III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
bat um Gottes Beistand, daß er ihn nicht verlasse in dieser schweren Prüfung. Dem theuren Vater aber solle sein Herz jetzt inniger denn je angehören, denn dessen väterliche Liebe sei nie größer gewesen als in der Art der schweren Entscheidung. Witzleben bemerkte dazu in seinem Tage- buche: "welche ein Sohn! welch ein Vater!" Drei Jahre darauf schloß der Prinz mit der Prinzessin Augusta von Weimar die Ehe, welche dem königlichen Hause den Stammhalter schenkte. Also erzog eine unerforsch- lich weise Waltung der Nation ihren Helden und lehrte den gehorchen und entsagen, der einst Deutschland beherrschen sollte.*)
Von diesen Herzenskämpfen wurde außerhalb der Hofkreise wenig be- kannt. Um so größeres Aufsehen erregte die Nachricht, daß des Königs Halbschwester, Herzogin Julia von Anhalt-Köthen nebst ihrem Gemahl in Paris zur römischen Kirche übergetreten war (1825). Kaiser Franz war in das Geheimniß eingeweiht; er hatte nur des Aergernisses halber ver- langt, daß der Uebertritt nicht in Oesterreich geschehen dürfe. Nach dem alten Brauche römischer Ehrlichkeit und nach dem Vorbilde des gefeierten Haller dachten die Bekehrten den Glaubenswechsel vor ihrem evangelischen Lande zunächst geheim zu halten, was der Papst gern gestattete. Aber der Vorfall ward ruchbar, und die Herzogin sah sich genöthigt, ihrem königlichen Bruder das Geschehene zu beichten. Sie that es in einem schwülstigen Briefe, dessen hohle Phrasen nur den phantastischen Rausch dieser romantischen Tage, nirgends den tiefen Ernst einer schwer erkämpften Ueberzeugung erkennen ließen; zu guter Letzt gab sie dem in seinen hei- ligsten Gefühlen Verletzten noch die tröstliche Versicherung, sie werde seiner nach katholischer Sitte "namenlos oft" in ihren Gebeten vor Gott ge- denken.
In der Presse schlugen Krug und Paulus, die alten eifersüchtigen Wächter des Protestantismus, sogleich Lärm. Das anhaltische Völkchen fühlte sich schwer beunruhigt; denn wer konnte wissen, ob nicht auch einige Räthe des Herzogs, nach dem Beispiele des Landesvaters, bereits insge- heim abgefallen waren, und die evangelische Landeskirche also schon unter katholischer Leitung stand? Eine Schaar fanatischer Ultramontanen sam- melte sich um die Herzogin und ihren Adam Müller: Alle überragend der Pole Haza, ein gewandter Agent der römischen Propaganda, der seine geheimnißvolle Thätigkeit viele Jahre lang, bis in den ersten deutschen Reichstag hinein, fortgeführt hat. Nicht lange, und man erfuhr, daß noch ein anderes Kind Friedrich Wilhelm's II., Graf Ingenheim in der Köthener Schloßkirche sich zum römischen Glauben bekannt hatte. Dann schlug eine Jesuitenmission hier im Mittelpunkte der alten sächsischen
*) Wittgenstein an Bernstorff, 28. März 1826; Rechtsgutachten von K. F. Eich- horn, Schmelzer u. A. Witzleben's Tagebuch, 10. Jan., 4. April 1825, 23., 24. Juni 1826; Prinz Wilhelm an König Friedrich Wilhelm, 23. Juni 1826.
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
bat um Gottes Beiſtand, daß er ihn nicht verlaſſe in dieſer ſchweren Prüfung. Dem theuren Vater aber ſolle ſein Herz jetzt inniger denn je angehören, denn deſſen väterliche Liebe ſei nie größer geweſen als in der Art der ſchweren Entſcheidung. Witzleben bemerkte dazu in ſeinem Tage- buche: „welche ein Sohn! welch ein Vater!“ Drei Jahre darauf ſchloß der Prinz mit der Prinzeſſin Auguſta von Weimar die Ehe, welche dem königlichen Hauſe den Stammhalter ſchenkte. Alſo erzog eine unerforſch- lich weiſe Waltung der Nation ihren Helden und lehrte den gehorchen und entſagen, der einſt Deutſchland beherrſchen ſollte.*)
Von dieſen Herzenskämpfen wurde außerhalb der Hofkreiſe wenig be- kannt. Um ſo größeres Aufſehen erregte die Nachricht, daß des Königs Halbſchweſter, Herzogin Julia von Anhalt-Köthen nebſt ihrem Gemahl in Paris zur römiſchen Kirche übergetreten war (1825). Kaiſer Franz war in das Geheimniß eingeweiht; er hatte nur des Aergerniſſes halber ver- langt, daß der Uebertritt nicht in Oeſterreich geſchehen dürfe. Nach dem alten Brauche römiſcher Ehrlichkeit und nach dem Vorbilde des gefeierten Haller dachten die Bekehrten den Glaubenswechſel vor ihrem evangeliſchen Lande zunächſt geheim zu halten, was der Papſt gern geſtattete. Aber der Vorfall ward ruchbar, und die Herzogin ſah ſich genöthigt, ihrem königlichen Bruder das Geſchehene zu beichten. Sie that es in einem ſchwülſtigen Briefe, deſſen hohle Phraſen nur den phantaſtiſchen Rauſch dieſer romantiſchen Tage, nirgends den tiefen Ernſt einer ſchwer erkämpften Ueberzeugung erkennen ließen; zu guter Letzt gab ſie dem in ſeinen hei- ligſten Gefühlen Verletzten noch die tröſtliche Verſicherung, ſie werde ſeiner nach katholiſcher Sitte „namenlos oft“ in ihren Gebeten vor Gott ge- denken.
In der Preſſe ſchlugen Krug und Paulus, die alten eiferſüchtigen Wächter des Proteſtantismus, ſogleich Lärm. Das anhaltiſche Völkchen fühlte ſich ſchwer beunruhigt; denn wer konnte wiſſen, ob nicht auch einige Räthe des Herzogs, nach dem Beiſpiele des Landesvaters, bereits insge- heim abgefallen waren, und die evangeliſche Landeskirche alſo ſchon unter katholiſcher Leitung ſtand? Eine Schaar fanatiſcher Ultramontanen ſam- melte ſich um die Herzogin und ihren Adam Müller: Alle überragend der Pole Haza, ein gewandter Agent der römiſchen Propaganda, der ſeine geheimnißvolle Thätigkeit viele Jahre lang, bis in den erſten deutſchen Reichstag hinein, fortgeführt hat. Nicht lange, und man erfuhr, daß noch ein anderes Kind Friedrich Wilhelm’s II., Graf Ingenheim in der Köthener Schloßkirche ſich zum römiſchen Glauben bekannt hatte. Dann ſchlug eine Jeſuitenmiſſion hier im Mittelpunkte der alten ſächſiſchen
*) Wittgenſtein an Bernſtorff, 28. März 1826; Rechtsgutachten von K. F. Eich- horn, Schmelzer u. A. Witzleben’s Tagebuch, 10. Jan., 4. April 1825, 23., 24. Juni 1826; Prinz Wilhelm an König Friedrich Wilhelm, 23. Juni 1826.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0410"n="394"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.</fw><lb/>
bat um Gottes Beiſtand, daß er ihn nicht verlaſſe in dieſer ſchweren<lb/>
Prüfung. Dem theuren Vater aber ſolle ſein Herz jetzt inniger denn je<lb/>
angehören, denn deſſen väterliche Liebe ſei nie größer geweſen als in der<lb/>
Art der ſchweren Entſcheidung. Witzleben bemerkte dazu in ſeinem Tage-<lb/>
buche: „welche ein Sohn! welch ein Vater!“ Drei Jahre darauf ſchloß<lb/>
der Prinz mit der Prinzeſſin Auguſta von Weimar die Ehe, welche dem<lb/>
königlichen Hauſe den Stammhalter ſchenkte. Alſo erzog eine unerforſch-<lb/>
lich weiſe Waltung der Nation ihren Helden und lehrte den gehorchen<lb/>
und entſagen, der einſt Deutſchland beherrſchen ſollte.<noteplace="foot"n="*)">Wittgenſtein an Bernſtorff, 28. März 1826; Rechtsgutachten von K. F. Eich-<lb/>
horn, Schmelzer u. A. Witzleben’s Tagebuch, 10. Jan., 4. April 1825, 23., 24. Juni<lb/>
1826; Prinz Wilhelm an König Friedrich Wilhelm, 23. Juni 1826.</note></p><lb/><p>Von dieſen Herzenskämpfen wurde außerhalb der Hofkreiſe wenig be-<lb/>
kannt. Um ſo größeres Aufſehen erregte die Nachricht, daß des Königs<lb/>
Halbſchweſter, Herzogin Julia von Anhalt-Köthen nebſt ihrem Gemahl in<lb/>
Paris zur römiſchen Kirche übergetreten war (1825). Kaiſer Franz war<lb/>
in das Geheimniß eingeweiht; er hatte nur des Aergerniſſes halber ver-<lb/>
langt, daß der Uebertritt nicht in Oeſterreich geſchehen dürfe. Nach dem<lb/>
alten Brauche römiſcher Ehrlichkeit und nach dem Vorbilde des gefeierten<lb/>
Haller dachten die Bekehrten den Glaubenswechſel vor ihrem evangeliſchen<lb/>
Lande zunächſt geheim zu halten, was der Papſt gern geſtattete. Aber<lb/>
der Vorfall ward ruchbar, und die Herzogin ſah ſich genöthigt, ihrem<lb/>
königlichen Bruder das Geſchehene zu beichten. Sie that es in einem<lb/>ſchwülſtigen Briefe, deſſen hohle Phraſen nur den phantaſtiſchen Rauſch<lb/>
dieſer romantiſchen Tage, nirgends den tiefen Ernſt einer ſchwer erkämpften<lb/>
Ueberzeugung erkennen ließen; zu guter Letzt gab ſie dem in ſeinen hei-<lb/>
ligſten Gefühlen Verletzten noch die tröſtliche Verſicherung, ſie werde ſeiner<lb/>
nach katholiſcher Sitte „namenlos oft“ in ihren Gebeten vor Gott ge-<lb/>
denken.</p><lb/><p>In der Preſſe ſchlugen Krug und Paulus, die alten eiferſüchtigen<lb/>
Wächter des Proteſtantismus, ſogleich Lärm. Das anhaltiſche Völkchen<lb/>
fühlte ſich ſchwer beunruhigt; denn wer konnte wiſſen, ob nicht auch einige<lb/>
Räthe des Herzogs, nach dem Beiſpiele des Landesvaters, bereits insge-<lb/>
heim abgefallen waren, und die evangeliſche Landeskirche alſo ſchon unter<lb/>
katholiſcher Leitung ſtand? Eine Schaar fanatiſcher Ultramontanen ſam-<lb/>
melte ſich um die Herzogin und ihren Adam Müller: Alle überragend<lb/>
der Pole Haza, ein gewandter Agent der römiſchen Propaganda, der ſeine<lb/>
geheimnißvolle Thätigkeit viele Jahre lang, bis in den erſten deutſchen<lb/>
Reichstag hinein, fortgeführt hat. Nicht lange, und man erfuhr, daß<lb/>
noch ein anderes Kind Friedrich Wilhelm’s <hirendition="#aq">II.</hi>, Graf Ingenheim in der<lb/>
Köthener Schloßkirche ſich zum römiſchen Glauben bekannt hatte. Dann<lb/>ſchlug eine Jeſuitenmiſſion hier im Mittelpunkte der alten ſächſiſchen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[394/0410]
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
bat um Gottes Beiſtand, daß er ihn nicht verlaſſe in dieſer ſchweren
Prüfung. Dem theuren Vater aber ſolle ſein Herz jetzt inniger denn je
angehören, denn deſſen väterliche Liebe ſei nie größer geweſen als in der
Art der ſchweren Entſcheidung. Witzleben bemerkte dazu in ſeinem Tage-
buche: „welche ein Sohn! welch ein Vater!“ Drei Jahre darauf ſchloß
der Prinz mit der Prinzeſſin Auguſta von Weimar die Ehe, welche dem
königlichen Hauſe den Stammhalter ſchenkte. Alſo erzog eine unerforſch-
lich weiſe Waltung der Nation ihren Helden und lehrte den gehorchen
und entſagen, der einſt Deutſchland beherrſchen ſollte. *)
Von dieſen Herzenskämpfen wurde außerhalb der Hofkreiſe wenig be-
kannt. Um ſo größeres Aufſehen erregte die Nachricht, daß des Königs
Halbſchweſter, Herzogin Julia von Anhalt-Köthen nebſt ihrem Gemahl in
Paris zur römiſchen Kirche übergetreten war (1825). Kaiſer Franz war
in das Geheimniß eingeweiht; er hatte nur des Aergerniſſes halber ver-
langt, daß der Uebertritt nicht in Oeſterreich geſchehen dürfe. Nach dem
alten Brauche römiſcher Ehrlichkeit und nach dem Vorbilde des gefeierten
Haller dachten die Bekehrten den Glaubenswechſel vor ihrem evangeliſchen
Lande zunächſt geheim zu halten, was der Papſt gern geſtattete. Aber
der Vorfall ward ruchbar, und die Herzogin ſah ſich genöthigt, ihrem
königlichen Bruder das Geſchehene zu beichten. Sie that es in einem
ſchwülſtigen Briefe, deſſen hohle Phraſen nur den phantaſtiſchen Rauſch
dieſer romantiſchen Tage, nirgends den tiefen Ernſt einer ſchwer erkämpften
Ueberzeugung erkennen ließen; zu guter Letzt gab ſie dem in ſeinen hei-
ligſten Gefühlen Verletzten noch die tröſtliche Verſicherung, ſie werde ſeiner
nach katholiſcher Sitte „namenlos oft“ in ihren Gebeten vor Gott ge-
denken.
In der Preſſe ſchlugen Krug und Paulus, die alten eiferſüchtigen
Wächter des Proteſtantismus, ſogleich Lärm. Das anhaltiſche Völkchen
fühlte ſich ſchwer beunruhigt; denn wer konnte wiſſen, ob nicht auch einige
Räthe des Herzogs, nach dem Beiſpiele des Landesvaters, bereits insge-
heim abgefallen waren, und die evangeliſche Landeskirche alſo ſchon unter
katholiſcher Leitung ſtand? Eine Schaar fanatiſcher Ultramontanen ſam-
melte ſich um die Herzogin und ihren Adam Müller: Alle überragend
der Pole Haza, ein gewandter Agent der römiſchen Propaganda, der ſeine
geheimnißvolle Thätigkeit viele Jahre lang, bis in den erſten deutſchen
Reichstag hinein, fortgeführt hat. Nicht lange, und man erfuhr, daß
noch ein anderes Kind Friedrich Wilhelm’s II., Graf Ingenheim in der
Köthener Schloßkirche ſich zum römiſchen Glauben bekannt hatte. Dann
ſchlug eine Jeſuitenmiſſion hier im Mittelpunkte der alten ſächſiſchen
*) Wittgenſtein an Bernſtorff, 28. März 1826; Rechtsgutachten von K. F. Eich-
horn, Schmelzer u. A. Witzleben’s Tagebuch, 10. Jan., 4. April 1825, 23., 24. Juni
1826; Prinz Wilhelm an König Friedrich Wilhelm, 23. Juni 1826.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/410>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.