete. Da die römiſche Kirche die Ehe für ein Sakrament hält, ſo betrachtet ſie jede Ehe, welche den kanoniſchen Vorſchriften widerſpricht, als ein Con- cubinat und kann dem Staate niemals die Befugniß zugeſtehen, nach ſeinem Ermeſſen das Eherecht zu ordnen. In den alten Zeiten der Staats- allmacht hatte ſie ſich wohl den weltlichen Geſetzen gefügt, doch immer mit dem ſtillen Vorbehalte, ihre niemals aufgegebenen Grundſätze zur günſtigen Stunde wieder geltend zu machen. Und dieſe Stunde ſchien jetzt gekommen, da das Schiff des Apoſtelfürſten wieder ſo fröhlich daher- fuhr; zum mindeſten war der römiſche Hof entſchloſſen, der weltlichen
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
von ſtatten ging, als Hardenberg gedacht hatte. Es blieb ſehr zweifelhaft,
ob die Krone ſchon im Jahre 1833 über eine ausreichende Maſſe von
Staatsforſten würde frei verfügen können; ein Ankauf von Landgütern
aber war geſetzlich unmöglich, da die Staatsſchuld nicht ohne die Zuſtim-
mung der Reichsſtände vermehrt werden durfte. In ſolcher Lage drängten
ſich die ſchweren politiſchen und volkswirthſchaftlichen Bedenken, welche
gegen den Grundbeſitz der Kirche ſprechen, unabweisbar auf, und die Regie-
rung beſchloß ſtillſchweigend, dieſen Theil der Circumſcriptionsbulle unaus-
geführt zu laſſen. Die Kirche erlitt dadurch keine Einbuße, denn ſie er-
hielt den verſprochenen Zuſchuß pünktlich und ſicher von den Regierungs-
hauptkaſſen ausgezahlt; ſie verlor nur die ſehr unbeſtimmte Ausſicht auf
die mögliche Erwerbung von Grundbeſitz. Aber dies formelle Unrecht ge-
nügte der ultramontanen Partei, um den Staat des Vertragsbruchs, des
Kirchenraubes zu beſchuldigen.
Beſſer begründet war die Klage der Katholiken über die Kirchen-
paraden. Nach dem alten gedankenlos beibehaltenen Herkommen wurden
die Truppen auch jetzt noch an einem Sonntage jedes Monats in die
evangeliſchen Garniſonkirchen geführt, obgleich in manchen Regimentern
der weſtlichen Provinzen die Mannſchaft faſt durchweg aus Katholiken
beſtand. Der König hatte angeordnet, daß in ſolchen Fällen nur eine
kurze, für beide Confeſſionen unverfängliche Predigt gehalten würde, und
meinte arglos: wenn ſein Heer vor der Schlacht gemeinſam bete, warum
nicht auch am Sonntage? Er lebte ſelber ſo ganz in den Ideen des allge-
meinen evangeliſchen Chriſtenthums, daß er ſich die Anſchauungen einer
Kirche, welche ihren Mitgliedern die Theilnahme am Gottesdienſte anderer
Chriſten ſtreng verbietet, gar nicht vorſtellen konnte. Das katholiſche Volk
aber fühlte ſich in ſeinen heiligſten Empfindungen verletzt. Am Rhein
äußerte ſich der Unwille ſo laut, daß die Generale der Provinz überein-
kamen, die anſtößige Vorſchrift auf ſich beruhen zu laſſen, was ſie dem
Monarchen freilich nicht mitzutheilen wagten. In Weſtphalen dagegen
beſtand die Unſitte fort, und die wohlberechtigten Klagen, die von dort
herüberdrangen, fanden im Rheinlande dankbare Hörer. —
Alle dieſe Mißhelligkeiten bedeuteten wenig neben dem Streite über
die gemiſchten Ehen, der ſich von Jahr zu Jahr bedenklicher geſtaltete.
Da die römiſche Kirche die Ehe für ein Sakrament hält, ſo betrachtet ſie
jede Ehe, welche den kanoniſchen Vorſchriften widerſpricht, als ein Con-
cubinat und kann dem Staate niemals die Befugniß zugeſtehen, nach
ſeinem Ermeſſen das Eherecht zu ordnen. In den alten Zeiten der Staats-
allmacht hatte ſie ſich wohl den weltlichen Geſetzen gefügt, doch immer
mit dem ſtillen Vorbehalte, ihre niemals aufgegebenen Grundſätze zur
günſtigen Stunde wieder geltend zu machen. Und dieſe Stunde ſchien
jetzt gekommen, da das Schiff des Apoſtelfürſten wieder ſo fröhlich daher-
fuhr; zum mindeſten war der römiſche Hof entſchloſſen, der weltlichen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/426>, abgerufen am 24.11.2024.
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