Und diesem Sohne, der seinem Herzen so nahe stand, mußte der König die liebsten Träume der Jugend grausam zerstören. Prinz Wilhelm liebte die Prinzessin Elise Radziwill, die schönste und holdeste unter den jungen Damen des Hofes. Sie schien wie für ihn geschaffen, aber ihre Eben- bürtigkeit ward bestritten. Denn obwohl dies alte litthauische Dynasten- geschlecht durch Reichthum und historischen Ruhm manches deutsche Für- stenhaus überstrahlte, und einmal schon, in den Tagen des großen Kurfürsten, ein Hohenzoller eine Radziwill als ebenbürtige Gemahlin heim- geführt hatte, so waren doch neuerdings am preußischen wie an allen deutschen Königshöfen strengere Rechtsbegriffe zur Herrschaft gelangt. Seit den Zeiten Friedrichs des Großen stand der Grundsatz fest, daß nur die Töchter der regierenden Fürstenhäuser und der vormaligen reichsständischen Landesherren für ebenbürtig gelten sollten; der König selbst erkannte diese Regel an, indem er bei seiner zweiten Vermählung öffentlich aussprach, daß er nach der Verfassung seines Hauses mit der Tochter einer reichs- gräflichen Personalistenfamilie nur eine morganatische Ehe schließen dürfe. Fünf Jahre hindurch wurde nun von beiden Seiten Alles aufgeboten um die Zweifel zu beseitigen und dem Prinzen sein ersehntes Eheglück zu ermöglichen. Durch den Fürsten Anton Radziwill aufgefordert, schrieb Karl Friedrich Eichhorn ein Rechtsgutachten, das sich für die Ebenbürtigkeit des Hauses Radziwill aussprach, jedoch die Ansicht des großen Staats- rechtslehrers stieß bei anderen namhaften Juristen auf wohlbegründeten Widerspruch. Dann tauchte der Vorschlag auf, Prinz August von Preußen solle die Prinzessin an Kindesstatt annehmen; aber fünf der Minister er- widerten nach ihrer Amtspflicht, die Adoption könne das Blut nicht er- setzen. Unterdessen vermählte sich der dritte Sohn des Königs, Prinz Karl mit einer weimarischen Prinzessin, und der großherzoglich sächsische Hof erklärte nachdrücklich, daß er für die Kinder dieser Ehe das Vorrecht be- anspruchen müsse falls der ältere Bruder seiner Neigung folge.
Nunmehr ward die Frage sehr ernst; es drohte ein Streit um die Erbfolge, der vielleicht den Bestand der Dynastie gefährden konnte. Auf die wiederholten Vorstellungen seiner Räthe beschloß der König, tief be- kümmert, sein Ansehen zu gebrauchen (1826). In einem von Zärtlichkeit überströmenden Briefe hielt er dem Sohne vor, was Alles vergeblich ver- sucht worden sei, und wie nun doch nichts übrig bleibe als die harte Pflicht, dem Wohle des Staates, des königlichen Hauses eine edle Neigung zu opfern. Als der Prinz dies Schreiben durch General Witzleben empfing, war er anfangs ganz zerschmettert; dann raffte er sich zusammen, und noch am selben Abend schrieb er dem Könige, daß er gehorchen werde. In jener einfachen, kunstlosen und doch so tief zur Seele dringenden Sprache, die ihm natürlich war, schüttete er dem Vater sein Herz aus. Er versprach das Vertrauen des Königs zu rechtfertigen durch Bekämpfung seines tiefen Schmerzes, durch Standhaftigkeit im Unabänderlichen, und
Prinz Wilhelm und Prinzeſſin Radziwill.
Und dieſem Sohne, der ſeinem Herzen ſo nahe ſtand, mußte der König die liebſten Träume der Jugend grauſam zerſtören. Prinz Wilhelm liebte die Prinzeſſin Eliſe Radziwill, die ſchönſte und holdeſte unter den jungen Damen des Hofes. Sie ſchien wie für ihn geſchaffen, aber ihre Eben- bürtigkeit ward beſtritten. Denn obwohl dies alte litthauiſche Dynaſten- geſchlecht durch Reichthum und hiſtoriſchen Ruhm manches deutſche Für- ſtenhaus überſtrahlte, und einmal ſchon, in den Tagen des großen Kurfürſten, ein Hohenzoller eine Radziwill als ebenbürtige Gemahlin heim- geführt hatte, ſo waren doch neuerdings am preußiſchen wie an allen deutſchen Königshöfen ſtrengere Rechtsbegriffe zur Herrſchaft gelangt. Seit den Zeiten Friedrichs des Großen ſtand der Grundſatz feſt, daß nur die Töchter der regierenden Fürſtenhäuſer und der vormaligen reichsſtändiſchen Landesherren für ebenbürtig gelten ſollten; der König ſelbſt erkannte dieſe Regel an, indem er bei ſeiner zweiten Vermählung öffentlich ausſprach, daß er nach der Verfaſſung ſeines Hauſes mit der Tochter einer reichs- gräflichen Perſonaliſtenfamilie nur eine morganatiſche Ehe ſchließen dürfe. Fünf Jahre hindurch wurde nun von beiden Seiten Alles aufgeboten um die Zweifel zu beſeitigen und dem Prinzen ſein erſehntes Eheglück zu ermöglichen. Durch den Fürſten Anton Radziwill aufgefordert, ſchrieb Karl Friedrich Eichhorn ein Rechtsgutachten, das ſich für die Ebenbürtigkeit des Hauſes Radziwill ausſprach, jedoch die Anſicht des großen Staats- rechtslehrers ſtieß bei anderen namhaften Juriſten auf wohlbegründeten Widerſpruch. Dann tauchte der Vorſchlag auf, Prinz Auguſt von Preußen ſolle die Prinzeſſin an Kindesſtatt annehmen; aber fünf der Miniſter er- widerten nach ihrer Amtspflicht, die Adoption könne das Blut nicht er- ſetzen. Unterdeſſen vermählte ſich der dritte Sohn des Königs, Prinz Karl mit einer weimariſchen Prinzeſſin, und der großherzoglich ſächſiſche Hof erklärte nachdrücklich, daß er für die Kinder dieſer Ehe das Vorrecht be- anſpruchen müſſe falls der ältere Bruder ſeiner Neigung folge.
Nunmehr ward die Frage ſehr ernſt; es drohte ein Streit um die Erbfolge, der vielleicht den Beſtand der Dynaſtie gefährden konnte. Auf die wiederholten Vorſtellungen ſeiner Räthe beſchloß der König, tief be- kümmert, ſein Anſehen zu gebrauchen (1826). In einem von Zärtlichkeit überſtrömenden Briefe hielt er dem Sohne vor, was Alles vergeblich ver- ſucht worden ſei, und wie nun doch nichts übrig bleibe als die harte Pflicht, dem Wohle des Staates, des königlichen Hauſes eine edle Neigung zu opfern. Als der Prinz dies Schreiben durch General Witzleben empfing, war er anfangs ganz zerſchmettert; dann raffte er ſich zuſammen, und noch am ſelben Abend ſchrieb er dem Könige, daß er gehorchen werde. In jener einfachen, kunſtloſen und doch ſo tief zur Seele dringenden Sprache, die ihm natürlich war, ſchüttete er dem Vater ſein Herz aus. Er verſprach das Vertrauen des Königs zu rechtfertigen durch Bekämpfung ſeines tiefen Schmerzes, durch Standhaftigkeit im Unabänderlichen, und
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Prinz Wilhelm und Prinzeſſin Radziwill.
Und dieſem Sohne, der ſeinem Herzen ſo nahe ſtand, mußte der König
die liebſten Träume der Jugend grauſam zerſtören. Prinz Wilhelm liebte
die Prinzeſſin Eliſe Radziwill, die ſchönſte und holdeſte unter den jungen
Damen des Hofes. Sie ſchien wie für ihn geſchaffen, aber ihre Eben-
bürtigkeit ward beſtritten. Denn obwohl dies alte litthauiſche Dynaſten-
geſchlecht durch Reichthum und hiſtoriſchen Ruhm manches deutſche Für-
ſtenhaus überſtrahlte, und einmal ſchon, in den Tagen des großen
Kurfürſten, ein Hohenzoller eine Radziwill als ebenbürtige Gemahlin heim-
geführt hatte, ſo waren doch neuerdings am preußiſchen wie an allen
deutſchen Königshöfen ſtrengere Rechtsbegriffe zur Herrſchaft gelangt. Seit
den Zeiten Friedrichs des Großen ſtand der Grundſatz feſt, daß nur die
Töchter der regierenden Fürſtenhäuſer und der vormaligen reichsſtändiſchen
Landesherren für ebenbürtig gelten ſollten; der König ſelbſt erkannte dieſe
Regel an, indem er bei ſeiner zweiten Vermählung öffentlich ausſprach,
daß er nach der Verfaſſung ſeines Hauſes mit der Tochter einer reichs-
gräflichen Perſonaliſtenfamilie nur eine morganatiſche Ehe ſchließen dürfe.
Fünf Jahre hindurch wurde nun von beiden Seiten Alles aufgeboten
um die Zweifel zu beſeitigen und dem Prinzen ſein erſehntes Eheglück
zu ermöglichen. Durch den Fürſten Anton Radziwill aufgefordert, ſchrieb
Karl Friedrich Eichhorn ein Rechtsgutachten, das ſich für die Ebenbürtigkeit
des Hauſes Radziwill ausſprach, jedoch die Anſicht des großen Staats-
rechtslehrers ſtieß bei anderen namhaften Juriſten auf wohlbegründeten
Widerſpruch. Dann tauchte der Vorſchlag auf, Prinz Auguſt von Preußen
ſolle die Prinzeſſin an Kindesſtatt annehmen; aber fünf der Miniſter er-
widerten nach ihrer Amtspflicht, die Adoption könne das Blut nicht er-
ſetzen. Unterdeſſen vermählte ſich der dritte Sohn des Königs, Prinz Karl
mit einer weimariſchen Prinzeſſin, und der großherzoglich ſächſiſche Hof
erklärte nachdrücklich, daß er für die Kinder dieſer Ehe das Vorrecht be-
anſpruchen müſſe falls der ältere Bruder ſeiner Neigung folge.
Nunmehr ward die Frage ſehr ernſt; es drohte ein Streit um die
Erbfolge, der vielleicht den Beſtand der Dynaſtie gefährden konnte. Auf
die wiederholten Vorſtellungen ſeiner Räthe beſchloß der König, tief be-
kümmert, ſein Anſehen zu gebrauchen (1826). In einem von Zärtlichkeit
überſtrömenden Briefe hielt er dem Sohne vor, was Alles vergeblich ver-
ſucht worden ſei, und wie nun doch nichts übrig bleibe als die harte Pflicht,
dem Wohle des Staates, des königlichen Hauſes eine edle Neigung zu
opfern. Als der Prinz dies Schreiben durch General Witzleben empfing,
war er anfangs ganz zerſchmettert; dann raffte er ſich zuſammen, und
noch am ſelben Abend ſchrieb er dem Könige, daß er gehorchen werde.
In jener einfachen, kunſtloſen und doch ſo tief zur Seele dringenden
Sprache, die ihm natürlich war, ſchüttete er dem Vater ſein Herz aus.
Er verſprach das Vertrauen des Königs zu rechtfertigen durch Bekämpfung
ſeines tiefen Schmerzes, durch Standhaftigkeit im Unabänderlichen, und
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/409>, abgerufen am 24.11.2024.
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